CLEARXCUT

Foto© by Pavel X

Vegan Straight Edge

Auf die deutsche Band CLEARXCUT wurde ich vor Jahren aufmerksam, als sie ihre Single „The Vegan Straight Edge“ veröffentlichte. Ihr Alleinstellungsmerkmal war, dass sie mit zwei Sängerinnen auftraten. 2019 erschien die LP „For The Wild At Heart Kept In Cages“, doch dann kam Corona und das hatte verschiedene Besetzungswechsel zur Folge. Die beiden Sängerinnen haben die Band verlassen, eine davon, Sarah, ist allerdings noch bei zwei Stücken als Gast dabei. Die Band veröffentlichte mit „Songs Of Desire Armed“ jetzt eine düstere und dennoch positive neue LP mit einem ganz eigenen Hardcore-Sound, fernab vom bekannten Youthcrew-Schema. Für das Interview hat Gründungsmitglied Matthias einen Kinobesuch unterbrochen und beantwortet meine Fragen aus dem Auto heraus.

Ich habe irgendwann zufällig bemerkt, dass ich selbst straight edge lebe, nachdem ich über die Jahre mit einem nach dem anderen aufgehört habe. Letztens kam die Frage auf, wie viel denn meine Sneaker gekostet hätten. Von jemanden, der selbst vegan lebt und insofern alle Vorurteile kennen müsste und seinerseits Doc Martens für 180 Euro trägt. Wie erlebt ihr das als Vegan-Straight-Edge-Band – müsst ihr noch bessere Menschen sein, als wenn ihr nur vegan wärt?

Ich habe bisher nicht die Erfahrung gemacht, dass die Erwartungen noch höher sind als beim bloßen Veganismus. Doch da sind sie schon höher, wenn du gleichzeitig auch ökologische Probleme kritisierst. Es wird dann überprüft, ob sich Lücken in deiner Überzeugung auftun, beispielsweise ob du viel Auto fährst.

Die Message ist euch als Band sehr wichtig, egal, ob sie in den Texten stattfindet oder auf die Shirts gedruckt ist. Warum geht ihr damit so nach außen?
Für mich war es der Hauptgrund, die Band überhaupt ins Leben zu rufen. Ich komme ursprünglich eher aus der Metal-Szene und bin mit 18 Jahren in den Punk reingerutscht. Hier ging es für mich mit Crust los und ich fand es spannend, dass in der Musik die Politik in die Tiefe gehen kann und sich nicht nur auf „scheiß Nazis“ beschränkt – was es natürlich auch braucht. Ich habe mich dann mehr mit Politik befasst und den Status quo gesehen. Und so entstand der Anreiz oder Drang, selbst etwas zu sagen. Und natürlich war es auch ein Ventil, um Aggressionen und Unzufriedenheiten loszuwerden. Bei uns gab es damals keine politischen Punkbands und ich hatte das Bedürfnis, irgendein Gemeinschaftsding zu haben, bei dem man auf einer Wellenlänge ist, sei es Veganismus, Ökologie oder Anarchismus. Da bleibt einem dann nichts anderes übrig, als das selbst zu machen. Dabei ist mein Anspruch bestehen geblieben, mich weiter mit Problemen auseinanderzusetzen und darüber zu sprechen.

Als Band bezeichnet ihr euch als Kollektiv. Wie verlief der Weg dahin bis heute?
Die ersten zwei Alben habe ich komplett allein geschrieben und eingespielt, bis auf die Drums. Es gab einfach keine Leute, die gepasst haben. Es war interessant zu sehen, dass es nicht reicht, nur dieselben Ansichten zu haben. Es war ein langer Prozess, bis ich Leute gefunden habe, bei denen ich das Gefühl hatte, dass es passt.

Wie viele Leute seid ihr?
Wir waren zu fünft bei den Shows. Es gab dann einige Wechsel, es hat sich viel getan. Wir hatten zwei Sängerinnen, die fest dabei waren und jetzt weg sind. Einige Leute haben die Band verlassen, weil sie keine Shows mehr spielen oder nicht mehr in den Übungsraum kommen konnten, dazu kam die ganze Corona-Sache. Es war echt hart. Nun singt unser alter Bassist und wir sind wieder zu fünft.

Feminismus und Anti-Sexismus haben einen hohen Stellenwert in der Szene und auch bei euch in der Band. Ich habe letztens Larissa Stupar interviewt, die Sängerin von VENOM PRISON, die früher bei WOLF DOWN war. Sie hat die deutsche Hardcore-Szene als sexistisch und übergriffig erlebt und wurde selbst Opfer von sexueller Gewalt. Welchen Eindruck hattest du von der Szene, ihr hattet selbst zwei Sängerinnen?
Ich kann hier nur aus ganz subjektiver Erfahrung und völlig unrepräsentativ sprechen. Es war bei unseren Shows völlig entspannt. Spätestens nachdem die WOLF DOWN-Sache publik geworden ist, hat sich viel getan, denke ich. Vielleicht sind die Leute danach anders aufgetreten als davor. Bei unseren Shows war es für uns als Band immer sehr angenehm, das habe ich auch von unseren Sängerinnen so gehört. Wir haben auch immer in einem Punk-Kontext gespielt, immer in AZs, nicht im Metal-Umfeld ...

... gerade in der AZ-Szene war es laut Larissa sehr schlimm.
Oh, das kann ich so nicht bestätigen. Es ist mit Sicherheit aber ein Unterschied, wie Jungs und Mädels das selbst erleben. Ich selbst habe in solch dezidiert linken Punk-Läden noch nie ein schlechtes Erlebnis gehabt. Ich hatte immer hohe Erwartungen an ein linkes und DIY-Umfeld und war wirklich begeistert, dass es so war, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Eure LP hattet ihr schon 2020 im Kasten. Mich nervt die Vinylkrise mittlerweile in in einem Maße, dass ich schon überlege, auf CDs umzusteigen. Warum zieht sich das bei euch so extrem lange hin, um einiges länger, als es heutzutage eigentlich der Fall ist?
Das liegt natürlich zunächst an der Corona-Situation. Bei unserem Label Catalyst ist es dazu so, dass Kurt alles alleine macht – und zwar mit verdammt viel Leidenschaft. Wenn du ein Master abgibst, das einen Tag später im Presswerk landet, bist du beim falschen Label. Er hat verdammt viel um die Ohren, kümmert sich um alles, hat einen kleinen Sohn. Da dauert es eben etwas länger. In der Zwischenzeit haben wir längst neue Songs geschrieben und aufgenommen.

Eure neue LP wirkt zunächst ziemlich düster, doomig, man glaubt, eine ziemliche Veränderung alleine musikalisch zu bemerken. Ich habe mir heute nochmals eure letzte Platte angehört – da hat sich eigentlich nicht so viel geändert, der neue und düstere Gesang lässt es nur so wirken.
Das ist lustig, dass du das sagst. Das würde ich genauso unterschreiben. Ich habe schon versucht, die Songs etwas härter und fetter zu schreiben, im Grunde genommen ist alles aber ziemlich ähnlich. Da unser Sänger so brüllt, ist die Wirkung bloß eine andere.

Eure Texte beschreiben erst mal das Negative auf der Welt. In „The sky ablaze“ geht es darum, wie eine anarchistische Revolution aussehen würde. Wie soll die funktionieren?
Es gibt natürlich Differenzen zwischen dem, was in den Songtexten passiert, und der Realität. Es geht aber darum, den Frust und die Wut rauszulassen. Bei Vegan Edge merkt man an den Texten, wie frustrierend der Status quo einfach ist. Die Illusion, dass eine anarchistische Revolution das westliche kapitalistische System grundlegend verändert, hatte ich mit 18 Jahren. Der Song soll die Hoffnung vermitteln, dass es sich dennoch lohnt, für etwas zu kämpfen. Ich habe versucht, keinen depressiven Abgesang auf alles zu verfassen, sondern zu zeigen, dass es auch etwas Positives gibt.

Genau hier passen bei euch Musik und Text auf den ersten Blick nicht zusammen – einerseits total düster, andererseits am Ende die positive Message wie in „A life on your own“, das ein reiner PMA-Text ist.
Das freut mich sehr. Besonders bei diesem Album ist das wichtig. Man wird ja nur mit Negativität bombardiert – angesichts von Corona und der Kriegsscheiße ist das sowieso jedem klar. Aber auch vorher hast du als an der Politik interessierter Mensch eigentlich auch nur Scheiße gesehen. Es schien lediglich immer nur noch ein bisschen schlimmer zu werden. Es ist klar, dass man die Probleme ansprechen muss. Ebenso muss man aber ansprechen, dass es auch Positives gibt und Mut machen.

Den Text von „My anchor“ verstehe ich als Ode an Straight Edge. Eben jener Anker hat es geschafft, dass man am Leben geblieben ist. Ist das eine persönliche Geschichte?
Nein, das ist nicht aus eigener Erfahrung entstanden und bezieht sich auch auf keine konkrete Person. Es beruht eher auf Erzählungen von Bekannten, die gesagt haben, dass sie, wenn sie mit den Drogen so weitergemacht hätten wie zuvor, das nicht überlebt hätten. Die Straight-Edge-Szene ist heute aufgeschlossener als beispielsweise Mitte der Neunziger, wo in Salt Lake City Edger zum Beispiel Leute verprügelt haben, weil diese eine Bierflasche in der Hand hielten. Der Song plädiert genau für das Gegenteil, dass man als Edger Leuten, die süchtig sind, nicht mit Vorwürfen kommt, sondern ihnen Hilfe anbietet. Die Leute nehmen die Drogen nicht, weil diese so geil sind, sondern weil sie ganz andere Probleme haben. Und hier kann man helfen, diese Probleme in den Griff zu bekommen, anstatt zu sagen, dass sie Idioten sind und ich viel cooler, weil ich keine Drogen nehme.