Schon lange steht der Begriff Popmusik nicht mehr für clevere Melodien und ehrliche Texte. Die Hitparaden sind gefüllt mit Plastikschrott und wiederverwertetem Audiomüll. Dass es auch anders geht, beweist der 25-jährige Ben Kweller mit seinem selbstbetitelten neuen Album. Ob Powerpop-Nummer, Herz zerreißende Pianoballade, Indierocker oder Antikriegsstomper, seine Songs haben alle eines gemeinsam: Man bekommt sie unter keinen Umständen mehr aus seinen Gehöhrgängen heraus. Ich sprach mit dem äußerst sympathischen jungen Herrn, der samt seiner Frau Liz und Sohn Dorian tourt, vor seinem Konzert im Münchner Atomic Café. Entsorgt eure alten BEATLES-LPs ruhig in der Tonne: Here comes Ben Kweller!
Spielst du auf dieser Tour das erste Mal auf deutschen Bühnen?
Nein, ich glaube, es ist das vierte Mal. Ich habe schon einmal GRANDADDY in Deutschland supportet. Und mit meinem letzten Album habe ich meine eigenen Shows gehabt. Vor Jahren, in den späten Neunzigern, hatte ich eine Band namens RADISH und wir tourten mit FAITH NO MORE in Deutschland, da spielten wir viele Konzerte, in großen Stadien und so.
In Europa scheinst du ziemlich unbekannt zu sein, was dadurch belegt wird, dass du in kleinen Clubs wie diesem auftrittst. Ich nehme an, dass es in den USA ein wenig anders aussieht. Dort spielst du Festivals wie das Loolapalooza und dein Videoclip wird auf VH1 gespielt. Wie viele Leute kommen dort zu deinen Shows?
In großen Städten wie New York so um die 2.000, in kleineren 500, aber in der Regel sind es 1.000 bis 2.000 Leute. In Frankreich läuft es auch sehr gut. Das ist wirklich seltsam. Dort bin ich bekannter als überall sonst in Europa, ich weiß nicht, woran das liegt.
Man kann also sagen, dass es gut für dich läuft?
Ja, es läuft gut, es geht immer weiter voran. Die Schwierigkeit daran, in Europa bekannt zu werden, liegt darin, dass man sehr viel touren muss. Man muss wirklich eine Menge Zeit investieren und das mache ich auch. Aber ich habe auch in Australien und Japan Fans, deswegen werde ich dort bald hingehen, in etwa zwei Monaten. Es ist nicht einfach, wenn du überall präsent sein musst.
Dein letztes Album "On My Way" wurde live aufgenommen, bei "Ben Kweller" hast du jetzt alle Instrumente selbst eingespielt. Gab es andere grundlegende Unterschiede im Aufnahmeprozess?
Ja, es war das erste Mal, dass ich Pro Tools benutzt habe, meine erste digitale Aufnahme. Ich habe sonst immer Aufnahmegeräte wie zum Beispiel 16-spurige Analogrekorder benutzt. Neu war, dass ich einen Computer zur Aufnahme heranzog, was daran liegt, dass der Produzent ausschließlich Pro Tools verwendet. An diesem Punkt meiner Karriere sind für mich solche Dinge einfach nicht mehr wichtig. Die Performance und der Song stehen viel mehr im Vordergrund. Als ich jünger war, habe ich mir so viele Gedanken über Dinge wie Mikrofone, Equipment, Gitarren und Vintage gemacht, aber das ist doch alles Mist! Es dreht sich letztendlich alles um den Song, die Musik und die Emotionen. Du kannst auch auf einer Kassette aufnehmen, und wenn alles passt, wird es perfekt klingen.
Einige Leute behaupten, du wärst mit deinem neuen Album auf dem Pop-Olymp angekommen. Siehst du es ebenfalls als dein bestes an?
Ja, momentan ist es mein Lieblingsalbum. Die Texte sind sehr persönlich und einfach sehr emotional und befassen sich mit meinem Leben.
Wird es schwer für dich werden, den Qualitätsstandard zu halten und genug Ohrwürmer für ein weiteres Album zu schreiben?
Ich hoffe, dass ich es wieder hinkriege. Es gibt schon ein paar Songs für ein neues Album. Ich bin immer mit dem Schreiben von Songs beschäftigt und hoffe einfach, dass ich meine Fans glücklich machen kann.
Der Song "This is war" enthält folgende Passage: "I'm a soldier on a battlefield / Got an army on a battlefield / Outnumbered like the Alamo / I don't even want to go". Gab es Zeiten in deinem Leben, wo du zu Sachen gedrängt wurdest, die dir missfielen, wo du aufstehen und "Nein" sagen musstest?
Ja, das ist mir oft passiert. Mein ganzes Leben lang war ich anders als die meisten Menschen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass ich in die Welt hinauszog, als ich sehr jung war. Viele Menschen nehmen dich nicht ernst, wenn du jung bist. Erwachsene hören nicht auf junge Menschen. Aber junge Menschen sind die nächste Generation und führen die Zukunft weiter. Das hat mich immer angepisst, als ich noch ein Kind war. Und ich sehe noch immer sehr jung aus. Manchmal machen mir Menschen das Leben schwer, wenn ich unterwegs bin, weil sie denken, ich bin nur irgendein Teenager. Ich wuchs in einer sehr kleinen Stadt in Texas auf, wo es haufenweise Proleten und wirklich dumme Leute gab. Meine Familie war die einzige jüdische Familie in der Stadt. Die Leute haben sich über mich lustig gemacht. Aber solche Dinge machen dich stärker. Zudem bin ich Linkshänder, haha. Alles an mir ist anders und verkehrt. Viele Leute haben ein Problem mit meinem Lebensstil. Ihnen missfällt der Rock'n'Roll-Lifestyle, sie mögen es nicht, wenn jemand sein Geld mit Musik verdient. Gerade alte Leute verstehen das oft nicht. Ich möchte mal sehen, wie diese Leute auf die Bühne gehen und eine Show auf die Beine stellen. Ich bin es gewohnt, anders zu sein. Es macht mich zu dem, der ich bin, und es macht einen stärker. Glücklicherweise wurde ich niemals von der Armee eingezogen. Ich möchte nicht zur Armee. Genau wie in dem Song. Wenn ich in den Krieg ziehen müsste, würde ich wahrscheinlich nach Kanada oder Holland ziehen.
Es muss haufenweise unveröffentlichte Songs von dir geben. Können wir eine B-Seiten-Zusammenstellung von dir erwarten?
Ja, darüber denke ich oft nach. Ich habe viele Aufnahmen. Vielleicht werde ich eines Tages fünf oder zehn Jahre an gesammeltem Material veröffentlichen. Das wird aber noch eine ganze Weile dauern, im Moment ist die Nachfrage danach zu gering.
Was war damals der Grund für die Auflösung deiner Band RADISH? War es eine dieser typischen Majorlabel-Horrorstorys? Band verkauft nicht genügend Platten, wird von der Plattenfirma fallengelassen, Bandmitglieder sind frustriert und gehen fortan getrennte Wege?
Wir waren ein Trio. Ich und der Drummer hatten zusammen Musik gemacht, seit wir 12 und er 14 Jahre waren. Als ich 18 war, entschieden wir uns einfach dazu, unterschiedliche Dinge zu machen. Er gründete eine Plattenfirma und ich zog nach New York. Ich verliebte mich vor acht Jahren und schrieb dort eine Menge Songs. Ich glaube, ich wollte einfach ein Solokünstler sein. Die Band hat sich eigentlich nie wirklich aufgelöst. Es wurde nie gesagt: "Wir lösen uns auf". Ich zog eben weg und er begann mit etwas Neuem. Wir sind immer noch Freunde, er spielte ja auch auf "Sha Sha" und "On My Way". Ein wirklich großartiger Kerl.
Du bist in einer sehr musikalischen Umgebung aufgewachsen. Dein Vater, der dich nachhaltig beeinflusst hat, spielte mit Nils Lofgren in einer Band. Er brachte dir das Schlagzeug- und Klavierspielen bei. Denkst du, es wäre dir jemals möglich gewesen, die Songs, die du bis heute geschrieben hast, ohne die musikalische Erziehung deines Vaters und der dazugehörigen Umgebung umzusetzen?
Nein, das war auf jeden Fall notwendig. Es war meine Grundlage, die Akkorde auf dem Klavier und Schlagzeug spielen zu lernen. Wenn ich damit nicht vertraut gewesen wäre, hätte ich niemals so viel über Musik und Songwriting gelernt. Ich hätte es wahrscheinlich erst viel später erfahren, nachdem ich auf Bands aus meiner Generation wie zum Beispiel NIRVANA gestoßen bin. Aber durch meinen Vater habe ich so früh damit angefangen und ohne ihn wäre ich wahrscheinlich niemals so gut geworden.
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