BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS

Foto© by Kevin Winiker

... und es hat BUMM! gemacht

Mit dem ikonischen Lied „Jung kaputt spart Altersheime“ brachte die 1979 in Hannover gegründete Band einst zynisch-überspitzt die No future-Attitüde der frühen Punkszene auf den Punkt. 1980 erschien ihre Debüt-EP auf dem ebenfalls in Hannover ansässigen und von HANS-A-PLAST und Hollow Skai betrieben No Fun-Label. 1981 kam dort das Album „Dann macht es Bumm“ und die Band, deren Sound eher reduziert und naiv-charmant wirkte im Vergleich zum roughen Röhren diverser Zeitgenossen, auch wegen des Gesangs von Annette Grotkasten.

Die Band wurde zum Beifang der Neuen Deutschen Welle, war in der Teenie-Musikpresse präsent, begann ab Ende 1982 noch ein zweites Album aufzunehmen, löste sich aber Ende 1983 auf. 2021 erschien auf Tapete Records die Werkschau „Endlich komplett betrunken“, nachdem sich BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS 2020 in der Besetzung Annette Simons (geb. Grotkasten; voc, gt), Kai Nungesser (bs) und Markus Joseph (dr, ex-ROTZKOTZ) neu zusammengefunden hatte. Seitdem wurden etliche Konzerte gespielt und mit „Die Rückkehr des Bumm!“ hat die Band ein neues Album aufgenommen, das im April 2024 auf Tapete erscheint. Annette Simons beantwortete unsere Fragen.

Annette, was hat dich bewegt, es mit der Band noch mal so richtig wissen zu wollen? Das eine ist, hier und da mal die alten Songs zu spielen, das andere, neue Songs zu schreiben, ein Album aufzunehmen und auf Tour zu gehen.
Wir haben einen Auftritt von DER MODERNE MAN gesehen anlässlich des Geburtstags von Ecki, ihrem Gitarristen. Die Stimmung hat uns mitgerissen. Es waren viele Punks aus Halle und Halberstadt dabei, die uns erkannten und feierten. Da haben wir wieder Feuer gefangen. Es waren zuerst nur drei Auftritte geplant: ein Konzert mit DER MODERNE MAN und zwei Festivals, das Saltcity und das von Höhnie. Wir wollten nur unsere Lieblingsstücke spielen und kamen so auf sechs Songs. Dann kam die LP „Endlich komplett betrunken“ mit den alten Stücken auf Tapete Records raus. DIE LIGA DER GEWÖHNLICHEN GENTLEMEN bot uns an, bei drei Gigs als Vorgruppe dabei zu sein, und so baute sich das langsam auf. Wir brauchten neue Stücke, weil wir auf viele alte keine Lust mehr hatten, aber auf mindestens 30 Minuten Spielzeit kommen mussten. Manche der alten Songs spielen wir mittlerweile gerne, weil sie eine neue Bedeutung für uns bekommen haben. Das kam daher, dass mir viele ältere Punks, besonders aus der ehemaligen DDR, erzählt haben, was Songs wie „Scheißegal“ oder „Muskeln“ für sie bedeutet haben. „Ich will nicht älter werden“ haben wir für uns wiederentdeckt, weil es von Sam Vance-Law und STEINTOR HERRENCHOR gecovert wurde. Ich mag immer noch die Energie, die bei einem Auftritt entsteht. Manchmal bläst es mich so weg, dass ich den Text vergesse. Ich mag die Menschen, die ich unterwegs kennen lerne. Und ich kann es mehr genießen als mit Anfang zwanzig, weil ich niemandem mehr etwas beweisen muss.

Darf ich fragen, was du in der Zwischenzeit so gemacht hast?
Die ersten zwei Jahre nach der Auflösung der Band war ich noch sehr orientierungslos, habe weiter viel getrunken und darauf gehofft, einen Faden zu finden, den ich aufnehmen kann. Durch Kontakte aus der Bärchen-Zeit bekam ich einen Job als grafische Hilfskraft in einer Werbeagentur, noch alles ohne Computer damals. Eine Freundin von mir meint, wir hätten eine Art Arbeitstherapie gemacht, weil wir durchgehend geackert haben und Alkohol war verboten. Außerdem habe ich zwei Kinder bekommen, geheiratet, bin als Grafikerin immer besser geworden, habe mich um meine Eltern gekümmert und bin seit zwei Jahren in passiver Altersteilzeit. Das heißt, ich bin angestellt, muss aber nichts mehr für das Geld tun. Dieser paradiesische Zustand dauert noch bis zum Sommer. Ich bin gerade auf Jobsuche und hab mich schon als Verkäuferin in einem Farbengeschäft und als Basteltante auf einem Kreuzfahrtschiff beworben, aber nur Absagen kassiert.

Reden wir über den/die/das „Bumm!“ und die Rückkehr. Wofür steht der Begriff, wenn ihr den so markant „recyclet“ und damit an eure Platte von vor vierzig Jahren anknüpft?
Zum einen fand ich es lustig und treffend. Wir feiern ja mit der Platte eine Rückkehr. Zum anderen geht es mir um die Energie, die zurück ist. Sie ist ja nicht nur bei mir zurück, sondern auch bei vielen anderen Bands, neuen aber auch alten, wie ÖSTRO 430, mit denen wir oft zusammen auftreten. Und natürlich auch bei den Leuten, die auf unsere Konzerte kommen.

Wie definierst du Punk inhaltlich? Also einerseits rückblickend auf damals und für die Gegenwart?
Punk ist in meiner Welt viel freundlicher geworden. Rücksichtsvoller. Früher standen die Kerle in ihrer Lederjacke vorne und haben einen aus Sympathie vollgerotzt. Undenkbar heute. Es ist viel mehr Party und zusammen feiern. Trotzdem ist die Musik, sind die Texte und das allgemeine Bewusstsein immer noch relevant.

Und musikalisch? Ihr wart damals ja ganz anders als THE CLASH oder RAMONES und seid es heute noch.
Ja, wir waren nie Hardcore. Aber die Genres mischen sich ja sowieso immer mehr. Wenn jemand uns nicht Punk genug findet, kann ich das verstehen. Ist doch auch unwichtig. Dann ist es eben was anderes.

Kannst du mir mal eure aktuelle Besetzung aufdröseln?
Rudolf, der alte Gitarrist, lebt in Innsbruck und hat die Bärchen-Zeit für sich abgeschlossen. Unser ehemaliger Schlagzeuger Andreas konnte durch Corona nicht an den Proben teilnehmen. Dafür trommelt jetzt Marky bei uns. Wir kennen ihn noch aus den Achtzigern aus Hannover, denn er war früher bei ROTZKOTZ und schon mit 16 mit uns auf der „No Fun Jubel 81“-Tour. Aktuell spielt er bei noch bei den HAMBURG RAMÖNES. Am Bass ist immer noch Kai und ich singe und spiele Gitarre. Beim Lieblingsplatte-Festival in Düsseldorf im Dezember 2023 war auch mein Gitarrenlehrer Sven Waje dabei.

Du hast in deinen Texten viele „Aufregerthemen“ wie Bettwanzen, Katzen – die du wohl nicht so magst – oder die Bahn und den Berliner Hauptbahnhof. Was schafft es warum in deine Songtexte – und was nicht?
Als wir an den neuen Songs gearbeitet haben, bin ich mit ganz anderen Antennen durch die Gegend gelaufen. Jedes Gefühl, jede Beobachtung wurde auf ihre mögliche Verwendung für einen Songtext abgeklopft. Dadurch, dass ich jetzt auch Gitarre spiele, konnte ich die Textfragmente mit Melodien verbinden und mich davon weiter tragen lassen. Ich habe aber auch gemerkt, das meine Sprache begrenzt ist. Themen, zu denen ich gern Songs geschrieben hätte, wie beispielsweise Gewalt gegen Frauen, bekomme ich nicht formuliert. „Katzenvideo“ ist kein Stück über Katzen, es geht um den Rückzug ins Private. Bei „Geister“ darf natürlich jede:r seine eigenen Alpträume fühlen, der Song ist aber den Geflüchteten an der EU-Außengrenze gewidmet. Bei anderen Songs, wie etwa „Bettwanzenalarm“ oder „Hauptbahnhof Berlin“, war es einfach, das habe ich selbst erlebt. Bei „Hauptbahnhof Berlin“ habe ich erst hinterher gemerkt, dass der Text etwas Tieferes beschreibt. Denn eigentlich ist es kein Drama, wenn kein Zug mehr fährt. Ich könnte jemanden anrufen oder ein Hotelzimmer mieten, aber ich bin nicht mehr fähig zu kommunizieren oder zu agieren. Ich fühle mich abgeschlossen von der Welt. Auf einem Nebengleis. Es beschreibt eigentlich das Gefühl einer Depression.

„Bettwanzenalarm“ bringt mich zu der Frage, wie eure Erfahrungen mit Parasiten damals Anfang der Achtziger waren. Es gibt ja gruselige Geschichten von Sackratten oder Schleppscheiße in der damaligen Punk-Szene und besetzten Häusern ...
Jaaaa! Schlimm. Es gibt eine tolle Platte aus den Achtzigern von der Band THEY MUST BE RUSSIANS mit dem Song: „Don’t try to cure yourself“. Dort besingen sie alle diese schrecklichen Sachen, mit denen ich auch beim Arzt aufgetaucht bin. Ich hatte mal ein Hotelzimmer, in dem es nur so krabbelte, kaum dass ich die Decke zurückschlug. Als ich zum Portier ging, reichte der mir nur wortlos eine Dose mit Insektenvernichtungsspray.

Der Song „Blondie“ ... hast du Debbie Harry mal getroffen, gibt es ein Schlüsselerlebnis mit der Band?
Die ganze Band verehrte Debbie Harry sehr. Aber ich habe sie nicht getroffen. Vor kurzem war ich mal bei einer Lesung von ihr und fand sie unglaublich souverän. Der Interviewer hat die ganze Zeit selbst geredet und seine Fragen gleich mit beantwortet, da ist sie einfach aufgestanden und gegangen. Mega. „Blondie“ ist ein Liebeslied, das ich im Duett mit meinem Mann, Martin, der auch Sänger von DER MODERNE MAN ist, singe. Ich habe lange mit an Demenz erkrankten Menschen musiziert. Dadurch habe ich nach Songs gesucht, die bei ihnen Erinnerungen auslösen oder sie einfach nur glücklich machen. So habe ich überlegt, welche Lieder das wohl in dieser Situation für mich wären. Vielleicht wären das die Songs von BLONDIE. Ich wollte gern ein Liebeslied schreiben. Aber keinen Liebeskummer-Song wie 1980. Also habe ich überlegt, was macht Liebe im Alter aus. Mein Vater war dement und jemanden in so einer Situation nicht im Stich zu lassen, zeugt von einer sehr großen Liebe.

„Mansplaining“ ist ein aktuelles Thema ... und doch ein uraltes Problem. Wie erinnerst du die Musikszene in den Achtzigern in dieser Hinsicht, wie war dein Umgang damit?
Mansplaining ist bei den Männern in meiner Generation alltäglich. Früher war ich naiv und geduldig und dachte, ich müsse nur schlauer werden, besser, mehr verstehen. Es hat lange gedauert, bis ich gemerkt habe, dass es eine Taktik gibt, die diese Typen verfolgen, um ihr Ego zu polieren. Sobald sie merken, dass eine Frau in einem Punkt unsicher ist, texten sie diese total selbstherrlich zu. Sie können sich aber auch ohne Anlass ins Nirwana quatschen.

Und wie gehst du heute damit um?
Argghhh, es macht mich wahnsinnig wütend. Ich rege mich total auf und versuche, sie mit ihrem Gelaber zu stoppen. Aussichtslos. Die beleidigten Reaktionen der Typen, das verletzte Ego habe ich dann auch noch an der Backe. Meine Hoffnung liegt hier bei den jungen Menschen, denn ich erlebe auch die jungen Männer heute, wie zum Beispiel meinen Sohn, als aufmerksam und sozialer.

Was hat es mit „Happy Bonbon“ auf sich? Ich habe das Gefühl, so klar hat noch niemand die Freuden des Lebens als ... nicht mehr ganz so junge Frau angesprochen.
Mit 52 war ich stellvertretende Art-Direktorin bei einer Frauenzeitschrift, als mich der zehn Jahre ältere Chefredakteur zu sich rief und mir erklärte, ich wäre eine alte Frau und meine Zeit sei vorbei. Ich ging zu einer Arbeitsrechtlerin, die mir sagte, ich hätte die Option auf einen Aufhebungsvertrag oder müsse mein fröhliches Gesicht üben und könnte so in der neuen, niedrigeren Position weiterarbeiten. Ein freundliches Gesicht zu machen, habe ich schon als kleines Mädchen lernen müssen, und da mir in meinem Alter niemand mehr einen Job gegeben hätte, entschied ich mich dafür zu bleiben. Dass ältere Frauen sich ein neues Bild und eine andere Wertigkeit wünschen, ist ja auch das Thema der großen von Palais Fluxx initiierten Kampagne „Let’s Change The Picture“. Außerdem ist bei meinen Freundinnen die Experimentierfreude zum Beispiel auch in Sachen Biostimulanzien sehr groß, so dass alle sehr gut drauf sind. Es gibt ein Leben nach der Menopause.

„Jung kaputt spart Altersheime“ – mit Anfang zwanzig ist das lustig, mit Anfang sechzig bereut man womöglich so manche Jugendsünde und wünscht sich, wenigstens bis achtzig mobil zu bleiben und es bis zum Ende ohne Altenheimerfahrung zu schaffen. Wie kommentierst du den damaligen Slogan?
Es ist ja noch mal gut gegangen. Der totale Absturz blieb mir erspart. Manchmal tut mir das ganze Geld leid, das über den Tresen gegangen ist, aber es war wenigstens nicht langweilig.

Uschi und ich waren bei der Diskussion vor dem Konzert in Düsseldorf. Gerade auch Uschi, die Mitte der Achtziger mit „Sie trägt rote Pyjamas“ eine der wenigen Frauen war, die ein Fanzine machten, freute sich sehr über die kämpferischen Aussagen von euch vier über die damalige Punk-Szene. Wir verstanden euch so, dass ihr sehr selbstbewusst wart und euch von den Kerlen nichts habt sagen lassen. Und es wirkte fast wie ein Widerspruch zur heutigen Darstellung mancher Aktivist:innen, die in der gegenwärtigen Punk-Szene einen einzigen Hort von Sexismus und Machismus sehen. Was Uschi und ich für die Vergangenheit und Gegenwart anders sehen. Also, wie war das, wie ist das, wie siehst du das?
Wir hatten Anfang der 1980er Jahre den Rückenwind der Frauenbewegung und dachten, nun wird alles anders. Eigentlich ist die Veränderung schon da, einfach, weil wir es machen – Instrumente spielen, die Backline schleppen, Erwartungen nicht mehr erfüllen, laut sein. Wir dachten, wir wären viele und würden immer mehr werden. War aber nicht so. Es hat sich gar nicht viel bewegt. Das Line-up von Festivals ist immer noch männerlastig. Bands wie etwa DIE TOTEN HOSEN nehmen als Support lieber ihre Kumpels FEINE SAHNE FISCHFILET mit, als Bands mit FLINTA*-Beteiligung zu unterstützen. Als Frau habe ich keine Lust mehr, mir bei Konzerten die Weltsicht von zehn Männern reinzuziehen, und die einzige Frau, die auf der Bühne thematisiert wird, ist auch noch Monchis Mutter. Ich bin froh, dass jetzt eine neue Generation Feminismus neu definiert und nach vorne bringt, Missstände thematisiert und Forderungen stellt, zum Beispiel dass große Männer bei einem Konzert bitte nach hinten gehen, Männer ihr Shirt anbehalten, etc. Wir möchten doch, dass FLINTA*s zu Konzerten kommen und sich dort wohl fühlen. Das erreichen wir auch, indem sich alle rücksichtsvoller verhalten, und besonders dadurch, dass FLINTA*s auf der Bühne stehen.