BOCKWURSCHTBUDE

Foto© by Radau Franzi

Brutalismus, Bier und Gartenarbeit

Gut zehn Jahre nach ihrem letzten Album hat die DIE BOCKWURSCHTBUDE mit „Sippenhaft“ eine Platte vorgelegt, die definitiv in meine Top Ten des Jahres 2022 gehört. Wütender Punk aus Frankfurt/Oder, abwechslungsreich und ohne große Parolen – vom Fun-Punk der Anfangszeit Mitte der Neunziger Jahre ist nicht viel geblieben. Ob das auch an den Besetzungswechseln liegt – erst 2021 stieß Andie von FLIEHENDE STÜRME und CHAOS Z zur Band –, oder ob es ein Patentrezept, wie einer der neuen Songs heißt, gegen Wut gibt, darüber sprachen wir mit Mieschka Mayonaise (dr), Mikro Mostrich (vox, gt), Riggø Rübe (gt) und Andie Agave (bs).

Euer Album heißt „Sippenhaft“ und das Coverfoto zeigt einen Betonbau. Warum habt ihr das Motiv gewählt?
Mieschka: Das ist ein Gebäude in Berlin-Steglitz und beherbergte einmal die Forschungseinrichtung für experimentelle Medizin der Charité, ehemals Zentrale Tierlaboratorien der Freien Universität. Also kurz gesagt eine Tierversuchsanstalt, umgangssprachlich auch Mäusebunker genannt. Wir hatten es schon länger als Coverfoto im Kopf, sogar noch bevor wir überhaupt die Aufnahmen abgeschlossen hatten. Wenn man sich das Gebäude vor Ort anschaut, sieht das ein bisschen aus wie ein gelandetes UFO. Es wirkt so herrlich deplatziert, und ich selbst stehe auch ein bisschen auf diesen Brutalismus-Stil. Wenn man also die Historie und das Gebäude an sich unseren Aufnahmen und Inhalten gegenüberstellt, finden wir, waren die Wahl des Cover und des Albumtitels absolut passend.

Es hat bei euch in den letzten Jahren zwei Umbesetzungen gegeben. Wie ist es dazu gekommen?
Mieschka: Na, eigentlich war es nur eine wirkliche Umbesetzung. Riggø Rübe ist schon seit 2015 quasi zusätzlich mit hinzugekommen. Einen richtigen Wechsel gab es jetzt nur am Bass. Das hat verschiedene Gründe und wie so oft im Leben ergibt sich so etwas aus Zufall. Sowohl Ab- als auch Zugänge. Aber ich glaube für alle sprechen zu können, dass wir mit der jetzigen Konstellation sehr zufrieden sind.
Riggø: Ich bin 2015 an der zweiten Gitarre dazugekommen. Das ergab sich einfach aus der Situation heraus, dass es auf den älteren Platten mehrere Gitarren gab und die Sachen dadurch endlich auch live so gespielt werden konnten. Vielleicht war auch etwas Sympathie im Spiel, haha. Andie haben wir 2021 auf einer Party kennen gelernt. Er hatte sofort Bock, nachdem er das neue Material gehört hatte, und menschlich passte es auch gleich.

Ihr seid insgesamt doch düsterer geworden, musikalisch als auch textlich. Liegt das auch an Andie, der ja auch bei CHAOS Z und FLIEHENDE STÜRME spielt?
Andie: Die Songs waren schon fertig, als ich dazugekommen bin.
Riggø: Andie ist erst bei den Gesangsaufnahmen dazugekommen.
Mieschka: Ja, sein Anblick ist wirklich sehr deprimierend. Das wirkt sich eben auch auf unsere Songs aus, haha. Nein, Quatsch. Findest du das alles wirklich so düster? Ich würde eher sagen: angepisst.

In „Scherbenhaufen“ geht es um die Umweltzerstörung und den damit verbundenen Untergang unserer „Zivilisation“? Was bleibt da noch zu tun?
Riggø: Umweltzerstörung spielt sicher auch eine Rolle in dem Song, aber er beschreibt schon etwas größer den Zerfall der Gesellschaft und den gleichgültigen Umgang damit.
Mieschka: Ich bin eher pessimistisch, was das betrifft, und habe da auch keine Lösung. Aber Riggø, der ja für einen Großteil der Texte auf der Platte zuständig ist, will sich, so versichert er es mir immer wieder, nicht damit abfinden, dass alles den Bach runtergeht. Dadurch kann man doch schon etwas Mut schöpfen. Ansonsten sollte vielleicht jeder eine Nummer kleiner denken und zuerst bei sich selbst anfangen. Dann kann es im Großen vielleicht auch noch klappen.

„Dreck“ behandelt zwischenmenschliche Beziehungen der absolut negativen Art. Was war der Grund, den Song zu schreiben?
Mieschka: Wie auch sonst versuchen wir uns das gar nicht so zu erklären. Soweit ich mich erinnern kann, gab es zu dem Song zwar tatsächlich ein bestimmtes Ereignis, aber da kann und soll schon jeder selbst für sich etwas rausziehen. Es gibt so viele toxische Beziehungen, das kann nicht nur der Partner oder die Partnerin, sondern auch die Lohnarbeit oder der Fußballverein sein, den man unterstützt. Bei Letztgenanntem wissen Andie und ich sogar ein ganz eigenes Lied zu singen.
Riggø: Der Song basiert auf einem persönlichen Ereignis, auf das ich aber nicht näher eingehen möchte. Er beschreibt in Ansätzen, wie abgrundtief hässlich Menschen zueinander sein können.

„Dieser Weg“ und „Alltag“ thematisieren treffend die Gesellschaft, die ignorant, egobezogen, selbstoptimiert und mit Scheuklappen dem Gewinn hinterherläuft. Wie entzieht ihr euch diesem Karussell?
Riggø: Jeden Tag zwei Bier und Gartenarbeit.
Mieschka: Wie schon erwähnt, glaube ich, muss man da gar nicht so hoch ansetzen. Es könnte ja schon ein Anfang sein, nicht mehr bei Amazon und Co. zu bestellen, auch wenn man gerade richtig Bock auf etwas hat und es schon am Folgetag geliefert werden kann. Auch teilweise oder ganz auf Fleisch und Wurst zu verzichten. Ich hatte da mal meine Zweifel, aber es geht wirklich. Oder seinen Aktivismus nicht auf die Social Media-Kommentarspalten beschränken. Diese Liste könnte man fast endlos fortsetzen. Man muss ja nicht gleich mit allem brechen. Es reicht ja schon, sich ab und zu selbst zu hinterfragen und gegebenenfalls auch neu zu positionieren. Und generell vielleicht ein bisschen mehr Empathie zu entwickeln. Das würde uns allen guttun.

Mit „Scheißsong“ geht ihr wieder zurück in eure Anfangszeiten. Warum habt ihr den Track auf die LP genommen?
Riggø: Als Mirko mit dem Text um die Ecke kam, war ich schon begeistert. Wir sind ja jetzt keine bierernsten Menschen. Der Song ist irgendwie ein guter Gegenpol zu den anderen Sachen, also warum nicht?
Mieschka: Und sooo viel Auswahl hatten wir ja nicht. Wir haben wirklich alles auf die Platte genommen, was wir hatten. Die gesamte Ausbeute aus fast zehn Jahren, haha. Aber ein kleines bisschen Augenzwinkern muss ja auch dabei sein und den Spaß sollte man sowieso nicht vergessen bei all dem Mist. Und wie war das noch, wenn eine Revolution nicht tanzbar ist ...?

In „MørDog“ fragt ihr: „Wohin mit meiner Wut?“. Habt ihr dafür auch ein „Patentrezept“?
Mieschka: Nee, nicht wirklich. Wir versuchen es jeden Montag bei der Bandprobe herauszufinden.

Bei Songs wie „Kollateralschaden“, „Einbahnstraße“ oder „Strandgut“, eurer Entwicklung hin zu ernsten Themen, ist da der Bandname noch Programm?
Riggø: Unbedingt. Witzigerweise haben wir das im Rahmen der Veröffentlichung ab und zu als Thema gehabt. Und erwiesenermaßen kann ja auf der Karte eines simplen Straßenbistros durchaus ein Sternemenü zu finden sein, haha.
Mieschka: Aber auf jeden Fall. Und was bringt es uns, den Namen jetzt nach fast dreißig Jahren noch zu ändern? Selbst wenn wir es täten, würde es doch immer nur heißen – das sind doch die ehemaligen BOCKWURSCHTBUDE. Das Einzige, was noch annehmbar wäre, ist, das W durch ein V zu ersetzen. Mindestens zur Hälfte sind wir ja bereits vegetarisch beziehungsweise vegan lebend.
Andie: Der Name ist und war Punk. Ich habe selbst ein paar Wochen gebraucht, um das zu kapieren.
Mikro: Ich schließe mich meinen Vorrednern an.