BLACKMAIL

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Fit im Alter

Viele Bands werden im Alter ruhiger und gesetzter, andere wiederum drehen dann erst richtig auf. BLACKMAIL gehören zu Letzteren. Die Veröffentlichungsdichte nimmt mit den Jahren zu, der Vierer aus Koblenz bastelt munter weiter daran, den Sound zu perfektionieren, und wirkt dabei kein Stück behäbig. Beinahe folgerichtig ist das aktuelle Werk mit "Tempo Tempo" betitelt. Mit Vollgas in den Herbst der Karriere? Ähnliche und andere Fragen beantwortete ein gut aufgelegter Frontmann Aydo Abay bei einem gemütlichen Bierchen in der Bochumer Zeche.



Die Band ist übrigens für mein schwummerigstes Konzerterlebnis verantwortlich. Vor ein paar Jahren nämlich betrat Aydo die Bühne mit den Worten: "Ich hatte heute Morgen Blut im Urin. Ist das ein schlechtes Zeichen?" Vorbei war es mit der Vorfreude auf das Konzert, vorbei mit der guten Laune, stattdessen weiche Knie und Phantomschmerzen. Blöderweise ritt Aydo den ganzen Abend auf diesem Thema herum und verhinderte so, dass ich mich von dem Schreck erholen konnte. Die gute Nachricht vorweg: Der Sänger von BLACKMAIL lebt noch! Und das hat einen einfachen Grund. "Das hab ich damals wohl erfunden", grübelt Aydo, nachdem er an seine Schelmerei erinnert wurde. "Wir sind ja alle Ärzte in der Band - selbsternannte - und ich bin eben für die Urologie zuständig."

Aber schaut man sich die Band genau an, dann werden Besuche beim Urologen wohl recht schnell zum Alltag der Musiker zählen. Seit nunmehr fast fünfzehn Jahren ist der Vierer schon unterwegs, womit er zu den Dinosauriern unter den Rockbands zählt; und das noch immer in der Originalbesetzung - ein Umstand, der den Sänger sehr stolz macht, wie er betont. Überhaupt lobt er seine Band sehr gerne, auf die Gefahr hin, arrogant zu wirken, dabei ist er ein Gesprächspartner, wie man ihn sich sympathischer nicht wünschen kann. "Wir hätten es wirklich mal verdient, dass ein paar junge Leute Songs von uns covern. TOKIO HOTEL zum Beispiel."

Ein amüsanter Gedanke, denn die Musiker wären dann nur unwesentlich älter als die Band, deren Songs sie nachspielen. Von Altersmüdigkeit in Koblenz aber keine Spur - im Gegenteil, Aydo denkt bereits weit in die Zukunft: "In zehn, fünfzehn Jahren möchte ich bei Night Of The Proms sein. Da treten all die abgehalfterten Stars auf, spielen ihre alten Hits und erinnern sich noch mal an die guten alten Zeiten, als sie noch berühmt waren."

Der Titel des neuen Albums ist demnach vor allem als Selbstanfeuerung zu verstehen. Als die ersten Songs nach dem Vorgänger "Aerial View" geschrieben waren, wurden sie von der Band für zu lahm befunden und kurzerhand über Bord geworfen. Besonders schnell sind die danach entstandenen Titel zwar auch nicht geworden, Aydo aber mag den Albumtitel trotzdem: "Man versteht ihn in fast jeder Sprache. Außerdem kommen die Leute immer wieder auf uns zu und sagen uns, wie jung wir doch klingen, obwohl wir so alt aussehen. Es ist also ein guter, ironischer Titel und ziemlich witzig, eben weil wir schon so alt sind."

Aber genug der Scherze über das Alter, denn immerhin zeigt die Band, dass sie noch mit der Zeit gehen kann. Das neue Album gibt es nämlich auch als USB-Stick zu kaufen, inklusive Bonustracks, Wallpapers und genügend Speicherplatz für eigene Dateien. Das Geschäftsmodell der Zukunft? "Ich weiß nicht", meint Aydo, "wir wollten zwar, dass das Album digital erhältlich ist, aber wer sammelt schon USB-Sticks? Bestimmt keine Musikliebhaber. Ich selber kaufe auch lieber CDs und Schallplatten, ich brauche einfach was in der Hand und ein Booklet, in dem ich blättern kann."

Die Pläne für die Zukunft sind interessanterweise dieselben wie schon vor einigen Jahren: endlich das Ausland erobern (siehe Interview in Ox #43.). Immerhin sind im Laufe der Jahre einige bis dahin unbereiste Länder hinzugekommen, und mit dem Label City Slang und seinen internationalen Kontakten sind die Voraussetzungen gut, dennoch steht weiteren Zielen eine Tatsache im Weg: BLACKMAIL kommen aus Deutschland. "Bei jeder englischen und amerikanischen Scheißband steht bei jeder Platte von vornherein fest, dass sich eine Europa- oder Welttournee anschließt. Als deutsche Band hast du Schwierigkeiten, überhaupt was im Ausland zu kriegen. Schau dir die BEATSTEAKS an, die sind hier richtig groß und sogar sie haben Schwierigkeiten dabei. Und ich glaube nicht, dass wir jemals deren Status erreichen werden."

Der so genannte ganz große Durchbruch ist bei BLACKMAIL sowieso ein Thema für sich. Von den Plattenfirmen immer wieder herbeigeredet, hat es bisher noch nicht sein sollen. Wie auch, wenn sich sogar Eins Live, der Charts-Sender, der direkt vor der Haustür liegt, beharrlich weigert, Songs der Band ins Programm zu nehmen? "Radiokonzerte und so weiter machen sie gerne, aber sie spielen einfach unsere Songs nicht. Dabei würde zum Beispiel ‚The good part‘ im Nachmittagsprogramm nicht einmal auffallen. Na ja, ich habe sowieso ein anderes Verständnis von Durchbruch."

Somit ist Aydo ganz zufrieden damit, wie es derzeit läuft. Und überhaupt gibt es ja Wichtigeres im Leben: "Ich bin verliebt. Ich kenne sie seit genau einem Jahr, verliebt bin ich seit Oktober. Aber es ist alles noch in der Schwebe. Sind wir fertig? Dann gehe ich jetzt!" Sprach's und schwebte davon. Wie ein Teenager.