Der Umstand, dass Bands, die man ursprünglich schon vor längerer Zeit als uninteressant abgehakt hatte, plötzlich mit einem Album auf deinem Plattenteller landen, welches dich umgehend dazu bringt, ein Interview anzuberaumen, ist selten. Dafür ist es allerdings umso erfreulicher, wenn man sich für etwas begeistern kann, mit dem man überhaupt nicht gerechnet hatte. Hatte ich BARETTA LOVE nach ihrer Debüt-EP „Promise I’ll Be Fine“ von 2009 bereits – und wie die Band eingesteht, wohl auch teilweise zu Recht – als einen weiteren US BOMBS/RANCID-Klon in der mentalen Toilette des Gedächtnisses runtergespült, so belehrten sie und Wanda Records-Betreiber Monster, der an der Band festhielt, mich nun eines Besseren. Denn mit dem Longplayer „Minimal Play“ befand sich die Band 2012 plötzlich auf einer Höhe mit den Meistern ihres Faches, drangen halbakustische Perlen im Geiste der späten ONE MAN ARMY oder SWINGIN’ UTTERS aus den Boxen. Man wandelte auf den von THE CLASH geebneten Pfaden des Combat Rock. Plötzlich hatten die von mit zuvor Geschmähten eine eigene Nische gefunden, die ich so nie und nimmer erwartet hätte, und mich nun gespannt auf kommende Aufnahmen warten lässt. Wie es zu dieser Entwicklung kam, verrieten mir im Folgenden Fabian, Philipp und Chris.
Mit der neuen Platte habt ihr ja einen unheimlichen Schritt nach vorne gemacht, weshalb mich die zurückhaltende Limitierung auf 300 Exemplare etwas überrascht hat. Vorsicht oder Absicht?
Fabian: Vielen Dank. Die Limitierung der Platte hat unser Label zu „verantworten“. Von mir aus hätten wir das Ding auch in einer 10.000er Auflage raushauen können, haha. In Anbetracht der Tatsache, dass wir noch eine recht unbekannte Band sind, konnten wir die Limitierung aber vollkommen nachvollziehen. Monster kann sich nicht soweit aus dem Fenster lehnen, um dann eventuell ewig auf den Scheiben sitzen zu bleiben. Wir waren auch einfach sehr froh, dass unser Album überhaupt als Vinylversion erschienen ist, denn das hatte für uns wirklich oberste Priorität. Egal, welche Auflage, aber Vinyl war ein Muss.
Philipp: Die 300er Auflage ist die gängige Zahl einer regulären Wanda-Veröffentlichung. Da wir aber seit der Veröffentlichung im September schon fast alle Platten verkauft haben und nur noch eine Handvoll besitzen, wird es wahrscheinlich auf die „Collector Nerd“-Situation hinauslaufen. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Wäre bei der heutigen wirtschaftlichen Situation sogar eine rein logische Investition, um sich für schwere Zeiten abzusichern und mit der Platte in zehn Jahren über eBay reich zu werden, haha. Nein, ganz im Ernst, wenn der Verkauf so weitergeht, ist die Scheibe bald ausverkauft und vielleicht gibt es dann eine Nachpressung mit leicht verändertem Artwork und einer anderen Vinylfarbe.
Was war euch bei der Umsetzung der neuen Platte besonders wichtig, welche Ziele hattet ihr euch gesetzt und inwiefern würdet ihr sagen, dass ihr diese erreicht habt?
Fabian: Sie sollte uns zu 100% repräsentieren, mit all unseren Macken, der Unvollkommenheit, der Prise Chaos, oder besser: der Unordnung, denn wir sind auch im Privaten eher selten geradlinig und super organisiert. Ich zum Beispiel gehe gern in die unterschiedlichsten Situationen unvorbereitet hinein und rede schon mal, bevor ich denke. Dieses spontane Element zieht sich meiner Meinung nach durch die Platte, was auch durch den Zeitdruck begünstigt wurde, weil ein Studioaufenthalt halt einfach auch mal eine Menge Geld kostet. Ich kann mit perfekt „durchgestyleten“, superglatten Produktionen recht wenig anfangen und liebe Musik, die Ecken und Kanten hat, sich dadurch eben auch vom Einheitsbrei unterscheidet und den gewissen Charme besitzt. Für mich ist „Minimal Play“ die perfekte Momentaufnahme unserer Band.
Philipp: Das Album war schon für den Sommer 2010 geplant, aber die Trennung von unserem alten Schlagzeuger kam dazwischen. Die Zeit danach war durch gesundheitliche Probleme und einer nachfolgenden „Akustik-Phase“ geprägt, mit einigen Shows und etwas Straßenmusik von mir und Fabi. Dann haben wir das Album zu zweit in einem komplett analogen Studio namens Kozmik Sound eingespielt. Bass und Schlagzeug live und ohne Pro-Tools-Schummeleien. Wir wollten das maximale und beste Ergebnis und das ist uns meiner Meinung nach gelungen.
Eure Debüt-EP wirkte auf mich damals irgendwie unpersönlich, schien nur eine von vielen zu sein, die damals auf der US BOMBS-Welle schwammen, beileibe nicht schlecht, aber eben irgendwie ohne eigene Note. „Minimal Play“ hingegen ist im Vergleich deutlich ausgereifter und klingt nach einer Band, die sich gefunden hat. Was hat euch damals möglicherweise noch gefehlt? Was musste sich erst noch finden?
Fabian: Ich habe über die Jahre eine andere Einstellung zu unserer und Musik im Allgemeinen entwickelt. Zum Zeitpunkt, als die Single erschien, ging es für mich hauptsächlich darum, acht Bier vor dem Auftritt reinzukriegen, noch irgendwie die richtigen Töne zu treffen, meine Bandmitglieder mit Bier oder anderen Körperflüssigkeiten zu benetzen und vor allem einem gewissen Bild zu entsprechen. Einem Bild nämlich, das durch Bands wie die US BOMBS und RANCID in meinem Kopf spukte: möglichst dreckig und ständig voll. „Minimal Play“ ist in uns gereift. Durch den Besetzungswechsel haben wir das Album erst wesentlich später aufgenommen, wodurch die Songs aber noch einmal die nötige Zeit bekommen haben und wir das richtige Gefühl, sie entsprechend umzusetzen. Rein technisch sind wir natürlich im Laufe der Zeit auch besser geworden, ich lege mittlerweile viel mehr Wert auf die Texte und mache mir Gedanken, ob der Ablauf auch dem Inhalt eines Songs dient, wo Steigerungen sinnvoll sind und so weiter. Am Anfang ging es zu einem großen Teil darum, durch die Musik die Möglichkeit zu bekommen, durch die Gegend zu fahren und viel, viel, viel zu feiern.
Wie würdet ihr die EP beurteilen, wenn sie euch heute von einer unbekannten Band zum Besprechen zugeschickt werden würde?
Fabian: Ich würde wohl so was schreiben wie: „Die Ansätze der Songs sind vielversprechend und mit eingängigen Melodien versehen. Wenn die Jungs sich jetzt noch das nötige Paar Eier wachsen lassen, um ihrer Band ein eigenes, persönliches und nicht aufgesetztes Gesicht zu verleihen, dann kann sie nichts mehr aufhalten.“
Philipp: „Die sind noch jung, der Weg, den sie einschlagen ist erkennbar, aber sie haben sich noch nicht selber gefunden.“
Auch wenn ich von eurer aktuellen Platte noch kein schlechtes Review gesehen habe, so wäre es doch interessant, wann es euch als Band wirklich ärgern würde und bis zu welchem Punkt ihr Kritik nachvollziehen könntet?
Fabian: Ich habe vor Veröffentlichung des Albums unter Pseudonym ein Vorabreview unserer Platte geschrieben, es auf unserer Internetseite veröffentlicht und unsere Scheibe gnadenlos verrissen. Es war beleidigend, total unsachlich und mit Henry-Miller-Zitaten gespickt. Abgesehen mal von dem sehr persönlichen und unter die Gürtellinie gehenden Inhalt, würde ich es wohl wegen der Miller-Anleihen trotzdem mögen, denke ich. Generell sollte man sich bei einem Review intensiv mit der Musik beschäftigen und versuchen, Äußerlichkeiten wie den Style der Band oder dergleichen zu ignorieren. Wenn ich in einem schlechten Review Dinge lese, aus denen ich schließen kann, dass sich der Autor wirklich mit der Scheibe beschäftigt hat, also positive und negative Aspekte nebeneinander stellt, und am Ende die negativen für den Schreiber überwiegen, dann kann ich das nachvollziehen und würde wohl auch darüber nachdenken. Wenn es aufgrund von ersten Eindrücken zu so was wie „Ach schon wieder so eine Band wie ...“ kommt, fände ich das schade. Das Album einer Band ist oftmals wie ein Aktfoto, man macht sich angreifbar und geht ein Risiko ein. Das soll nicht zu einer Art „Welpenbonus“ führen, aber ein sachlicher Blick auf die Arbeit von Monaten oder möglicherweise Jahren, sollte doch Grundvoraussetzung sein.
Chris: Klar, es ist oft lustig von anderen zu hören, nach welcher Band wir klingen oder welche wir versuchen nachzumachen. Die Grenze zwischen Einflüssen und Nachahmung ist oft unklar für manchen Musiker oder Nichtmusiker.
ONE MAN ARMY oder die SWINGIN’ UTTERS, welche ich mal als eure Haupteinflüsse sehen würde, sind insofern einen ähnlichen Weg gegangen wie ihr, als dass sie auf ihren späteren Platten ruhiger und entspannter wurden, nachdenklicher klangen. Was hat bei euch zu dieser Entwicklung geführt?
Fabian: Eine Veränderung der Lebensweise, persönliche und menschliche Weiterentwicklung, natürlich eine Erweiterung des musikalischen Horizonts und der Umstand, dass wir nicht als Live-Band ins Studio gegangen sind, haben den Sound von „Minimal Play“ geprägt. Natürlich spiegelt der Sound der Platte unsere Persönlichkeiten wider. Wir sind keine Tough Guys und ein schrammeliger, weniger fetter und melodieverliebter Gitarrensound soll den Hörer „umgarnen“. Auf der anderen Seite haben wir auch schon genug Scheiße im Leben erlebt und jeder von uns hat sein eigenes Bündel zu tragen, weshalb die Schlagzeug/Bass Fraktion den kämpferischen, aufmüpfigen Gegenpart spielen sollte und bewusst nicht, wie bei vielen anderen Produktionen, im Hintergrund verschwunden ist.
Philipp: Es ist die stetige Entwicklung, mit jeder Show, die wir spielen, jedem Song, den wir schreiben, und jedem Schritt, den wir wagen. Ein guter Wein muss eben auch reifen, man sollte eben nur aufpassen, dass dieser nicht irgendwann schlecht wird. Bis es soweit ist, geben wir unser Bestes.
Chris: Ich schätze, dass jede Platte anders klingen wird, je nachdem, wie die Band sich entwickelt. Die nächste Platte wird zu dritt aufgenommen und wird wahrscheinlich energiegeladener, ähnlich wie unsere Live-Auftritte.
THE CLASH haben es quasi vorgemacht und viele alte Punk-Fans durch Platten wie „Sandinista!“ und „Combat Rock“ vor den Kopf gestoßen. Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Denn auch wenn vieles heute entspannter und gelassener gesehen wird, so herrscht doch bei manchen das Klischee von Punk-Etikette vor.
Fabian: Wir wollten das Album ursprünglich gerne neben Wanda Records auch noch auf einem größeren Label veröffentlichen, was aber auch wegen des „unpunkigen“ Sounds nicht funktioniert hat. Wir kommen aus der Punkrock-Szene, sind natürlich auch immer noch in ihr verwurzelt und werden dies auch bleiben. Uns von den gängigen Klischees zu lösen, denen wir mit unserer Single noch gefolgt sind, war allerdings unausweichlich und resultierte aus der Entwicklung unserer Persönlichkeiten. Punkrock ist für mich ein perfekter Rahmen, der zwar gewisse Voraussetzungen schafft, den es allerdings auch stets und ständig zu sprengen gilt. Für mich liegt genau auch darin der Sinn von Punkrock, nämlich seinen eigenen Weg einzuschlagen, das sehr enge Korsett aus Style- und Sound-Etikette abzulegen und trotzdem zu wissen, wo man herkommt.
Denkt ihr, dass das berühmt-berüchtigte „älter und weiser werden“ auch zu dieser Entwicklung gehört?
Fabian: Es gab auch Verletzungen, die tiefe Wunden hinterlassen haben, was automatisch dazu führt, dass man gewisse Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Der poppige Sound von „Minimal Play“ und die im Gegensatz zu unseren Live-Shows etwas ruhigere Gangart des Albums liegt aber auch an der längeren Akustikphase von Philipp und mir sowie an dem Umstand, dass wir eben „nur“ zu zweit ins Studio gegangen sind.
Philipp: Definitiv. Du kannst von keiner Band verlangen, über Jahre hinweg immer und immer wieder Songs im eigenen Fahrwasser zu schreiben. Obwohl viele das tun, nimm etwa die RAMONES oder NOFX, bei denen sich stilistisch über all die Jahre nicht wirklich viel verändert hat. Was jetzt nichts Schlechtes sein muss, aber immer im Interesse der Band selber liegen sollte. Umso spannender ist es doch, die Entwicklung einer Band zu beobachten. So lange diese sich treu bleibt, sollte es keine Grenzen geben.
Wie geht die Reise weiter, habt ihr schon Ideen für die nächste Platte und was würdet ihr gerne einmal ausprobieren oder noch verändern?
Fabian: Ich freue mich wahnsinnig auf die Arbeit an unserem nächsten Album. Wir haben mit Chris einen wirklich sehr guten Schlagzeuger gefunden und werden versuchen, die Live-Energie auf die nächste Platte zu übertragen. Unser Songwriting ist meiner Meinung nach ein ganzes Stück besser geworden und wir werden dem Hauptelement von „Minimal Play“, also dem melodiösen Midtempo-Punkrock, einen Haufen neuer Elemente hinzufügen. Chris ist ein starker Charakter und allein, weil wir jetzt als Band komplett sind, wird sich das nächste Album sehr von „Minimal Play“ unterscheiden. Ich würde die Scheibe gern komplett live einspielen und nach Möglichkeit auf Overdubs verzichten. Mal sehen, ob wir bis dahin soweit sind.
Philipp: Im Grunde sind alle Songs fürs kommende Album schon fertig und müssen nur noch ausgearbeitet werden. Wir wollen noch 2013 ins Studio gehen und die Platte so bald wie möglich veröffentlichen. Wir werden auf jeden Fall wieder analog aufnehmen. Streichquartette und Synthie-Beats werden aber wohl auch dieses Mal nicht auf der Platte zu finden sein, haha.
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