CHANNEL 3

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Real Metal

Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich auf Klassenfahrt in Berlin in einem Kreuzberger Plattenladen die CHANNEL 3-Diskographie „The Skinhead Years“ als CD erstand. Auf die Band war ich aufmerksam geworden durch den grandiosen Track „Mannequin“ auf einem Tape, das mir ein Freund aufgenommen hatte, und damals war ich sowieso wild auf all diese alten kalifornischen Bands wie D.I., CIRCLE JERKS, ADOLESCENTS, T.S.O.L. – und eben CHANNEL 3. Sie waren wie so viele Bands dieser Zeit Lieblinge von Radio DJ-Legende Rodney Bingenheimer, veröffentlichten auf dem nicht minder legendären Label Posh Boy, und ihr aggressiver und zugleich melodiöser Punkrock hat bis heute nichts von seiner Klasse eingebüßt. Irgendwann in den Achtzigern war dann Schluss bei CH3, doch 1994 dann die Überraschung: in Hannover spielen CH3 in 3/4-Originalbesetzung ein Konzert! Mit dabei: Der frühere Basser Jay Lansford, einst auch bei den STEPMOTHERS und den SIMPLETONES, heute bei GIGANTOR, der seit Jahren in Hannover lebt. Das wiederum ist auch der Grund, weshalb die „richtige“ Reunion des letzten Jahres ohne Jay stattfindet, in der Besetzung Mike Magrann (voc, git), Kimm Gardener (git, voc), Alf Silva (dr) und Anthony Thompson (bs) – und in diesem Line-Up wurde dann auch das neue Album „Channel Three“ eingespielt, das kürzlich auf Dr. Strange Records erschien. Ich sprach mit Mike über damals und heute.


Ihr wart bislang nur einmal in Deutschland, richtig?


Ja, 1994, für dieses Konzert in Hannover. Das fing damit an, dass ich und Kimm entdeckten, dass ein Flug nach Deutschland nur 350 Dollar kostete, und da hatten wir die Idee, unseren alten Freund Jay zu besuchen. Er organisierte dann das Konzert, die beiden anderen Musiker – Jens von GIGANTOR und Tilo – trafen wir erst beim Soundcheck, aber alles klappte.

Was hat es denn mit eurem neuen Album auf sich? Ist das eine einmalige Sache oder gibt es die Band wieder so richtig?

Die Band hat sich nie richtig aufgelöst! Kimm und ich haben sie 1979 gegründet. Zuerst waren wir zu viert, später kam dann Jay dazu, und dieses Fünfer-Line-Up war eine richtig gute Rock’n’Roll-Band. Danach waren wir wieder ein Vierer, die klassische Punkband, und spielten seitdem nur noch hier und da mal Konzert in der näheren Umgebung. Aber wir blieben als Band zusammen, probten und schrieben neue Songs. Und ein paar der Songs vom neuen Album gehen auch schon auf das Jahr 1996 zurück. Wir hatten immer wieder mal Angebote, eine Platte zu machen, aber irgendwie passte bislang nichts. Heute ist das anders, in Südkalifornien gibt’s derzeit geradezu eine Flut von Auftritten und Reunions alter Bands: die ADOLESCENTS spielen wieder, T.S.O.L. und, und, und.

Denkst du, das gesteigerte Interesse an diesen alten Bands ist nur eine regionale Erscheinung oder eine generelle?

Ich habe den Eindruck, es zieht sich durch das ganze Land, dass die Leute wieder mehr Lust auf den Punkrock der Achtziger haben. Und das hat meiner Meinung nach was damit zu tun, dass die ganzen Kids, die durch BLINK 182 usw. Interesse an Punkrock entwickelt haben – zumindest ein paar von denen –, jetzt wissen wollen, wo diese Musik herkommt. Wir haben kürzlich ein paar Konzerte an der Eastcoast gespielt, mit unseren alten Freunden KRAUT aus New York, die es jetzt auch wieder gibt. Wir haben mit denen eine All Ages-Show im CBGB’s gespielt, und da waren sowohl Kids von 13 aufwärts, als auch die alten Punks anwesend. Das war unglaublich!

Wie nehmt ihr denn diesen Altersunterschied wahr? Ich meine, Punk war und ist auch immer eine Sache von rebellischen Teenagern gewesen, doch ihr seid mittlerweile im Alter, wo ein Teil des Publikums eure Kinder sein könnten.

Klar, das mit dem Alter ist schon ein Unterschied gegenüber früher. Da waren wir selbst die Kids auf den Shows, haha. Und früher spielten wir in alten Lagerhäusern illegale Konzerte, die meist in Schlägereien endeten, während man uns heute ins House Of Blues in Disneyland bucht. Heute finden solche Konzerte im Establishment statt, während damals alles illegal war – ganz klar, da sind massive Unterschiede vorhanden. Außerdem geht es heute auch von Anfang an ums Geld, da hat bei einem Konzert jede Band ihren T-Shirt- und Plattenstand, was früher nicht so wahr. Aber um auf deine Frage zurück zu kommen: Es ist schön, wenn sich die Kids für deine Musik interessieren, aber andererseits muss man schon klar sehen, dass von den alten Bands viele auch ihren Schnitt machen wollen, weil sie einfach sehen, dass man mit dieser Musik jetzt Geld verdienen kann. Das ist heute schon ein anderes Gefühl bei einem Konzert als damals, nicht mehr dieses rebellische Gefühl, wo du nur gespannt darauf bist, was als nächstes passiert.

Womit verdient ihr denn euren Lebensunterhalt?

Ich habe eine Schlosserei. Wir stellen LKW-Teile her und solche Sachen. Das ist kein großer Laden, aber mein Geschäftspartner und ich kommen über die Runden. Nach dem College wollte ich wie so viele mit der Musik meinen Lebensunterhalt verdienen, und bis dahin fegte ich eben in einer Schlosserei den Boden. Irgendwie blieb ich da hängen, lernte immer mehr über dieses Geschäft und gründete dann irgendwann meine eigene Firma.

Also ist bei dir heute eher Metal als Punk angesagt...

Haha, könnte man sagen, aber dann auch eben wieder nicht: Praktischerweise haben wir in der Firma genug Platz, um dort auch den Bandproberaum zu haben. Wir räumen ein paar Sachen auf die Seite, fahren den Gabelstapler aus dem Weg, bauen Verstärker und Schlagzeug auf und machen dann so viel Lärm, wie wir wollen. Kimm verdient sein Geld im Merchandise-Bereich, verkauft den Kids Punkrock-T-Shirts und so weiter.

Welche Rolle spielte Bill von Dr. Strange bei der Neuauflage der Band? Er hat ja euer neues Album veröffentlicht.

Das mit dem Album war eigentlich schon klar, bevor wir mit Bill sprachen. Wir hätten die Platte auch einfach selbst rausgebracht. Ein paar Leute hätten uns gegen einen Anteil an den Verlagsrechten die Aufnahmen bezahlt, aber das wollten wir nicht. Das hat mit unseren Erfahrungen aus den Achtzigern zu tun. Unsere Platten waren ja alle auf Posh Boy, und das Problem war und ist, dass die Bands fast alle ihre Verlagsrechte an Robbie Fields verkauft haben. Das ist auch der Grund, weshalb sehr viele einstige Posh Boy-Bands mit Robbie ein Problem haben. Also entschieden wir uns, die Aufnahmen komplett selbst zu bezahlen und erst mit den fertigen Aufnahmen ein Label zu suchen. Im März 2002 hatten wir dann das Album komplett fertig und boten es verschiedenen Labels an. Darunter war dann auch Bill, und nachdem wir uns umgehört hatten und absolut niemand was Schlechtes über ihn gesagt hatte, entschieden wir uns für Dr. Strange. Und bisher hatten wir keinen Grund, unsere Entscheidung zu bereuen.

Du hattest eben schon Posh Boy erwähnt. Meine erste CH3-Platte war diese „The Skinhead Years“-CD auf Posh Boy. Damals schon verwunderte mich der Titel, und auch, dass sich hinten auf der CD der Hinweis findet, diese Band, das seien keine Nazi-Skinheads, sondern nette Jungs. Was hat es denn damit auf sich?

Also wir hatten nie etwas mit der Skinhead-Szene zu tun. Das mit dem Titel war nur ein Scherz angesichts der Tatsache, dass seit Gründung der Band unsere Haare immer länger geworden waren. Die nächste CD hätte dann eigentlich ‚The Long Hair Years’ sein müssen, oder ‚The Sellout Years’, haha. Das war alles. Doch als die CD dann raus war, merkten wir schon, dass das vielleicht keine gute Idee gewesen war, aber da war’s auch schon zu spät. Außerdem war damals die ganze Nazi-Skinhead-Sache noch überhaupt kein Thema.

Der Oi!-Einfluss in eurer Musik ist ja auch eher nicht vorhanden.

Nein, das ist nicht unser Sound. Für uns waren THE CLASH ein wichtiger Einfluss, und die RAMONES, und 999. Wir kommen aus dieser Old School-Melodic Punk-Ecke, diese Hardcore-Thra-sh-Sache war nie unser Ding.

Das war aber ja auch eine Sache, die erst in den frühen Achtzigern losging, oder?

Ja, aber wir spielten dann fast nur mit diesen Bands, mit BLACK FLAG, (WASTED) YOUTH, und so weiter. Wir unterschieden uns deutlich von denen, wir hatten ja teilweise richtige Popsongs im Programm. Und wir legten uns nie völlig auf einen Stil festen, hatten schnelle und langsame Songs, und auch alles dazwischen.

Wart ihr denn damals Teil einer bestimmten Szene oder ging da jede Band ihren eigenen Weg?

Es gab schon Verbindungen zwischen den Bands. Man spielte gelegentlich Konzerte zusammen, auf einer Party, in einem leerstehenden Lagerhaus, und so weiter. Man teilte sich das Equipment, und bei diesen Gelegenheiten bekam man dann eben mit, was die anderen in letzter Zeit so gemacht hatten. Da spielen die ADOLESCENTS einen neuen Song, und du bist beeindruckt, weil der irgendwie anders ist, und das treibt dich an, mal was Neues zu versuchen. So lief das damals. Die Bands, mit denen wir damals viel spielten, waren neben den ADOLESCENTS, T.S.O.L, AGENT ORANGE, und ich glaube schon, dass es so was wie den Orange County-Sound gab. Wir wurden aber eher mit den L.A.-Bands in Verbindung gebracht, und bis heute fehlen wir immer wieder in Artikeln über die Orange County-Punkszene, tauchen dafür im L.A.-Kontext auf.

Du hattest vorhin schon eure Erfahrungen mit Robbie Fields von Posh Boy erwähnt. Der hat damals zwar ein legendäres Label gemacht, aber heute hat kaum jemand was Gutes über ihn zu erzählen, weil er angeblich seine Bands abgezockt hat.

Ich glaube, wir sind heute die einzige Band, die noch ein gutes Verhältnis zu ihm hat. Wir sind in eMail-Kontakt mit ihm und kommen gut klar. Es geht in diesem ganzen Kon-flikt immer um die Verträge, die er mit den Band abgeschlossen hat und die viele der Bands heute nicht mehr wahr haben wollen. Aber auch wir haben damals diese Verträge unterschrieben, und schon damals, als wir gerade 18 waren, ließen wir die von Anwälten checken, die uns sagten, wir würden damit unsere Verlagsrechte an Posh Boy abtreten. Aber wir waren damals eine Garagenbands, und auf Posh Boy zu sein, war damals für uns das höchste der Gefühle. Ich meine, schau dir seinen Labelkatalog an, er hat unglaublich großartige Platten veröffentlicht. Viele der Bands, die heute Scheiße über Robbie erzählen, tun das, weil es jeder tut. Wir dagegen sind ihm dankbar, denn er hat uns den richtigen Weg gewiesen, seit er das erste Mal in unseren Proberaum kam und uns daraufhin ins Studio steckte. Ohne ihn wären wir wohl nie aus dieser Garage herausgekommen.

Was macht Robbie Fields heute?

Er lebt derzeit in Südafrika. Er ist ein ziemlicher Globetrotter, lebt mal hier, mal da. Er ist mehr oder weniger in Rente und damit beschäftigt, sich um seinen kleinen Jungen zu kümmern. Eine Weile lebte er auch in Thailand und machte da Geschäfte, aber so genau weiß ich das auch nicht. Und er hat hier in Kalifornien ein paar Leute, die Posh Boy als Online-Mailorder betreiben. Ansonsten kümmert er sich wohl vor allem darum, die alten Platten an verschiedene Labels zu lizenzieren.

Welche eurer alten Platten sind denn derzeit noch zu haben?

Die ‚Skinhead Years’-CD ist derzeit wohl noch zu bekommen, und die gleiche Zusammenstellung gibt’s unter einem anderen Namen auch über Anagram. Die Vinyl-Releases auf Enigma sind derzeit überhaupt nicht erhältlich, und wir arbeiten derzeit daran, dass sich das ändert. Und natürlich gibt’s die neue Platte auf Dr. Strange.

Mike, danke für das Interview.