Wer AVATAR hört oder sieht, taucht ein in eine ganz besondere eigene Welt, die sich irgendwo zwischen Theater und harter Musik bewegt und bei der es schwerfällt, nicht in ihren Bann gezogen zu werden. Wir unterhalten uns mit Sänger Johannes Eckerström, den wir uns ohne Schminke und Schauspiel kaum vorstellen konnten.
Erzähl doch mal, warum du eigentlich so gut Deutsch sprichst.
Ich habe jetzt nie in Deutschland gewohnt, aber wir haben früher jeden Sommer in Deutschland verbracht und waren auch zu Ostern immer bei Cousin und Cousine in Franken und in Würzburg. Sie haben uns manchmal „Sesamstraße“-Kassetten nach Schweden geschickt. Ich bin also mit Deutsch aufgewachsen.
Euer neues Album „Hunter Gatherer“ kommt bald raus. Diesmal geht es ein bisschen ernster zu als auf dem Vorgänger „Welcome To Avatar Country“, warum?
Ich würde sagen, dass „Welcome to Avatar Country“ eher anders war. Davor gab es ein Konzeptalbum, in dem es um eine Eule und einen Adler ging, deren Geschichte symbolisch für Versagen und Tod stand. Das war also auch schon sehr dunkel. Mit „Avatar Country“ haben wir angefangen, viel zu viel Spaß zu haben. Wir hatten so viele lustige Ideen, dass wir sie einfach umsetzen mussten. Und danach kamen zwei Jahre, in denen ich und eigentlich wir alle fünf Musik nicht als Therapie benutzen konnten. Deshalb ist die Dunkelheit, die jetzt rauskommt, vielleicht extrakompakt. Letztlich soll auch jedes Album etwas Eigenständiges sein, sozusagen immer eine Reaktion darauf, was davor war. Ja, „Avatar Country“ war sehr lustig, aber ein weiteres Album, in dem alle Lieder vom König handeln, wäre auf Dauer nicht mehr lustig.
Wie kann man zu viel Spaß haben?
Also, nein, man kann nicht zu viel Spaß haben. Aber zuerst war dieses König-Ding etwas Internes. Wir saßen im Backstage oder im Bus und hatten so viel Spaß dabei, dass es schade gewesen wäre, das nicht mit der Welt zu teilen. So meinte ich das.
Wieso gehen ernsthaftere Texte auch mit ernsterer Musik einher?
Das muss nicht bei jeder Band so sein. Bei uns ist es so, dass es ein Teil des Ausdrucks ist: Die Musik soll sich so anfühlen wie das, was der Text aussagt. Am schönsten wäre es, könnte man noch riechen und schmecken, was der Song aussagen soll. Bei uns gehört das alles zusammen. Und dass es jetzt dunkler geworden ist, ist auch eine ästhetische Entscheidung.
Wovon handeln eure neuen Lieder?
Also, „Hunter Gatherer“ bedeutet Jäger und Sammler: Durch die Evolution ist der Homo sapiens zu einem Jäger und Sammler geworden. Und wenn man sieht, wie unser Körper und unser Gehirn funktionieren, war das für uns als Individuen der beste Teil unserer Geschichte. Unser Gehirn ist so komplex, dass wir durch Sprache, Planung, Erfindungen und Kommunikation die Umwelt um uns herum vollkommen verändert haben. Aber Evolution ist ein langer Prozess und wir sind ein Jäger-und-Sammler-Volk geblieben. Und jetzt stehen wir in dem Konflikt, dass wir die Welt haben, die wir uns selbst erschaffen haben, und nicht die Welt, für die wir eigentlich geeignet sind. Ich finde das sehr interessant. Als Jäger und Sammler ging es dem Individuum vermutlich am besten, aber dann kam die Agrikultur. Dadurch waren wir sozusagen erfolgreicher als die Tiere, und wir sind immer mehr geworden, aber für das Individuum ist es dadurch schlechter geworden, weil wir zwar mehr zu essen haben, aber eine kleinere Variation. Das heißt, ist es zu kalt, zu heiß, zu trocken, zu nass, dann haben wir ein Problem. Wir müssen immer mehr Menschen werden, damit all die Arbeit gemacht werden kann.Und so geht es immer weiter. Wir erfinden immer mehr Dinge. Seit der industriellen Revolution kann man immer länger arbeiten, weil man jetzt auch in der Dunkelheit arbeiten kann. Kinder können jetzt auch zwölf Stunden lang in der Fabrik arbeiten. Und durch noch mehr Arbeit gibt es noch mehr Menschen. Erst seit den letzten siebzig oder hundert Jahren wurde es für das Individuum allmählich wieder besser. Der Lebensstandard steigt auf der ganzen Welt, weil es den Menschen einfach besser geht. Langsam werden wir wieder gesünder und so weiter. Dafür haben wir jetzt ein Problem mit der Umwelt, und in der technisierten Welt gibt es viele Spannungen zwischen den Ländern und zwischen einzelnen Gruppen innerhalb eines Landes. Politiker haben fragwürdig viel Macht, und das in Ländern, bei denen man eigentlich gedacht hatte, dass dieser Teil der Geschichte dort schon vorbei ist. Gleichzeitig haben wir in unserer Zeit auch die besten Möglichkeiten, uns zu retten: Es gibt Wissenschaft, es gibt Technologie ... Wir können die Jäger-Sammler-Zeit romantisieren, aber es spielt keine Rolle, weil wir nie dahin zurückkehren können. Wir können jetzt nicht einfach auf einen Baum klettern und sagen: Ich bin lieber ein Affe. Das ist vorbei. Wir müssen auf die Zukunft gucken und dahin gelangen.
Ihr kombiniert ja gewisse Elemente, die „normal“ nicht zusammen auftreten, etwa Metal und Spaß, harte Musik und Theater. Woher stammen eure Inspirationen?
Oh, da gibt es so viele! Bands, die wir schon als Kids cool fanden, also alles zwischen KISS und RAMMSTEIN. Dass man seine Musik auch stark visualisieren kann, ist ein großer Teil davon. Bei der cineastischen Darstellung reden wir viel von David Lynch oder Lars von Trier. Oder „Metropolis“. Alte Horrorfilme, Kunstfilme. Heutzutage kann Theater auch in vielen Formen stecken. Das ist auch so ein Prinzip von uns: Man kann seine Ideen von überall herbekommen und alles kombinieren. Es gibt nicht die eine universale Quelle. Wichtig ist, dass man immer man selbst bleibt. Ich glaube, wenn man ehrlich das macht, was man wirklich möchte, dann akzeptieren das auch irgendwann die Metalheads.
Wenn man über ein Jahrzehnt lang Theaterschminke im Gesicht hat, hat man da nach einer Show überhaupt noch Lust, das alles wieder abzuwischen?
Aber ja, das gehört einfach dazu. Solange es etwas ist, das AVATAR ausmacht, bleibt es auch dabei.
© by Fuze - Ausgabe #83 August/September 2020 und Jenny Josefine Schulz
© by Fuze - Ausgabe #83 August/September 2020 und Jenny Josefine Schulz
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #75 Dezember 2007/Januar 2008 und Thomas Eberhardt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #68 Oktober/November 2006 und Thomas Eberhardt