AVENGERS

Foto© by Nico Pfüller

Punk als Lebenseinstellung

Von 1977 bis ’79 dominierten die AVENGERS, neben Bands wie THE NUNS und CRIME, die Punk-Szene in San Francisco und ihr Einfluss strahlte bis nach Südkalifornien aus. Sie traten im Januar 1978 als Vorband beim SEX PISTOLS-Konzert im Winterland auf, was ihnen ein etwas größeres Publikum bescherte, aber das reichte offenbar nicht aus, denn die AVENGERS lösten sich nur wenige Monate später auf. Während der zwei Jahre ihres Bestehens nahmen sie in bekannten Studios wie Different Fur oder Peter Miller auf und schrieben tonnenweise Songs, von denen die meisten erst viel später für eine breite Öffentlichkeit zugänglich wurden.

Aufgrund von Rechtsstreitigkeiten und Verzögerungen konnten einige der interessanteren und obskuren Stücke erst 1999 bei Lookout! Records erscheinen. Als ich die Band dann im März 2024 in Berlin-Neukölln live sehe, ist es, als hätten sie nie aufgehört, AVENGERS zu sein. Als ich die Augen schließe, ist Gregs Gitarre so brennend und Penelopes Stimme so intensiv wie früher. Ein Mädchen, keine Frau, sang da und die Texte waren berauschend und ohne Mitleid, sie meinte jedes Wort, und die Gitarrenarbeit gab dem Ganzen den entscheidenden Kick. Und sie hält sich nicht zurück, denn sie steht immer noch hinter jedem Wort. Es fühlt sich fast so an wie damals! Mit Penelope Houston und Greg Ingram unterhielten wir uns über die Geschichte und das Erbe der Band.

Penelope, du kommst eigentlich aus Seattle, oder?
Penelope: Ja, ich bin in L.A. geboren, aber nach Seattle gezogen und größtenteils dort aufgewachsen. Anfang 1977 ging ich nach San Francisco, dort habe ich die Kunsthochschule besucht. Ich hatte zuerst in Bellingham in der Nähe von Seattle Kunst studiert, aber dann wurde ich an der Kunsthochschule in San Francisco angenommen.

Du wolltest also ursprünglich Malerin werden?
Penelope: Ja, irgendwie schon ... eine Art von bildender Künstlerin. Ich habe mich auf Malerei und Druckgrafik konzentriert und in Seattle habe ich auch Tomata du Plenty und Tommy Gear von TUPPERWARES und später SCREAMERS kennengelernt, die kurz nach mir oder ungefähr zur gleichen Zeit, als ich nach San Francisco ging, nach L.A. gezogen sind. Wir spielten unsere erste AVENGERS-Show in einem Lagerhaus in San Francisco. Ich fuhr nach L.A., um Tomata und Tommy zu besuchen und mit ihnen über unsere erste Show zu sprechen und welche Stücke wir covern könnten, doch sie reagierten genervt und sagten, wir müssten schon eigene Sachen haben. Also fuhr ich zurück nach San Francisco und wir setzten uns zusammen, um uns was zu überlegten.
Greg: Wir hatten etwa sechs oder acht Songs im Kopf.
Penelope: Ja, ungefähr sechs oder acht, von denen dann zwei oder drei gleich weggefallen sind. Aber ich glaube, „Car crash“, „I believe in me“ und „Fuck off“ waren unter den ersten.
Greg: Und vielleicht noch „Teenage rebel“.

Wie hast du Tomata und Tommy kennen gelernt? Sie waren ja in ein verschiedenen queeren Performance-Gruppen in Seattle. Hattest du damit auch was zu tun?
Penelope: Sie waren an einem Projekt namens Ze Whiz Kids beteiligt und davor war Tomata bei den Cockettes, einem Hippie-Drag-Theater in den frühen 1970er Jahren in San Francisco. Also waren sie an allen möglichen schrägen und verrückten Aktionen beteiligt die mich anzogen. Ich war damals erst 18 Jahre alt und hing mit den ganzen Freaks und Verrückten ab. Zu dieser Zeit hatte ich einfach Spaß an den TUPPERWARES, die nur etwa drei Shows spielten. Das waren damals die Vorläufer der Punk-Szene in Seattle ... Bands wie TUPPERWARES, TELEPATHS, El Duce von den MENTORS und andere.

El Duce? Noch so ein fabelhafter norwegischstämmiger Amerikaner!
Penelope: Hahahah, ja, da oben gibt es eine Menge norwegischer Amerikaner! Ich war nur eine kleine 18-jährige Punkrockerin, die gern mit all diesen verrückten Leuten abhing. Ich dachte ja nicht, dass ich jemals Musikerin werden würde, sondern eher bildende Künstlerin ...

Ich glaube, ich habe auch irgendwo gelesen, dass du Schauspielerin werden wolltest.
Penelope: Nun, nein ... oder doch! Nachdem es die AVENGERS nicht mehr gab, zog ich nach L.A., um mit Tommy und Tomata zusammen zu sein, die an einem Projekt mit einem holländischen Filmemacher arbeiteten. Rene Daalder, und der Film hieß „Population: 1“.

Ich habe den Film ein paar Mal gesehen, einmal als Kind, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern, dann ein zweites Mal hier in Berlin. Er wurde in einem Techno-Bunker gezeigt, in dem etwa hundert Leute in einem Kinoraum zusammengepfercht waren, während gleichzeitig pulsierender Techno lief, so dass es unmöglich war, irgendwas von den Dialogen zu verstehen, es war einfach ein endloser Strom von Bildern.
Penelope: Du meine Güte, das klingt nach Folter! Ich habe in mehreren Szenen mitgespielt, aber ich bin mir nicht sicher, wie viel von dem, was ich gemacht habe, es in die endgültige Fassung geschafft hat. Falls du eine DVD davon findest, könntest du meine Parts in einem Extra-Feature sehen.

Paul Roessler hat mir einmal erzählt, dass es Rene Daalder war, der irgendwie für das Ende der SCREAMERS verantwortlich war, weil er Tomata als auch Tommy mit dieser Filmidee massiv ablenkte. Plötzlich hatte Daalder bei den SCREAMERS das Sagen, während es vorher Tommy war.
Greg: Wollte er nicht die „White Noise“-EP rausbringen?
Penelope: Nein, er hat sie nur neu abgemischt. Dieser Typ, Ron Spencer, wollte sie rausbringen.

Was könnt ihr mir über Michael Kowalsky sagen, der mit der Band U.X.A. zu tun hatte?
Penelope: Michael kam aus Palo Alto. Ein Haufen anderer Leute auch, wie Ricky Williams von THE SLEEPERS oder Michael Belfer, der später bei TUXEDOMOON war. Auf jeden Fall hing Michael mit CRIME und den NUNS ab und Ricky war die ganze Zeit mit ihm zusammen, als Ricky noch Schlagzeuger bei CRIME war.
Greg: Ricky war der ursprüngliche Schlagzeuger von CRIME, wenn auch nur für einen winzigen Moment.
Penelope: Ja, das war er, aber er war immer viel zu fertig, um wirklich etwas zu tun. Das war natürlich vor Brittley Black. Jedenfalls war Michael eine Art Möchtegern-Filmemacher und er hatte eine Freundin namens De De Troit, die später bei U.X.A. war. Von Michael stammten auch alle Texte von U.X.A., er war ein interessanter Typ! Er sah ein bisschen aus wie ein junger Marlon Brando oder ein pummeliger Brad Pitt. Er starb sehr früh. Er war tatsächlich der erste Heroin-Tote der Szene. Das muss noch 1977 oder 1978 gewesen sein.
Greg: Er war nicht mehr bei der SEX PISTOLS-Show, also muss es Ende 1977 gewesen sein. Er war großartig! Super lustig, sehr interessant, aber auch verdammt wild. Verrückt.
Penelope: Er gehörte zu den Leuten, die in der Szene sehr präsent waren, aber nicht in den Bands. Einer, der was losmacht.

Als die AVENGERS die Tracks mit Steve Jones von den SEX PISTOLS aufgenommen haben, wo war das? In den Peter Miller Studios in San Francisco?
Penelope: Nein.
Greg: Wir haben „Uh oh“, „The American in me“, „Gold digger“, „123 baby“ aufgenommen.
Penelope: Das war, nachdem sich die SEX PISTOLS aufgelöst hatten. Steve wollte Produzent werden. Und durch die Vermittlung von Rory Johnson, Malcolm McLarens Kontaktmann an der Westküste, durften wir in die Differnt Fur Studios gehen und diese Songs aufnehmen.
Greg: Aber dann ging alles den Bach runter wegen des ganzen SEX PISTOLS-, Ronnie Biggs- und Brasilien-Mists. Steve verließ das Studio, nachdem er nur zwei Songs gemischt hatte, da Sid in New York gestorben war. Malcolm holte ihn aus dem Studio, ohne die Rechnung zu bezahlen, und das war das letzte Mal, dass wir Steve Jones gesehen haben. Vielleicht ging er zurück nach L.A. oder nach England, wer weiß.
Penelope: An dieser Stelle kommt Rene Daalder ins Spiel. Er mischte zusammen mit Geza X alles neu ab und ließ mich sogar den Gesang bei ein paar Liedern neu aufnehmen. Erst später, als Greg ausgestiegen war und Brad Kent ihn ersetzte, nahmen wir auch in den Peter Miller Studios in San Francisco ein paar Songs auf: „Corpus Christi“ und „Cheap tragedies“.

Penelope, was kannst du uns über die San Francisco Punk Archives erzählen? Ich habe herausgefunden, dass du es gegründet oder zumindest dort gearbeitet hast.
Penelope: Ja, ich habe 20 Jahre lang in der städtischen Bibliothek von San Francisco gearbeitet und die letzten acht oder neun Jahre davon im San Francisco History Center im obersten Stockwerk, wo man weiße Handschuhe anziehen muss, wenn man Fotos, Poster und Dokumente anfassen will. Irgendwann kam ich darauf, dass sie eine riesige SF-Hippie-Sammlung hatten und deshalb auch ein SF-Punk-Archiv bräuchten. Die Stadtarchivarin Susan Goldstein war meine Chefin und gab uns grünes Licht. Am Anfang ging es nur langsam voran, weil ich eigentlich Bibliothekarin werden wollte, aber nachdem ich 2020 in den Ruhestand ging, kam das Ganze unter der Leitung von Freya Channing ins Rollen. Wir haben tonnenweise Zines, Texte, Poster und andere Exponate. Die Besucher lieben es, sich dieses Zeug anzusehen. Du musst nur sagen, woran genau du interessiert bist. Die Sammlung ist nämlich riesig. Wenn jemand für ein Buch oder eine Filmdokumentation recherchiert, sollte er auf jeden Fall vorbeischauen, aber auch die breite Öffentlichkeit ist herzlich willkommen. Es ist alles da, aber die Sachen sind nicht ausgestellt. Du musst deinen Ausweis vorzeigen und dann wird das herausgeholt, was dich interessiert.

Wart ihr schon einmal in Las Vegas im Punk-Museum? Was haltet ihr davon?
Penelope: Ja, ich war vor ein paar Monaten dort. Ich war ziemlich überrascht, wie viel dort los war. Ich war mir nicht wirklich sicher, was sie haben und was sie wirklich machen wollen. Ich glaube, es fehlt oft der Kontext, um ehrlich zu sein, aber zu dem Zeitpunkt gab es das Projekt noch nicht einmal ein Jahr, vielleicht ist es jetzt anders. Sie wollten Sachen aus dem Punk-Archiv in San Francisco ausleihen, aber das müssten wir wirklich mit allen Beteiligten absprechen. Es muss ja alles einzeln versichert werden.

Also zurück zu den Aufnahmen mit Steve Jones. Ist das direkt nach der SEX PISTOLS-Show gewesen?
Greg: Im Oktober 1978, fast ein Jahr später. Zwischendurch war er für eine Weile verschwunden. Es könnte sein, dass sie da in Brasilien waren, wegen Ronnie Biggs und dem „The Great Rock’n’Roll Swindle“-Dreh. Ich mochte Steves Produktion jedenfalls.
Penelope: Ja, er war großartig mit den Gitarren, aber weniger mit dem Gesang, deswegen hatte Rene mich ja gebeten, die Vocals noch einmal neu zu machen.

Wie würdest du eine Punkband definieren? Seid ihr eine Punkband?
Penelope: Das sind wir auf jeden Fall! Wir waren 1977 eine Punkband. Punk ist eine Lebenseinstellung!
Greg: Punk ist definitiv eine Lebenseinstellung. Damals klangen Punkbands alle ganz anders, es ging nicht nur um laute Gitarren. Wir teilten eine gemeinsame Haltung gegenüber kommerzieller Musik. Wir haben mit dem „Do It Yourself“ angefangen!

Was ist heute anders als damals, als ihr die gegründet habt?
Penelope: Damals dachte ich nicht, dass eine lebenslange Sache, eine Karriere daraus werden würde. Wir haben nur unsere Songs und unsere Statements gemacht.

Ihr habt auf jeden Fall ein Vermächtnis hinterlassen: AVENGERS-Songs waren damals die ersten, die jeder kleine Punk auf seinem Mixtape hatte!
Penelope: Dabei gab es uns nur zwei Jahre lang. Der Grund dafür, dass wir jetzt wieder unterwegs sind, ist, dass Lookout! Records seinerzeit eine Compilation mit Material zusammengestellt hat, zu dem wir legal Zugang hatten. Denn wir waren in einem Rechtsstreit mit der Person, die das sogenannte titellose „Pink Album“ 1983 herausgebracht hat. Diese Person besaß auch die Rechte an all unseren anderen Veröffentlichungen. In den 1990er Jahren hatte Lookout! also den Plan, eine Zusammenstellung aller möglichen anderen Sachen herauszubringen, die nie veröffentlicht worden waren, alternative Versionen oder Tracks, die nur auf Kassette erschienen waren. Also haben wir uns mit Joel, der heute bei uns spielt, und Dan Panic von SCREECHING WEASEL zusammengetan und es klang einfach fantastisch und machte eine Menge Spaß. Es war befreiend und ein ganz besonderer Moment. Von da an baten uns andere Leute zu spielen. Sie baten uns, in England zu spielen. Zur damaligen Zeit hatten wir Kalifornien nie verlassen, wir haben nur die Küste rauf und runter gespielt. Wir haben nie in New York oder sonst wo gespielt. Es gibt Material von uns aus den 1990er Jahren, wo wir im CBGB’s waren, aber das war viel später. Auf dieser Tour werden wir in Polen spielen, und 2023 waren wir zum ersten Mal in Japan.
Greg: Die Leute erzählen uns, dass unsere Songs ihnen heute genauso wichtig sind wie damals. Das gibt einem das Gefühl, dass wir immer noch etwas zu sagen haben.

Apropos Lookout!, hast du nicht ein paar Songs mit Billie Joe Armstrong aufgenommen?
Penelope: Ich habe einen Song mit ihm gemacht. Ich singe und schreibe auch Americana-Sachen und bin damit bei Reprise Records. Howie Klein, der Boss von Reprise und 415 Records, wollte mich mit ein paar Leuten zusammenbringen, und so kam es zu der Zusammenarbeit mit Billie Joe.

Kennst du Jack Rabid von THE BIG TAKEOVER? Er ist überliefert, dass er auf die Frage, von welcher Band er sich eine Reunion wünschen würde, spontan antwortete: „THE AVENGERS!“
Penelope: Ja, klar! Er ist ein guter Freund von uns.

Es sind nun 20 Jahre vergangen, seit ihr 2004 zum ersten Mal Konzerte in Europa gespielt habt. Gibt es bestimmte Events, an die du dich besonders gern erinnerst?
Penelope: Im Februar 2006 hatten wir eine ausverkaufte Show im Berliner Mudd Club, bei der es durch die Ausdünstungen des crowdsurfenden Publikums in der Halle zu regnen begann! Dann haben wir mal in einer wunderschönen, halb verfallenen Ruine namens Forte Prenestino in Rom gespielt. Die diesjährige Rock’n’Roll Butterfahrt nach Helgoland war ebenfalls ein wilder Ritt.

Auch wenn THE AVENGERS nur noch zur Hälfte aus dem Original-Line-up bestehen, könnte man von einer Allstar-Band sprechen, da der Bassist und der Schlagzeuger bereits bei MR. T EXPERIENCE beziehungsweise PANSY DIVISION gespielt haben. Wie bist du mit Joel und Luis in Kontakt gekommen?
Penelope: Ich bin Joel zum ersten Mal begegnet, als der Boss von Reprise Records mich bat, mit Billie Joe Armstrong von GREEN DAY einen Song für mein 1999er Album „Tongue“ zu schreiben. Ich besuchte ihn also in seinem Haus und er stellte mir den 19-jährigen Joel vor, der bei THE ANGEL & THE JERK Bass spielte. Später bat ich Joel, drei Songs für die Lookout!-Veröffentlichung aufzunehmen. Als wir 2004 anfingen, wieder mehr Shows zu spielen, brachte er irgendwann Luis mit.

Nachdem Superior Viaduct, das Spezial-Label für Reissues aus San Francisco, bereits 2012 eure Dangerhouse-Single neu aufgelegt hatte, erschien 2019 eine weitere 7“ mit Stücken aus den Steve Jones-Sessions. Leider ist es heute kaum noch möglich, das edle Kleinformat zu einem vernünftigen Preis anzubieten, weil die Rohmaterialien so teuer geworden sind.
Penelope: Es ist traurig, dass sie als nicht finanzierbar gelten, aber vielleicht gibt es dieses Jahr trotzdem eine Neuauflage der Dangerhouse-EP!

Für einen Tourauftakt war euer Konzert im Wild at Heart äußerst erfolgreich, denn es war komplett ausverkauft und das Set machte viel mehr Spaß als das vor zwei Jahren im Cassiopeia. War das Feedback auf dem Rest der Tour ähnlich gut?
Penelope: Wir hatten eine Reihe ausverkaufter Shows, aber nirgends war so viel los wie im Wild at Heart! Helgoland, Wien und Hamburg waren weitere Highlights, aber auch das erste Mal in Polen und Bratislava zu spielen, war aufregend für uns. Wir haben die Tour sehr genossen und werden wiederkommen, vielleicht ja schon 2025.

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Diskografie
„We Are The One“ (7“, Dangerhouse, 1977) • „s/t“ (12“EP, White Noise, 1979) • „s/t“ (LP Comp, CD Presents, 1983) • „Died For Your Sins“ (LP/CD, Lookout! Records, 1999) • „The American In Me“ (CD, DBK Works, 2004)