Die Presse ist sich einig: Endlich sticht mal wieder eine Band aus der, streckenweise, kreativfreien Trümmerlandschaft heraus, die sich deutscher Hardcore nennt. Seitdem BAZOOKA ZIRKUS im vergangenen Jahr ihr Debütalbum auf RilRec veröffentlicht haben, tönt zunehmend der Refrain von „Kurze Hose, Holzgewehr“ aus den scheppernden Boxen alter Autoradios. Endlich ist es keine Schande mehr, nicht Skateboard fahren zu können, wenn man wenigstens noch zwei krumme Beine hat und mit etwas Kraft die Schaufensterscheiben unserer Welt einwerfen kann, hinter denen der Spießbürger seine geistig beschränkten Pirouetten dreht. Es ist gut zu wissen, dass selbst Youth Crew-Hardcore im zeitgemäßen Gewand also noch funktionieren kann, wenn die Bandmitglieder mittleren Alters sind und von ihrer gesamten musikalischen Sozialisierung geschickt zu zehren wissen. Michael Giefer, seines Zeichens Sänger der Band, hegt darüber hinaus noch die Leidenschaft für das Tätowieren und besitzt seit drei Jahren ein eigenes Tätowierstudio in Neuwied: „Tatooine“. Das sind natürlich zwei Komponenten, die im folgenden Interview in einen gemeinsamen Kontext gebracht und näher betrachtet werden.
Inwiefern besteht ein Zusammenhang zwischen den kulturellen Phänomenen Musik und Tätowierung?
Das liegt ja auf der Hand: Beides kann dazu dienen, sich selbst oder ein „Lebensgefühl“ auszudrücken, und war immer schon Teil von Initiationsriten. Hasch und Alkopops natürlich auch.
Inhalte sind dir in den Texten von BAZOOKA ZIRKUS sehr wichtig. Welchen Wert legst du auf die Inhalte beziehungsweise Bedeutungen der Tätowierungen, die du anfertigst?
Ich lege da mehr Wert auf das Motiv an sich. Interpretationsfreiheit bietet ja fast alles und wer sich mit einer bestimmten Bedeutung wohler fühlt oder sicherer, weil die Bilder sich so leichter rechtfertigen lassen, bitte. Allerdings sind diese Bedeutungen oft dermaßen hanebüchen oder pathetisch, dass es manchmal schwerfällt, in seiner Rolle als professioneller Dienstleister zu bleiben.
Im Hinblick auf all die Bands, bei denen du in den letzten zwei Jahrzehnten mitgewirkt hast – BARSEROS, HUMAN PONY GIRL, THE LONERS, etc. –, fällt auf, dass es für dich wesentlich ist, dich musikalisch stets weiterzuentwickeln oder zumindest alle paar Jahre andere stilistische Schwerpunkte zu setzen. Welchen Stellenwert haben die Weiterentwicklung und die wiederkehrende stilistische Veränderung in der Kunst des Tätowierens für dich und woran würdest du beides bei deinen Arbeiten festmachen?
Wahrscheinlich macht kein Mensch 20 Jahre genau das Gleiche – mal vielleicht abgesehen von Lemmy oder den RAMONES. In der Tätowierkunst gibt es da allerdings die klassischen Motive, wie zum Beispiel das, was man „westlichen Oldschool“ nennt: Anker, Schwalbe, Rose etc. Diese Dinge tauchen nicht nur als Motiv immer wieder auf, sondern auch in der Form ihrer Darstellung. Zwar ist auch hier immer eine Weiterentwicklung sichtbar, aber oft stark angelehnt an den Stil der frühen Seefahrertattoos. Wobei natürlich schon ganz allgemein die Qualität der Tätowierungen schlicht um Klassen besser geworden ist. Ich persönlich möchte an einen Punkt kommen, an dem ich mit meinen Arbeiten selbst völlig zufrieden bin. Dass es noch nicht so weit ist, schreibe ich natürlich auf keine Fahnen, aber das hat für mich den höchsten Stellenwert. Dadurch, dass Tattoos aber immer zunehmend Eingang in jedes Stadtbild und somit in den Alltag gefunden haben, werden die Leute auch offener, was Motive anbelangt. Das ebnet den Weg zu immer schöneren Bildern.
Du hast bereits mit deinen Vorgängerbands diverse Platten veröffentlicht, auf sämtlichen Bühnen des Landes gestanden und scheinst immer noch nicht die Lust daran verloren zu haben, selbst für kleinere Konzerte zehn Stunden durch die Gegend zu kurven. Was macht für dich den Reiz aus, bei BAZOOKA ZIRKUS zu spielen und dabei all die Jahre immer noch so motiviert und ambitioniert ans Werk zu gehen?
Ich komme gerade aus Joldelund und war gestern neun Stunden mit einem Klapperbus auf der Autobahn. Tatsächlich ist das nicht sehr reizvoll. Trotzdem war das Wochenende wunderschön. Mit den Herren unterwegs zu sein, an Orte zu gelangen, die man sonst nie sehen würde – manchmal zu recht–, und neue Leute kennen zu lernen. Das Ganze ist stets ein voll bezahltes Abenteuer. Zu Hause an Songs zu basteln und diese dann im Studio zu einem Album zusammenzuführen, bedient ja die gleichen kreativen Bedürfnisse wie das Zeichnen oder Tätowieren; andere haben einen Garten. Man kann natürlich auch samstags Shoppen gehen und den Sonntag auf der Klubgarnitur zubringen. Vorläufig bleib ich aber bei meinem Leisten.
Im Punk wird der D.I.Y.-Gedanke nach wie vor groß geschrieben. Wie beurteilst du es, dass dieser aktuell auch bei diversen Personen im eher „unbesorgten“ Tätowieren Ausdruck findet? Denn es ist inzwischen ja nicht nur so, dass man ohne Gitarre spielen zu können Shows spielt, sondern ähnlich unbekümmert, ohne Erfahrung, mit der Tätowiermaschine in der Hand direkt seinen Freundeskreis zu tätowieren beginnt ...
Das erinnert stark an die Siebziger in England – nur mit dem Unterschied, dass nicht die Wirtschaftskrise daran Schuld trägt. Man kann jedenfalls tatsächlich beobachten, dass sich immer mehr Leute ein Tattoo-Starter-Set auf eBay zulegen und zustechen. Mal abgesehen von hygienischen Bedingungen und etwaigen gesundheitlichen Risiken sehen die Ergebnisse dann fast immer ziemlich heiß aus – naive Knastkunst eben. Aber die Nachfrage ist gewaltig und es entwickelt sich dahingehend, dass viele zwischen 16 und 26 Jahren immer schneller und billiger tätowiert werden möchten. Da geht es schon darum, am nächsten Disco-Wochenende mit neuem Körperschmuck zu brillieren; übrigens immer öfter auch auf Fingern und Hals. Einen verantwortungsvollen Umgang in Hinblick auf den „Ewigkeitsfaktor“ kann man natürlich nicht erwarten, das ist ja nachvollziehbar. Man kann sich nur glücklich schätzen, 2012 nicht 18 zu sein, haha. Gut, unterm Strich ist das ziemlich D.I.Y. Das Ganze aber mit dem eigentlichen D.I.Y.-Gedanken zu vergleichen, halte ich für ausgesprochen euphemistisch. Gitarre spielen können die aber meistens noch ganz gut, weil man mit dem Ein-Finger-Such-System ganz schlecht eine funktionale Metalcore-Band auf die Beine stellt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #102 Juni/Juli 2012 und Christoph Parkinson