Punkrock spaltet sich von jeher in zwei Lager: Die einen sind vor allem auf Spaß aus, die anderen stellen politisches Engagement in den Mittelpunkt ihres Tuns. Und dann gibt es noch jene Bands, die Quatsch und Politik miteinander zu kombinieren wissen. Bei der TERRORGRUPPE war das so, und auch THE BOTTROPS aus Berlin, deren Nachfolgeband, verstehen sich darauf. Jüngstes Dokument dieses Vorgehens ist das Album „Entertainment Overkill“, und Gitarrist Johnny Bottrop, der unlängst noch unter seinem „echten“ Namen Jacho ein Interview zu seiner alten Band HOSTAGES OF AYATOLLAH gab, beantwortete ausführlich meine Fragen.
Erklär mir doch gleich mal das „Kunst-Konzept“ des neuen Albums – da finden sich diverse „Essays“ im Booklet, diverse Menschen haben sich mit Zeichnungen und Grafischem verewigen dürfen.
Das Thema ist die Welt der „Un-Unterhaltung“: Infotainment-Action-News-Propaganda-Falschmeldung-Falschbedienung-Vollbedienung-Fake-Langeweile ... das Gefühl, um seinen Spaß betrogen zu werden. Irgendwann beim Stückeschreiben für diese Scheibe, ungefähr Anfang letzten Sommer, es waren gerade die Hälfte der Musik, aber schon Dreiviertel der Texte zur Platte fertig, da haben wir gemerkt, dass sich diesmal so gut wie alle Lieder um dieses eine Thema drehen: Die Quatschwelt der Unterhaltungs- und Nachrichtenindustrie und die Fütterung der Normalos mit angeblich wichtigen „Themen“ und Amüsement. Brot und Spiele. Angst und Lüge ... oder Langeweile. Es war eigentlich nie beabsichtigt, dass das dann so was wie ein „Konzept“ darstellt. Wurde es dann aber, so in etwa. Wir haben dann Anfang Herbst rumgefragt, ob nicht ein paar Untergrundliteraten und -zeichner was zum Booklet der Platte besteuern wollen. Schnell hatten sich dann auch Berliner Bekannte wie Christiane Kulzer und Reinhard Kleist überreden lassen. Nach und nach ein paar mehr, aber als die letzten Aufnahmen fertig waren, das waren die Lieder „Der Stau“ und „Anton“, und so langsam alles fertig abgemischt war, da merkten wir, dass doch noch eine Menge Geschichten und Bilder fehlten.
Das klingt, als seien eure Alben längerfristige Projekte.
Wir gehen nie mit 15 bis 20 Liedern auf einem Haufen ins Studio, sondern nehmen alle zwei bis drei Monate drei oder vier Lieder auf, die wir erstmal liegen lassen. Jedenfalls gab es so was wie einen „roten Faden“, es gab Ideen, aber es fehlte uns an Literaten und Zeichnern. Also haben wir einen Notruf an Freunde und Fanzines gestartet, bei dem uns ja dann auch ein gewisses Ox-Magazin super unterstützt hat. und auch Leute aus dem Umfeld des Punkerknacker-Hefts. Die Resonanz war super. Innerhalb von drei Wochen hatten wir einen Haufen großer Texte und Zeichnungen. Dann mussten wir das alles nur noch in eine richtige Reihenfolge bringen. Da hat uns unser Mischer Andi Jung sehr geholfen, der von Anfang an vehement dafür war, die Platte wirklich nach dem Inhalt der Texte anzuordnen. So beginnt die Scheibe mit einer Zustandsbeschreibung der Trägheit der völkischen Massen mit deren mörderischen Konsequenzen, und gleich anschließend ein Lied über das Gedankenfutter dieser trägen Massen: Geschichtsschreibung basierend auf die Verehrung angeblicher Größen und Anführer, die allesamt zu Lebzeiten knietief im Blut gewatet sind. Das hört sich jetzt alles an wie eine wahnsinnig intellektuelle Platte. Ist es aber natürlich überhaupt nicht. Jedes Lied hat maximal sechzehn oder zwanzig Zeilen Text, wenn überhaupt. Es ist einfachster simpelster Pop-Punk mit zwei oder drei Strophen und sich mehrmals wiederholenden Refrains, that’s all. Die Literaten und Poeten des Booklets hatten übrigens die fiese Vorgabe, dass sie nicht mehr als 200 Wörter für ihre Geschichte verwenden durften. Und das ist wirklich schwer. Bombastisch herausragend wurden die Geschichten von Antje T., die mich ja fast schon an Lem oder Asimov erinnert, und das doppelböse Happy End in der Geschichte von Casi Vollmer. Aber hab ich jetzt eigentlich deine Frage beantwortet?
„Entertainment Overkill“ – so was Kulturkritisches kann doch nur von irgendwelchen Ü40ern kommen, die nicht in der Lage sind, ihre fünf verschiedenen Chat-Channels neben dem Konsolenzocken zu MySpace-Musik mit RTL2 im Hintergrund zu checken, während man mit der linken Hand noch eben ’ne SMS verschickt.
Wo gibt’s eigentlich Handys zu kaufen mit der Automatic-Reply-Funktion „Ich beantworte keine SMS, fick dich oder schreib mir eine E-Mail!“? Du beschreibst mit deiner Frage auch sehr gut den Generationenkonflikt innerhalb der Band. Robo und Benno beherrschen so eine multimediale Vollbedienung nämlich im Schlaf. Ich selber kann ja gerade mal einen Taschenrechner von einer Fernbedienung unterscheiden.
Zu jedem Song gibt es Film- und Literaturtips. Kannst du da mal zwei, drei erläutern? Abgesehen davon: Ihr seid doch ganz schön intellektuell, es gab Zeiten, da machte man sich mit so was in Punk-Kreisen verdächtig ...
Ha! Was ist denn an „The Crazies“, „Muttertag“, der TRUCK STOP-Diskografie und „Summernight city“ von ABBA intellektuell? Aber stimmt schon, einige andere Empfehlungen gehen schon fast mehr so ins Bildungsbürger-„Miljöh“. Anstatt zu jedem der Lieder selber einen kleinen Kommentar abzuliefern, so wie bei der letzten BOTTROPS-Scheibe, gibt’s auf „Entertainment Overkill“ diesmal nur Film- und Buchempfehlungen, einige sehr nahe liegende Querverweise, zum Beispiel „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Bertold Brecht zum Song „Die Großen der Geschichte“, andere etwas abseitig, etwa die Zeichentrickserie „Les Shadoks“: Der ewige sinnlose Struggle der trägen Shadoks-Massen, gelenkt von einem schwachmatischen Quartett aus König, Magier, Technokrat und hohem Militär, das ist dann ebenfalls unser Kulturtip zu „Die Großen der Geschichte“. Andere Tips sind einfach nur essentiell und ein absolutes Muss, auch für kulturfeindliche Punker. Man sollte nicht sterben, ohne vorher wenigstens einmal hier reingeschaut zu haben: „Sein oder nicht Sein“, das Buch „Der futurologische Kongress“ (die Empfehlung zu „Super, sicher, sauber“), Sidney Lumets „Network“, die oben erwähnten „Shadoks“ und natürlich „Der große Diktator“. Und damit es für die Chat-Channel-YouTube-SMS-Klingelton-gestressten Jung-Punkers nicht zu anstrengend wird, haben wir fünfmal mehr Filme als Bücher empfohlen.
Neulich erschien die Komplett-Diskografie deiner ersten Band HOSTAGES OF AYATOLLAH. Skizziere doch mal den musikalischen Weg von H.O.A. über HAPPY HOUR und TERROGRUPPE bis zum neuen BOTTROPS-Album? Der „rote Faden“ bist ja du.
Der rote Faden bei diesen drei Bands ist der, dass es keinen roten Faden gibt. Ich habe bei allen Bands Gitarre gespielt und viele der Stücke geschrieben, und schreibe sie immer noch. Aber es waren unterschiedliche Zeiten und Mitstreiter und ganz unterschiedliche Einflüsse. H.O.A. begann schon bald nach den dilettantischen frühen Anfängen mit dem Ausprobieren von Ami-Hardcore-Style – oder Skatepunk – mit deutschen Texten. Das hat super funktioniert und ich bin immer noch erstaunt, wie gut wir damals waren, wenn ich die alten Aufnahmen höre. Aber bald zerfranste alles, unterschiedliche Lebensentwürfe und Soundvorstellungen der Members, neben der Erkenntnis, dass dieser „Hardcore“ ja gar nicht mehr so richtig unser Ding war. Eine andere Generation hatte übernommen und setzte neue Standards und Regeln, mit denen wir nicht viel anfangen konnten. Stattdessen dann lieber postcore-alternative-jazzpunkig rumfrickeln, leider sehr zerfranst. Dann war ich mit Dave und Archi bei HAPPY HOUR, Kreuzberg Street-Rock’n’Roll mit englischen Texten. Es ging nach vorne, wir waren einigermaßen gut organisiert, wir bekamen Gigs und durften bei vielen super Bands als Support mitfahren. Wir bekamen sogar Geld vom Berliner Senat. Und unsere erste Platte wurde in Los Angeles von niemand geringerem als Brett Gurewitz persönlich aufgenommen und produziert ... Nur, das alles half nix, die Musik war nämlich zum größten Teil nur mäßig bis kacke. Viel zu wenig „Street“, viel zu viel Hardrock und Gitarrensoli. Trotzdem eine tolle und wichtige Zeit, bei der ich einiges gelernt habe über Touren, Technik, Aufnehmen, Buchen, Promoten und so weiter. Außerdem hatten HAPPY HOUR auch ein paar echte Hits, „3 blocks away“, „What you see is what you get“, „Colours of a lie“, „Body bag“ ... Dann Ausstieg, hab stattdessen ein kleines Bandprojekt mit Ant von PARANOISE und Jennek von S.O.S. gestartet, namens TO TEKNIK, da wurde aber leider nix draus. Und dann endgültig der Neuanfang, zurück in die Zukunft: Wieder die Haare kurz, BUZZCOCKS auf den Plattenteller und KFC oder HANS-A-PLAST on my mind, ein paar Textfragmente neben dem Bett: „Die Gesellschaft ist schuld ...“ , „Mein blöder Chef und seine Frau ...“ Im nächsten Winter wurde dann mit Hermann von Hinten und Archi –HAPPY HOUR war inzwischen aufgelöst – eine gewisse Band namens TERRORGRUPPE ins Leben gerufen. Der Rest ist bekannt. Und genau da, wo ich im Sommer 1992 gestanden habe, da stehe ich irgendwie heute immer noch: BUZZCOCKS und CLASH auf dem Plattenteller und KFC, ABWÄRTS, HANS-A-PLAST on my mind. Irgendwann hat man die Suche nach „Innovationen“ und „musikalischen Ausdrucksformen“ einfach satt. Vor allem, wenn man das riesengroße Glück hatte, die Beste aller Musiken mit den besten Bands und Liedern aller Zeiten schon als kleiner dummer Teenie 1980/81 „in Echtzeit“ mitzubekommen: im Radio und Fernsehen, im Neuheitenregal des Plattenladens und ein paarmal sogar richtig live.
„Roots, Rock, Rebels auch for you, Sponsoren sind Nestlé und O2“ – unter dieser Überschrift kotzt ihr euch im Booklet über Bands aus, die sich von Großkonzernen freihalten lassen. Nun, ich muss auch kotzen bei Jägermeister-Rockliga, Red Bull-Tourbussen und „Coca-Cola Soundwave“ – warum du?
Die Musik ist wirklich nur noch ein Anhängsel der Werbeindustrie. Ich denke manchmal schon, vergesst doch die „Musik als solche“ als Essenz von Style und Jugendkultur, als euer größtes Objekt der Begierde und persönlicher Sinngeber in wirren Zeiten. Nehmt euch doch mal einen völlig anderen Kulturzweig als Gegenstand für einen neuen coolen, rebellischen Kult. Gedichte und Romane. Oder Maler, Kinoregisseure ... aber vergesst „Die Musik“. Die ist doch sowieso nur noch der akustische Begleitteppich für Großkonzerne, Lifestyle-Werbung, Chatrooms, Webkontakte und Mobiltelefone. Vielleicht gibt’s ja an irgendwelchen verborgenen Plätzen schon die Keimzellen einer neuen wilden Jugendrevolte, so nach dem Motto „Club der Toten Dichter“, die versteckt in Kellern und leerstehenden Hallen rumhocken und sich gegenseitig subversive Gedichte vorlesen. Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber ich übertreibe natürlich jetzt. Musik war, ist, bleibt. Und jede Vereinnahmung durch den Feind löst ja auch sofort wieder eine Gegenbewegung aus. Die Kids sind nicht blöde. Sobald Kommerz, Werbung und Verarschung wirklich der alleinige Daseinszweck eines „Events“ sind, hat die ganze Aktion für die Kids nämlich überhaupt keine „Wertigkeit“ mehr. Welche dieser „Jägermeister-Bands“ hat es wirklich nach oben geschafft? Keine der „Coca Cola Soundwave“-Bands wird je über den Status einer „netten Umsonst-Musik“, die man mal nebenbei anhören kann, hinauskommen. So jedenfalls meine Prophezeiung. Wir sprechen dann im nächsten Jahr noch mal darüber.
Stattdessen habt ihr euch Geld vom „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“ zustecken lassen. Was ist das für ein Typ, und ist das nicht der „Staatspunkrott“, wenn Punks Geld vom bösen System nehmen ...?
„Schade um das schöne Geld, wenn’s in falsche Hände fällt!“ Der Spruch war ja schon in den 90ern ein wichtiger Punkt aus den Strategiepapieren der Kreuzberger Patriotischen Demokraten und ein Songtext der TERRORGRUPPE – die übrigens im Januar 1994 mal einen Toursupport vom Berliner Senat geschenkt bekommen hat. Die Initiative Musik subventioniert alle drei Monate zwölf Indie-Bands und Musikprojekte, die sich für eine Förderung beworben haben. Kulturförderung hat ja gegenüber dem Konzern-Sponsoring die beiden tollen Vorteile, dass sie erstens nicht nach Ausverkauf und Billi-Massenprodukt riecht und zweitens sogar noch ein bisschen „adelt“. Nach dem Motto „Seht her, diese Punkband wird fast genauso gefördert wie ein Museum oder ein Theaterstück!“ Es ist ja nun mal leider so, dass Theater, Galerien, Filmemacher, Maler, Orchester, Schriftsteller und Dichter mit Förderungen und Preisen zum Teil ganz erheblich von den Fleischtöpfen der öffentliche Kulturförderung alimentiert werden, während die dummen stinkenden Rockmusiker meistens hungern müssen. Deswegen versuchen dann auch so viele Musiker am Ende ihrer „Karriere“ irgendwie noch schnell in die rettenden Sphären der Hochkultur rüberzuhüpfen. Letztes Jahr gab es dann zum ersten Mal einen kleinen – relativ bescheidenen – Etat zur Förderung von „Rock & Pop“ von der Initiative Musik, einer gemeinnützige GmbH, ausgestattet mit Geldern der Bundesregierung. Ich habe mich natürlich sofort für die Kohlen interessiert. Die THE BOTTROPS waren im Sommer 2008 ziemlich pleite und konnten die anstehenden Plattenaufnahmen gar nicht bezahlen. Leider war das Prozedere zur Erlangung der Förderung etwas umständlich. Ich hatte dann eigentlich schon bald aufgegeben, die Antragsformulare auszufüllen. Am Abend vor Anmeldeschluss der Förderung, viel mir dieser alte KPD/RZ-Spruch wieder ein: „Schade um das schöne Geld, wenn’s in falsche Hände fällt.“ Ich hab dann, schwer angetrunken im Eiltempo doch noch die ganzen Papiere ausgefüllt. Die THE BOTTROPS waren dann tatsächlich eine von zwölf Bands und Projektchen, die als Erste so eine Förderung erhalten haben. Von den bisher geförderten 99 Bands sind nur etwa zehn Stück Punk, Emo-artig oder wirklich cooler Trash/Garagebeat. Somit ist das ganze „schöne Geld“ zu ungefähr neunzig Prozent doch mal wieder in die falschen Hände gefallen.
Was macht ihr eigentlich immer mit euren Schlagzeugern? Der SPINAL TAP-Effekt oder was?
Manchmal denke ich, Drummer sind keine Musiker. Mehr so grobe Tiere, die ständig irgendwo drauf klopfen, klappern, stampfen und dabei tagträumen. Oder vielleicht Wesen aus einer anderen Welt. Irgendwo dazwischen. Hauptsache, mit der Band zusammen backstage rumhängen. So sind sie. Wir sind super glücklich, dass wir jetzt mit Herrn Robo Borowski jemanden gefunden haben, der einen geilen eigenen Style spielt und der uns wieder ein Stückchen weiter bringt. Die letzten Konzerte liefen alle großartig. Live sind wir jetzt wirklich eine eingespielte, tight rollende Granate geworden. Ich will ja nicht zu sehr auf die Werbedrüsen drücken, aber wir sind auf den Konzerten ganz schön mächtig und druckvoll.
Sonst noch was?
Kommt auf die Konzerte! Lest gute Bücher! Schmeißt euren Fernseher aus dem Fenster! Räumt mal wieder die Küche auf!
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