Zu den faszinierendsten Bildern, die mir mein Gedächtnis noch heute manchmal aus meiner Kindheit einblendet, gehören mit Sicherheit die von der alljährlich auf dem nahegelegenen VA-Parkplatz gastierenden Show der wagemutigen "Helldrivers". Dabei sind es nicht einmal die Bilder von der Show selbst, die ich erinnere- ich kann mich in Übrigen gar nicht entsinnen überhaupt jemals zahlender Gast gewesen zu sein - sondern die Bilder von den Ankündigungsplakaten und die dazugehörige Aufregung, die sich umgehend einstellte, sobald wir sie entdeckten. Mit einem Schlag war unser tristes Kinderleben spannend, hingen dort plötzlich und unverhofft die Poster der Automobilartisten am Zaun und versprachen, unsere kleine Welt mit diesem schlichten asphaltierten Areal mittendrin, in nur wenigen Tagen zum Schauplatz von Hochspannung und atemberaubender Action werden zu lassen.
Ich weiß nicht mehr, ob ich meine Eltern bequatscht habe, mit mir dort hinzugehen oder mir das Geld für den Eintritt zu geben. Es war aber auch egal, dass sie beides wohl nicht getan haben, denn der Kick, den es uns gab, schon ab dem Zeitpunkt des Anrückens des Helldriver-Trosses am Ort des Geschehens herumzulungern, reichte vollkommen aus, uns noch Tage danach in Hochstimmung zu versetzen und uns Anregungen für die Nutzung unserer kindlichen Freizeit zu liefern. So erinnere ich mich beispielsweise an einen Klassiker nachmittäglicher Spielbeschäftigung, den wir - logisch - "Helldriver" nannten, und bei dem es darum ging, auf Fahrrädern möglichst eng aneinander vorbeizufahren. Aus erwachsener Perspektive sah das sicher ungleich weniger dramatisch aus, als wir es empfanden, aber wir waren vorsichtige Kinder - kein Vergleich mit den Extrem-Kids von heute, die sich mit 6 Jahren schon gegenseitig mit gestohlenen Autos überfahren - und so ist uns auch zum Glück nichts passiert.
Nachdem sich "Bossles Helldrivers" - so der vollständige Name jener kühnen Truppe - damals, wie erwähnt, bald jährlich die Ehre gaben, machten sie sich in der Zeit meiner Adoleszenz rar und rarer, bis man schließlich gar nichts mehr von ihnen hörte. Diese Art der Volksbelustigung schien gänzlich von den Parkplätzen verschwunden zu sein, zumindest aber von dem am VA-Markt, der inzwischen längst Inter-Spar hieß.
Eines denkwürdigen Tages jedoch, es muß das Jahr 1996 gewesen sein, holte mich die Vergangenheit, holte mich meine Kindheit ein: Die Helldrivers waren wieder da!
Als ich damals vor fünf Jahren nichts ahnend über immer noch denselben Parkplatz schlenderte - ich war offensichtlich in all der Zeit nicht weg- bzw. weitergekommen - schrie es mich aus heiterem Himmel gleichsam an, das in altbekanntem Design gestaltete Plakat der "Hollywood Helldrivers". Eine andere Truppe wohl, nicht "Bossles" waghalsige Brut, dennoch dieselbe Branche, waschechte Helldriver eben, die ihre Show zudem noch um ein weiteres, modernes Element automobiler Unterhaltungskunst bereichert haben, den Big Foot! Sowas gab es in meinen Kindertagen natürlich noch nicht, spätestens seit dem Einzug privater Sportkanäle ins heimische Fernsehzimmer ist dieses Vehikel bei den Freunden anspruchsvollen Motorsports aber auch hierzulande bewundert und heißgeliebt.
Was war das für ein freudiger Tag! Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich, der ich mittlerweile über selbstverdientes Taschengeld vefügte, augenblicklich den Entschluß fasste, mir dieses gleichermaßen nostalgische wie moderne Erlebnis auf keinen Fall entgehen zu lassen. So kam ich schließlich in den Genuß meiner ersten Helldriver-Show, bei der sich die vorgeblich aus Hollywood stammenden Teufelskerle zu meiner großen Freude doch als die gute alte Bossle-Truppe entpuppte, die sich mit ihrem neugewählten Pseudonym wohl frischen Glanz und internationales Flair verschaffen wollte.
Verständlichweise giert ihr alle nun nach packenden Schilderungen dieses Spektakels. Ich werde aber genauso wenig von dieser Show berichten, wie von der, die ich ein Jahr darauf besuchte, was ohnehin auf´s gleiche herauskäme, da es sich um exakt dasselbe Programm handelte. Statt dessen möchte ich die noch taufrisch in meinen Synapsen klebenden Eindrücke aufschreiben, die ich am 28.4. diesen Jahres sammeln konnte, als nach nun wieder ein paar Jährchen helldriverloser Zeit ein Stuntshow-Zirkus den altbekannten Parkplatz belagerte, der diesmal schlicht mit den Worten "Big Foot Show" für sich warb. Wieder stellte sich die übliche Begeisterung ein, wieder konnte ich nicht umhin, an diesem Spektakel teilzuhaben. Und auch wenn sich diesmal nicht (ganz), wie ich vermutet hatte, die ollen Bossles hinter einem neuen Namen verbargen, habe ich mich diesmal noch mehr amuesiert als sonst, was einen ganz einfachen Grund hatte: ich trank diesmal Bier!
Das konnte ich, weil ich der Samstagabendvorstellung der "Big Foot Show" beiwohnte, einer Zeit, an der mir mäßiger Alkoholkonsum am ehesten akzeptabel erscheint. Bereits am vorhergehenden Nachmittag hatte ich allerdings die Gelegenheit erste Tuchfühlung mit der Stuntshowtruppe aufzunehmen, da ich nämlich mit einer Band, in der ich hobbymäßig musiziere, zu einem Fototermin anrückte. Wir hatten die super Idee uns vor dem Big Foot zu fotografieren. Das sähe sicher cool aus und könnte uns vielleicht stadtbekannt machen, so dachten wir. Als wir uns dann aber mit unseren Instrumenten einen Weg durch die Horden von aufgekratzten Kindern bahnten, um dem rauhen Artistenvolk unser Anliegen vorzutragen, war uns das natürlich nur noch peinlich und wir kamen uns ganz schön doof vor. Nach dem Motto "Augen zu und durch!" postierten wir uns schließlich dennoch vor dem Monster Truck und ließen uns ablichten, während die Blagen - wohl einen Auftritt erwartend - pausenlos "Anfangen, Anfangen!" krähten. Ich muß zugeben, dass ich vom Protagonisten der Show zunächst allerdings etwas enttäuscht war, die Karre war nämlich neongelb. Das erscheint mir zwar als durchaus akzeptable Farbe für Opel Corsas von Dachdeckerlehrlingen, keinesfalls jedoch dazu geeignet, einem Monster auf Riesenrädern den adäquaten Anstrich zu verpassen. Notgedrungen freundete ich mich schließlich aber doch mit dem Predator, so der offizielle Name des Big Foots, an. Ein Big Foot ist nun mal ein Big Foot und daher auch per se gutzufinden, und außerdem hat er ja diesen schön beknackten Namen, so argumentierte ich in einem inneren Monolog. Der Vorfreude auf eine grandiose Show am Abend stand nunmehr also nichts im Wege, und wir zogen uns zur inneren Sammlung noch einmal zurück, um zwei Stunden später, pünktlich um 19 Uhr, amüsierfreudig wieder auf der Matte zu stehen.
Rechtzeitig zur Showtime hatte sich Klärchen hinter den Wolken hevorgekämpft, und so bildete sich tatsächlich eine lange Schlange von Motorsportbegeisterten vor dem Kassenhäuschen. Das Gros der Einlass Begehrenden setzte sich dabei aus männlichen Angehörigen der Unterschicht zusammen, die vielfach mit ihrem Nachwuchs angereist waren. Daher erklärte sich die nicht geringfügige Geräuschentwicklung, die schließlich von dem sich an der Absperrung drängelnden Publikum ausging, in welches auch wir uns mutig mittenrein begaben. Das Publikum, so wußte ich als Stuntshowexperte mittlerweile, gehört schließlich zum Unterhaltungsprogramm dazu. So lauschten wir vergnügt den Kommentaren aufgekratzter Blagen wie teils genervter, teils biertrinkender Väter. Glücklicherweise hatte auch ich ja mein Bier dabei, weshalb mein Stimmungsbarometer ob dieser Szenerie stetig anstieg und zudem auf Big Foot stand. Ich war heiß auf die "totale Autozerstörung", wie der Ansager den Auftritt des Monster-Trucks bei meinen zurückliegenden Helldriver-Shows ankündigte. Schon bei diesen Gelegenheiten war der Ansager, der Conferencier der Veranstaltung im übrigen ein, wenn nicht gar das Highlight der Show. Was der sich da so im Marktschreier- bzw. Zirkusdirektorstil zusammgefaselt hatte löste nicht geringe Heiterkeit aus. Der Ansager der "Big Foot Show", die ich nebenbei als eine Art Ableger von "Bossles-" bzw. den "Hollywood Helldrivers" identifiziert zu meinen habe (die sind sicher alle irgendwie verwandt), stand dem in nichts nach. Auch er wußte den folgenden Stunts und Kunststücken durch seine Ankündigungen erst den rechten Stellenwert zu geben.
Es ging los mit einem bißchen Rumschleudern der übrigens superuncoolen Opel-Kadett-Fahrzeuge der Truppe. Sogleich machte sich der Geruch verbrannten Gummis breit, was nicht unwesentlich Atmosphäre schaffte. Die nächste Übung kündigte der Direktor als "Americaine Criss-Cross" an, was sich ja wohl super anhört. Überhaupt trugen viele Aktionen den Beinamen "Americaine", wobei ich mir aber nicht recht schlüssig bin, ob er mit "Americaine" "American" meinte, oder ob es ihm tatsächlich auf die frankophone Endung ankam. Ein zentraler Bestandteil einer jeden Autostuntshow ist bekanntlich das Fahren auf nur zwei Räder, und das wurde auch an diesem Abend wieder ausgiebigst praktiziert. An diesem Abend wurden wir allerdings Zeugen einer sensationellen Premiere, wie uns der Ansager stolz wissen ließ. Dieses Kunststück würde nun nämlich erstmalig auf, tätää, Mercedes Benz-Fahrzeugen vollführt. Na super, jetzt fuhren die da auf zwei prollweissen 190ern herum und verkauften uns das als Sensation!
Während ich nun so herumstand und mich auf unspektakuläre Weise gut unterhalten ließ, bemerkte ich mit einem Mal ein Gefühl in der Mitte meines Körpers, daß ich mit den Jahren als einen zwangsläufig in Erscheinung tretenden Begleitumstand des Biertrinkens kennengelernt habe, ich mußte Pippimachen. Dummerweise gab es auf dem Areal keine Möglichkeit, sein Wasser abzuschlagen, so dass ich Wohl oder Übel, die Absperrungen verlassen mußte. Vor den Kassen und den Sichtschutzzäunen erwartete mich schließlich die Hölle! Horden von Kindern sozialschwacher Familien belagerten die Umzäunung, in der Hoffnung irgendwie doch noch ohne Eintrittskarte in die Show zu kommen oder wenigstens einen Blick auf den Big Foot erhaschen. Es gelang mir aber doch, heil durch diese Vorhölle zu kommen, mein Bächlein zu machen und danach auch wieder hinein zu gelangen, und dass obwohl ich Dummi tatsächlich meine Karte veloren hatte - aber ein ehrliches Gesicht öffnet doch jede Tür.
Ich schaffte es gerade rechtzeitig zum Höhepunkt der Show! "Zerstören, Zermalmen, Zerreißen!" hallte es bereits aus dem Munde des Ansagers über den Platz, und dieses infernalische Begriffstrio wiederholte er in der Folge gebetsmühlenartig wieder und wieder. Damit sollte wohl der furchterregende Predator, der große Autozerstörer geweckt werden. Dies gelang, die Karre sprang an und wir wurden ehrfürchtige Zeugen, wie der Protagonist der Show in den folgenden 5 Minuten im Zeitlupentempo lustlos zweimal über drei zusammengeschobene Schrottautos rollte und beim dritten Mal oben ´drauf stehenblieb. Das war´s!
Mir hat es es mal wieder ganz hervorragend gefallen, und ich kann nur jedem raten, mal bei einer so tollen Show dabei zu sein.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #43 Juni/Juli/August 2001 und Stefan Moutty