1977 begannen Musiker:innen in New York unter dem Label No Wave die Grenzen des Phänomens Punk neu zu interpretieren. Waren es in England die AU PAIRS und DELTA 5, standen in New York eben die BUSH TETRAS, Y-FRONTS oder DISTURBED FURNITURE für den sehr experimentellen Stil und innerhalb des No Wave sprossen immer mehr Bands aus dem Boden, in denen Frauen sich selbst verwirklichten. Sie standen für Gesellschaftskritik und Anarchie und auch der Feminismus konnte durch ihr Engagement einen Schritt nach vorne machen. Polyrhythmik, schroffe Gitarrenriffs, Funk-Grooves und ein akzentuierter Gesang gingen nicht selten einher mit Ukulelen, Trompeten oder Saxophonen und verknüpften sich zu einer ganz neuen Ausdrucksform.
Von 1979 bis 1983 existierte mit Cynthia Sley, Pat Place, Laura Kennedy und Dee Pop ein festes Line-up, doch nach dem Ausstieg von Pat und Dee 1983 konnte die „anstehende“ Auflösung nicht abgewendet werden. BUSH TETRAS gingen vor ihrem Split in eine eher tanzbare Richtung des No Wave und lösten sich zu einer Zeit auf, als Formationen wie SONIC YOUTH und die SWANS in viel atonalere, abstraktere Gewässer steuerten. Die große Avantgarde des New Yorker No Wave verschwand fast so schnell vom Radar, wie sie gesichtet wurde, doch um das Jahr 2000 herum begann eine Art Renaissance, der 1997 neue Aufnahmen der BUSH TETRAS in Originalbesetzung vorausgegangen waren. Die endgültige Rückkehr der Band markierte die Veröffentlichung der „Take The Fall“-EP 2018, auf die ein Boxset und eine 7“ folgten. Das aktuelle Album „They Live In My Head“ brachte die BUSH TETRAS 2023 zurück auf die europäischen Konzertbühnen. Gitarristin Pat Place beantwortete einige Fragen über das Hier und Jetzt, Vergangenes und Historisches.
Ich hoffe, dass eure 13 Tage umfassende Europatour gut besucht war und ihr mit schönen Eindrücken nach Hause zurückgekehrt seid.
Ja, wir hatten eine tolle Zeit auf unserer Tournee!
Aufgrund niedriger Vorverkaufszahlen war euer Konzert vom Frannz-Club in den Monarch nach Kreuzberg verlegt worden. Ich denke, es war die richtige Entscheidung, denn eine kleinere, ausverkaufte Show ist doch besser, als in einem großen, nur halb gefülltem Club zu spielen, oder?
Ja, es war richtig, in einen kleineren Club zu gehen und vor vollem Haus zu spielen. Ich mochte diesen Club, weil man von der Bühne aus durch ein Fenster auf die Straße schauen kann. Ich konnte einige Leute sehen, die sich dort draußen versammelten und zuhörten, und haben ihnen zugewunken, das war lustig! Das Publikum in Berlin war großartig und wegen des kleineren Veranstaltungsortes konnten wir nach dem Auftritt mit den Leuten reden. Natürlich ist es enttäuschend, in eine kleinere Halle verlegt zu werden, aber wir haben zuvor vierzig Jahre nicht mehr in Berlin gespielt. Wir hatten keine Zeit, viel Pressearbeit für die Tour zu machen. Die Sache ist die, dass man alles geben muss, egal, ob es zwei oder 20.000 Leute sind. Wenn es dir nur um den Ruhm geht, bist du aufgeschmissen!
Welche Impulse brachten euch dazu, ein neues Album aufzunehmen und sogar über den Atlantik zu reisen, um die neuen Songs live zu präsentieren? Euer Drummer Dee Pop war 2021 während der Aufnahmen zu „They Live In My Head“ verstorben. Bei einem Gedenkkonzert zu seinen Ehren im New Yorker Bowery Electric unterstützte euch der ehemalige SONIC YOUTH-Schlagzeuger Steve Shelley, ebenso wie bei euren letzten Konzerten. Hattet ihr regelmäßig Kontakt zu ihm und war es daher naheliegend, ihn für eure Ideen zu gewinnen?
Dee starb, als wir gerade anfingen, Songs für das Album zu schreiben. Wir waren am Boden zerstört und dachten, alles wäre vorbei. Cynthia und ich wollten aber die paar Songs, die wir mit Dee bereits angefangen hatten, zu Ende bringen, und so riefen wir Steve an und er war verfügbar. Die Chemie stimmte sofort, also machten wir weiter und vollendeten das Album mit Steve. Wir hatten schon immer eine Verbindung zu SONIC YOUTH, da wir Thurston schon vor deren Bandgründung kannten, als er noch ein BUSH TETRAS-Fan war. Also ja, in gewisser Weise war es eine logische Wahl. Und wie sich schnell herausstellte, ist es ein Vergnügen, mit Steve zu arbeiten.
„Rhythm And Paranoia: The Best Of The Bush Tetras“ und auch eure beiden neueren Veröffentlichungen sind bei Wharf Cat Records erschienen. Das Label ist die Heimat einiger wirklich großartiger Künstler wie BAMBARA oder HOLY MOTORS, und auch die begehrte LA PESTE-Single wurde dort neu aufgelegt. Habt ihr ihnen eure aktuellen Demos zugeschickt oder hat Wharf Cat Records bei euch angefragt, ob sie geplantes Material veröffentlichen dürfen?
Wir hatten einen Kontakt zu dem Label durch Cynthias Sohn Austin, dessen Band SEDIMENT CLUB bei Wharf Cat ist. Es hat sich also wieder fast von selbst ergeben. Wir arbeiten gerne mit Leuten, die wir mögen. Wir hatten 2018 die „Take The Fall“-EP mit Wharf Cat gemacht, kurz danach entstand die Idee, eine umfassende Sammlung unserer Songs rauszubringen.
Ich hatte gehofft, ein oder zwei sehr alte Songs in der Setlist zu finden, und zur Freude des Publikums habt ihr bei dem Konzert „You can’t be funky“ und „Too many creeps“ gespielt. Beide Songs haben nichts von ihrer Eingängigkeit verloren, was ja eher untypisch für No Wave ist. Ist No Wave irgendwann zu massenkompatibel geworden und hat sich damit selbst aus der Musikszene verdrängt?
„Funky“ oder „Creeps“ waren wahrscheinlich zugänglicher als die gewöhnlichen No-Wave-Stücke. Technisch gesehen war No Wave eine sehr kurzlebige, nihilistische und konzeptionelle Bewegung. 1980 war sie eigentlich schon vorbei. Wir haben uns selbst nie wirklich als No-Wave-Band betrachtet – solche Kategorisierungen sind immer problematisch. Ich denke, wir werden in diesen Topf geworfen, weil ich vorher bei den CONTORTIONS war und etwas von dieser Einstellung zu den BUSH TETRAS mitbrachte. Ich denke, No Wave hat sich vielleicht zu einer breiteren Definition entwickelt. Also nehme ich an, dass wir aus diesem Bereich kommen, aber wir hatten nie den Plan, eine No-Wave-Band zu sein.
Welche Unterschiede könnt ihr zwischen der Underground-Szene in New York in euren Anfangstagen und heute feststellen? Interessiert sich ein jüngeres Publikum noch für Acts wie BUSH TETRAS, den 2018 verstorbenen Glenn Branca oder UT?
Eine Underground-Szene gibt es in Manhattan kaum noch, weil es jetzt ganz vom Finanzdistrikt dominiert ist. In den späten Siebzigern und frühen Achtzigern, als wir anfingen, war die Stadt ausgebrannt und bankrott und die perfekte Umgebung für junge Leute, um sich künstlerisch auszuleben, denn niemand sonst wollte dort wohnen. Und die Clubszene florierte. Heute gibt es eine Art Szene in Queens und Brooklyn, denn es wird immer Underground-Musik geben. Ich denke, wir alle beziehen uns auf Musik, die uns vorausging. Es gibt junge Leute, die zu unseren Shows kommen, was wir toll finden! Also ja, es gibt Interesse.
„They Live In My Head“ ist ein atemlos spannendes, zwischen Vergangenheit und Gegenwart operierendes Album, das unglaublich komplex, subtil lärmend und dann wieder tanzbar ist. Die leichten Klavierklänge von „So strange“ ließen mich sofort an „Kaltes klares Wasser“ von MALARIA! denken.
Ich liebe MALARIA!, aber es war keine bewusste Referenz – natürlich ist das alles irgendwo in unserem kollektiven Gedächtnis verankert. Wir alle beeinflussen uns gegenseitig. Das Klavier bei „So strange“ war Steves Idee. Er spielt in einer anderen Band mit dem Multi-Instrumentalisten David Nadler und hat ihn gebeten, ein bisschen Klavier bei diesem Stück zu spielen.
Was hält die Zukunft für die BUSH TETRAS bereit? Können wir uns auf ein weiteres Album und Konzerte freuen?
Cynthia und ich sind immer dabei, Songs zu schreiben, aber ich bin mir nicht sicher, was die Zukunft bringt oder wie sich das auswirken wird. Wir spielen in diesem Frühjahr eine Show in NYC und werden am 7. Juli 2024 auf dem John Waters Mosswood Meltdown in Oakland, CA auftreten.
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