Anstatt Altweiberfastnacht mit pseudo-gutgelauntem Altstadtvolk zu feiern, entschlossen wir uns, die trotz ihres enormen Outputs leider viel zu unbekannten Kanadier von CAREER SUICIDE in Mühlheim zu sehen. Soeben haben die Jungs einige Re-Issues und eine zweite Anthologie fertig gestellt und arbeiten momentan hart an der Fertigstellung ihres neuen und dritten Albums "Attempted Suicide". Wir haben uns mit Sänger Martin, Gitarrist Jonah, nebenbei auch bei FUCKED UP, Drummer Dave und Bassist Matt in gemütlicher Runde sowohl über CAREER SUICIDE als auch FUCKED UP unterhalten.
Was hat es mit eurem Namen auf sich?
Jonah: Martin und ich waren in einer Band namens BOARD OF EDUCATION. Ich bin über den Sommer weggefahren und aus der Band ausgestiegen, so dass sie eine Band namens FUCK JONAH gegründet haben, und während meiner andauernden Abwesenheit wurde die Band dann in CAREER SUICIDE umbenannt. Der Name passt zur Arbeitsweise der Band. Normalerweise hängt immer alles am seidenen Faden. Zum Beispiel ist das dieses Jahr unser zweiter Versuch, nach Europa zu kommen. Hinzu kommt, dass wir nicht alle am selben Ort leben, wir proben nie und spielen sehr selten, aber es macht trotzdem sehr viel Spaß.
Was macht ihr denn sonst?
Jonah: Ich gehe zur Uni und arbeite fünf Tage die Woche in einem kleinen italienischen Restaurant, was ein echter Witz ist! Denn es wird von zwei Iranern geführt, die eigentlich Möbelhändler sind. Erst hatten sie iranische Gerichte auf der Speisekarte, aber die haben sie runter genommen, um italienischer zu wirken, und der eine ist jetzt auf den anderen sauer, da der immer so tut, als sei er Italiener. Ich bin da Mädchen für alles, schneide Zwiebeln, putze, installiere Lampen und Klimaanlagen, lenke den Brandschutzinspekteur ab.
Martin: Ich arbeite für eine Videospiel-Firma und schreibe Konzepte für Videospiele.
Matt: Ich fahre einen Toilettenpapier-Liefer-Lkw.
Dave: Ich arbeite Teilzeit für ein kleines lokales Theater.
Matt: War das nicht ein Pornokino?
Dave: Nein, es ist ein Independent-Kino und wir zeigen die ganze Bandbreite: neue Filme, alte Klassiker und Independent-Filme.
Matt: Und Erwachsenenfilme.
Dave: Ja, die auch.
Was hat es eigentlich mit eurem 7"-Cover bzw. dem T-Shirt-Design der Nonnen mit Waffen und Stringtanga auf sich? Ist das eine politische Aussage, nach dem Motto: einerseits die Prüderie in Amerika, andererseits die Waffengeilheit?
Jonah: Ja, und sie sind auch noch religiös! Das ist einfach ein lustiges Image, es ist irgendwie punkig. Martin macht das Artwork und vielleicht kann er es erklären.
Martin: Als ich es mir überlegt habe, habe ich nicht versucht, etwas Bestimmtes auszudrücken, vielmehr entstand es einfach so. Wir fanden es gut, denn es ist einfach ein albernes "Fuck you"-Artwork, das viele Leute wohl beleidigend oder anstößig finden.
Hattet ihr deshalb schon mal Diskussionen?
Martin: Bisher hat sich niemand beschwert. Das Einzige, was viele erwähnen, ist, dass unser Farbschema immer rot, weiß und schwarz ist und dass das "CS"-Logo an das SS-Logo erinnert. Die fragen sich, warum unser Artwork sich an Nazisymbolik anlehnt. Wir mögen einfach rot, weiß und schwarz und das "CS"-Logo wurde von unserem ersten Schlagzeuger designet. Wir fanden einfach, dass es passte und punkig aussieht, weil es an die GERMS erinnert. Aber es gibt keine Nazi-Hintergedanken. Der einzige Einfluss ist russische Avantgarde.
Das Problem hatten DEAD STOP auch schon mal mit einem T-Shirt-Design.
Jonah: Das haben wir gehört. Wir haben uns darüber unterhalten, ob wir deshalb auch Probleme bekommen könnten, aber da könnten wir uns wieder rausreden, weil es nur eine Abkürzung ist.
Denkt ihr, es ist im Hardcore wichtig, eine Message in den Texten zu haben?
Martin: Es ist wichtig, ehrlich zu sein. Macht das, wo ihr wirklich hinter steht und es wird auch anderen imponieren. Selbst Leuten, die eigentlich gar nicht auf so eine Musik stehen.
Jonah: Jeder hat eine andere Meinung dazu, worum es im Hardcore geht. Der eine sagt, es geht darum, sich zu besaufen und zu feiern, andere sehen dahinter eine tiefere Message. Im Endeffekt erkennt man sowieso sofort, ob es sich um Leute handelt, die nach sechs Monaten wieder ganz andere Sachen total cool finden.
Was bedeutet Punk/Hardcore für euch?
Jonah: Im Punk/Hardcore wird man automatisch mit den dazugehörigen Einstellungen wie Vegetarismus/Veganismus konfrontiert, wobei das eh nicht wirklich schwierig ist, sofern man in einer Großstadt lebt. Aber besonders Venues wie zum Beispiel ein anarchistischer Buchladen in Toronto bringen einem andere Punkelemente näher. Für mich persönlich ist es einfach eine andere Community, in der ich mit ähnlich gesinnten Menschen Musik teilen kann.
Wenn ihr die alten Zeiten mit heutzutage vergleicht, wie hat sich die Hardcoreszene für euch entwickelt? Kanada hat neben euren Bands eine sehr aktive Szene.
Jonah: Mittlerweile gibt es neben CAREER SUICIDE und FUCKED UP in Toronto noch TERMINAL STATE, DIRTY BLACK SUMMER, THE BAND ADS, BRUTAL NIGHTS oder URBAN LIGHTS. Es gibt fünf bis sechs Bands, die aufnehmen und spielen und mindestens ein Demo draußen haben. Unser Problem ist, dass es kaum Auftrittsorte gibt.
Gibt es weitere negative Seiten?
Jonah: Wenn alle Bands Platten raus bringen, ist die Chance größer, dass auch mehr Platten schlecht sind. Außerdem hat das Internet einen viel höheren Stellenwert und es gibt mehr Shittalking. Auf der anderen Seite gab es Cliquen und Shittalking vorher auch schon.
Martin: Alles hat Vor- und Nachteile. In Bezug auf das Internet gibt es sicherlich viel Negatives, aber ich denke, dass dieses Medium Kids, die abgelegen wohnen, vieles näher bringen kann.
Jonah: Interessant ist auch, dass Menschen mittlerweile über MP3s und nicht Tapes oder Vinyl Musik konsumieren.
Dave: MP3s sind gut, um eine Band abzuchecken. Außerdem darf man auch nicht vergessen, dass es Bands gibt, deren Musik es nicht mehr zu kaufen gibt, zumindest nicht auf Vinyl.
Martin: MP3s können auch Punk sein. Es gibt Bands, die auf großen Labels sind, viel Geld machen und deren Alben 25 Dollar und mehr kosten. Ich bezahle einfach nicht soviel Geld für eine CD, die eigentlich. fünf Dollar kostet. Um sie live zu sehen, bezahle ich gerne viel, aber nicht für eine CD.
Heutzutage dreht sich viel um limitierte Sachen. Die FUCKED UP-Platten gehen zum Beispiel für sehr viel Geld bei Ebay. Wir haben gelesen, dass ihr damit nicht glücklich seid.
Jonah: Ich persönlich kann nicht nachvollziehen, wie ein Sammlerstück entsteht. Es ist verständlich, dass manche bei all den verschiedenen Pressungen eine Sammlung komplettieren möchten. Wenn eine Band nur limitiertes Vinyl herausbringt, um cooler rüber zu kommen, ist das wirklich albern. Und das sage ich in dem Wissen, dass wir auch limitiertes Vinyl verkaufen.
Martin: CAREER SUICIDE war nie dafür, limitiertes Vinyl um der Limitierungen willen herauszubringen. Dennoch hatten wir bei jeder größeren Tour limitiertes Vinyl dabei, nicht um großes Geld zu machen oder nachzusehen, für wie viel Geld die Platten bei Ebay gehen und uns darauf dann einen runterzuholen. Bei dieser Tour war es so, dass wir eigentlich unsere neue LP mitbringen wollten, die aber nicht fertig geworden ist. Deshalb hieß es für uns: Entweder nach Europa fahren und sehr viel Geld verlieren oder mit 200 limitierten Platten ein wenig Geld machen und damit eventuell die Flüge bezahlen können.
Sarah Shokouhbeen, Oliver Niermann
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