BRITTA SCHOLL (NEON NEON)

Foto© by Christoph Lampert

My Little Drummer Folge 77

Gast in unserem Drummer-Special ist in dieser Ausgabe Britta von NEON NEON, die auf dem soeben veröffentlichten Debütalbum „Rot“ durch ein dynamisches und facettenreiches Spiel auffällt. Wer die Bremer Band allerdings schon live sehen durfte, wird bestätigen, dass Brittas Welt eigentlich die Bühne ist, denn bei den Auftritten kommt die ganze Energie zum Tragen und treibt sowohl die Mitstreiter:innen als auch das Publikum immer wieder nach vorn. Wir waren sehr gespannt auf das Gespräch, das wir backstage im Bahnhof Ottersberg mit Britta geführt haben.

Britta, gibt es Geschichten aus deiner Kindheit, dass du schon frühzeitig auf den Kochtöpfen deiner Eltern getrommelt hast?

Nein, eigentlich nicht, was die Vermutung nahelegt, dass ich das auch nicht gemacht habe. Ich komme auch nicht aus einer besonders musikalischen Familie, denn obwohl mein Vater so Lagerfeuersongs auf der Gitarre begleiten konnte, war bei uns musikalisch nicht viel los. Im Plattenschrank meiner Eltern waren außer ein paar BEATLES-Platten und den Disco-Hits der Siebziger Jahre auch keine wirklichen Highlights zu finden. Da ich auf dem Land aufgewachsen bin, habe ich auch erst relativ spät mitbekommen, dass so etwas wie eine Subkultur überhaupt existiert, und ich war schon so Mitte zwanzig, als ich entdeckte, dass es da Leute gibt, die ihr eigenes Ding machen, die Konzerte organisieren, und dass da Bands spielen. Damals habe ich mich aber eher für die Subkultur interessiert und noch gar nicht daran gedacht, selbst Musik zu machen.

Wie bist dann auf die Idee gekommen, Musik zu machen und Schlagzeug zu spielen?
Das war so um die Jahrtausendwende herum, als die Riot Grrrl-Bewegung nach Deutschland kam und ich Bands wie TEAM DRESCH, BIKINI KILL und SLEATER-KINNEY für mich entdeckt habe, von denen ich auch heute noch großer Fan bin. Ich war damals mit drei Freundinnen auf einer Party, wo auch eine Band auftrat, und da hatten wir die Idee, dass wir auch in einer Band spielen wollten. Das Problem war nur, dass niemand von uns ein Instrument spielen konnte. Ich habe aber tatsächlich einen Raum gefunden, in dem wir Instrumente leihen konnten, und nachdem wir ausgelost hatten, wer welches Instrument spielen sollte, haben wir einfach angefangen. Damals habe ich aber noch nicht Schlagzeug gespielt, sondern habe den Bass zugelost bekommen.

Wie schwierig war es damals für euch, ohne musikalische Vorkenntnisse eine Band zu gründen?
Also so ganz einfach war das wirklich nicht, aber Punk ist ja schließlich dafür da, einfach loszulegen, ohne die Instrumente gleich virtuos zu beherrschen. Wir haben das also einfach gemacht, wobei wir uns zu Beginn erst einmal selbst empowert und einen emanzipatorischen Prozess durchlaufen haben. Das Problem war, dass alle Leute, die wir kannten, so CIS-Typen waren, die ihre ersten Instrumente schon im Alter von neun oder zehn bekommen und sich von ihrem Konfirmationsgeld die erste Fender-Gitarre gekauft hatten. Aber wir waren halt scheiße mit Anfang dreißig und da misst man sich natürlich immer an den Maßstäben, die um einen herum zu finden sind. Wenn du zehn Jahre lang auf Konzerte gegangen bist, wo Leute spielen, die schon versierte Musiker sind, dann ist das für das eigene Selbstwertgefühl schon hart, wenn du damit deinen drei Schrammelakkorden auf die Bühne kommst. Aber da sind wir eben durchgegangen und haben uns selbst angefeuert. Zum Glück gab es damals ja eine starke feministische Szene und an vielen Orten das Konzept der Ladyfeste. So hatten wir einen unserer ersten Auftritte beim Ladyfest in der Roten Flora in Hamburg, was wirklich toll war, weil die Leute uns da wirklich angefeuert haben, und wir waren hinterher so begeistert, dass wir beschlossen haben weiterzumachen, weil das einfach so viel Spaß gemacht hat.

Wie kam es, dass du den Bass an den Nagel gehängt hast?
Nachdem wir die Band ein paar Jahre hatten, wurden meine drei Freundinnen schwanger und wir konnten nicht mehr proben. Ich habe zwischenzeitlich noch Bass in einer anderen Band in Hamburg gespielt, aber als das zu Ende war, hatte ich keine Lust, allein Bass zu spielen, und so habe ich beschlossen, für mich alleine Schlagzeug zu üben. Schlagzeug kann man auch wunderbar für sich allein spielen und ich hatte das Glück, dass ich den Proberaum nutzen konnte, denn wir schon vorher mit der Band hatten. Ich habe erst einmal so anderthalb Jahre für mich allein geübt, bevor ich dann Leute traf, mit denen ich eine neue Band gegründet habe. Die hatten zwar alle schon in Bands gespielt, waren aber neu an ihren jeweiligen Instrumenten. Die eine Person hatte vorher gesungen und dann Gitarre gespielt und die andere hatte Schlagzeug gespielt und hat dann zum Bass gewechselt, so dass wir alle ziemlich aufgeregt waren. Später wurde ich tatsächlich von anderen Leuten gefragt, ob ich mit ihnen in einer Band spielen wollte, und so habe ich noch mal ein bisschen mehr geübt, um besser zu werden.

Hattest du in dieser Phase irgendwelche Vorbilder, an denen du dich orientiert hast?
Eigentlich gab es die bei jedem Konzert, zu dem ich hingegangen bin, weil ich immer dachte, so gut würde ich nie spielen können. Ich habe gerade bei diesen DIY-Punk-Konzerten ganz genau hingeschaut, was die Schlagzeuger so machen, und habe mich mit vielen Menschen unterhalten und mir Tipps geben lassen. Ich habe mir auch YouTube-Videos angesehen, um mir verschiedene Soundbeispiele anzuhören und die anschließend selbst auszuprobieren. Es hat mir viel Spaß gemacht, wenn ich mit den einzelnen Zählzeiten und verschiedenen Rhythmen herumexperimentieren konnte. Ich habe gemerkt, dass da viel in meinem Kopf passiert, wenn ich mich gut konzentrieren muss, und dass das Schlagzeugspielen gut für mein Körpergefühl ist. Ich habe aber auch viel im Bandkontext geübt, wo man dann natürlich sehr häufig immer dasselbe spielt.

Bist du Autodidakt:in oder hast du auch mal Unterricht genommen?
Ich habe dieses Jahr tatsächlich zwei Stunden Unterricht genommen und hatte auch vor Corona schon mal zwei Stunden Unterricht. Leider hat der Lehrer beim ersten Mal die ganze Zeit selbst gespielt, um zu zeigen, wie toll er ist, so dass ich da nicht wieder hingegangen bin. Dieses Jahr wollte ich einfach wissen, wie ein bestimmter Song von THE ESTRANGED gespielt wird, und der Lehrer hat mir das dann gezeigt und aufgeschrieben und das war es. In der Kombination aus Soundbeispiel und den aufgeschrieben Noten konnte ich gut verstehen, wie der Song funktioniert.

Wann hast du deine ersten Erfahrungen in einem Tonstudio gesammelt?
Das erste Mal in einem Tonstudio aufgenommen habe ich 2014 mit meiner damaligen Band ANALOG RUINS, als wir die Songs für unsere CD eingespielt haben, die wir dann auch selbst veröffentlicht haben. ANALOG RUINS haben damals sehr häufig live gespielt, so dass wir gut eingespielt waren. Ich habe meine Parts immer live eingespielt auf Klicktracks im Ohr verzichtet, weil ich finde, dass die Aufnahmen ohne Klick irgendwie dynamischer klingen. Ich habe mal mit Klick aufgenommen und hatte immer das Problem, dass ich wieder auf den Klick zurückfinden musste, wenn ich zwischendurch mal das Tempo angezogen habe. Wir haben bei einer Session einmal einen Song ohne Klick und die anderen mit Klick eingespielt und hinterher stellte sich heraus, dass der Song ohne Klick einfach dynamischer klang als alle anderen. Danach haben wir beschlossen, alle Songs ohne Klick live einzuspielen und einfach von vorn zu beginnen, wenn sich jemand verspielen sollte.

Bist du im Studio sehr pedantisch oder eher schnell zufrieden?
Ich würde sagen, ich ergebe mich da meinem Schicksal. Ich bin eher so der Typ, der schnell zufrieden ist und denkt, es reicht schon. Ich bin ziemlich genügsam und zum Glück meckern die anderen bei NEON NEON auch nicht mit mir.

Könntest du dir vorstellen neben NEON NEON auch noch ganz andere musikalische Vorstellungen zu verwirklichen?
Also, mein Traum wäre es. einmal in einer Math-Rock Band zu spielen. Das würde ich gern mal ausprobieren, aber leider weiß ich, dass ich da nie hinkommen werde. Mich faszinieren schräge Rhythmen und ungerade Taktarten. Ich mag auch Post-Rock sehr gern und neulich war ich in Hamburg beim BRUTUS-Konzert, was mich total begeistert hat.

Hast du dich jemals an einem großen Heavy-Metal-Drumset mit Doublebass versucht?
Also tatsächlich habe ich alle Teile, die man für ein riesengroßes Set braucht, zur Verfügung, weil ich mein Set von jemandem gekauft habe, der gesundheitsbedingt mit dem Trommeln aufhören musste, und der hatte ein sehr großes Set. Das war alles dabei und ich habe schon einen Großteil der Becken verkauft, weil ich sie einfach nicht brauchte. Ich habe allerdings gerade in dieser Woche das Pedal für die zweite Bassdrum aufgebaut und angefangen mit der Doublebass zu experimentieren. Das wollte ich schon immer einmal ausprobieren, denn das zweite Pedal lag bei mir schon jahrelang ungenutzt herum. Ich bin aber eigentlich sehr flexibel und habe gerade angefangen, Bossa Nova zu üben. Einfach nur, weil es mir Spaß macht, mich daran zu versuchen, und ich da ein schönes Tutorial bei YouTube gefunden habe. Wenn mir irgendetwas Neues begegnet, muss ich das immer gleich ausprobieren.

Könntest du dir vorstellen, neben dem Schlagzeug auch andere Instrumente auszuprobieren?
Also Bass habe ich ja von Anfang an gespielt und ein bisschen kann ich auch Gitarre spielen. Allerdings nur so einzelne Saiten, wie ich sie auch auf dem Bass anschlagen würde. Ich würde auch gern mal so Synthiepop-Sachen wie von BOY HARSHER, die eine meiner Lieblingsbands sind, ausprobieren und dabei selbst die Tasteninstrumente spielen. Ich habe eben immer so viele verschiedene Ideen.

Hast du neben der Band noch Zeit für andere Aktivitäten?
Ich habe gerade letzte Woche einen Schlagzeug-Workshop für FLINTA-Menschen gegeben und das hat mir richtig viel Spaß gemacht. Das war im Rahmen eines Festivals und da hatte man mich gefragt, ob ich diesen Workshop leiten wollte. Das war ein Angebot für Leute ohne jede Vorkenntnisse und da habe ich mich sicher genug gefühlt, die Sache anzuleiten. Das fand in einer Schlagzeugschule statt, wo fünf Schlagzeuge standen, so dass wir alle zusammen trommeln konnten und am Ende konnten die Teilnehmerinnen tatsächlich einen einfachen Beat spielen. Das Schöne daran war wirklich, dass man so schnell ein Erfolgserlebnis erzielen konnte. Ich habe auch schon ewig die Idee, dass man sich mit Leuten, die schon länger Schlagzeug spielen, besser vernetzen könnte, um sich gegenseitig seine Lieblingsgrooves zu zeigen. Jede Schlagzeuger:in entwickelt doch über die Jahre Sachen, die sie am liebsten spielt, und da könnte ich mir vorstellen, dass ein Austausch sehr spannend sein könnte. So ein Kreis von Leuten, wo man gegenseitig die Lieblingstricks der anderen nachspielt.