Nachdem sich BLUMFELD 2007 aufgelöst hatten, überraschten sie in diesem Jahr mit einem neuen Lebenszeichen: Die Band geht in der Urbesetzung auf eine „exklusive Jubiläumstournee“. Der Anlass sei, dass sich das Erscheinen der zweiten und vielgelobten BLUMFELD-LP „L’Etat Et Moi“ zum zwanzigsten Mal jährt. Dieses Jubiläum wirkt ein wenig wie ein vorgeschobener Promo-Grund für eine Reunion. Egal. Für viele ist das BLUMFELD-Frühwerk aus der ersten Hälfte der Neunziger Jahre sehr bedeutend – für mich ebenfalls. Ich sprach mit Jochen, Eike und André unmittelbar vor dem ersten Konzert der Tour in Köln über ihre Erwartungen, das Bandgefüge und über ihr Selbstverständnis als Künstler.
Wie kam es dazu, dass wir euch heute wieder im alten Line-up sehen können?
Jochen: Ohne dass uns das selber aufgefallen wäre, feiert das Album „L’Etat Et Moi“ sein zwanzigjähriges Veröffentlichungsjubiläum und ich bin auf der Straße angehauen worden, ob da was geplant sei. Das hat mich sehr überrascht, ich wusste das selber auch nicht. Aber ein paar Wochen später nahm dann die Vorstellung, zusammen mit Eike und André auf Tour zu gehen und Musik zu machen, für mich Gestalt an. Das war eine tolle Vorstellung und ich hatte große Lust dazu. Dann habe ich beide angerufen. Wir haben uns also zusammengesetzt, ein bisschen geschnackt und dann beschlossen, dass wir das machen.
Eike: Ich habe mich sehr gefreut, als Jochen mich angerufen hat. Bei mir passte das auch gerade ganz gut rein, weil ich an einem neuen Forschungsantrag arbeite, also auch gerade Zeit habe. Ich war auf das Treffen sehr gespannt: Geht das gut miteinander, stimmt die Chemie noch? Schon vor der ersten Probe haben wir beschlossen, wir machen das jetzt einfach, weil wir da Bock drauf haben.
Eine Reunion birgt ja auch Gefahren und bei euch gibt’s ja auch eine gewisse Fallhöhe. Ihr werdet ja oft als so enorm wichtige Band bezeichnet. Habt ihr nicht ein bisschen Bammel davor?
Jochen: Nö. Das ist ja keine Reunion. Wir nehmen lediglich das Jubiläum zum Anlass, um gemeinsam Musik zu machen und dann zu schauen, was passiert. Es war von uns von Anfang an gedacht, dass wir step by step mal gucken wollen, wie sich die einzelnen Stationen so anfühlen.
Eike: Ich habe mich auch gefragt, ob man eventuell auch Gefahr läuft das, was man früher gemacht hat, zu so einer Art Nostalgieveranstaltung abzuwerten, ob es nicht konsequenter wäre, das für sich so stehen zu lassen. Ich hatte aber, als wir uns wieder getroffen haben, von der Chemie untereinander her das Gefühl, dass es gut ist, das zu machen, und die Proben haben es auch vollkommen bestätigt. Die Songs sind sowohl auf Platte und auch so, wie wir sie heute spielen, absolut zeitgemäß, finde ich.
Jochen: Man sollte sich auch nicht vom eigenen Mythos abhängig machen. Wir haben diese ersten beiden Platten gemeinsam aufgenommen, die Songs oft live gespielt – danach hat es andere Besetzungen gegeben, andere Platten. Wir sind jetzt einfach drei Typen, die Bock haben, gemeinsam zu spielen und auf Tour zu gehen. Das ist doch, was am Ende zählt. Alles, was in der Rezeption die Band und die Alben so mythisch umrankt, entzieht sich ja sowieso unserer Kontrolle.
Aber schlussendlich weiß man vorher natürlich nicht, wie es läuft. Seid ihr da nicht doch etwas nervös?
Jochen: Nein, nicht wirklich. Ich finde, es kann nicht viel passieren. Bei den Proben hatte ich so das Gefühl: Okay – so was macht keiner, so was kann sonst auch keiner spielen. Das ist das Angebot, das wir jetzt machen können. Was soll passieren?
... zum Beispiel, dass Leute wie ich die Bilder von früher im Kopf haben und sagen: „Das war früher doch alles viel geiler.“
André: Das können sie ja gerne machen, kennt man ja vielleicht auch von sich selbst. Es ist jetzt aber auch nicht „früher“, von daher hinkt der Vergleich. Wir haben jetzt 2014, wir sind in der Urbesetzung wieder zusammen, haben Spaß daran und wenn wir das vermitteln können, werden wir auch einen schönen Abend haben.
Eike: Natürlich gibt es eine Restunsicherheit, ob das Publikum die Sachen so gut findet, wie wir es im Moment tun und ob sich der Spaß, den wir dabei haben, auch überträgt. Aber große Sorgen habe ich da nicht – ein bisschen Risiko hat man ja immer. Ich würde wie Jochen sagen, dass das energetisch gut bei uns funktioniert. Vielleicht verschiebt sich das auch etwas. Ich kann mir vorstellen, dass wir die Stücke früher etwas ungestümer gespielt haben. Heute ist es vielleicht etwas kontrollierter in dem Sinne, dass man genau weiß, was man da macht.
Jochen: BLUMFELD sind ja auch nicht nur diese ersten beiden Platten, sondern durchliefen verschiedene Stadien von Spielarten, Musiken und Konstellationen. Und wir stellen einen Ausschnitt von dem, was uns besonders wichtig ist, noch einmal vor. Aber damit erschöpft sich für mich nicht, was die Band vielleicht für andere Leute ist.
Ist jetzt außer der Tour noch etwas geplant? Könnte es sein, dass ihr noch mal eine Platte macht?
Jochen: Wir machen die Tour und dann schauen wir. Wir schließen nichts aus, grenzen aber auch nichts von vornherein ein, dafür sind wir alle ja auch noch mit anderen Sachen beschäftigt. Ich veröffentliche im nächsten Jahr einen Roman, den ich in den letzten beiden Jahren geschrieben habe. Sicher werde ich noch mal eine Soloplatte machen, mal schauen, wie sich das weiterentwickelt.
Ich habe BLUMFELD bis zum Weggang von Eike 1996 immer als Einheit gesehen, also nicht als Begleitband von Jochen, sondern als Band. War der Ausstieg von Eike ein Bruch für die Band?
Jochen: Ein Bruch nicht, aber es war sicher ein einschneidender Moment. Uns ging es aber auch im Anschluss immer darum, dass wir in allen Konstellationen die Band in einer vergleichbaren Verbindlichkeit und Intensität betrieben haben – auch sozial, als Bandkörper sozusagen. Das haben wir gestaltet und weiterentwickelt. Das war neben der musikalischen und textlichen Arbeit ein großer Bestandteil dessen, was wir gemacht haben. Wir wollten immer ein Bandgefühl haben und für mich hatten wir das in allen Konstellationen.
Für mich machte es von außen betrachtet den Eindruck, dass immer mehr auf dich fokussiert wurde, und das geht ja weg von der Idee einer Band, oder?
Jochen: Das war aber das Problem von Anfang an, dass es möglicherweise aufgrund meiner Texte immer eine große Konzentration auf mich gab. Das war für mich in allen Konstellationen ein Problem, da ich mich selber eigentlich als Teil der Band gesehen habe.
Eike: Ich könnte mir vorstellen, dass das zwei Seiten hat. Du hast das Image in den Medien angesprochen. Wir sind ja oft als Textband gehandelt worden. Es gab von Journalisten meistens die Fixierung auf die eine Leitfigur, auch wenn wir Interviews zu dritt gegeben haben. Es kann aber durchaus sein, dass Leute, die dann später in eine Band kommen, durchaus Respekt vor der Band insgesamt, aber auch vor Jochen als Person mitbringen, was eine vielleicht kritischere Auseinandersetzung behindern könnte.
Jochen: Fand ich nicht so. Das ist das, woran wir immer gearbeitet haben, dass man immer versuchte, selbst wenn es schon vorher so eine Form von Respekt gab, das abzubauen oder aufzuweichen.
André: Das ist aber auch ein medialer Aspekt, diese Fokussierung auf Jochen. Und dann kommt immer die Frage: „Stört es euch nicht, dass immer so viel über die Texte geschrieben wird ...?“ Diese Trennung wurde eigentlich immer von außen eingeführt. Als Band haben wir intern über alles gesprochen und vieles ausprobiert. Das ist also immer ein Bandprozess gewesen. Diese Text-Musik-Aufsplittung war keine von uns selbst.
Ihr drei habt gemeinsam zwei LPs produziert. Was habt ihr selber für ein Verhältnis zu den Platten? Von vielen werden sie ja als wahnsinnig „wichtig“ angesehen.
André: Wenn man eine Platte fertiggestellt hat, sitzt man ja nicht jahrelang zu Hause herum, hört sie sich an und genießt sie wie einen guten Wein. Man weiß, was man gemacht hat. Die Platte ist ja das Endprodukt. Wichtiger sind die Erinnerungen an die Entstehung und an die Arbeit, die man da hineingesteckt hat. Das ist für mich wesentlicher als das, was man schlussendlich hört.
Eike: Musik ist ja immer ein Speicher für Gefühle und für Erinnerungen, für Momente. Ich höre die mir auch nicht oft an. Aber die paar Male, die ich die Platten gehört habe, war das ein ganz gutes Gefühl, vielleicht noch mehr bei „L’Etat Et Moi“, weil wir mit der Platte vielleicht das erreicht haben, wo wir hinwollten. Das kommt dem ziemlich nahe, was wir können, zu dritt. Mir ging das eigentlich eher so, dass ich über andere mit dem, was man vielleicht mit Bedeutsamkeit von einem Album oder von Musik verbinden könnte, konfrontiert wurde. Ich habe an der Uni oft Leute getroffen, die überrascht waren, wenn sie erfahren haben, dass ich mal bei BLUMFELD gespielt habe. Dann habe ich gehört: „Die Musik war für mich total wichtig, die Platten sind sehr bedeutsam.“ Es hat mich immer sehr gefreut, dass das bei Leuten etwas bewirkt oder ausgelöst hat, oder sie voran gebracht hat. Ich finde, das ist das beste Kompliment, das man für seine Musik bekommen kann.
Jochen: Ich spiele die Sachen einfach sehr gerne. Ich habe auch mit André in allen möglichen Bandkonstellationen und auch später solo Stücke unserer ersten beiden Platten mit ins Programm genommen, weil das meine Songs sind und ich da auf eine Art ganz wundersam Sachen wiedererkenne, oder erstaunt darüber bin, was dort schon alles drin ist. Und wenn ich es denn spiele, dann höre ich das auch. Spielen ist ja hören.
Inwieweit glaubt ihr, dass BLUMFELD und die anderen Vorreiter der Hamburger Schule den Weg geebnet haben für Deutschrocksachen, die danach gekommen sind, die populär waren, aber nicht gerade so cool, zum Beispiel JULI und Konsorten?
André: Ich finde es schwierig, solch eine Frage zu beantworten. Wir haben eben unser Ding gemacht. Und wenn das jetzt Auswirkungen gehabt hat, dass Leute angefangen haben, deutschsprachige Texte zu schreiben, dann ist das so. Aber da musst du vielleicht eher deren Manager fragen.
Eike: Ich wäre überrascht, wenn JULI oder SILBERMOND intensiv BLUMFELD gehört hätten.
Jochen: Ich auch, haha! Für uns ist das einfach schwierig zu beantworten, weil wir uns nicht als Wegbereiter oder so etwas gesehen haben, sondern als Teil von einer größeren Anzahl von Bands, mit denen wir uns auch verbunden gefühlt haben. Vielleicht war es eine spezielle Form von Mischung aus der Musikalität und einer anderen Form von Dringlichkeit oder Mut, die dazu geführt hat, dass wir da eine Tür aufgemacht haben. Es gibt ganz viele Türen. Andere haben andere Türen aufgemacht. Auch wenn es da vielleicht keine direkten Einflüsse gibt. Als wir das gemacht haben, gab es keine Struktur, keine Ohren für das. Obwohl ich glaube, dass es ein Bedürfnis oder eine Sehnsucht bei den Leuten gab, so etwas zu hören, was wir gemacht haben. Das waren dann vielleicht „strukturbildende Maßnahmen“ für das, was dann folgte und sich einfach im Laufe der Zeit ganz natürlich fortsetzte. Das würde ich aber nicht nur auf Gitarre spielende Bands beschränken.
Ich sehe euch in einer Tradition von deutschsprachigen Gitarrenbands. Und da stehen für mich in den Siebzigern TON STEINE SCHERBEN, in den Achtzigern FEHLFARBEN und für die Neunziger BLUMFELD. Welche Bands seht ihr in dieser Tradition in den 2000er Jahren oder heute?
Jochen: Das verbindende Element ist für mich immer Folgendes gewesen: Es gab nach meiner Auffassung nach 1945 ein Problem: Das Publikum wollte sich aus historisch richtigen und vernünftigen Vorsichtsmaßnahmen keiner ikonischen Figur noch mal so innig und besinnungslos hingeben. Dann gab es zwei unterschiedliche Antworten darauf: Das eine ist die bis heute dominante Verstellung: „Ich bin nur der ,Dubbidu‘, also ich bin nicht gefährlich, ich bin nur der Clown beziehungsweise ich bin nur Schauspieler und mache Musik. Das heißt, es ist eine vorgeschaltete Schutzfunktion. Wir können es genießen, aber es ist nicht gefährlich. Rio Reiser zum Beispiel steht aber in einer anderen Tradition. Der steht in der Tradition von Marlene Dietrich. Also einer klassischen internationalen Diven- und Ikonentradition. Hier in Deutschland war es über viele, viele Jahre eigentlich berechtigterweise schwierig, Leute zu lieben, so wie zum Beispiel John Lennon geliebt wurde. Ein Großteil der aktuellen Künstler haben den schillernden, ungefährlichen Weg, den Weg der Verstellung gewählt, und es gibt nur sehr wenige, die dieses Problem anders angegangen sind. Und da gehören sicher TON STEINE STEINE SCHERBEN dazu, vielleicht FEHLFARBEN und wir auf unsere Art auch. Einfach zu sagen: „This is for real!“ Ich muss nicht irgendwie einfach eine Parodiefigur erfinden, damit du, liebes Publikum keine Angst haben musst, das zu lieben. Wir versuchen in der Kunst selber das Problem zu lösen oder zu beantworten: in unserer Arbeit, in dem, was wir für Musik machen, welche Texte wir singen, wie wir auf Tour sind, wem wir Interviews geben, was wir in diesen Interviews sagen. Das ist unsere Antwort.
Seht ihr nicht Bands oder Musiker, die sich auch dieser Sache verschrieben haben?
Jochen: Ich bin nicht so auf dem Laufenden, was das betrifft. Aber ich glaube heutzutage besteht auch für das Publikum das Problem nicht mehr.
Eike: Aber dann wäre der Weg heute doch frei ...
Jochen: Ja, aber das ist so wie: „Das haben wir immer schon so gemacht, also machen wir es jetzt weiter.“ Dieses komische Modell hat sich auf eine merkwürdige Art und Weise auch global durchgesetzt. Eine Figur wie Robbie Williams funktioniert ja eigentlich genauso.
Klar, aber das war doch im Mainstream immer so. Ich rede aber von relevanten Nischenbands. Die muss es doch noch geben, oder?
Jochen: Ich glaube, dass das Versprechen, das Rock’n’Roll, Punkrock, Popmusik im weitesten Sinne gegeben hat, nämlich zu einer anderen Seite durchzubrechen, einen anderen Kontinent zu betreten, es also anders zu machen, das ist durch andere kulturelle Formen ersetzt worden: Computerspiele, das Internet. Da werden ganze Lebensbereiche zur Verfügung gestellt, die auf ihre Art ungefährlicher sind. Viele Bands klingen auch so. Sehr professionell, aber so in der Art: Wir machen jetzt folgendes Genre und da muss man sich so und so anziehen, da muss das auch so und so klingen und dann machen wir das passende Cover – das ist aber nicht wirklich riskant. Und vielleicht ist das ganz gut so.
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