BLOWFUSE

Foto© by Band

Sleepless in Barcelona

Es gibt ja immer wieder Bands, auf die wird man aktuell mit der Nase gestoßen und denkt sich „Who?“ und hört die sich an und findet die gut und fragt sich, warum man die bislang kaum wahrgenommen hat, obwohl sie doch schon ein paar Platten und Touren hinter sich hat. Für mich sind BLOWFUSE aus Barcelona so ein Phänomen. Dabei sind die schon über 15 Jahre am Start, spätestens mit „Into The Spiral“ von 2013 spielten sie sich ins Herz all jener, zu deren musikalischem Beuteschema der klassische Fat Wreck-Sound gehört. Mit „The 4th Wall“ steht nun das neue Album an, zu dem uns Richard und Sergi Rede und Antwort standen.

Euch gibt es schon eine ganze Weile, aber dies ist das erste Interview im Ox. Wie ging das alles los ...?

Richard: Die Band besteht aktuell aus Oscar Puig, Gesang und Gitarre, Henry Salvat am Bass, meinem Zwillingsbruder Sergi an der Gitarre und mir am Schlagzeug. Wir kommen alle aus der hektischen Stadt Barcelona. Alles begann 2006 auf der Highschool, als der stachelhaarige Oscar in die Klasse von Sergi kam. Irgendetwas verriet mir, dass wir ähnliche Interessen haben. Gleich am ersten Tag beschlossen wir, gemeinsam eine Band zu gründen. Damals konnten wir noch nicht wirklich mit unseren Instrumenten umgehen, also mussten wir es erst einmal lernen, indem wir ein paar Coversongs spielten und so unsere ersten Auftritte absolvierten. Im Nachhinein betrachtet hatten wir großes Glück, dass wir uns gefunden hatten und auf einer Wellenlänge waren. Jetzt brauchten wir noch jemanden für den Bass, und nachdem wir es mit ein paar Leuten versucht hatten, fanden wir Victor Mañas, unseren ersten richtigen Bassisten. Damit waren wir komplett, um BLOWFUSE zu gründen – anfangs nannten wir uns noch GODFARTS. Mit der Veröffentlichung unseres ersten Albums „Into The Spiral“ im Jahr 2013 hob die Rakete ab: Wir nannten die Band BLOWFUSE und begannen, in ganz Spanien und Europa zu touren. Seitdem haben wir zwei weitere Platten veröffentlicht, die Touren führten uns weiter weg von zu Hause und unsere Shows wurden immer verrückter.
Sergi: Nach dem ersten Jahr der Pandemie teilte Victor uns mit, dass er die Band verlassen will, um sich mehr auf sein Privatleben und seine Projekte zu konzentrieren. In diesem Moment tauchte Henry in der Geschichte auf. Er war seit 2013 ein Fan der Band und wurde nach und nach immer mehr eingebunden, so dass wir Freunde wurden. Da er die Songs sehr gut kannte und uns mehrfach auf Tour begleitet hatte, war er perfekt geeignet, um Victors Job zu übernehmen. Nun konnten wir wieder loslegen und begannen mit der Arbeit an unserem vierten Album „The 4th Wall“, das am 1. März erscheinen wird. Im Moment drehen wir die Musikvideos für die nächsten Singles und planen die Tour für 2024.

Könnt ihr uns fünf Alben nennen, die man kennen sollte, um euren musikalischen Hintergrund zu verstehen? Ich schätze, auf der Liste sind einige kalifornische Bands ... Aber was ist mit spanischen Releases?
Richard: Wir haben so viele Phasen durchlebt, sowohl als Musiker als auch als Menschen, dass es wirklich schwierig ist, unsere musikalischen Einflüsse auf fünf Alben zu reduzieren. Ich werde es trotzdem versuchen:
RKL „Rock’n’Roll Nightmare“: Eine Kultband, die von Musikern geliebt wird. Ich weiß noch, dass ich sie anfangs nicht mochte; ich konnte es einfach nicht verstehen! Aber eines Tages ergab alles einen Sinn und es gab kein Zurück mehr. Seitdem bin ich ein riesiger Fan! Und es ist immer toll, andere RKL-Fans zu treffen, die die Liebe zu ihnen teilen. DOVER „Devil Came To Me“: Ich habe mich nie so besonders für spanische Bands interessiert, aber diese Platte hat die gesamte hiesige Musikszene verändert. DOVER überwanden die Sprachbarriere, was nur wenige Bands damals taten. Außerdem waren sie mit zwei weiblichen Mitgliedern Pioniere in einer Szene, in der es so wenige weibliche Stimmen gab, und wurden so zu Vorbildern. Ich würde auch wagen zu sagen, dass HÉROES DEL SILENCIO eine, wenn nicht sogar die wichtigste Rockband aus Spanien ist. Sie waren ihrer Zeit so weit voraus. Es gibt auch aktuell fantastische Bands hierzulande, einige davon sind unsere Freunde: CRISIX, DESAKATO, CRIM oder SOZIEDAD ALKOHOLIKA sind einfach großartig!
Sergi: KING’S X „Dogman“: Ihr aggressiver und einzigartiger Sound und ihre Härte haben uns umgehauen. Es war Liebe auf den ersten Blick.
THE OFFSPRING „Conspiracy Of One“: Eine der Bands, die uns zusammengebracht hat. Obwohl wir alle ihre Platten lieben, hat diese einen besonderen Platz in unseren Herzen.
LIVING COLOUR „Vivid“: Die inspirieren uns auch nach vielen Jahren noch. Bei ihnen haben wir uns den Groove und die Dynamik abgeguckt, ebenso wie von Bands wie FAITH NO MORE oder HELMET.

Ich habe das Gefühl, dass in eurer Brust zwei Herzen schlagen: das eine für Punkrock, das andere für Classic Rock ...
Sergi: Unsere Musik hat sich bis heute immer weiter entwickelt. Anfangs beschränkten wir uns unbewusst darauf, die Punkrock-Bands, die wir mochten, zu imitieren, aber nach und nach öffneten wir uns und haben uns von bestimmten musikalischen Tabus befreit.
Richard: Genau! Außerdem sind wir alle mit der Musik aufgewachsen, die unsere Eltern gehört haben, und dazu gehörten DEEP PURPLE, LED ZEPPELIN, DIE BEATLES, aber auch weniger rockige Sachen wie Stevie Wonder oder JAMIROQUAI. Es ist alles dabei. Wir haben gelernt, jede Musik zu schätzen, egal welches Genre.
Sergi: Ich glaube, unser Stil geht eher in Richtung Punkrock, aber es gibt auch Funk, Metal, Hardcore, Powerpop, Classic Rock, was immer du willst. Wir haben noch nie ein Genre komplett abgelehnt – auch wenn man mich eher selten zu Reggaeton oder Techno abgehen sieht, haha. Wir finden jeden Stil spannend.

Das Artwork von „The 4th Wall“ ist interessant: ein Kind hockt in einer Ecke in einer „Kiste“, deren Umrisse nur mit Kreide an die Wand gemalt sind. Wer hat es gestaltet, was steckt dahinter?
Richard: Ich glaube, es war Oscar, der das Konzept für das Cover vorschlug. Neben anderen war das der Vorschlag, der am besten die Grundaussagen der einzelnen Songs widerspiegelt. Wir fanden das Spiel mit der Perspektive faszinierend. Also haben wir ausprobiert, wie es aussieht, wenn jemand sein eigenes Gefängnis zeichnet. Die Quintessenz ist, dass ein solches Gefängnis nur dann real erscheint, wenn man es aus dem richtigen Winkel betrachtet. Subjektive Ansichten können sowohl unser Verhängnis als auch unsere Erlösung sein.
Sergi: Auf „The 4th Wall“ ist unser Interesse an philosophischen Themen offensichtlich. Das Kind steht für unsere ersten Lebensjahre, in denen wir eine falsche Persönlichkeit entwickeln, die auf Überzeugungen beruht, die wir von unseren Eltern, unserer Familie, unseren Freunden, unseren Lehrern und der Gesellschaft übernehmen ... und die uns ein Leben lang einschränkt und uns dazu bringt, dass wir in unserem selbstgebauten Ideen-Gefängnis leben. Metaphorisch könnte man sagen, dass wir den Zustand der Sklaverei, in dem wir uns befinden, nur durch ein bestimmtes Ereignis oder aus einer einzigen Perspektive erkennen können. Ich denke, dieses Cover ist eine logische Fortsetzung von dem unseres vorherigen Albums „Daily Ritual“.

Ihr wurdet immer mit der Skateboard-Kultur assoziiert. Ist das immer noch wichtig für euch ... oder gab es zu viele gebrochene Knochen und blaue Flecken?
Richard: Haha, um ehrlich zu sein, ist das inzwischen Vergangenheit. Es gab einen Moment, in dem ich mich zwischen Musik und Skateboarding entscheiden musste. Ich habe mir so oft den Knöchel verstaucht, dass ich vorsichtig sein musste, wenn ich weiter Schlagzeug spielen will.
Sergi: Die Wahrheit ist, dass nur Oscar gut im Skaten war. Und als wir anfingen, uns vor, während und nach einer Tour die Knochen zu brechen, so dass wir nicht mehr spielen konnten, mussten wir einsehen, dass es das nicht wert ist. Ich weiß schon nicht mehr, wann ich das letzte Mal ein Skateboard angefasst habe, haha. Aber wenn ich es mal tue, fühlt es sich wieder an wie gestern.
Richard: Um ehrlich zu sein, ist es mehr die mit dem Skateboarden verbundene Philosophie: die Freiheit, die Körperlichkeit, der Aspekt der Brüderlichkeit ... All das schätzen wir immer noch, nur springen wir nicht mehr so oft aufs Brett wie früher.

Ihr kommst aus Barcelona, einer der Städte auf der Welt, die am meisten unter dem Tourismus leidet: Könnt ihr uns sagen, welche Gefühle und Erfahrungen ihr in dieser Hinsicht habt?
Sergi: Es ist erstaunlich, wie sehr der Tourismus in den letzten Jahren in die Höhe geschossen ist. Ich selbst arbeite in einem Startup, in dem sicher 90% der Mitarbeiter aus dem Ausland stammen. In einigen Teilen der Stadt hört man inzwischen mehr Englisch als Spanisch oder auch Katalanisch, das immer weniger gesprochen wird, und die Stadt ist für viele zu einer vorübergehenden Heimat geworden. Der Tourismus vermehrt zwar den wirtschaftlichen Wohlstand der Stadt, aber dadurch sind auch die Preise stark angestiegen, und es gibt Viertel, die so überfüllt sind, dass man sich dort kaum noch bewegen kann, es ist verrückt!
Richard: Ich denke, dass Barcelona zu einer Art Freizeitpark für wohlhabende Touristen wird ... Viele von uns überlegen schon, in die Außenbezirke zu ziehen, wo das Leben erschwinglicher ist. Ich denke, das wird unvermeidlich, genau wie in Paris, London oder Venedig.
Wie sieht die Punkrock-Infrastruktur in Barcelona aus? In welche Plattenläden, Bars, Clubs würdet ihr Freund:innen mitnehmen, die zu Besuch kommen?
Richard: Was die Plattenläden angeht, so befinden sich die bekanntesten in der Carrer dels Tallers, in der Nähe von Las Ramblas: Revolver Records, Daily Records ... Und es gibt BCore Records in Gràcia. Bars und Clubs sind ebenfalls über die ganze Innenstadt verteilt, etwa das Nevermind in Las Ramblas und das Ovella Negra in Marina. Das Schöne ist, dass man hier an jedem Tag der Woche auf ein Konzert gehen kann. Großartige Veranstaltungsorte sind das Estraperlo, der Treffpunkt schlechthin für Punk- und Hardcore-Shows in Badalona, dazu das Upload, Razzmatazz, Apolo ...

Es gibt katalanische Punkbands, die auf Katalanisch singen. Ihr singt auf Englisch. Spielt das Thema der Autonomie Kataloniens für euch als Band eine Rolle?
Richard: Ganz und gar nicht. Es steht jedem frei, in der Sprache zu singen und zu sprechen, die er möchte. Für uns ist es einfach eine Frage des Geschmacks.
Sergi: Wir sind hauptsächlich von englischsprachiger Musik beeinflusst. Als wir die Band gründeten, verstand es sich für uns von selbst, auf Englisch zu texten, auch wenn wir dadurch eingeschränkt sind, da es nicht unsere Muttersprache ist.
Richard: Wenn wir Lyrics auf Katalanisch oder Spanisch hätten, würde uns das natürlich unseren katalanischen und spanischen Fans noch näher bringen, aber wenn wir auf Englisch singen, können wir Menschen in der ganzen Welt erreichen. Doch letztlich denke ich, dass es vor allem Geschmackssache ist.

Wie sieht es allgemein mit politischen Themen in Songtexten aus?
Richard: Auch wenn sich sonst alles um Politik dreht, haben wir versucht, uns in unserer Musik mehr auf andere Botschaften zu verlegen. Es gibt auch noch andere Probleme, die es wert sind, kommuniziert zu werden.
Sergi: Ja, das stimmt. Trotz der ganzen Überdrehtheit, die wir im Laufe der Jahre ausgestrahlt haben, fühlen wir uns mehr im Einklang mit dem, was wir durch unsere Musik ausdrücken wollen, wenn wir uns vor allem auf die introspektive Seite der Dinge konzentrieren.