BONSAI KITTEN aus Berlin haben sich über die letzten 15 Jahre schwer verändert, aus einer im Psychobilly-Punk gestarteten Formation ist heute eine Rockband geworden. Mit einer Kommandantin, die klare Vorstellungen von ihren Zielen hat – und gute Ideen, wie der 2022 veröffentlichte Ukraine-Benefiz-Sampler beweist. Mit „Let It Burn“ kommt nun ein neues Album, und meine Fragen dazu beantwortete (natürlich) Tiger Lilly Marleen.
Marleen, kannst du uns die Entwicklung deiner Band mal aufdröseln?
Ich habe in den 2000er Jahren meine Band gegründet, weil ich zufällig beim Karaoke entdeckte, dass ich singen kann. Damit hatte ich einen Weg gefunden, meine Lyrics, die ich schon vorher schrieb, in Songs auszudrücken und mich mitzuteilen. Und mit der Band wollte ich eine Gang haben. Eine Gruppe von Freunden, die zusammen unter dem Motto „Wir gegen den Rest der Welt“ etwas Kreatives macht und in der ich mich mit meinen eigenen Songideen und Texten einbringen und ausleben kann. Mit Psychobilly habe ich eigentlich nur angefangen, weil ich den Kontrabass als Instrument so schön fand und so einen in meiner Band haben wollte. Und da ich im Punkrock und Hardcore sozialisiert worden bin, wurde aus meinen selbst geschriebenen Songs eine Art Punk-A-Billy, den wir dann Killbilly genannt haben. Der Sound unserer ersten Platten „Done With Hell“ und „Occupy Yourself“ war dann aber rockiger, als es die Psychobilly-Community je akzeptiert hätte, also haben wir in diese Schublade auch nie ganz reingepasst. Der Kontrabass-Sound hat dann auch nicht mehr zu der weiteren Entwicklung und unseren neuen Songs gepasst, so dass wir ihn 2014 gegen einen E-Bass ausgetauscht haben. Das erste Ergebnis hört man auf dem Album „Mindcraft“ von 2016. Dieser Move hat uns aber nicht nur musikalisch, sondern auch optisch befreit, weil man mit dem Kontrabass doch sehr auf die Psychobilly-Szene festgelegt wird. Ich selbst mag ja harte und schnelle Musik, so dass mir unser eher zufälliger Wechsel 2017 zu einem Metal-Schlagzeuger dann tatsächlich die Augen und Ohren geöffnet hat, was musikalisch noch so geht. Und als Gitarrist Wally, den ich um drei Uhr nachts im Wild at Heart kennengelernt habe, dann 2018 in die Band einstieg, hat er seinen Signature-Sound aus Blues- und Rock-Elementen ins Songwriting und in die Produktion eingebracht. Und diese Mischung aus Blues und Metal, live-aufgenommen und mit einer komplett neuen Art zu produzieren, hat einen eklatanten musikalischen Neuanfang für die Band bedeutet. Dieser Sound hat sich bereits auf dem Album „Love And Let Die“ von 2020 offenbart und da setzen wir jetzt mit „Let It Burn“ noch einen drauf.
Apropos „wir“: Wer sind BONSAI KITTEN anno 2024? Über die letzten Jahre hattest du ja immer wieder wechselnde Mitmusiker.
Seit fünf Jahren besteht die Band aus den aktuellen Mitgliedern Wally an der Gitarre, Marc Reign am Schlagzeug und Spoxx am Bass, der auch schon seit 2014 dabei ist. Und in dieser Formation haben wir 2020 unser Album „Love And Let Die“ herausgebracht. Und was für ein Album das geworden ist. Darauf bin ich wirklich sehr stolz. Und auf das kommende Album „Let It Burn“, das in derselben Formation entstanden ist, erst recht. In den letzten zwölf Jahren fand aber tatsächlich sozusagen bei jedem unserer vier vorherigen Alben ein Wechsel bei den Bandmitgliedern statt, weil sich musikalische Vorlieben oder die Prioritäten geändert haben. Ich hatte meinen Fokus immer auf der Band und für mich steht die musikalische Entwicklung über allem. Da kann eben nicht jeder mithalten und so muss ich da auch mal Konsequenzen ziehen. Und nichts ist langweiliger als Stillstand. Ich hätte auch jedesmal eine neue Band gründen können, aber so haben BONSAI KITTEN eine authentisch gewachsene musikalische Geschichte.
Ich habe „Mitmusiker“ bewusst nicht gegendert: Warum sind BONSAI KITTEN eine abgesehen von dir aus männlich gelesenen Personen bestehende Band?
Als ich die Band gegründet habe, wollte ich explizit die einzige Frau in der Band sein. Ich wollte nur mit Männern spielen und keine anderen Frauen in der Band haben. Und es war damals schwer, überhaupt irgendwelche Leute zu finden, die relativ seriöses Interesse an einer Band hatten und allem, was damit einher geht. Frauen, die diese Art von Musik spielten, wie ich sie machen wollte, hatte ich auch nicht in meinem Umfeld. Die Musiker kamen dann meistens über Empfehlung oder öffentliche Aufrufe in die Band. Das waren dann auch alles nur noch Männer. Heute sehe ich das ganz anders und werde eine zukünftige andere Band eher mit FLINTA besetzen wollen.
Euer letztes Album „Love And Let Die“ habt ihr 2020 in die aufziehende Corona-Pandemie hinein veröffentlicht.
Ja, das war natürlich sehr schade mit dem Timing. Wir haben das Album tatsächlich am Tag des Lockdown-Beginns, also am Freitag, den 13. März herausgebracht und noch eine letzte Show im Hafenklang in Hamburg gespielt. In der Pandemie haben wir zu diesem Album dann noch fünf Videos veröffentlicht und doch auch noch einige Konzerte gespielt. Aber wir haben uns auch recht schnell wieder im Proberaum im Kreuzberger Rauchhaus getroffen und die ersten Demos für „Let It Burn“ aufgenommen. Das ist echt gut angelaufen, aber ich brauchte dann doch noch sehr lange für die Lyrics, weil wir ja gerade erst ein Album veröffentlicht hatten, in dem ich mir alles von der Seele geschrieben habe. Außerdem kam dann auch die Organisation der Soli-Compilation „Love, Peace & Harmonies“ dazwischen, die mich 2022 komplett eingenommen hat.
Der Infotext beschreibt die Veränderung, für die das neue Album „Let It Burn“ steht, mit diesen Worten: „Wollen sie jetzt alles niederbrennen? Nicht alles, aber sicherlich die Brücken zu allem, was man meint, über diese Band aus früheren Veröffentlichungen zu kennen.“ Warum?
Ich finde es erstaunlich, wie oft BONSAI KITTEN immer noch als Psychobilly- oder schlimmer noch Rockabilly-Band bezeichnet werden. Wir haben uns inzwischen so weit davon wegbewegt wie Pluto von der Erde. Und so wie Pluto deshalb auch kein Planet mehr ist, sind BONSAI KITTEN garantiert auch keine Psychobilly-Band. Ich kann, mit zu vielen nervigen Erinnerungen an die Zeit, auch keinen Kontrabass mehr sehen. Das Genre ist überwiegend machohaft und engstirnig. Meine Musik und ich haben damit nichts zu tun. Ich mag es ja eher, verschiedene Richtungen und auch verschiedene Menschen zusammenzubringen und möchte selber in gar keine Kategorien passen. Aber die Menschen brauchen Kategorien, und es ist schwieriger, diese in den Köpfen wieder aufzubrechen als das tollste Album zu machen.
Spiegelt sich das alles auch in einem im Vergleich zu früher anderen Publikum wider?
Ja, auf jeden Fall. Unser Publikum ist bunt gemischt und keine Spur aggressiv. Darüber bin ich unendlich froh. Ich habe das Gefühl, dass es eher Menschen sind, die die Musik an sich schätzen und nicht zu einem Konzert gehen, um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu demonstrieren.
Andererseits – siehe „Millennial Punk“ – bist du ideell der Punk-Szene immer noch sehr verbunden. Ein Spagat?
Ich bin im Punk sozialisiert und in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen. Das ist kein Spagat, denn den „Punk“ kriegt man aus mir nicht mehr raus. Aber ich finde, „Punk“ ist auch eher als eine innere Haltung zu sehen, die aussagt, dass man Dinge anders angeht und anders macht, als sie vorher immer gemacht wurden. Dass man sein eigenes kreatives Ding macht. Und hier kommt man dann auch mal wieder an die Grenzen des Punk, denn der hat bei all der vermeintlichen Toleranz auch strikte Regeln. Ich finde zum Beispiel, dass Punk immer eher „dagegen“ war und ist, und ich für mich habe beschlossen, mehr zu kommunizieren, wofür ich stehe. Ich lebe mein Leben nicht im Widerstand. Denn wenn wir mehr sagen, wofür wir stehen, schließt das ja alles mit ein, wogegen wir sind. Ich finde das positiver und mehr nach vorne gewandt.
Du hast 2022 hinter der „Love, Peace & Harmonies“-Compilation zugunsten der Ukraine für Mission Lifeline gesteckt. Was ist zwei Jahre später von der Aufmerksamkeit für das Thema geblieben?
Das Interesse an der Compilation zur Ukraine-Hilfe nahm tatsächlich relativ bald ab. Einfach weil gefühlt gleich schon wieder die nächste Krise medial im Fokus stand. Menschen gewöhnen sich ja sehr schnell an Krisen als Normalzustand oder es überfordert auch viele Leute und sie fühlen sich vielleicht ohnmächtig. Das kann ich auch alles sehr gut nachvollziehen. Wir haben bei unserer 2023 erschienenen 7“ mit dem BLACK SABBATH-Cover „War pigs“, das wir zusammen mit Jesper Binzer von D-A-D als Duett aufgenommen haben und „Rockin’ in the free world“ von Neil Young auf der B-Seite hat, alle Erlöse unserer Auflage wieder an Mission Lifeline gespendet. Ich finde das wichtig, da auch weiterhin dranzubleiben, weil Mission Lifeline auf allen Ebenen sehr gute und wichtige Arbeit leisten, die wir heutzutage dringend brauchen.
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