Dischord ist immer noch und immer wieder ein Garant für gute Musik gepaart mit angenehmer Attitüde, weshalb es Ehrensache war, beim Konzert der 1996 gegründeten CAPITOL CITY DUSTERS im Solinger Getaway aufzutauchen. Und erwartungsgemäß wurde man nicht enttäuscht: musikalisch versierter, mitreißender und sympathischer Post-Hardcore etc. in Oberliga-Qualität, der live noch mehr überzeugte als auf Platte. Nach dem Konzert dann das Interview mit drei sehr freundlichen Bewohnern der US-Hauptstadt: Alec Bourgeois Guitar - Vocals, Jesse Quitslund - Bass, Vocals und Ben Azzara - Drums. Alec hatte vorher übrigens bei SEVERIN gespielt, Ben bei THE DELTA 72.
Dann mal los: sieben Jahre gibt es die Band jetzt, und davon jetzt bitte den Schnelldurchlauf.
Jesse: Haha, wirklich? Das kann die ganze Nacht dauern ... Ich bin schon der sechste Bassist, das sagt ja wohl alles.
Alec: Ben und ich haben 1996 angefangen, zusammen Musik zu machen. Unsere vorherigen Bands hatten sich aufgelöst, wir suchten beide was neues, und so kamen wir zusammen. Bei der zweiten Probe nahmen wir dann schon unsere erste Single auf, noch unter dem Namen THE DUSTERS. Später kam dann der Zusatz CAPITOL CITY dazu, denn es gab eine andere Band namens DUSTER und es hatte da auch schon Verwechslungen gegeben. Intern nennen wir uns aber immer noch THE DUSTERS. Unser erster Basser war Bill Colgrove, der früher bei FOUNDATION spielte, aber das ging nicht lange, denn er gründete dann eine Webdesign-Firma mit Bill Barbot von JAWBOX. Es folgte dann eine Phase von wechselnden Bassisten, und das erste Album ‚Simplicity’ von 1998 nahmen wir dann mit Mark Lacasse auf, der aber kurz danach wieder ausstieg. Erschienen ist die Platte übrigens auf Superbad Records, meinem Label, in Zusammenarbeit mit Dischord. Für die schon längst gebuchte US-Tour stieg dann Jesse ein, und in der Besetzung sind wir bis heute unterwegs. Nach der Tour, die uns übrigens auch das erste Mal nach Europa führte, machten wir dann erstmal beinahe zwei Jahre Pause, und ab 2001 ging es wieder los, wir nahmen das zweite Album auf, das im April 2002 auf Dischord erschienen ist. Tja, und hier sind wir!
Und trotz des Termins waren über 50 Leute da.
Alec: Ganz okay, oder? Wir sind eben eine dieser Bands, deren Namen viele schon mal gehört haben, deren Platten aber kaum jemand kennt, haha. Die Leute kommen dann eben auch aus Neugier, und der Dischord-Faktor hilft auch.
Jesse: Ich fand das Konzert eben auch schön. Sowieso finde ich die Szene in Deutschland sehr gut, du findest überall kleine Szenen, auch in kleineren Städten.
Alec: Du kannst das Touren hier auch nicht mit den USA vergleichen, das ist wie Äpfel und Birnen. Die Konzerte sind meist kleiner, das ist der größte Unterschied.
Ben: Und die Szene ist ständig in Bewegung, während sie hier in Europa viel ‚historischer’ ist, da gibt es mehr ältere Szenegänger und nicht nur Kids.
Alec: Als wir nach zwei Jahren Pause wieder auf Tour gingen, mussten wir beinahe von vorne anfangen, denn von den Kids, die uns nach der ersten Platte gesehen hatte, war niemand mehr übrig. Und auch sonst kommen wir in Europa einfach etwas besser an als zu Hause.
Apropos Kids – wie alt seid ihr denn?
Alec: Alt ... Ich bin 37, Jesse 33, Ben 30.
Und wann und wie ging eure musikalische Karriere los?
Alec: Meine erste Band hieß SERIAL KILLER. Wir waren auf einer Compilation-7“ namens ‚Alive And Kicking’, zusammen mit GRAY MATTER und MARGINAL MAN. Mein erstes Konzert besuchte ich 1980, 1982 hatte ich dann meine erste Band. Die erste ‚richtige’ Band war dann aber SEVERIN, Anfang der Neunziger.
Ben: Mann, ich bin Schlagzeuger, da ist man immer gefragt. Meine erste Band, die auch wirklich Konzerte spielte, hatte ich mit 13, das war also 1985. Uns ging es nur darum, möglichst schnell zu spielen, auf Parties, auf Skate-Ramps, wo auch immer es ging. 1987 bis 1992 spielte ich dann bei JUNCTION und ging mit denen auch auf Tour, aber wir schafften es nie an die Westcoast oder gar nach Europa. Wir spielten aber sehr oft in Washington, DC, und so ging ich nach dem Ende der Band auch nach DC. Dort war ich dann mit dem Gitarrist von JUNCTION bei THE DELTA 72.
Was ist eigentlich aus denen geworden?
Ben: Da fragst du den Falschen, hehehe. Drücken wir es so aus: Die Band entwickelte sich in eine Richtung, die ich nicht gehen wollte.
Alec: Ben hat Blue Jeans getragen, die anderen Schwarz. Das sagt eigentlich alles. Irgendwann haben sie ihm dann das Ultimatum gestellt, entweder wie sie schwarze Anzughosen zu tragen oder die Band zu verlassen.
Ben: So war’s. Ich war denen eben nicht stylish genug, zu sehr Punkrock, und Grease hatte ich auch nicht in den Haaren, und mein Schlagzeug war auch nicht schick genug. Und ich war auch nicht bereit, daran was zu ändern, denn die ursprüngliche Idee war die einer Fusion von Punk und Blues gewesen, aber dann ging der Punk-Anteil immer stärker zurück, es war irgendwann mehr eine Show als eine Band. Aber ich bin eben Künstler und kein Entertainer, und das ist ein großer Unterschied.
Jesse, was ist mit dir?
Jesse: Ich habe in den Achtzigern bei einer Sixties-Retro-Band namens VILE CHERUBS gespielt, die vielleicht jemand kennt. 1988 hatten wir mal eine Platte als Split-Release mit Dischord. Na ja, und diese Jungs sind für mich seit langem die erste richtige Band, und als sie mich dann vor vier Jahren fragten, ob ich mit ihnen touren will, habe ich einfach Ja gesagt. Ich wollte immer schon mal in Europa auf Tour gehen und ich bin völlig begeistert, weil das so eine fundamental andere Erfahrung ist, als in den USA zu touren.
Alec, die punkigen CAPITOL CITY DUSTERS unterscheiden sich im Sound schon erheblich von den komplexen Klängen von SEVERIN.
Alec: Als ich dreizehn Jahre alt war, war ich ich völlig begeistert von diesen Bands im Fernsehen, die beim Spielen nicht auf ihre Instrumente starrten, sondern diese wie verlängerte Körperteile einsetzten und dabei ungeheuren Spaß zu haben schienen. Diesen Spaß wollte ich mit dieser Band auch wieder haben, nachdem SEVERIN eine Band gewesen waren, bei der wir Riffs geschrieben hatten, die wir selbst kaum spielen konnten. Klar, wir waren richtig gute Musiker geworden, aber Mark Haggerty und ich waren von diesem Zustand zur gleichen Zeit frustriert und lösten SEVERIN dann eben auf. Und so hieß die Devise dann ‚More Rock’n’Roll, less Math’.
Welche Rolle spielt denn Washington DC und die Szene dort für euch?
Ben: Also ich bin damals nach DC gezogen, weil die Szene dort sehr innovativ ist, sich ständig neu erfindet. Man kann schon sagen, dass es einen DC-Sound gibt, aber dann ist für den charakterisch, dass er sich ständig verändert. Und die Szene ist eine Community von Bands, von denen keine klingen will wie irgendeine andere. Es gibt einfach einen sehr fairen, sportlichen Wettbewerb untereinander. Als ich etwa das neue Q AND NOT U-Album gehört habe, war mein erster Gedanke, dass wir da noch einen draufsetzen müssen. Und so treibt man sich ständig gegenseitig an. Ich habe nie in Kalifornien gelebt, aber für mich klingen alle Bands von dort irgendwie ähnlich.
Jesse: Ich stimme Ben da völlig zu, und muss ergänzen, dass an einem Montagabend in DC auch nicht mehr Leute bei einem Konzert von uns kommen würden, und das wären dann auch noch Freunde, die selbst in Bands spielen.
Und was für einen Platz nimmt Dischord da ein? Alec, du arbeitest ja auch für Dischord, wie siehst du das?
Alec: Dischord hat sich in den letzten fünf, sechs Jahren eine neue Rolle gesucht. Eine ganze Weile lang kam ja auf Dischord keine neue Band raus, und in dieser Zeit arbeiteten wir daran, unseren Apparat und unsere Strukturen auch anderen Labels zugänglich zu machen, etwa DeSoto oder Lovitt. So hatten die den gleichen Zugang zu unseren Vertrieben in aller Welt wie Dischord selbst. Und wenn eine junge Band selbst eine Single veröffentlichen will, kann sie das auch, dann helfen wir ihnen von der Herstellung bis zum Vertrieb. Daran besteht ein enormer Bedarf, denn die Musikindustrie ist derzeit so shitty wie schon lange nicht mehr. Als kleines Label ist es beinahe schon absehbar, dass du kein Geld siehst, wenn du irgendwem deine Platten verkaufst. Bei ‚Dischord Direct’, so heißt das Projekt, jedoch ist es so, dass die Kunden FUGAZI und MINOR THREAT haben wollen, also müssen sie uns bezahlen. In dieser Hinsicht also spielt Dischord immer noch eine zentrale Rolle in der Szene von DC, wenn auch nicht mehr als klassisches Label. Wir arbeiten mehr im Hintergrund, aber dieser Arbeit hat letztlich auf die Szene eine viel größere Auswirkung, und DeSoto und Lovitt wären sicher nicht so erfolgreich geworden.
Was macht ihr beiden anderen sonst noch?
Ben: Ich habe bei zwei Platten meiner Frau Sarah Azzara mitgespielt, und eine dritte Platte ist gerade in Arbeit, die wiederum Jesse produziert. Ich mache auch noch mit meinem Freund Phil Musik, und meinen Lebensunterhalt bestreite ich als Webdesigner, vor allem für Jazz-Musiker, denn die sind nicht wie die Punkrock so versessen darauf, alles selbst zu machen, haha.
Jesse: Ich mache die verschiedensten Musik-Jobs, arbeite seit zehn Jahren für diesen Club namens ‚The Black Cat’ – wie wir alle. Alec entwirft die Anzeigen, ich mache die Website und ich bediene und mache den Sound – das ‚Black Cat’ ist einer der wichtigsten Läden in der Stadt in Sachen Livemusik. Außerdem arbeite ich in einem Tonstudio und sammle alte Mikrophone und repariere altes Equipment. Wenn also jemand ein altes Mikro zu verkaufen hat, kommt bei unseren Konzerten vorbei.
Letzte Frage: Seit letzter Woche wird im Irak Krieg geführt, was habt ihr dazu für Gedanken, gerade auch, da ihr aus der Hauptstadt der USA kommt?
Jesse: Dazu muss man erst mal sagen, dass wir aus der kleinen Stadt Washington DC kommen, die fast gar nichts mit der US-Bundeshauptstadt zu tun hat. Wir sind die Einwohner, und die Regierung, das sind die Besatzer.
Alec: In Washington DC ist man immer sehr nah dran an den aktuellen Nachrichten, an den ganzen kleinen Insidergeschichten, wie Politik wirklich gemacht wird. Gleichzeitig bemühen wir uns nach Kräften, genau damit so wenig wie möglich zu tun zu haben. Und natürlich protestieren wir, wenn es an der Zeit ist. Ansonsten widmen wir uns unserem Leben, versuchen so produktiv und positiv zu sein wie möglich, denn das ist alles, was wir tun können. Es gibt dieses alte feministische Schlagwort ‚The personal is political’, und das nehmen wir uns sehr zu Herzen. Wir halten nichts davon, angesichts des Verhaltens anderer Menschen in unserem Land einen Schuldkomplex zu entwickeln – oder so angepisst zu sein, dass man sich gar nicht mehr aus dem Bett bewegen will. Diese Apathie ist nämlich ein willkommenes Instrument in den Händen derer, die die Bomben werfen. Da spielen wir lieber ein Konzert, reden über die Dinge und versuchen die Leute in positiver Weise zu beeinflussen.
Alec, Ben, Jesse, ich danke euch für das Interview.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #51 Juni/Juli/August 2003 und Joachim Hiller
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