Mit „Metaphysicize“ legt die deutsch-türkische Experimental-Fraktion ihre zweite Scheibe vor. Wir sprechen mit Sänger, Gitarrist und Mastermind Sarp Keski über den Entstehungsprozess der Platte, die Szene in der Türkei und den jüngsten Labelwechsel.
Wie lässt sich der Entstehungsprozess der neuen Scheibe zeitlich eingrenzen? Und welche besonderen Herausforderungen musstet ihr dabei bewältigen?
Die Arbeit an „Metaphysicize“ hat fast ein Jahr gedauert. Nennenswerte Probleme oder irgendwelches Drama gab es eigentlich nicht, im Gegenteil. Die Abläufe funktionieren bei uns recht reibungslos: Ich schreibe die Songs, kreiere quasi die Infrastruktur. Die schicke ich dann an unseren Schlagzeuger Fatih, der dazu seine Drumparts schreibt und sich meist auch um alle Übergänge kümmert. Dann gehen wir alle gemeinsam die Songs noch mal durch und fügen hinzu, was wir ergänzen wollen, oder diskutieren, was besser wäre. Schließlich haben wir die Gitarren und den Gesang in unserem eigenen Studio aufgenommen. Die Drum-Aufnahmen, den Mix und das Mastering haben wir in Jena mit unserem langjährigen Freund Fabian Hildebrandt, dem Gitarristen von DESERTED FEAR, gemacht. Wir hatten schon bei unserem ersten Album mit ihm zusammengearbeitet und sind bisher mit allem super zufrieden.
Ihr habt gesagt, dass euch die gemeinsame Arbeit zwischen Berlin und Istanbul als Band noch enger hat zusammenwachsen lassen. Wie genau sah das Ganze in der Realität aus? Wie oft habt ihr euch getroffen? Und wie gestalteten sich die Arbeitsabläufe genau?
Fatih kommt auch aus Istanbul, so wie ich. Ich lebe nun schon seit fünf Jahren hier in Berlin. Aktuell ist Fatih dabei, auch hier herzuziehen. Zuvor kam er im Schnitt alle drei Wochen für unsere Shows und zum Aufnehmen nach Berlin. Da wir uns aber nun schon sehr lange und sehr gut kennen, war das auch kein Problem. Aber natürlich entsteht eine ganz andere Energie, wenn wir gemeinsam in einem Raum sind. Das wird dann künftig dauerhaft möglich sein und uns noch weiter voranbringen.
Hattet ihr zu Beginn eine klare inhaltliche Vision, die ihr mit „Metaphysicize“ verfolgen wolltet?
Ja, das Album kann quasi als Fortsetzung von „Depressionland“ verstanden werden. Unser erstes Album war depressiver und düsterer und erzählte von unserer inneren Welt und ihren Reflexionen. „Metaphysicize“ schließt da an und geht teilweise noch tiefer. Beispielsweise haben wir uns mit Fragen befasst wie: Was machen wir mit den Gefühlen und Zuständen, die wir erleben? Was können wir noch in uns selbst erforschen und wie können wir unsere spirituelle Kraft mehr nutzen?
Mittlerweile seid ihr bei Pelagic Records untergekommen. Wie kam es dazu und was hat sich dadurch für euch verändert?
Ja, und wir sind sehr glücklich darüber. Wir haben immer daran geglaubt, dass unsere Musik mehr Menschen erreichen kann. Robin und Ana von Pelagic mochten unser erstes Album und haben uns nun für unsere zweite Platte unter Vertrag genommen. Bis jetzt läuft alles perfekt, die Reichweite bei den Medien und einigen Festivals hilft uns sehr und wir versuchen, das Vertrauen, das wir von ihnen bekommen, zu verdienen.
Auf der neuen Scheibe gibt es nun auch ein Song mit türkischen Lyrics. Was ist der Hintergrund? Und welches Feedback habt ihr bislang aus der Türkei erhalten? Wie lässt sich die dortige Szene beschreiben?
Ich wurde in Istanbul geboren und habe dort gelebt, bis ich dreißig war. Ähnlich wie Fatih. Wir haben dort schon gemeinsam Musik gemacht, wir waren aber eher im Death- und Black-Bereich unterwegs. Die Möglichkeiten in der Türkei, selbst in einer Großstadt wie Istanbul, sind begrenzt. Die Szene ist nicht so groß wie beispielsweise in Deutschland oder anderen europäischen Ländern. Nachdem ich nach Berlin gezogen bin, wollte ich die Möglichkeit nutzen, etwas Freies und Besonderes zu machen. Mit BIPOLAR ARCHITECTURE wollten wir uns öffnen und mit einer Mischung aus verschiedenen Genres eine einzigartige Atmosphäre schaffen, sowohl auf den Alben als auch live. Und ja, wir haben auch einen Song auf Türkisch. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Track eine andere Stimmung haben sollte. Ich habe es dann ausprobiert und meinen Bandkollegen gezeigt. Und sie fanden es authentisch und schön, also haben wir beschlossen, es so zu machen. In dem Lied geht es um Angst, auf Türkisch „Kaygı“. Und ich wollte es einfach gern in meiner Muttersprache singen.
In der Vergangenheit gab es in Deutschland immer wieder hitzige Debatten um die türkische Politik und deren Entscheidungsträger. Inwieweit ist das auch innerhalb der Band ein Thema? Und seht ihr euch letztlich auch als Botschafter für ein Mit- statt ein Gegeneinander?
Wir sind keine großen Fans der Politik der Türkei und ihres Präsidenten, aber auf der anderen Seite gefällt uns auch nicht die Haltung der europäischen Politik gegenüber der Türkei und den Kriegen in der Welt. Ich bin mit einer deutschen Frau verheiratet und unser deutscher Bassist Niklas ist mit einer türkischen Frau verheiratet. Jede Alternative zwischen Deutsch und Türkisch kann also gut funktionieren, wenn man sich die echten Menschen und nicht die Politiker ansieht.
© by Fuze - Ausgabe #105 April/Mai 2024 und Anton Kostudis
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