Wer sich ab und an nach einer vollen Ladung Punk’n’Roll-Klischees sehnt, der hört BORN TO LOSE. Mit charmanten Steinzeit-Riffs, endlosen „Woahuwoa“-Refrains, Totenköpfen und Knarren auf den Plattencovern, sowie mittlerweile sieben Touren durch Europa hat sich die Band aus Austin, Texas seit 2000 eine breite Fanbasis in der Alten Welt erspielt. Ihre jüngste Platte erschien 2010 bei I Hate People und heißt „The Dreams Of Kids“. Viel mehr dazu sagen können selbst Sänger Chris Klinck und Bassist Chris Hausen nicht, mangels berichtenswerter Neuigkeiten. Dafür reden sie lieber über das Musik-Mekka Austin, linke Cowboys und die Tea-Party-Bewegung in den USA.
Warum macht ihr seit elf Jahren immer dieselbe Musik?
Chris Klinck: Es ist doch meistens so, dass man von seinen Lieblingsbands nur enttäuscht wird, wenn sie sich zu sehr verändern. Manche sind selbst gelangweilt von dem, was sie tun, oder wollen einfach nur etwas Neues ausprobieren. Ich habe es aber immer bevorzugt, wenn sich Musik auf organische Weise weiterentwickelt. Es ist wahrscheinlich eine Art Trost, wenn man weiß, wie eine Band zu klingen hat, und diesen Sound auch bekommt. Andererseits stecken wir natürlich in einem Dilemma: Wenn wir unseren Stil zu sehr ändern, sagen viele Fans: „Das ist nicht mehr die Band, die ich immer gemocht habe.“ Aber immer wieder die gleiche Platte aufnehmen, möchte man schließlich auch nicht.
Worin unterscheidet sich dann euer neuestes Album „The Dreams Of Kids“ von euren früheren Veröffentlichungen?
Chris K.: Als wir 2008 „Saints Gone Wrong“ aufnahmen, dachten wir, es sei unsere letzte Platte. Damals hatten unser Gitarrist und unser Schlagzeuger die Band verlassen, einige von uns haben entweder ihren Job oder ihre Freundin verloren und das hat sich auch stark in der Musik niederschlagen. Das ist ja nun alles vorbei, und ganz so traurig oder melancholisch klingt auch „The Dreams Of Kids“ nicht mehr. Die Stimmung lässt sich eher mit den Worten „Let’s move forward“ beschreiben, und ich finde, das kann man hören.
Chris Hausen: Ich sehe definitiv eine Entwicklung, obwohl die Veränderungen eher subtil sind. Aber wir wollen nichts erzwingen. Es bringt nichts, die Songs künstlich zu verlängern oder komplizierte Gitarrensoli zu spielen, nur um „anders“ zu klingen.
An kreativem Input dürfte es euch zu Hause in Austin zumindest nicht mangeln. Die Stadt ist bekannt für ihre sehr lebendige Musikszene, die Bands wie ...AND YOU WILL KNOW US BY THE TRAIL OF DEAD, EXPLOSIONS IN THE SKY oder OKKERVIL RIVER hervorgebracht hat. Warum wurde ausgerechnet Austin zu Texas’ alternativem Mekka und nicht Dallas oder Houston?
Chris K.: Austin hatte zwar durch Bands wie BIG BOYS oder MDC immer eine große Punkrock-Szene. Generell ist die Stadt aber ein Paradies für Musiker aller Genres. Die meisten von uns kommen aus dem ländlichen Texas. Wenn man an einem Ort leben möchte, der einigermaßen links ist und an dem es auch viel Musik gibt, dann muss man entweder den Bundesstaat verlassen oder nach Austin gehen.
Chris H.: Dallas und Houston leben von der Industrie und dem Geschäft mit dem Öl. Wer das große Geld machen will, geht dort schon seit Jahrzehnten hin. Austin hingegen hatte nichts davon und entwickelte sich in den Sechzigern zu einer Art Hippie-Stadt. Janis Joplin kommt von hier und Willie Nelson hat sich als erster Country-Musiker mit langen Haaren und kiffend auf die Bühne gestellt, um zugleich vor den alten Cowboys und vor seinen Hippie-Freunden zu spielen. Wenn es in einer Gegend keinen anderen Ort gibt, wo so etwas möglich ist, dann zieht das natürlich viele Künstler und Alternative an. Mittlerweile hat das sogar die Stadtverwaltung erkannt und versucht, diese Leute um jeden Preis in Austin zu halten, weil sie fast schon charakteristisch für die Stadt geworden sind. Zum Beispiel gibt es für Musiker und Künstler eine kostenlose Krankenversicherung. Deren Leistungen sind nicht besonders großartig, aber mir fällt keine andere amerikanische Stadt ein, die einem so etwas bietet.
Nervt es, wenn ihr sofort mit patriotischen Waffennarren in Verbindung gebracht werdet, sobald ihr erwähnt, dass ihr aus Texas kommt?
Chris K.: Noch vor vier Jahren war es auf Tour zeitweise etwas unangenehm, da wir andauernd auf George W. Bush angesprochen wurden und manche Leute überrascht schienen, dass wir nicht mit Cowboyhüten herumlaufen. Aber wir kennen natürlich auch Cowboys. Die kommen sogar zu unseren Konzerten, haha.
Chris H.: Oft sieht man diese Jungs schon von weitem und befürchtet das Schlimmste. Aber wenn man sie näher kennen lernt, ist man oft überrascht, wie cool sie zum Teil sind. Es gibt sozusagen ein paar linke Cowboys, die neben ihrem Country-Kram auch viel gute Musik hören. Da steht dann Garth Brooks in der Plattensammlung direkt neben BLACK FLAG.
Chris K.: Wenn Leute in Europa mit uns über Texas reden wollen, vergessen leider viele, dass dieser Staat alleine schon größer ist als Deutschland etwa. Jede Stadt und jede Region hat dort ihre Eigenheiten und von daher ist es schwer, ein pauschales Urteil zu fällen. Beispielsweise ist der Anteil der Hispanics in der Bevölkerung in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, so dass es nun einen noch größeren kulturellen Austausch gibt als zuvor, und das ist auch gut so. Und bei aller Borniertheit, der man im Süden der USA oft begegnet: Die Menschen dort sind trotz allem oft unfassbar gastfreundlich und höflich, das muss ihnen einfach lassen.
Borniertheit und Rechtspopulismus gibt es auch in Europa. In jüngster Zeit haben Islam- und migrantenfeindliche Parteien in vielen Ländern an Popularität gewonnen. Ist die amerikanische Rechte und die Tea-Party-Bewegung trotzdem so viel schlimmer?
Chris K.: Ich fürchte, ja. Selbst die Deppen, denen wir hier in Europa begegnet sind, waren nicht einmal ansatzweise so ignorant und weltfremd wie die Konservativen bei uns zu Hause, die oft noch nie ins Ausland gereist sind, teilweise nicht einmal ihren eigenen Bundesstaat verlassen haben. Was mich selbst immer wieder erstaunt: In bestimmten Regionen der USA sind es vor allem relativ arme Leute aus der unteren Mittelschicht, die die Tea Party bejubeln und die Republikaner wählen, also Menschen, die von deren Sozialstaatsabbau am allerwenigsten profitieren würden.
Es gibt Studien, die festgestellt haben, dass ein großer Teil der Tea-Party-Unterstützer selbst mindestens eine Person in ihrem Haushalt haben, die sozialstaatliche Leistungen erhält.
Chris K.: Ja, und die glauben tatsächlich, dass sich die Arbeitslosigkeit verringert, wenn die Reichen und Industriellen weniger Steuern bezahlen müssen und damit neue Jobs schaffen. Das hat noch nie funktioniert. Das größte Problem in Amerika ist aber immer noch, dass die Religion einen zu großen Einfluss auf die Politik hat. Wir haben zu viele Politiker, die für ihre Wähler beten, und alle, die nicht ihrer Meinung sind, als gottlose und säkulare Linke beschimpfen.
Das muss man nicht einmal als Beleidigung auffassen.
Chris H.: Auf Dauer macht es einen aber wütend, wenn die Leute, die ihre Religion am lautesten hinausposaunen, oft diejenigen sind, die sich am wenigsten an die eigenen Prinzipien halten. Ich halte nichts von organisierter Religion. Ich habe keine Ahnung, warum wir Menschen hier sind und was das alles zu bedeuten hat. Ich meine aber zumindest zu wissen, dass wir uns im täglichen Umgang miteinander nicht wie Arschlöcher verhalten sollten. Und meistens gelingt mir das auch, hoffe ich.
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