BARB WIRE DOLLS

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Punkrock retten und die Welt verbessern

Die BARB WIRE DOLLS gründeten sich dort, wo man Punk nicht unbedingt vermutet: in Griechenland. Genauer gesagt: auf der Touristeninsel Kreta. Weil sie aber schon immer die Neigung hatten, sich ohne Rücksicht auf Verluste den Hintern abzuspielen, und ihren Traum von einem ausschließlich aus Punkrock bestehenden Leben bis heute konsequent leben, wanderten sie in die USA aus – und wurden dort spätestens mit ihrem neuen Album, dem famos krachenden „Slit“, zu einer richtig großen Radio-Airplay-Nummer. Ihre Verbündeten: Rodney Bingenheimer (Radio KROQ), Produzent Steve Albini sowie die Leidenschaft für D.I.Y.-Lebensstil. Derzeit tourt die Band durch Europa. Von ihrer hiesigen Zentrale aus, einem alten Bauernhof in Bayern, beantworteten uns Gitarrist Pyn Doll und Frontfrau Isis Queen unter anderem die Wichtigste aller Fragen: Lebt der Punk noch?

Ihr tourt gerade durch Europa und lebt zwischen den Auftritten auf einem bayrischen Bauernhof. Wie ist es denn so, früh aufzustehen und Kühe, Hühner und Schweine um sich herum zu haben?

Isis Queen: Zum Glück ist der Komplex, in dem wir hier einquartiert sind, eher eine Künstlerkommune, die sich auf einem alten Bauernhof befindet. Wir sind nämlich gar keine Frühaufsteher. Wir sind eher Vampire und nachts unterwegs.

Und arbeitet an neuen Songs?

Isis Queen: Genau. Wir sitzen, wenn wir nicht gerade bei einem Auftritt sind, hier und arbeiten an unserer Musik. Du musst wissen: Inspiration kommt in den dunkelsten Momenten. Wir bevorzugen also die Nacht.

Ein sehr schöner Satz. Und einer, der dem Klischee nach ebenso wenig zu eurer sonnigen Heimat Griechenland passt wie Punk ...

Isis Queen: Das ist richtig. Punk ist in Griechenland tatsächlich keine allzu große Sache.

Ihr habt es trotzdem geschafft, eine Punkband zu gründen, die länger als ein paar Proben überlebt. Wie fing es an mit den BARB WIRE DOLLS?

Pyn Doll: Ich höre und mache Punkrock seit 1977, in einer ganzen Reihe von Bands. Meist als singender Gitarrist. Isis hatte mich irgendwann mal auf der Bühne gesehen und sprach mich hinterher an, ob ich nicht ein paar Songs für sie schreiben könne. Sie wolle auch Musik machen. Wir trafen uns also. Sie spielte mir den LED ZEPPELIN-Film „The Song Remains The Same“ dreimal hintereinander vor. Danach zeigte sie auf Robert Plant und sagte zu mir, das sei genau das, was sie wolle: singen. Ich sagte: Okay, dann lass uns etwas zusammen machen. Aber: Wir spielen nicht LED ZEPPELIN, sondern Punkrock. Damit war Isis einverstanden und wir gründeten eine Band – mit meinen alten Musikern und ihr am Mikrofon. Bevor wir auch nur einmal zusammen in den Proberaum gingen, nahmen wir unsere ersten Songs auf. Anfangs war das nur zum Spaß. Aber nach und nach wurden wir immer besser, bis wir irgendwann als Support für die BOUNCING SOULS in Griechenland spielten. Da merkte ich langsam: Isis ist als Sängerin und Künstlerin einfach zu gut, als dass man es nur nebenher laufen lassen kann. Da muss mehr daraus werden.

Wir groß ist diese Punk-Szene in Griechenland, in die ihr euch da reingespielt habt?

Pyn Doll: Sie findet ausschließlich im Untergrund, in kleinen Clubs statt. Neben uns gibt es aktuell vielleicht noch eine Handvoll jüngerer Bands, die sich aus dem Proberaum heraustrauen.

Isis Queen: Zudem konzentriert sich die Szene ausschließlich auf die großen Städte Athen und Thessaloniki. Auf Kreta, wo wir ja herkommen, gibt es sie gar nicht.

Weil Punks wegen der Touristen unerwünscht sind?

Pyn Doll: Das ist in der Tat richtig. Sie haben Angst vor Punks. Heavy Metal geht immer. Aber Punk ist ein No-Go.

Isis Queen: Wenn wir damals spielen wollten, mussten wir immer die Neun-Stunden-Fähre nach Athen aufs Festland nehmen. Uns hätte nie im Leben jemand auf Kreta gebucht.

Pyn Doll: Wir haben zwar irgendwann eine Konzertreihe gestartet, die an jedem Sonntag in Athen stattfand, für ein paar Monate lief das auch gut. Aber irgendwann wurde es einfach langweilig, jede Woche zur gleichen Zeit auf die Bühne zu gehen, wenn darüber hinaus nicht mehr drin ist.

Seid ihr auch deshalb 2010 nach Amerika übergesiedelt?

Isis Queen: Ach, wir waren schon glücklich in Griechenland. Aber irgendwann bist du an dem Punkt, wo du dich weiterentwickeln willst. Und als dann das Angebot von Rodney Bingenheimer kam, war für uns klar, dass wir in die USA müssen.

Pyn Doll: Er schrieb uns eine Mail, nachdem er uns zufällig im Internet gefunden hatte. Darin teilte er mit, dass er unsere Songs bei seinem Sender KROQ ständig spiele und dass er uns sehr gerne in sein Studio zu einer Show einladen wolle. Drei Wochen später verkauften wir alles, was wir hatten, und holten uns die Flugtickets.

Das nenne ich eine mutige Entscheidung.

Isis Queen: Na ja, das war eine einmalige Gelegenheit. Also sagten wir uns: Let’s go! Wir dachten: Wir können jetzt Teil jener Szene werden, aus der einst Bands wie BLACK FLAG und THE GERMS kamen. Das Problem: Als wir in L.A., ankamen, sahen wir, dass Punk dort tot ist.

... und seid als Punks trotzdem geblieben?

Pyn Doll: Ja. Wir sagten uns einfach: Wir sind jetzt auf einer Mission. Wir spielen ab sofort so oft es irgendwie geht Punkrock auf dem Sunset Strip, um diese Musik dorthin zurückzubringen, wo es einst begann. Und nach einiger Zeit waren unsere Konzerte tatsächlich immer ausverkauft. Im ersten Jahr haben wir in L.A. vier Shows die Woche gespielt. 150 im Jahr. Einmal waren es drei an einem Tag.

Isis Queen: Wir bekamen aber kaum Geld dafür und mussten nebenher immer noch arbeiten gehen. Also wollten wir es auch einmal außerhalb der Stadt versuchen und tourten eineinhalb Jahre durch die USA.

Pyn Doll: Wir sind fünfmal kreuz und quer über den Kontinent gefahren und hatten zwischendurch eine Phase mit 110 Shows in 120 Tagen.

Das ist hart.

Pyn Doll: Das war es. Die Shows waren zwar super. Aber am Ende waren wir völlig blank. So blank, dass wir uns sagten: Wir müssen zurück nach Griechenland. Das war’s. Lasst uns nur wenigstens noch ein Album aufnehmen, ehe es soweit ist.

„Slit“?

Pyn Doll:
Richtig. Immerhin konnten wir Steve Albini dafür gewinnen. Er mochte uns und wollte das Album mit uns machen. Und er ist ein Genie – das hört man „Slit“ an.

Und wie habt ihr „Slit“ finanziert – so ohne Geld?

Pyn Doll: Wir haben es per Crowdfunding über die Internet-Plattform kickstarter.com gemacht. Tja, und dann kam das Album heraus und auf einmal wuchs das Interesse an uns. Also blieben wir und sind jetzt erst mal nur nach Europa geflogen, um hier zu touren.

Wenn man die Geschichte der BARB WIRE DOLLS hört, drängt sich die Frage auf, ob ihr euch als klassische D.I.Y.-Band seht.

Pyn Doll: Bis jetzt sind wir zu 100% D.I.Y.: Wir hatten bislang keinen Manager. Wir fahren unseren Bus selbst. Nur jetzt in Europa haben wir einfach Hilfe gebraucht. Jemanden, der sich hier auskennt und Shows für uns bucht. Das ist Mario von unserer deutschen Promofirma. Ohne ihn hätten wir das nicht geschafft. Sascha Wolff von Wolverine Records, der „Slit“ hier auf Vinyl rausgebracht hat, ist auch so jemand. Wir hätten es uns allein wegen der Transportkosten nie leisten können, Platten in den USA pressen und sie dann nach Europa rüberfliegen zu lassen. Ohne Hilfe geht es irgendwann einfach nicht mehr. Aber das Wichtigste ist: Wir haben nach wie vor die Entscheidungsgewalt über alles. Wir müssen keine Kompromisse eingehen.

Ihr dürftet ja mittlerweile Experten sein und eine Antwort wissen auf die Frage: Wie unterscheidet sich die europäische von der US-Punk-Szene?

Isis Queen: Die Punks hier sind wesentlicher offener und bereit, sich neue Musik anzuhören.

Woran könnte das liegen?

Pyn Doll: In Amerika gibt es eben keine große, klassische Punk-Szene. Dort drüben gibt es etwas Pop-Punk, ansonsten ist alles Hardcore. Alles ist auf BLACK FLAG konzentriert. Sie überstrahlen alles. SEX PISTOLS, THE DAMNED, THE CLASH – das existiert nicht.

Eure Musik vereint eine ganze Reihe von Genres und Bands: Ich höre klassischen Punk, Grunge im Stile von NIRVANA, Riot-Grrrl-Rock, Metal, Hardrock. Nennt doch einmal eure wichtigsten Einflüsse.

Isis Queen: Ganz einfach: Alles, was vor den Neunzigern rauskam.

Pyn Doll: Wir sind ständig auf der Suche. Aber: Es gibt einfach nichts Neues, das uns gefällt. Wir sind gezwungen, uns fast ausschließlich an alten Helden zu orientieren. Wo sind die neuen Bands?

Trotz der Neunziger hat Punk bis heute als Subkultur überlebt und ist nicht totzukriegen, was nicht zuletzt der Erfolg von Bands wie eurer zeigt. Woran liegt das eurer Meinung nach?

Pyn Doll: Die Punk-Szene befindet sich gerade im Wandel. Wie gesagt: Als wir vor drei Jahren nach L.A. kamen, spielte kaum eine Band Punk. Das hat sich geändert, weil die Leute gelangweilt sind von dem, was sie vom Mainstream um die Ohren gehauen bekommen.

Isis Queen: Es liegt an der Politik und an der Gesellschaft. Es hat sich so vieles zum Schlechten gewandelt. Es besteht ein Bedürfnis nach Punk.

Zum Beispiel in eurer Heimat Griechenland.

Pyn Doll: Natürlich haben wir nach wir vor einen genauen Blick auf das, was dort vor sich geht, und stehen mit den Menschen dort in Kontakt. Aber unsere Songs auf „Slit“ sind kein Soundtrack für die Probleme in Griechenland. Überall auf der Welt machen Staaten die Bürger zu Sklaven. Da brauchst du doch nur nach Amerika, vor unsere neue Haustüre zu schauen: Dort sind alle zu Zombies geworden, zu Sklaven – und sie bemerken es nicht.

Isis Queen: So ist es. Nicht nur den Griechen – den Menschen überall geht es schlecht. Natürlich ist Griechenland derzeit ständig in den Medien. Aber es ist eben auch nur ein einzelnes Land. Und ganz im Ernst: Sie hatten dort nie zuvor Geldprobleme. Und wenn es jetzt bei vielen vor allem darum geht, dass sie sich kein Kabelfernsehen oder kein neues Auto mehr leisen können, dann gibt es Schlimmeres. Denn verändern tut sich doch die ganze Welt. Erziehung, Bildung, Lebensqualität – wie viele Staaten haben große Probleme in diesen Bereichen? Die Leute sind überall frustriert. Sie leben inmitten dieses technischen Fortschritts und die Probleme werden trotzdem größer.

Pyn Doll: Und hier kommt der Punk ins Spiel: Punk ist die letzte Hoffnung, die Welt zu verändern. Metal ist nur Metal. Pop ist Pop. Punk ist die einzige Stimme, die den Leuten sagt: Wacht auf! Tut endlich etwas! Jetzt sofort!