Mit BEHIND ENEMY LINES war im Mai das Aushängeschild der US-DIY-Punkszene in Europa auf Tour. Und wenn ich Punk schreibe, dann meine ich auch Punk und nicht den Dreck, der via MTVIVA als solcher verkauft wird. BEHIND ENEMY LINES sind purer Anarchopunk im Sinne von CRASS oder CONFLICT, höchst politisch und fantastische Live-Musiker, abgesehen von der Tatsache, dass sie geschlossen als Band agieren und sehr angenehme Zeitgenossen sind. Dieses Interview fand in der Alten Meierei in Kiel statt, die von der Stadt zunehmend unter Druck gesetzt wird, keine Veranstaltungen mehr durchzuführen.
BEHIND ENEMY LINES zu beschreiben, ist ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen. Musikalisch erinnern sie auf ihrer zweiten LP „The Global Cannibal“ stark an alte UK-Bands wie CONFLICT, textlich sind sie eine klare Fortsetzung der Vorgängerband AUS-ROTTEN, in der Sänger Dave und Schlagzeuger Matt tätig waren und welche mit „And Now Back To Our Programming“ einen Meilenstein in der tristen Punkrockwelt setzten. Ergänzt werden die beiden durch die Gitarristen Bill von REACT und Matt, sowie Bassistin Mary, die bei den Doomstern PENANCE spielten. Diese Mischung aus Musikern der Punk- und Metalszene schafft ein Gebräu, das inhaltlich ganz klar Punk ist, andererseits aber auch eine Heavyness erreicht, die nur so möglich ist. So gibt die Band live auch optisch kein einheitliches Bild ab, auf einer Seite lange Haare und ein KING DIAMOND-Shirt, auf der anderen Punk-Shirts und der von Kopf bis Fuß tätowierte Sänger Dave, der seine ganze Wut herausbrüllt, während er sich auf einen kurzen Stock stützt, den er benötigt, seit er vor einigen Jahren einen Autounfall hatte. Mein Kumpel Phillip hat das sehr schön umschrieben: „Das erinnert mich an Captain Ahab, der die Harpune nach den Scheiß-Kapitalisten-Walen wirft“.
BEHIND ENEMY LINES rechnen schonungslos mit jedem Dreck ab, den die amerikanische Regierung am Stecken hat, wobei jeder Songtext eher einem Essay gleicht, aber eine ebenso simple wie klare „Fuck You“-Attitüde behält. Wer die schmutzigen kleinen Details der US-Politik kennen lernen will, sollte mal in Ruhe die Texte studieren. Auffallend ist allerdings, dass Dave in seinen Texten viele Fragen aufwirft und direkt mit dem Finger in der Wunde bohrt, aber keine Lösungsvorschläge parat hat. „Ich sehe es so,“ entgegnet Dave, „dass meine Texte Reaktionen auf das sind, was in der Welt falsch ist, meist bin ich einfach frustriert, da es keine Lösung der Probleme zu geben scheint. Es gibt ja verschiedene Ansätze, Probleme zu lösen: selbst aktiv werden, andere über Missstände aufklären. Ich schreibe eben Texte darüber. Wir alle sind ja sicher ein Teil des Problems, da ist es für mich logisch, auch Teil der Lösung zu sein, und so kläre ich die Leute wenigstens auf. Ich kann nicht behaupten, die Lösungen zu kennen, das wäre wirklich zu arrogant.“
Dave arbeitet in Pittsburgh als Tätowierer, da er nach seinem Unfall nicht zu seinem alten Fabrikjob zurückkehren konnte. Nebenbei studiert er noch amerikanische Zeichensprache und hofft, bald mit Gehörlosen arbeiten zu können. Auf meine Frage, ob er auch tätowiert, entgegnet Drummer Matt, der Teile des Artworks der letzten LP übernommen hat: „Nein, ich bin Koch. Aber ich zeichne seit meiner Kindheit. Dave ist der politische Motor der Band, er schreibt seine Texte so differenziert und exakt, das hat er auch schon bei AUS-ROTTEN getan. Aber BEHIND ENEMY LINES sind eine andere Band, viel heavyier und da wollte ich einen anderen Stil für Cover und Booklet haben. Unsere erste LP sieht ja noch aus wie eine AUS-ROTTEN-LP.“
Über die Gestaltung von Flyern und Postern kommen wir auf das „Mr. Roboto Project“ in Pittsburgh zu sprechen, einen kleinen DIY-Club, der mittlerweile schon sechs Jahre existiert. „Das ist der erste und einzige Ort, der in Pittsburgh so organisiert ist, jeder kann mitmachen, du kannst Mitglied werden, musst es aber nicht. Dann kannst du Konzerte veranstalten oder bezahlst weniger Eintritt. Es ist alles recht klein, aber ein großartiger Ort für Konzerte“, führt Dave aus. „Es ist aber kein Squat wie häufig hier in Europa.“ Matt ergänzt: „In Amerika gibt es keine so organisierte Squatterszene. Wenn du ein Haus besetzt, wirst du am selben Tag noch von der Polizei wieder vor die Tür gesetzt.“
Nachdem ich auf den Portland-Hype zu sprechen komme, klärt Dave mich auf: „Aber die DIY-Szene ist schon eng miteinander vernetzt. Es ist nicht so, dass es wegen der großen Entfernungen nur einzelne abgeschottete Szenen gibt, wir haben schon Kontakte in andere Städte wie Portland oder Minneapolis. Na ja, die Bands klingen eben alle ähnlich, weil es nur eine überschaubare Anzahl an Musikern gibt, die dann immer wieder in anderen Bands spielen.“
Einen Schwerpunkt in unserem Gespräch stellt die amerikanische Großwetterlage dar. Darüber, wie viele Parteien im amerikanische Parteiensystem überhaupt eine Rolle spielen, geht die Meinung nicht weit auseinander. „Wir haben mehr oder weniger ein Zwei-Parteien-System, sicher gibt es die Green Party, aber Ralph Nader bekommt gegen die Großen keinen Stich. Und allein diese Tatsache hält viele Leute vom Wählen ab“, führt Drummer Matt aus. „Das stimmt,“ ergänzt Dave, „Republikaner und Demokraten haben das Geld und die gesamten TV-Sendezeiten auf ihrer Seite. Für den Durchschnittsamerikaner sind die anderen Parteien irrelevant. Das ganze System ist so gefestigt, dass der, der das Geld hat, die größte Publicity bekommt und sich so ins Amt kauft. Ein anderer Trend geht in die Richtung, dass die ganzen Medien von Konzernen aufgekauft und monopolisiert wurden, die eindeutig nach rechts tendieren und damit nur ein Propagandainstrument der Republikaner sind.“
Noch krasser formuliert es Gitarist Matt: „Wir haben an Parteien auch die La Rouches oder die Libertarians, aber im Endeffekt geht es nur um eine Partei, und die steht repräsentativ für eine Gruppe von Elite-Investoren, die alles dransetzten, ihren Mann ins Weiße Haus zu kaufen, was ihnen auch ausnahmslos gelungen ist.“ Eine weitere Frage, die sich ob der Angepisstheit über das herrschende System stellt, ist, inwieweit man sich in das System integriert und zum Beispiel wählen geht? „Ich habe bei der letzten Präsidentenwahl für den Kandidaten gestimmt, den ich als das kleinere von zwei Übeln bezeichnen würde,“ erklärt Gitarist Matt. „Das Ganze hat einen faulen Geschmack in meinem Mund hinterlassen, weil ich mich irgendwie übertölpelt fühle. Für mich macht es eindeutig mehr Sinn, sich auf lokale Wahlen und auf Dinge in meinem Einflussbereich, wie zum Beispiel DIY, zu beschränken.“
Namensvetter Matt führt aus, dass er noch nie wählen gegangen ist, aber die letzte Wahl doch anders gelagert war: „Mir ist klar, dass einige Leute sagen, dass Wahlen nur ein Zugeständnis an das System sind, aber nach allem, was in den letzten vier Jahren vorgefallen ist, habe ich meine Meinung geändert und bin wählen gegangen. Ich hatte das Gefühl, dass alles, was Bush aus dem Amt bringt, die Mühe wert ist. Eigentlich hatte ich gedacht, dass all diese Lügen über den Krieg und die Massenvernichtungswaffen jeden anwidern müssten. Was Bush dann im Amt gehalten hat, war das Spiel mit der Angst. Nur ein paar Tage vor der Wahl kamen auf einmal die Medien mit neuem Filmmaterial über Bin Laden und seine Gefährlichkeit ans Tageslicht, natürlich Fehlinformationen, aber es hat gereicht.“
Auch Dave hat das erste Mal gewählt: „Ich habe zwar kein Vertrauen in den Wahlprozess hier in Amerika, aber wie viele andere wollte ich Bush weghaben. Grundsätzlich sehe ich aber Wahlen als einen Widerspruch zu meinen Überzeugungen, ich habe sozusagen aus Verzweiflung gehandelt. Langfristig werden die Wahlen hier in Amerika immer weiter verseucht, zum Beispiel durch elektronische Wahl, wobei die Wahlmaschinen von einigen rechtsorientierten Firmen hergestellt und gewartet werden. Diebold ist die größte unter ihnen und hat Bush ausdrücklich zugesagt, ihm eine zweite Amtsperiode zu sichern.“
Für mich gehören Punk und zumindest ein linkes politisches Bewusstsein unzertrennbar zusammen, nach annähernd zwei Jahrzehnten in der Szene stelle ich mir aber oft die Frage, wen man eigentlich mit den in den Texten vermittelten Inhalten erreicht. NAPALM DEATH haben das mal mit „Preaching To The Converted“ umschrieben, soll heißen, das Bands wie BEHIND ENEMY LINES wahrscheinlich meistens vor Gleichdenkenden spielen. Andere Bands wie CHUMBAWUMBA sind hingegen den Weg des musikalischen Mainstreams und des Satans namens Musikindustrie gegangen. Und für mich gescheitert. Dave entgegnet: „Nein, ich glaube nicht, dass wir nur für Gleichgesinnte spielen, gerade in Amerika nicht. Dort ist die politische Punkszene nicht mehr so, wie sie mal war. Es gibt nicht mehr so viele Bands, die politische Inhalte transportieren. Das Hardcore-Revival ist in Amerika einfach nur ein weiterer Trend. Es ist vollkommen klar, dass Dinge wie Religion, Krieg oder Vorurteile im Punkrock tausendmal abgehandelt worden sind, deshalb versuche ich über aktuelle und neue Dinge zu schreiben. Die Welt hat sich in den letzten fünf Jahren dermaßen geändert, dass wir jetzt jede Menge neue Dinge haben, über die wir uns unterhalten und uns auch aufklären können.“
Auf meine Frage, ob er als Drummer die Texte kennt, muss Matt grinsen und entgegnet: „Natürlich, unsere Texte sind einfach ein wichtiger Bestandteil der Musik und es besteht ein Konsens über den Inhalt. Es wäre einfach zu hart, in einer Band zu spielen, die so extrem ist, wenn man nicht der gleichen Meinung wäre. Wir hören alle DIY-Punk, daran glauben wir und deshalb spielen wir ihn. Ich bin in dieser Band, weil ich die Musik liebe und die Message unterstütze. Ich habe noch nie daran gedacht, unseren Stil zu ändern, um ein anderes Publikum zu erreichen. Das wäre wie zu einem Major zu gehen, um eine größere Anhängerschaft zu bekommen. Das ist für mich einfach keine Option. Die Message ist wichtig, aber ohne unsere Musik wäre sie nichts. Und es kommen auch immer wieder jüngere Leute in die Szene, die unsere Ansichten noch nicht kennen. Ich denke übrigens nicht, dass wir eine Band sind, die den Leuten sagt, was sie tun oder lassen sollen, sondern sehe die Band als Ventil unserer Frustration.“ „Dem stimme ich zu,“ fügt Gitarist Matt an, „wir sind in erster Linie eine Band, die durch Wut angetrieben ist. Ich sehe auch nicht, dass wir geile Dance-Hits raushauen könnten, das ist einfach nicht unser Stil. Klar spielen wir oft vor Gleichgesinnten, aber es ist manchmal einfach wichtig, die geballte Kraft und Stärke zu spüren, wenn wir gemeinsam zu den Songs brüllen. Das ist dann wirklich eine Katharsis.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Ollie Fröhlich
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