Nach dem Rausschmiss bei Rise Records haben CANE HILL aus New Orleans nun ein neues Label an ihrer Seite und ihr Album „A Piece Of Me I Never Let You Find“ am Start. Wir sprechen mit Sänger Elijah Witt darüber, wie seine mentale Verfassung Einfluss auf den Sound hatte, und überlegen, wieso es ihnen bislang nicht gelingen wollte, in Deutschland Fuß zu fassen – und wie sich das nun ändern soll.
Mir ist der Track „How could you lose“ sofort aufgefallen. Er kommt ganz ohne heavy Elemente aus, dafür mit viel Pop.
Das ist mein Lieblingssong! Die passende Musik, wenn man nachts mit dem Auto unterwegs ist und es regnet ... Ich habe Dark Pop für mich entdeckt, kannte das Genre vorher gar nicht. Düsterer, trauriger Pop ist wie für mich gemacht. Hätte ich mehr Layne Staley gehört, wäre der Song vielleicht anders geworden.
Ihr sagtet mal, dass ihr stolz auf euren rohen Sound seid. Eure neuen Sachen klingen allerdings ziemlich poliert, ihr nutzt vermehrt elektronische Elemente, Vocal-Effekte, das ist ein ganz anderer Vibe ...
Stimmt. Früher waren wir aber auch stolz darauf, dass wir die Band waren, die am meisten Pot geraucht hat ... Damals hat jeder Vocal Processing genutzt, das kam für uns nicht infrage, wir wollten doch „echte“ Musiker sein. Dann haben wir festgestellt, dass alle anderen Bands live besser klangen als wir, weil sie in Technologie investiert hatten. Das spiegelte sich auch im Studio wider. Die Leute wollen heute, dass Gitarren und Bass einen möglichst klaren Klang haben, es gibt diesen Hang zu sehr cleanem Metal. Ich nenne ihn gerne agil oder aerodynamisch. Obwohl es auch eine Entwicklung ins andere Extrem gibt, hin zu einem ekelhaft harten Sound ohne Effekte und mit krassen Emotionen. Solche Bands haben nicht viele Hörer:innen, aber ihre Shows sind ausverkauft, alle hauen sich auf die Fresse und freuen sich des Lebens. Ich glaube, bei uns sind der Gitarren-Tone und die traurigen Lyrics entscheidend dafür, dass der Gesamteindruck nicht zu glattgebügelt wirkt. Aktuell bin ich einfach nur unfassbar traurig, es war ein schwieriges Jahr. Ich mag das Branding der Platte, aber die Inhalte haben nichts mit der Ballerina auf dem Cover zu tun. In meinem Kopf fühle ich mich, als wäre ich ständig unter Wasser. Nicht wie bei Regen oder Sturm, einfach stilles, endlos tiefes, schwarzes Wasser. Dieses Gefühl, darin zu versinken, sollen die Effekte zum Ausdruck bringen.
Kannst du sagen, wieso das Gefühl gerade jetzt so stark ist?
Ich habe seit Jahren klinische Depressionen, bin jetzt aber stärker mit ihnen konfrontiert, weil ich keine psychedelischen Drogen mehr nehme, um davor wegzulaufen. Und vielleicht gab es einen Auslöser: Wir haben unser Label, unser Management und unser ganzes Team verloren, dann kam die Pandemie und die Welt stand still.
Jetzt seid ihr bei Out Of Line unter Vertrag. Wieso passt das so gut?
Weil Nico Delestrade von NOVELISTS dort Labelmanager ist. Wir wollten jemanden, der jung ist und die moderne Musiklandschaft gut versteht. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass uns ein deutsches Label hoffentlich helfen kann, den deutschen Markt besser zu begreifen und das Publikum von uns zu überzeugen. Damit tun wir uns nämlich schwer.
Wie möchtest du uns überzeugen?
Indem ich weniger Witze mache. Bei euch funktionieren platte Jokes über Cannabis nicht. Aber wenn ich sage: „Das Zeug, das bei euch kürzlich legalisiert wurde“, dann findet ihr es lustig, weil es subtiler ist. Dass man so aufpassen muss, mag man kaum glauben, wenn doch RAMMSTEIN einer eurer größten Musikexporte ist. Aber deren Fans sind vermutlich nicht bei Metalcore-Shows. Ich mache mir grundsätzlich viele Gedanken, an welchem Ort ich was sagen kann, aber mir war bislang nicht so bewusst, dass es auch in Deutschland regionale Unterschiede gibt. Es ist eigentlich logisch, ihr seid nicht nur ein Teil der Europäischen Union, sondern ein Land mit verschiedenen Staaten – wie wir in den USA eben. Außerdem hilft es, wenn wir nicht mit klassischen Metalbands touren. Im Mai hatten wir eine gute Tour mit RESOLVED, HALF ME und ACRES. Aber früher haben wir bei euch auch mit TRIVIUM gespielt. Da standen alle vor der Bühne und fragten, wo zur Hölle TRIVIUM seien. Ja, das wüsste ich auch gern, dachte ich mir, aber ich muss jetzt noch zwanzig Minuten für euch spielen.
Euer Album heißt „A Piece Of Me I Never Let You Find“. Was versteckst du vor anderen?
Alle meine überwältigenden Gedanken, diese Erde verlassen zu wollen. Das Album besteht aus elf Songs, die zusammenfassen, weshalb ich in den letzten Jahren sterben wollte. Ich war so verbittert darüber, wie uns die Musikindustrie behandelt hat, hinzu kamen viele persönliche Probleme. Aber es gab immer irgendetwas, das mich dazu bewegt hat weiterzumachen. Zu wie vielen Gebäuden ich hochgeschaut und darüber nachgedacht habe hinunterzuspringen ... Zum Glück habe ich Höhenangst. Heute betrachte ich manches differenzierter: Ich weiß gar nicht, was ich erwartet habe. Wir waren erfolgreicher als viele andere Bands, die sofort abgeschrieben werden, ohne dass man sich um sie bemüht. Ich glaube, es ist gesund, sich selbst am nächsten zu sein, das stiftet inneren Frieden. Anstatt Witze über meine Sorgen zu machen, habe ich mich diesmal intensiv mit ihnen auseinandergesetzt. Ich hatte als Inspiration eine Playlist mit dem Namen „Sad songs to make men cry“. Und das ist jetzt mein einziges Ziel als Musiker. Auch in Deutschland habe ich eine ziemlich männlich geprägte Kultur gesehen. Männer wären so viel glücklicher, wenn sie einfach mal weinen würden.
Noch ein ganz anderes Thema: Ich weiß, dass ihr Foodies seid und man euch auf Tour nur schwer mit Essen begeistern kann.
Ja, selbst in Frankreich mäkeln wir herum ...
Was ist denn zu Hause dein Lieblingsgericht?
Ich habe letztens etwas ausprobiert: Jambalaya mit Klößen! Das ist ein würziger Eintopf aus der Region um New Orleans, den man üblicherweise mit Reis isst. Meine Frau kommt aber aus Kentucky, bei denen gibt es traditionell Chicken and Dumplings, Hühnchen mit Klößen. Also habe ich den Reis gegen Klöße ausgetauscht – ein Gedicht!
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