BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT

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Hamburg war neben Berlin und Düsseldorf eine der ersten Städte in Deutschland, die eine eigene lebendige Punk-Szene hervorbrachte. Mit Bands wie den CORONERS, SCREAMER, RAZORS oder ABWÄRTS gab es bereits Ende der 70er Jahre einige einflussreiche Punk-Bands in der Hansestadt. Die erste und damit auch prägendste Kapelle waren allerdings die BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT. Da die ersten beiden Alben der Band inzwischen auf Plattenbörsen zu Unsummen gehandelt werden, hat sich einmal mehr das Hamburger Label Vince Lombardy Highschool Records erbarmt, diese zwei Platten sowie den vierten Longplayer der Band neu aufzulegen. Da gerade den Jüngeren unter den Ox-Lesern der Name BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT nicht so geläufig sein dürfte, schien es mir angebracht, einen kleinen Rückblick auf das inzwischen über 25-jährige Schaffen der Band zu werfen. Also wühlte ich mich durch Unmengen vergilbter Zeitungsausschnitte und Programmhefte, Fanzineschnipsel und Konzertflyer. Dieses Archiv Hamburger Punk-Geschichte sammelte sich im Laufe der Jahre in den Kämmerlein der Band an. Zwar wurde niemals wirkliche Archivpflege betrieben, dennoch kam dort einiges an Erinnerungsstücken zusammen. Was da so für Anekdoten und Geschichtchen wieder ins Gedächtnis gerufen wurden, sollt ihr nun im Folgenden erfahren.

Wir hassen alle und wollen von allen gehasst werden. Die Leute sollen durch unsere Musik zum Durchbrechen und Aufmotzen gezwungen werden, damit sie ihre Frustration merken.“ Mit dieser Maxime riefen die fünf Hamburger Berufsaggressoren „Baron“ Adolf Kaiser, Wolfgang Lorenz sowie die Grund-Brüder Peter, Atli und Alfred bereits Ende 1975 die Band BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT ins Leben. Ganz nebenbei war somit Deutschlands erste Punk-Band geboren. Ziemlich schnell wurden die SEX PISTOLS als Vorbild ausgewählt, um auf deren Spuren zu lustwandeln. Und das bedeutete für die BIG BALLS provozieren und schocken bis die Schwarte kracht. So trat Sänger „Baron“ Adolf Kaiser seinem Vornamen entsprechend als Hitler verkleidet auf. Das Spiel mit der Nazi-Symbolik war in den späten 70er Jahren gerade in Deutschland immer noch mehr als verpönt und politisch hoch unkorrekt. Die Begründung für die Wahl, sich optisch an Hitler zu orientieren, fiel daher auch mehr als subtil aus. Es sollte einfach Gewalt demonstriert werden.

Als die Plattenfirma Teldec die Band seinerzeit unter Vertrag nahm, sorgte genau dieses Spiel mit rechten Symbolen wie Hitler-Bärtchen und SS-Mütze dafür, dass der damalige Teldec-Star Udo Lindenberg damit drohte, das Label zu verlassen, sollte sich dieses nicht von den BIG BALLS trennen. In einem Interview sagte der Panik-Rocker bereits 1978: „Die Entwicklung des Punk finde ich gefährlich. Das sehe ich auch bei uns in Hamburg. Unsere hochgeschätzte Firma hat ja da so eine Punkgruppe, wie heißen die noch? BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT, und da legen die auch Wert drauf, ‘white’ und so, Nazitum und Faschistengehabe…“ Wenig später verlief diese Zwistigkeit allerdings im Sande. Denn im Grunde genommen war es die Band selber, die sich vom gespielten Nazi-Image loseiste. Ausschlaggebend dafür waren die marktstrategischen Überlegungen von Teldec, die sich von einer Band in schwarzen Uniformen, mit kurzgeschorenen Haaren und dem Namen STALINGRAD wesentlich höhere Verkaufszahlen erhofften. Doch diesen Namens- und Imagewechsel ließen die BIG BALLS nicht mit sich machen, so dass auch die Zusammenarbeit mit Teldec nach zwei Alben beendet wurde.
Da zu dieser Zeit die Bundesprüfstelle mit der Zensur noch wesentlich schneller bei der Hand war als heutzutage, saß diese den BIG BALLS von Anfang an stets im Nacken. Doch das kümmerte die Jungs damals recht wenig. „Uns würde ein Verbot freuen“, behaupteten sie damals frei von der Leber weg. „Wir wollen nichts von den reichen Arschlöchern mit Stereo-Anlagen wissen.“ Gut, die hat zwar inzwischen auch jeder Sozialhilfeempfänger, die Message ward aber verstanden.
Die Konzerte wurden dann auch ohne große musikalische Raffinesse, dafür aber mit hohem Aggressionspotential vom Zaun gebrochen. Ansagen wie „Wir mögen Euch sowieso nicht“, „Geht nach Hause, Ihr Arschlöcher“ oder „Ihr müsst erst vor die Bühne kotzen, damit wir weitermachen“ beantwortete das Publikum meist wörtlich.

Und nicht nur einmal kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Band und Zuschauern. Eines ihrer ersten Konzerte vor größerem Publikum spielten die BIG BALLS 1977 in der Hamburger Markthalle, bei dem der anwesende Pöbel mit den Worten „Die Musik ist tot - es lebe der Punk!!!“ begrüßt wurde. Das Fanzine „Punk News“ schrieb über diesen Auftritt: „Der dann folgende Lärm hört sich an wie von einer Rock & Roll Band, die, vom Üben frustriert, wütend auf die Instrumente eindrischt – gemein und hässlich.“ Doch war diese Beschreibung alles andere als negativ zu verstehen, im Gegenteil, genau so wollten die BIG BALLS damals rüberkommen.
Wenig später, zum Ende des selben Jahres, erschien dann auch das erste selbstbetitelte Album der Band, welches eine der ersten Punk-Veröffentlichungen in Kontinentaleuropa darstellte und BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT im Handumdrehen in Deutschlands noch in den Kinderschuhen steckender Punk-Szene bekannt machte. Geboten wurde extrem anarchischer Krach, der nur noch ansatzweise seine Rock’n’Roll-Wurzeln erkennen ließ. Doch die Platte traf den Nerv und passt hervorragend in den Zeitgeist des Jahres 1977. Die insgesamt 17 Songs des Albums waren selten länger als anderthalb Minuten und hatten so bahnbrechende Titel wie „I’m A Punk“ oder „I’m Singing To You With My Fingers In Your Ass“. Daneben gab es Coverversionen vom SEX PISTOLS-Klassiker „Anarchy In The U.K.“ (hier als „Anarchy in Germany“), sowie „White Light, White Heat“ von VELVET UNDERGROUND und „Search And Destroy“ von den STOOGES.

Ein Jahr später folgte mit „Foolish Guys“ der Nachschlag in Form des zweiten Albums, was musikalisch bereits eine deutliche Weiterentwicklung der Band erkennen ließ und somit auch den Weg für die folgenden Jahre vorzeichnete. Weg vom reinen Lärm der Anfangstage, hin zu flexibleren Songs mit unterschiedlichsten Einflüssen, die sogar bis zum Reggae reichten, was beim Hören des Debüt-Albums noch unmöglich erschien. Insgeheim wurde „Foolish Guys“ damals von nicht wenigen Leuten als beste Punk/New-Wave-Veröffentlichung der späten 70er Jahre aus deutschen Landen gehandelt. Inzwischen hatte sich die Band auch von „Baron“ Adolf Kaiser getrennt, der kurzzeitig vom JOHNNY MOPED Mitstreiter Frenchie abgelöst wurde, um von nun an als Quartett durch die Lande zu ziehen. Doch die Zusammenarbeit mit Frenchie blieb nicht die einzige mit ausländischen Musikern. Zu seligen Bon-Scott-Zeiten gingen die Jungs seinerzeit auch mit AC/DC ins Studio, um sich gegenseitig zu covern. Leider erblickten diese Aufnahmen nie das Licht der Welt. Genauso wenig wie die, die man zusammen mit der isländischen Sängerin Björk aufgenommen hatte. Damals sang die noch bei der Band K.U.K.L. und war meilenweit von ihrem jetzigen Bekanntheitsgrad entfernt. Eigentlich war Crass Records an dieser Gemeinschaftsarbeit interessiert, veröffentlichte das Ergebnis aus mir unbekannten Gründen dann allerdings doch nie.
Mit dem folgenden dritten Album „Artikel 1“ aus dem Jahre 1980, diesmal nicht mehr bei Teldec, sondern auf dem bandeigenen Label Balls Records erschienen, setzte die Band ihre Entwicklung weg vom simplen, stampfenden Punk der Anfangstage konsequent weiter fort, blieb sich aber weitestgehend treu. Dennoch kehrten dadurch einige Fans der ersten Stunde der Band den Rücken, was wenig später auch den vorübergehenden Split der BIG BALLS zur Folge hatte.
Doch lange währte die Pause nicht, denn Anfang der 80er Jahre stand eine ganz neue Herausforderung ins Haus. Das Hamburger Schauspielhaus engagierte die Band als Schauspieler und Musiker für eine Inszenierung von Horvaths „Sladek“. Und nun schloss sich auch der Kreis zu ihren Anfangstagen, denn in dem Stück mimten sie Nazi-Schergen, deren Hauptbeschäftigung das Zusammenschlagen von politischen Gegnern der Schwarzen Reichswehr war. Immerhin hatte dieses Engagement zur Folge, dass die BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT die einzig staatlich subventionierte Punk-Band der Welt wurden.

Mit neuen Erfahrungen aus dieser Arbeit und vielen Ideen im Kopf beschloss die Band 1983 ihr viertes Album aufzunehmen und zu veröffentlichen. „Creepy Shades“ wurde in London von Mark Wyman produziert und erschien wie schon der Vorgänger beim eigenen Label Balls Records. Inzwischen war der ruppige Punk-Sound nur noch rudimentär auszumachen. Auch wenn der Opener „Punk Star“ hieß, herrschte inzwischen eher ausgefeiltes Songwriting vor. Bei den alten Fans sorgte das allerdings für äußerst unterschiedliche Reaktionen. Die einen schlossen nun mit der Band endgültig ab, die anderen fingen gerade jetzt an die BIG BALLS wirklich zu schätzen.
Im weiteren Verlauf der 80er Jahre war es hauptsächlich die Arbeit am Hamburger Schauspielhaus, die THE BALLS, wie sich die Band inzwischen nannte, beschäftigte. In diesem Rahmen erschien 1985 auch noch die Single „Sweet Catherine“, welche ursprünglich nur für Promotion-Zwecke erscheinen sollte. Für großes Aufsehen sorgte in der Zeit auch die Inszenierung von „Babylon“ im Malersaal auf dem Kampnagel-Gelände. In dem Stück trafen sechs Menschen aufeinander, um ein „alltägliches Trümmerfeld“ zu hinterlassen. Die Jungs von den BIG BALLS spielten dabei skurrile Schamanen, die im Tiergewand ihre Kreise ziehen. Und in diesem Stück bewiesen die BIG BALLS dann auch ihr breites musikalisches Können und präsentierten eine bunte Mischung aus irisch anmutendem A-Capella-Gesang und harten Rocktönen. Kein Wunder also, dass sich die Band inzwischen nicht mehr auf den Punk der Anfangstage reduzieren lassen wollte.

Auch wenn es im Laufe der Jahre immer ruhiger um die BIG BALLS wurde, verschwanden diese nie wirklich von der Bildfläche. So steuerte die Band mit „The Big Waltz“ den Soundtrack zum Spielfilm „Die Mutter des Killers“ bei und veröffentlichten in den 90er Jahren auch noch das Album „In Search For Love“. Einen gehörigen Popularitätsschub erfuhr die Band dann gegen Ende des letzten Jahrzehnts, als sie zusammen mit dem Schauspieler Jan Vedder („Großstadtrevier“) zwei Alben unter dem Namen JAN VEDDER & DIE BIG BALLS auf den Markt brachten, auf denen sie sich dem Verpunken/rocken Hamburger Hafen- und Seemannslieder verschrieben hatten. Und wenn man heute aufmerksam die Stadtmagazine in Hamburg studiert, wird man vielleicht auch immer noch über die Notiz stolpern, dass in einem rauchigen Live-Club der Stadt die BIG BALLS zum Tanze aufspielen. Ganz unprätentiös – wie eigentlich die ganze lange Bandgeschichte.