CHEEKS

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Die Sixties und Bella Italia

Wenn es weiland Goethe gen Italien zog, um sich die Inspirationen seiner Werke zu holen, zogen THE CHEEKS aus Dortmund im Oktober 2007 auf eine hannibalesque Art ins das Land der blühenden Zitronen, um es mit ihrem Sixties-Powerpop wie seinerzeit zu erobern. Chris berichtet, die anderen kommentieren hier und da.

1. Tag | Nachdem wir unseren Kram in den Bus gepackt hatten, was erstaunlicherweise recht unspektakulär verlief, machen wir uns auf den Weg. Wir, das sind: Kono - Leadgesang; Chris - Gitarrist, Backing Vocals; Det Bizarr - Organist und geistiger Mentor während der Tour; Gitte - Schlagzeugerin mit starkem Hang zum Separatismus und einer Affinität für Country&Western-Musik; T-Base - Bass und Backing Vocals, ein langjähriger Weggefährte von Hank Ray; sowie Nico - Freundin von Kono, Merchandiserin und guter Geist während der Tour. Erster Stop an der Trinkhalle an der B 54. Einkauf diverser Alkoholika sowie Süßwarenartikel. Von da an bis Pfronten in Bayern keine besonderen Vorkommnisse. Ankunft Pfronten, direkt an den Alpen, wobei von diesen aber auch rein gar nichts zu sehen ist. Der Grund: Nebel. Michel, unser Labelboss, heißt uns in seiner überschwänglichen Art willkommen.

2. Tag | Der gute Michel schickt uns mit einem opulenten Frühstück auf den Weg. Tagsüber kommen wir in den Genuss, das idyllische Städtchen in seiner hellen Schönheit zu betrachten. Während sich Gitte vorstellen kann, hier ihr Refugium einzurichten, will Det hingegen als nackter Feuerteufel den halben Ort in Brand stecken. Im Restaurant Zugspitzblick muss Nico aufs Klo. Währenddessen Schneeballschlacht für die Band. Dann die Dolomiten, nicht so schön weiß, eher grau. Ankunft in Trento, am Nachmittag erreichen wir den Club, das Soultrain, eine ehemalige Versteigerungshalle für allerlei Viehzeug. T-Base: „Was mich erstaunt hat, war die Tatsache, dass die Leute in Trento unser Merchandise gekauft haben, bevor wir überhaupt einen Ton gespielt hatten!“

Mitten im Set fällt Det auf einmal ein, dass sich bei der Tour-Orgel nicht wie gewohnt die Stimmung per Knopfdruck verändern lässt. T-Base: „Ich hätte ihm den Hals umdrehen können! Also war spontanes Transponieren der Stücke für Chris und mich angesagt ...“

Orgiastischer Jubel! Uns ist dann auch klar, warum einige der Gäste schon vor dem Konzert unseren kompletten Backkatalog aufgekauft haben: einige der Jungs waren scharf auf unsere weiblichen Tourmitglieder. Speziell einer, so eine Art Althippie im Jeans-Ornat, gerade jung war der auch nicht mehr, so an die sechzig war der Junge schon.

3. Tag | Abfahrt Richtung Süden, ein Besuch an der Adria darf natürlich nicht fehlen. Wir stoppen an irgendeinem dieser vergammelten Badeorte und vertreiben uns die Zeit mit „Schattensurfen“, während Gitte und T-Base ihre Italienischkenntnisse anhand von angespülten Fischdosen auffrischen. Inklusive sich den Arsch abfrieren, denn es ist saukalt. Ankunft Cesena, auf dem Hof einer ehemaligen Palettenfirma. Das liebevoll zusammengeschusterte Magazzino Parallelo erinnert so ein bisschen an das alte SO 36: schön bunt und aus alt mach neu. Erica, die Wirtin, begrüßt uns mit gekühlten Getränken, und nachdem wir das äußere Interieur für den Bus beiseite geschafft haben, können wir unsere Brocken ausladen. Das erste Mal, dass wir eher als der Mischer fertig sind.

Unsere Unterkunft für die Nacht ist eine Mischung aus Arbeitslager und Jugendherberge mit dem Charme einer Kleiderkammer der Caritas, kurzum der Raum, den ein paar Spielsüchtige zu ihren Proberaum auserkoren haben. Die ganze Zeit gießt es in Strömen, das Thermometer sinkt in den einstelligen Bereich. Dann trudeln unsere Veranstalter ein, der Soundcheck kann beginnen. Anschließend der übliche Zeitvertreib, bis die Show beginnt: doof in der Ecke rumsitzen, mit dem Veranstalter reden, trinken oder sich die Umgebung anschauen.

Gegen Mitternacht ist Konzertbeginn. Wir rocken unser Programm mit den von Det spontan eingeführten Änderungen, die vierzig bis fünfzig anwesenden Gäste und zukünftigen Abnehmer unserer Devotionalien brechen in frenetischen Jubel aus, erzwingen viele Zugaben ... Ende des Konzerts, Anfang der Party. Zwei neu gewonnene weibliche Fans gesellen sich dazu und T-Base prahlt nebenbei mit seinen Italienischkenntnissen: „Finito il servizio corporale, usare la spazzola per hygenie e della salute de tutti“ erregt also nicht nur Heiterkeit bei der Bestellung einer Pizza in der Dortmunder Nordstadt, auch die beiden Damen spuckten lachend das Bier über Dets Hose. T-Base: „Muss wohl an meiner Aussprache gelegen haben!“

4. Tag | Der Morgen in Cesena wartet mit einer ganz besonderen Überraschung auf uns. Ein Handwerksmeister mit einem Sinn für amorphe Formen hat quer durch das Bad eine Betonwurst gegossen. Dieser eigenwillige Charakter wollte mit dieser Nasszelleninnovation wohl verhindern, dass Feuchtigkeit die freiheitliche Weite des Vorhofes erreicht. Mittagessen in der besten Trattoria der Stadt: viele Nudeln, viel Wein, unsere beiden Veranstalter haben sich sehr für uns ins Zeug gelegt und der Abschied ist wirklich sehr herzlich. Weiter geht es nun nach Castelnova, in den Madly Pub. Der Club, eine Villa aus der Gründerzeit, ist noch geschlossen. Nach heftigem Klopfen begrüßt man uns in einer Sprache, die wir noch nicht kennen (Italienisch war das nicht und Englisch kann das auch nicht gewesen sein), eine Zahnreihe mit darüber aufgesetztem Zopf. Nun, er ist auf jeden Fall sehr nett. Die Inneneinrichtung in diesem edlen Gemäuer ist beeindruckend: stilecht, sehr geschmackvoll und trotz der hohen Decken, sehr gemütlich, nur der McCormick Ballroom in Leipzig ist schicker. Ein Wermutstropfen ist die recht gewöhnungsbedürftige Wandbemalung über der Bühne. Eine Art naiver Popart-Realismus mit den typischen Wahrzeichen des Landes: Fiat 500 und leicht bekleidete Mädchen ...

Soundcheck: hohe Räume gleich Scheißakustik. Egal, wenn erst mal ein paar Leute den Raum füllen, gibt sich das ... es ergibt sich natürlich anders. Und zum ersten Mal gibt es Pizza, ziemlich angebrannt, dafür aber in der Größe von Wagenrädern. Nach der ortsansässigen Vorband sind wir also dran. Obwohl wir wirklich gut sind, stehen die meisten wie Ölgötzen in der Gegend rum. Der Wendepunkt des Abends kommt dann durch die Gäste einer Pyjama-Party, die im Nebenraum eine Art Dionysos-Fruchtbarkeitsritus zelebrieren. Ziemlich angetrunkene Schlafwandler fangen an, sich nach den Klängen der Band in einem ekstatischem Derwischtanz zu bewegen. Im Anschluss legen unser Veranstalter Gianni und seine Freundin Francoise Michelle aka. Mademoiselle Fafa Underground-Scheiben der guten alten Sechziger auf. Zitat Gitte: „Nach jedem Konzert laufen immer wieder die gleichen Songs. Ich kann die Scheiße nicht mehr hören!“

5. Tag | Am nächsten Morgen geht es erst einmal in falscher Richtung los. Kono: „Ich schau mal, ob es in dieser Richtung nicht schneller geht, Stimmen haben mir befohlen ...“ Der Rest der Band hört diese Stimmen nicht, kurzer morgendlicher Disput. Wie das Wetter wird auch die Laune mit jedem Meter Richtung Süden besser. Zeus meint es gut mit uns. In strahlendem Sonnenschein fahren wir auf modernen „Via Appias“ durch die reizende Toscana.

Rom, 28 Grad. Ob sich Romulus und Remus die Zukunft ihrer Stadt so vorgestellt haben, sei dahingestellt. Wie es so unsere Art ist, verfahren wir uns. Als T-Base auf eine falsche Spur fährt und es zu spät bemerkt, wir aber unbedingt dahin müssen, fährt er über den befestigten Mittelstreifen, Bordsteinkanten, Grünanlagen. Det, generell leicht nervös, gerät in Panik: „ T-Base, mach nie mehr solchen Scheiß mit mir. Gott, wir haben aufgesetzt! Der Wagen ist hin! Der Auspuff abgerissen, die Hinterachse gebrochen ... Scheiße ... ich bin total fertig!“ Als T-Base auch noch von einem Ur-Enkel Ben Hurs angehupt wird, verliert auch er kurzzeitig die Contenance und straft ihn mit der tödlichsten aller Beleidigungen, die man einem Italiener sagen kann: „Deine Mutter kann nicht kochen!“ Wir müssen uns jetzt nur noch durch das Labyrinth der römischen Einbahnstraßen hindurch navigieren ...

Das Traffic ist ein schöner, ebenerdig gelegener Club, im Keller wird gespielt. Runtertragen, aufbauen, stimmen, Soundcheck, Bier trinken, warten. Der hervorragende Techniker an diesem Abend ist Teo, ein freundlicher Mann, mit Agenturen in Rom und London, die im letzten Jahr einen Preis für „Fair Business“ im Musikbereich in England gewonnen haben. Nach dem Soundcheck torkeln die ersten Gäste rein. Auch unsere Pizza kommt endlich: angekokelt, aber groß ...

Spät am Abend fangen wir an, so gegen 1:30 Uhr. Das perfekt sitzende Programm spielen wir mit einer Souveränität, die sogar die hart gesottenen römischen Sixties-Jünger anerkennen mussten. Die Menge tobt und wir haben verdammt viel Spaß. T-Base: „Ich hatte mich im Laufe des Abends mit Aubrie, einer der HORMONETTES, einer italienischen Gogo-Truppe, unterhalten und sagte ihr, dass ihr Englisch wirklich perfekt sei. Sie meinte daraufhin: Na, kein Wunder, ich komme aus San Fransisco!“

Der Gig in Rom war wirklich unser Bester auf der Tour, weil auch wirklich alles gestimmt hat. Wir haben noch bis in den frühen Morgen hinein getanzt, wobei Det ganz klar herausstach. Er hat sich nicht unter das Volk gemischt, sondern stand auf der Bühne und animierte von dort aus alle zum Tanzen. An dem Abend hat er locker drei Kilo abgenommen. Im Hostel angekommen, erleben wir noch eine Überraschung. Wir sind nicht alleine auf unseren Zimmern. So schnell kann es gehen: Von den Höhen der Clubbühne herab ins Sammellager, überschwemmte Dusche, kein Frühstück. Nun, es gibt Schlimmeres.

6. Tag | Morgens zurück in den Club, unsere Sachen packen und auf zur Weiterfahrt nach Bergantino. Doch halt: wir sind hier in Rom! Bevor wir wieder in den Norden fahren, geht es erst mal zum Epizentrum antiken Amüsements, da wo es damals besonders lustig war - zum Kolosseum! Zum Glück befinden wir uns mittlerweile in der touristischen Nachsaison, kaum noch Touris oder dergleichen unterwegs, also mit dem Bus direkt vor den heiligen Rock’n’Roll-Tempel. Kolosseum angucken, staunen, Fotos schießen ... und froh darüber sein, damals nicht der „Topact des Abends“ gewesen zu sein!

600 Kilometer und gefühlte 20 Grad minus später: Pünktlich sind wir da, zur Showtime, was heißen soll: aufbauen, umziehen und anfangen und das zack zack! Die Ungawa Tiki Bar ist spitze. Luca, der Inhaber, hat ein wirklich glückliches Händchen und mit viel Liebe zum Detail in Handarbeit den Laden schick eingerichtet, da passt zusammen, was zusammengehört. Leider war dies nicht nur das letzte Konzert unserer Italientour, das war auch das letzte Konzert mit Gitte! Am Ende der Show verabschiedeten wir die Gute mit Standing Ovations unsererseits, das war eine schöne Zeit, ciao Bella!

Luca ist auch ein fantastischer Gastgeber, es gibt die beste Pizza und in der Nacht füllt er uns mit selbstgebranntem Fusel ab. T-Base: „Als ich am anderen Morgen wach wurde, lag ich in Dets Bett und Det in meinem! Keine Ahnung, was passiert ist. Ich war nur froh, das ich von Lucas Schnaps nicht blind geworden bin. Ein paar Synapsen habe ich aber bestimmt verloren!“

7. Tag | Die Rückreise. Erster Fressstop kurz hinter München: Kulturschock. Später, sehr viel später, dann das, was alle Musiker am meisten lieben: Equipment in den Proberaum schleppen nachts um 4:00 Uhr ...

Resümee: schön war’s! Italien ist klasse, die Leute, die wir getroffen haben, waren alle nett und wir können jeder Band empfehlen: Spielt irgendwann in eurem kurzen Leben mal dort, Italien ist die eine oder andere Reise wert.

Chris Riza