Im Metal werden immer gerne Katastrophen bemüht, ständig geht die Welt kaputt, alle sterben, alles ist scheiße. Warum dieses Mindset in unserer Lage aktuell nicht hilfreich ist und warum ein positiver Blick auf die Menschheit und die Zukunft manchmal besser ist, erklärt uns Jan, Sänger, Gitarrist und Produzent der Berliner Band.
Das gerade erschienene „2222“ ist ein Konzeptalbum – und zwar über eine Utopie. Das ist im Metal und in der Popkultur allgemein eher zur Ausnahme geworden, wenn man sich die ganzen Weltuntergangsszenarien in Literatur, Film, Serien, Videospielen oder Musik so anschaut. Wolltet ihr dem bewusst etwas entgegensetzen?
Auf jeden Fall. In einer Zeit wie dieser braucht es meiner Meinung nach ein bisschen optimistische Energie und Vertrauen in die Zukunft. Es gibt mehr als genug Dystopien, Zukunftsängste und Warnungen da draußen, sowohl in der Kunst und Musik als auch in Politik und Gesellschaft. Das ist natürlich auch gut so. Es ist unfassbar wichtig, auf Probleme aufmerksam zu machen. Aber was mir gefehlt hat, ist ein ausformuliertes positives Zukunftsbild, auf das wir hinsteuern und von dem aus wir ableiten können, was es braucht, um dahin zu gelangen. Außerdem macht einen großen Teil an unserer Band die Freude am Zusammensein, Musikmachen und am Leben allgemein aus. Es hat sich nur konsequent angefühlt, diese durchweg positive Energie auch mal konkret in Musik umzusetzen. Brachial und böse bleibt es aufgrund unseres Genres ohnehin immer, haha!
Ich muss sagen, dass die thematische Ausrichtung bei mir ein Aufatmen ausgelöst hat. Es werden kurz mal keine Hiobsbotschaften an mich herangetragen. War das ein Ziel, das ihr erreichen wolltet, den allgemeinen Pessimismus zu „besiegen“?
Absolut! Ich bin der Meinung, dass das Anpacken von Problemen nur funktioniert, wenn man auch wirklich daran glaubt. Wenn man weiß, wohin man steuert, und mit einem Gemeinschaftsgefühl „an die Arbeit geht“. Es tut, glaube ich, allen gut, nach so einer langen Zeit der Ungewissheit mal wieder an das Gute im Menschen glauben zu können.
Trotz aller Krisen erlebe ich viele Menschen, die nicht den Glauben an eine bessere Welt verlieren. Wie behält man deiner Meinung nach eine positive Sichtweise?
Mmmh, komplexe Frage. Ich denke, es hilft erstens das zu machen, was man liebt. Selbst wenn es beruflich nicht möglich ist, dann wenigstens einen Großteil der Zeit. Das ist der Grundstock eines positiven Lebensgefühls. Zum anderen tut es gut, sich mit vielen lieben Menschen zu umgeben und mit ihnen zu arbeiten, um jeden Tag aufs Neue zu merken, dass in der Gemeinschaft oder in einem guten Team so vieles möglich ist, was alleine unerreichbar scheint. Wenn man das dann auf die gesamte Menschheit überträgt, kann man sich vage vorstellen, was alles machbar sein kann, wenn wir ein „Team“ werden.
Ihr sprecht von einem Paradigmenwechsel, mit dem die Menschen ein neues Zeitalter einläuten. Was müsste sich konkret ändern?
Kurz und knapp: Die Grundannahme vom Konzept „Besitz“ muss sich ändern und der Mensch muss davon loskommen, sich selbst als Zentrum des eigenen Lebens zu sehen. Das klingt jetzt viel kommunistischer, als es gemeint ist. Im Prinzip geht’s mir nur um Nächstenliebe und ein bisschen mehr Empathie in der Welt. Mit dieser Grundlage würden viele Probleme wie Kriege, Hunger, Mental Health viel schneller lösbar sein.
Denkst du, dass dieses positive Konzept sich auch auf das Songwriting niedergeschlagen hat? Damit meine ich nicht zwingend, dass ihr jetzt mehr in Dur als Moll geschrieben habt, wobei das auch ein Punkt wäre, den es zu klären gilt, sondern das allgemeine Gefühl auf das Album bezogen.
Mehr Dur ist es nicht, was aber auch daran liegt, dass wir ohnehin keine typische Moll-Band sind. Unsere Riffs und Akkordstrukturen haben – auch auf den letzten Platten – sowieso immer schon eine Art Hoffnungsschimmer vermittelt, indem wir gern dorische Akkordverbindungen oder orientalische Skalen verwendet haben. Aber auch sonst würde ich schon sagen, dass es laute, lebensbejahende und durchweg energetische Songs geworden sind. Das Konzept hat definitiv dazu beigetragen oder das Ganze zumindest stark beeinflusst. Es gibt natürlich melancholische Parts, die aber auch recht schnell immer wieder ins Hier und Jetzt geholt werden, mit donnernden Riffs und eingängigen Melodien. Kein großes Drumherum, die Songs kommen alle recht schnell auf den Punkt. Auch das war uns bei dieser Platte wichtig. Natürlich würden wir uns immer noch als Prog-Band bezeichnen, aber die Zeit der ausufernden Instrumentalparts haben wir definitiv hinter uns gelassen.
Ihr habt ja auch prominente Gäste auf dem Album, magst du uns kurz erläutern, wer was beigesteuert hat? Habt ihr vorher das dem Album zugrundeliegende Konzept erklärt? Wie war deren Reaktion?
Yes, wir sind sehr stolz darauf, dass einige internationale Gastsänger auf der Platte zu hören sind. Das ist zum einen Mirza Radonjica von der dänischen Band SIAMESE, er ist bei „What is war“ am Start. Dann haben wir bei unserem Song „Home“ die Sängerin Alexia Rodriguez der US-Band EYES SET TO KILL dabei. Und bei „Passenger“ ist Jake Oni von der kanadischen Band ONI zu hören. Alles extrem tolle Künstler und Stimmen, die unsere Songs noch mal auf eine ganz neue Ebene gehoben haben. Auf jeden Fall mochten sie die Songs auf Anhieb, wodurch wir uns sehr geehrt gefühlt haben. Wir haben allen Demos und das Albumkonzept geschickt, haben uns aber bis heute noch nicht persönlich kennen gelernt. Insofern glaube ich, dass sie die komplette Platte erst bei der Veröffentlichung hören werden, und bin schon jetzt sehr gespannt auf das Feedback.
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