Blake Schwarzenbach ist ein einflussreicher Mann, er ist Musiker, Dozent, Agitprop-Aktivist, Barkeeper. Der Sänger und Gitarrist gründete 1988 gemeinsam mit seinem Highschool-Kollegen Adam Pfahler (Drums) und Chris Bauermeister (Bass) die Emocore-Legende JAWBREAKER (nein, Begriffsdiskussionen sind hiermit ausdrücklich untersagt!). Dem schrammeligen Pop-Punk-Debüt „Unfun“ 1989 folgten mit „Bivouac“ (1991) und ihrem Durchbruch „24 Hour Revenge Therapy“ (1993) zwei Türöffner für ein neues Genre, das die Aggression des Punk mit an der Schwelle der Peinlichkeit kratzenden persönlichen Texten verbindet. Entnervt von nicht enden wollenden Sellout-Vorwürfen nach ihrem Wechsel zu Geffen lösten sich JAWBREAKER schließlich 1996 auf, also ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums „Dear You“.
Schwarzenbach blieb nicht lange untätig und schloss sich 1997 mit Jeremy Chatelain (HELMET) am Bass und Chris Daly (TEXAS IS THE REASON) an den Drums zu JETS TO BRAZIL zusammen. 2000 ergänzte Gitarrist Brian Maryansky (VAN PELT) das Line-up. Aus nicht weiter benannten Gründen gab die Band 2003 nach drei verhältnismäßig poppigen Alben („Orange Rhyming Dictionary“ 1998, „Four Cornered Night“ 2000 und „Perfecting Loneliness“ 2002) ihre Auflösung bekannt. Mit der Gründung der THORNS OF LIFE kehrte Schwarzenbach nach einer längeren Bühnenpause 2008 zurück zu seinen Punk-Wurzeln. Zwar wurde das Projekt schon 2009 wieder gekippt – ein bereits angekündigtes Album kam nie heraus –, war aber richtungsweisend für Schwarzenbachs weiteren musikalischen Weg. Auch bei den FORGETTERS, die unmittelbar nach dem Ende der THORNS OF LIFE aus einem Zusammenschluss mit Kevin Mahon (AGAINST ME!) und Caroline Paquita (BITCHIN, 2012 ersetzt durch Michelle Proffit von HIRETSUKAN) entstanden, besinnt Schwarzenbach sich zurück auf seine alten Stärken. Ein Album wurde 2012 eingespielt und veröffentlicht, ob es eine gemeinsame Zukunft gibt, ist aber ungewiss. Klar ist: Schwarzenbach ist solo unterwegs, provoziert treue Fans mit kalauernden Rap-Einlagen – und spielt erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt wieder JAWBREAKER-Songs. Reichlich Gesprächsstoff also.
Du darfst dir die erste Frage aussuchen oder ein Zitat ziehen.
Ich bin Surrealist, also ziehe ich auf gut Glück.
„Your leap of faith could be a well-timed smile / Survival never goes out of style.“ JAWBREAKER, „Save your generation“.
Oh, das sind meine Zeilen. Die erklären sich von selbst. Müssen sie. Sonst sind sie nicht gut. Diesen Song werde ich heute Abend spielen, „Save your generation“. Ich hasse die aktuelle junge Generation. Also kann ich schon was dazu sagen: Ich habe keinen Draht zu der gegenwärtigen jungen Generation, ich halte sie für Roboter. In den USA gibt es den Begriff „Millennials“, das sind die Kinder, die um 2001 herum volljährig wurden. Für mich sind diese Leute nutzlos, es ist traurig, aber ich denke, sie sind verloren. Es wird eine große Anstrengung für sie sein, wieder menschlich zu werden. Ihr Leben basiert auf dem Internet, sie daten über das Internet, haben Internetjobs, machen Internetmusik, sie sind Vorstadtarschlöcher. Sie werden ein bisschen Geld verdienen und dann wahrscheinlich einsam auf ihrem Zimmer sterben. In den USA ist das auf jeden Fall so. Und als „world leader“ übertragen wir das Ganze ja weltweit live, die Leute haben oder werden es in ihrem Land nachmachen. Es gibt vielleicht noch irgendwo in Afrika oder so Orte ohne Internet, sie sind dadurch sozusagen geimpft gegen dieses Gift. Aber Westeuropa leidet auf jeden Fall schon an dieser Form von Gedächtnisschwund. Es ist Gift, weil es von kommerziellen Interessen gesteuert ist. Wenn es ein freies Internet geben würde, wäre das echt toll. Ich mag Hacker, weil sie gegen diese kommerziellen Interessen arbeiten. Das ist doch ein echt kapitalistisches Motiv: Leute isolieren, sie in ein Modell zurückwerfen, das wirklich alt ist, das meine Generation schon zertrümmern wollte, aber daran gescheitert ist. Hacker sind ein Segment der jungen Generation, das mir Inspiration und Hoffnung gibt. Sie wissen, dass es lächerlich ist, was da läuft, und sehen das eigentliche Potenzial und das verbindende Element.
Crossroads School for Arts and Science, Santa Monica, Kalifornien.
Ja, dieser Ort war schrecklich, ich bin dort zur Highschool gegangen. Es geht wieder mal um das Ende einer Generation. Es gab dort ein recht durchdachtes aufregendes Bildungssystem, diese Schule begann als echte Alternative zu den konventionellen Highschools in Los Angeles. Aber in der Zeit, als ich dort anfing, war das alles gerade im Begriff, sich zu professionalisieren, es kam immer mehr Geld rein und die Schule verkam zu einer auf das College vorbereitenden Privatschule. Da man als Privatschule von reichen Spendern abhängig war, wurde das Curriculum immer konservativer. Ich belegte dort noch den unglaublichen Kurs „Great Books“ bei einem Lehrer namens Jeff Cooper. Er war überzeugter Marxist und lebte in Baldwin Hills, L.A., was damals ein sehr cooles Ghettoviertel war. Er hat Dichter mitgebracht, L.A.-Dichter, schwarze Dichter, Aktivisten und Künstler haben zu uns gesprochen – und uns gesagt, dass wir keine Ahnung hätten. Wir haben Frantz Fanons „The Wretched of the Earth“, Wanda Coleman und andere großartigen Sachen gelesen. Er wurde in meinem Abschlussjahr entlassen. Sie haben seinen Vertrag nicht verlängert, weil seine Anschauungen einigen Eltern unangenehm waren. Na ja, jetzt machen sie dort Filmstars, viele berühmte Leute kommen von dieser Schule. Es ist eine Kokainschule, Kokainvorbereitungsschule. Ist es jetzt jedenfalls definitiv. Als ich dort war, gab es auch schon diese Arschloch-Yuppiekids, die eine Menge Geld hatten und sich massenweise Kokain reingezogen haben. Dort habe ich ja Adam Pfahler, den Drummer von JAWBREAKER, kennen gelernt. Meine Freunde und ich waren eine Art Punkrock- und Goth-Gruppe. Wir haben Musik gemacht und versucht, uns von diesen Leuten fernzuhalten. Wir waren eine ziemlich kleine Gruppe, etwa acht Leute.
Spin.
Ich hasse das Spin Magazine! Ich habe mal ein paar Sachen über mein Viertel für den Rock’n’Roll-Reiseführer „Spin – Underground U.S.A.“ geschrieben. Ein Freund war damals Mitherausgeber und hat mich gefragt, ob ich was beisteuern könnte. Dafür habe ich vielleicht zehn Dollar oder so bekommen. Spin ist nichts weiter als eine nichtsnutzige Musikzeitung. Sie brachten mal ein Review von JAWBREAKERS „Dear You“ und PAVEMENTS „Wowee Zowee“, weil die beiden zur selben Zeit herauskamen. Auf dem PAVEMENT-Album war ein Song namens „Fight this generation“ und JAWBREAKER hatten „Save your generation“. Es war ein wunderbares Beispiel dafür, wie grausam Indierock-Medien sind. Sie haben nicht jede einzelne Band besprochen, sondern hielten es für eine besonders clevere Idee, beide einander gegenüberzustellen. Es war, glaube ich, ein eher schlechtes Review unseres Albums und ein schlechtes Review des PAVEMENT-Albums. Also fuck Spin! Oh, Entschuldigung, die sind ja schon aus dem Geschäft. They fucked themselves ...
„The way you fail is your originality.“ Harald Bloom, „The Anxiety of Influence“.
Ah ja, Harald Bloom. Ich finde diese These großartig, dem kann ich nur zustimmen. Alles ist Imitation und wenn du Glück hast, versagt deine Imitation. Wenn ich zum Beispiel STIFF LITTLE FINGERS nachahme und dann feststelle, dass ich nicht Jake Burns sein kann. So hat das mit JAWBREAKER angefangen. Dann habe ich versucht, Thurston Moore nachzuahmen, und ich konnte nicht SONIC YOUTH sein. Deswegen hatten JAWBREAKER ein paar interessante Noiseparts. Mein Vater sagt manchmal: „Versage besser“. Wenn du dich verloren fühlst, musst du Vertrauen in das Versagen haben. Ich sehe diese Angst vor dem Einfluss in jeder Literatur, die ich lese, und gleichzeitig auch die Originalität, die aus dieser Frustration erwächst. Du kannst nicht die Vergangenheit sein. Und du kannst nicht deine Helden sein. Aber sie können dir den Weg zu deiner eigenen Version zeigen. Ich liebe zum Beispiel John Wayne, er ist ein großartiger Schauspieler und Entertainer. Ich habe auf dieser Tour John Wayne und Dean Martin gespielt, auf meine Art. Ich bin richtig schlecht darin. John Wayne und Dean Martin sind ja durch „Rio Bravo“, dem besten Western aller Zeiten, miteinander verbunden. Sie haben dort beste Freunde gespielt. Aber egal, ich bin ein schlechter John Wayne, aber ein großartiger Blake. Oder Chris Lager, mein Alter Ego, eine Mischung aus John Wayne, THE STREETS und Eminem. Das ist dann so eine Art Drag Queen, so ähnlich wie Justin Bond, eine Hybridperson. Manche mögen das nicht. Es hält aber mein eigenes Interesse aufrecht und deswegen arbeite ich nach wie vor im kreativen Bereich. Sonst könnte ich ja auch einfach Tapes zu Hause aufnehmen. Das mag ich nicht, ich mag diesen Prozess des In-die-Welt-Hinausgehens, diesen sozialen Moment, zu sehen, was passiert.
Also sind Konzerte wichtiger für dich als Aufnahmen im Studio?
Das ist einfach eine komplett andere Geschichte. Das ist wie ein Buch schreiben und dann auf Lesetour gehen. Das Schreiben an sich ist äußerst wichtig. Du musst dir selbst schon wirklich vertrauen, es guckt niemand zu. Aber du musst annehmen, dass zu irgendeinem Zeitpunkt mal jemand draufschauen wird. Ich habe mein Publikum immer im Hinterkopf, wenn ich alleine arbeite. Das Gefühl ist immer da, es existiert. Ich hatte diese Diskussion schon mal mit einem Songwriter-Freund, dem Sänger von den SMOKING POPES. Er sagte zu mir: „Für wen schreibst du deine Songs? Hast du eine Frau im Hinterkopf, wenn du romantische Lieder schreibst?“ Und ich konnte seine Frage erst mal nicht beantworten. Das hatte mich noch niemand vorher gefragt, das hat mich irgendwie geschockt. Dann sagte ich: „Ja, das habe ich normalerweise schon. Eine Beziehung, an die ich mich erinnere oder die ich gerne gehabt hätte.“ Du willst etwas mit einem Song einfangen oder du reflektierst über etwas. Seine Antwort hat mich dann echt umgehauen, als ich den Spieß umdrehte und fragte: „Worüber denkst du denn nach, Josh?“ – „Oh, ich schreibe meine Songs für alle, die ich je geliebt habe.“ Also wurden alle zu einer Person. In seinem Kopf gab es so eine ganz spezielle Art romantischer Empfindsamkeit, für ihn war wirklich jede Person wichtig, die er je gedatet hat. Er hatte vielleicht sechs Beziehungen, die sich zu einer Art Spirale verbunden und sein Schreiben veredelt haben. Und das war echt ehrlich, es ist nicht nur für eine Person, es ist auch nicht nur für dich selbst. Es ist wegen dieser Möglichkeit des sozialen Konflikts, der Kommunikation, oder wie auch immer das genau läuft. Und ich denke, du führst das ein wenig mehr aus, wenn du wirklich daran denkst, dass da jemand zuhören und antworten wird. Das pusht mich so ein bisschen. Ich will nicht für mich selbst singen und wenn ich mir jemanden vorstelle, lässt mich das die Dinge beherzter und drastischer formulieren, dann sage ich zum Beispiel so was wie: „Ich hasse diese junge Generation“. Weil ich denke, dass es ein Publikum geben wird.
Neben der Interaktion mit dem Publikum gibt es ja auch noch eine Interaktion mit den anderen Personen, die an der Musik selbst beteiligt sind.
Ja, und das ist auch sehr wichtig für mich. Die letzten vier Alben habe ich alle von ein und derselben Person abmischen lassen, wir arbeiten da echt sehr eng zusammen, er wird dadurch zu einem Teil der Aufnahme. Du musst jemandem schon vertrauen können, wenn du vor ihm singst. Das ist eine Mikrogesellschaft, eine Familie, ein seltsamer Stamm, mit dem du zusammen die Zeit verbringst, bis die Aufnahmen abgeschlossen sind.
„You can’t dance to pain.“ Anonym.
Das hat ein Freund aus Staten Island, New York mal zu uns gesagt. Er war einer der ersten JAWBREAKER-Fans. Das war in seinem Review zu „Bivouac“, und das war sein Vorwurf: „Leute, zu Schmerz kann man nicht tanzen.“ Aber hey, natürlich kann man das, denk doch mal an NINE INCH NAILS oder JOY DIVISION, das ist doch wirklich Tanzen mit Schmerzen. Oder INXS. Aber auch jede Disco-Band, so was wie Shannons „Let the music play“, das ist so genial, ein wirklich verzweifelter Tanzsong, gute Discomusik steckt voller Schmerz. Die BEE GEES waren auch wirklich traurig.
„Das war die beste Show, die wir jemals gespielt haben. Wir waren so Emo.“ Blake Schwarzenbach, Rubber Band-Interview, 1993.
Das habe ich mal gesagt?! Dann war es wohl eine ziemlich gute Show. Ich glaube, das war eine Show, bei der es einen Aufstand gab, in San Francisco im Firehouse. Jemand hat eine Flasche auf die Bühne geworfen und den Drummer getroffen. Er sprang wie ein wilder Stier über sein Drumset in die Menge und hat diesen Kerl verprügelt. Dann kam die Polizei und die ganze Show wurde abgebrochen. Das war einer unserer besten Auftritte. Da haben sich auch noch eine Menge anderer Dramen abgespielt, da es unsere Heimatstadt war. Ein Bandmitglied etwa hatte gerade eine Beziehung beendet, seine Ex-Freundin stand in der ersten Reihe und er heulte die ganze Zeit, weil er so verdammt fertig war. Und dann gab es diesen Krawall. Das war die perfekte JAWBREAKER-Show: Es gab Tränen und die Polizei kam. Das spiegelte die extremen Emotionen, die den Bay Area-Punkrock der frühen Neunziger ausmachten, ziemlich gut wider. Die ersten Erfahrungen der Unabhängigkeit, die Kraft dahinter. Junge Leute, die versuchten, sich eine eigene Welt zu schaffen. Es hat nicht geklappt. Alle kamen aus einem irgendwie verkorksten Umfeld mit Alkoholiker-Eltern, was auch immer Menschen damals in den Punkrock getrieben hat. Und viele hatten einiges durchgemacht, das hat diese Musik für sie attraktiv gemacht. „Best of times, worst of times“, nannte das Charles Dickens. Dieser revolutionäre Moment war aber völlig scheinheilig und lächerlich. Jeder glaubte, wütend zu sein, aber das waren sie eigentlich nicht, sie waren einfach nur total abgefuckt. Und trotzdem gab kam eine Menge wunderschöne Kunst dabei herum. JAWBREAKER hatten das Glück, Teil dieses Sturms zu sein. Für einige Jahre, bis das zu etwas anderem wurde. Diese Show bewegte sich genau an diesem Punkt. Sie geriet nicht vollkommen außer Kontrolle, für mich war sie auch irgendwie schön. Ich war es nicht, dessen Freundin im Publikum stand, also ging es mir eigentlich ganz gut. Den Krawall habe ich zwar nicht herbeigewünscht, aber als er erst mal im Gange war, ging es auch bei mir gut ab. Ich hasse Gewalt, wenn sie aber einfach passiert, bin ich doch fasziniert von ihr. Und ich fand es sehr cool, dass diese Show von der Feuerwehr und der Polizei gestoppt wurde. Das war meine Eitelkeit damals, wir wollten eben auch eine Punkband sein und diese Show war wirklich eine richtig aufregende Sache.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Anke Kalau