BRUCE MILNE & AU GO GO RECORDS

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Let there be rock

Es war ein kurioses Bild, Anzug und Krawatte tragende Abgeordnete der Opposition auf den Stufen des Parlamentsgebäudes stehen zu sehen mit Schildern, auf denen „Liberals love Live Music“ geschrieben stand. Davor eine fast 20.000 Demonstranten umfassende Menschenmenge. Ende Februar nahm ich in meiner Wahlheimat Melbourne an der S.L.A.M. („Save Live Australia’s Music“)-Rally teil. Diese Demo verlief durch die Innenstadt Melbournes und endete in einer Kundgebung vor dem Parlament. Die Organisatoren hatten für die Demo den 23. Februar gewählt, der Tag an dem AC/DC hier vor Jahren ihr Video zu „Let there be rock“ gedreht hatten. Die Hintergründe für diese Demo sind bei den in den letzten Jahren verstärkt in Kraft getretenen neuen Gesetzen und Regulierungen für Live Music Venues zu suchen.

Den Stein ins Rollen gebracht hat die Schließung des Tote Hotels, einer regelrechten Rock’n’Roll-Institution. Das Totel Hotel war 30 Jahre lang das Flaggschiff der vielen kleineren und mittelgroßen Rock’n’Roll Live Venues hier. Bands wie HOODOO GURUS, SCIENTISTS und BEASTS OF BOURBON spielten hier ihre ersten Melbourne-Gigs. Bands wie HELLACOPTERS, TURBONEGRO, DIRTBOMBS oder Billy Childish – sie alle spielten im Tote Hotel. An einem Dienstagmorgen Ende April unterhielt ich mich mit dem ehemaligen Betreiber und Teilhaber des Tote Hotels Bruce Milne bei ihm zu Hause auf seinem Balkon, um mehr darüber zu erfahren. Bruce war ebenfalls seit 1979 Betreiber des Labels Au-Go-Go Records mit seinem Offshot Giant Claw Records sowie heutzutage von Infidelity Records. Während ich noch mit Problemen mit meinem Aufnahmegerät zu kämpfen hatte und daher ein wenig nervös wurde, erzählte er mir netterweise die Geschichte, wie er 1977 RADIO BIRDMAN für sein Fanzine interviewt hatte, um anschließend festzustellen, dass er vergessen hatte, den Aufnahmeknopf zu drücken.

Bruce, wie geht’s?

Oh, es ist ziemlich tough zur Zeit, ich habe eine Menge Schulden. Ich muss mir einen neuen Job suchen. Ich habe zwar immer noch Infidelity Records, aber schon seit einiger Zeit nichts mehr veröffentlicht. Zur Zeit bin ich nicht in der Lage, etwas zu vermarkten oder zu promoten.

Ein paar Worte zu deiner Person. Wie sieht dein musikalischer Werdegang aus?

Ich bin schon seit jungen Jahren Musikfan – ich bin 1957 geboren. Ich war gelangweilt von Frühsiebziger-Musik, was wohl viele Leute aus dieser Zeit sagen. Ich war kein Fan von LED ZEPPELIN oder den Singer/Songwriter-Sachen aus dieser Zeit. Ich mochte die STOOGES und VELVET UNDERGROUND. Weil ich ein schrecklicher Gitarrist war, machte ich 1976 eine Radioshow, als es mit den ersten lokalen Radiosendern begann. Ich habe Artikel für RAM geschrieben, damals ein großes australisches Rock-Magazin. 1975, als ich gerade 18 geworden war, war ich in London und New York, es war zu der Zeit, als man spüren konnte, dass musikalisch etwas in der Luft lag. Später habe ich herausgefunden, dass die SEX PISTOLS eine Woche, nachdem ich London verlassen hatte, ihren ersten Gig im Marquee gespielt haben. Als ich in New York war, spielten die HEARTBREAKERS, die als Ex-NEW YORK DOLLS angekündigt waren und die RAMONES im CBGB’s. Es war eine ziemliche rauhe Gegend, Leute haben auf der Straße Drogen verkauft, ich war davon sehr eingeschüchtert. Bis heute bereue ich, dass ich im Januar 1976 die HEARTBREAKERS und RAMONES nicht live gesehen habe. Als ich zurückkam, startete ich ein Fanzine namens Plastered Press mit Artikeln über NEW YORK DOLLS und Jonathan Richmond, hauptsächlich musikhistorischer Kram. Clinton Walker aus Brisbane machte damals ein Fanzine namens Suicide Alley, und wir starteten dann zusammen das Pulp Fanzine.

Wie fing es dann mit dem Label an?

Rowland S. Howard, mit dem ich schon zur gleichen Schule ging, spielte damals in einer Band namens OBSESSION, später dann YOUNG CHARLATANS, und ich war deren Manager. Das war der eigentliche Grund, warum ich Au Go Go gründen wollte. Es dauerte aber noch zwei weitere Jahre mit dem Label, da ich noch unerfahren und naiv war. Ich wollte ursprünglich „Cigarettes And Alcohol“ von THE LEFTOVERS veröffentlichen, konnte allerdings nicht in Erfahrung bringen, wie man ein Independentlabel betreibt. Keith Glass von Missing Link Records fragte mich dann, ob ich im Vertrieb arbeiten wollte. Er betrieb das Label schon seit zehn Jahren, und so machte ich meine ersten Erfahrungen. Die ersten 25 Veröffentlichungen auf Au Go Go waren dann Singles von lokalen Bands aus Melbourne in kleiner Auflage. Dann arbeitete ich bei Greville Records. Zusammen mit Waterfront aus Sydney versuchten wir ein Netzwerk aufzubauen. Mitte der Achtziger machte ich dann den Au-Go-Go Plattenladen auf. Um den Plattenladen zu finanzieren, bin ich viermal im Jahr in die USA gefahren, um Platten von College-Radiostationen und Secondhand-Shops zu kaufen, einmal im Jahr nach Europa, später Japan. Das war eine aufregende Zeit. Das Label fing Mitte Achtziger an, sich richtig zu mausern, als Bands wie THE SCIENTISTS, THE MOODISTS und THE GO-BETWEENS nach London zogen. Eine Menge von den Leuten in diesen Bands waren Freunde von mir. Zu der Zeit sah es so aus, als ob australische Musik weltweit bekannt werden würde. Es war großartig, auf einmal fingen Rough Trade USA und UK an, unsere Platten zu kaufen. Plötzlich fragten mich Leute aus Alabama nach den CELIBATE RIFLES oder den LIME SPIDERS. Später habe ich dann amerikanische Bands wie DICTATORS, SONIC YOUTH, DINOSAUR JR auf Au Go Go veröffentlicht. Als auf einmal NIRVANA groß rauskamen, wurde dann fast jede Band, mit der ich zu tun hatte, von Majorlabels kontaktiert. Es wurde dann ein bisschen verrückt. Bands fragten mich, ob ich ihnen 10.000 Dollar für einen Videoclip geben könnte. Da war’s dann vorbei mit dem Spaß an der Sache, das war nicht der Grund, warum ich ins Music Business gegangen war.

Das sah man ja auch an deinem Sublabel Giant Claw Records.

Giant Claw war ein Sublabel, das ich aus reiner Fan-Perspektive betrieb. Ich machte jeweils nur eine Platte mit einer Band, die ich wirklich mochte, ohne irgendwelche weiteren Versprechungen an diese Bands. Außerdem hatten alle Veröffentlichungen Cartoon-Cover. Eine deutsche Band war auch auf meinem Label, THE RAYMEN. Ich mochte Hanks tiefe Stimme und sein großes musikalisches Wissen. Er schickte mir damals Kassetten mit obskuren Rockabilly-Bands darauf. Ich veröffentlichte zum Beispiel auch THE GORIES und RAUNCH HANDS, die ich beide mochte.

Wie kam es, dass du zum Venue-Manager geworden bist?

Ich habe das Tote Hotel 2001 übernommen, zusammen mit meinem Bruder James. Ein Bekannter von mir hatte mich angerufen, weil es zum Verkauf anstand. Ich bin früher oft ins Tote gegangen und viele Bands auf meinem Label hatten dort ihre Album-Releasepartys. Ich mochte schon immer die örtlichen Gegebenheiten: Im Gegensatz zu anderen Pubs hat das Tote eine Kneipe, einen Konzertraum, den Backyard und die kleine Bar oben. Das Tote war nicht nur ein Pub mit Live-Music wie viele andere Venues hier, sondern es hatte einen einzigartigen Charakter. Beim Tote konnte man sicher sein, dass jeder, der dort arbeitete, musikbegeistert war. Von daher erschien es mir eine gute Idee, den Laden zu übernehmen. Ich habe so viele gute Erinnerungen daran, zum Beispiel als SOUNDTRACK OF OUR LIVES ein dreistündiges Akustik-Set gespielt haben, das war eines der besten Konzerte, die ich je gesehen habe. Oder THE DIRTBOMBS, oder THE 5.6.7.8’s aus Japan. Ich habe dort THE DRONES vor 20 Leuten gesehen. Und die POWDERMONKEYS, als sie noch total unbekannt waren.

Im Januar musste das Tote Hotel dann plötzlich seine Pforten schließen. Wie kam es dazu?

Es gibt schon seit einiger Zeit strenge Regulierungen für Live-Venues hier in Victoria, früher musste man sich nur nicht so sehr daran halten. Die jetzige Regierung hat eine neue Kampagne gestartet, die sich gegen durch Alkohol verursachte Gewalt richtet. Kleine Pubs mit Live-Musik werden in die gleiche Kategorie eingestuft wie die großen Nachtclubs, in denen häufig Schlägereien stattfinden. Es werden da keine Unterschiede gemacht. Daher musste ich im letzten Jahr Sicherheitskameras einbauen lassen, was eine Menge Geld kostet. Außerdem muss ich, sobald ich Live-Musik habe, immer mindestens zwei Sicherheitsleute beschäftigen. Ich habe versucht, mit Anwälten dagegen anzugehen, weswegen ich jetzt pleite bin. Ich habe an einem Freitagabend kein Problem damit, wenn es voll ist, aber an einem Montag oder Dienstag, wo wir hier einen Unplugged-Gig haben oder nur einen DJ, konnte ich zwei Sicherheitsleute nicht bezahlen, das konnte ich mir nicht mehr leisten. So konnte ich den Laden auf Dauer nicht mehr halten.

Spielte die sich ausbreitende Yuppisierung bei der Schließung auch eine Rolle?

Ich denke schon. Und das beunruhigt mich. In Sydney ist es in den Achtzigern passiert. Die Musikerszene war damals in Kings Cross und Surrey Hills angesiedelt. Als die Immobilienpreise so dermaßen anstiegen, konnte es sich kein Musiker mehr leisten, dort zu wohnen. Die Stadt hatte ihr Herz verloren. In Melbourne passiert das in letzter Zeit auch. St. Kilda ist ein gutes Beispiel dafür. Ich bin dort groß geworden. Damals in den frühen Achtzigern war es sehr schmuddelig dort, heute sind da nur noch angesagte Cafés und Restaurants. Das Tote Hotel liegt im Stadtteil Collingwood, die umliegenden Stadtteile von Collingwood sind auch von Yuppisierung betroffen, aber Collingwood selbst gehört noch immer zu den ärmeren Vierteln. Es gibt hier immer noch die Cottage-Häuser von vor hundert Jahren und viele kleine Fabriken. Es ist eine rauhe Gegend, in der gedealt wird. Im Tote Hotel hatten wir allerdings so gut wie nie Schlägereien und wir haben immer unsere Rechnungen bezahlt.

Als du die drohende Schließung im Internet bekannt gegeben hast, sprach es sich schnell herum, so dass zwei Tage später mehr als 2.000 Leute auf ein letztes Bier vorbeikamen.

Ja, die Reaktion war enorm. Die letzten drei Tage war der Laden gerammelt voll. Freitags hatten wir für den folgenden Montag ein letztes Festival organisiert und wirklich fast jede Band in dieser Stadt wollte dort spielen. Die COSMIC PSYCHOS mussten krankheitsbedingt absagen, dafür sind dann kurzerhand SPIDERBAIT eingesprungen.

Einen Monat später fand dann die S.L.A.M. Rally mit 20.000 Teilnehmern im Zentrum statt. Wie kam es dazu?

Es ist nicht mein Verdienst, dass es zu dieser Demonstration gekommen ist. Ich war nur der Erste, der die Schwierigkeiten, die Live-Venues mit den neuen Regulierungen haben, öffentlich gemacht hat. Auf einmal hörte man von anderen Venue-Betreibern von ähnlichen Problemen. Quincy und Helen, die hier ein Proberaum-Studio betreiben, haben sich gedacht, das ist nicht richtig, und haben daher die S.L.A.M. Rally organisiert. Es kamen so viele Leute zu dieser Demonstration, weil die Leute hier ihre Live-Musik lieben. Vielleicht ist es zu früh, das auszusprechen, aber ich glaube, der Schneeballeffekt, den die Schließung des Tote Hotels ausgelöst hat, könnte für eine Veränderung sorgen bei der Sicht der Bürokraten, die mit solchen Gesetzen ankommen.

P.S.: Das Tote-Hotel hat seit Anfang Juni mit neuem Management wieder geöffnet.