Willkommen zum Austin/Texas Report. Auslandsberichte scheinen sich ja in der letzten Zeit zunehmender Beliebtheit zu erfreuen. Denn als Norbert und Joachim hörten, daß ich mich ein paar Wochen in Texas rumtreibe, wurde ich freundlich gefragt, ob ich nicht Lust hätte ein paar Zeilen darüber zuschreiben. Wirklich mutig von den beiden, hab' ich so gedacht, denn erstens reicht mein Schreibstil gerade zum Verfassen von Einkaufszetteln und zweitens, was soll an Texas schon so interessant sein?!
Wenn die Jungs an Geschichten von Viehbaronen mit Longhorns auf der Motorhaube, Ölmultis à la J.R.Ewing, Wüste mit endlosen Highways, lähmende Hitze, Bible-Belt, Denver- und Bush-Clan, Todesstrafe, BarBQs mit Zwei-Kilo-Steaks und nervtötender Country-Mucke interessiert sind, dann bitte sehr! No problem! Nur nicht angeschissen kommen, wenn hinterher die Auflage zurückgeht!
Anyway, soviel sei vorweggenommen, es ist natürlich alles anders gekommen als ich dachte. Meine Vorurteile von Texas ließen sich größtenteils nicht bestätigen und ich hoffe darauf, auch nächstes Jahr wieder nach Austin eingeladen zu werden....
Also dann mal los - nämlich damit, was man sich wirklich unter Austin/Texas vorzustellen hat. Machen wir zunächst unsere Erdkundehausaufgaben: Texas ist flächenmäßig doppelt so groß wie good old Germany (inklusive der Beitrittsgebiete) und hat von seinen Umrissen her verdammt viel Ähnlichkeit mit einem T-Bone-Steak. Abgesehen von Alaska ist Texas der größte Bundesstaat der USA, worauf man als Texaner natürlich besonders stolz ist. Nicht zuletzt deswegen hat man in Texas eine Art übergeordneten Superlativ kreiert : "big - bigger - the biggest - TEXAS-SIZE". Alles ist eben noch einen Tacken größer: die Shopping Malls, die Steaks, die Maga- bzw. Megaritas von etwa 0,8 l, selbst die Insekten gibt es in Texas-Size. Dackelgroße Zecken sollen angeblich keine Seltenheit sein.... Im Direktvergleich kann Texas einwohnermäßig nicht mit Germany mithalten, nur schlappe 20 Mio. Eingeborene leben hier, wovon ca. 700.000 in Austin ansässig sind.
Übrigens ist Austin und nicht Houston die texanische Hauptstadt, was selbst die meisten Amis nicht zu wissen scheinen. Bevor ich euch noch mit den Jahresdurchschittstemperaturen und der prozen-tualen Pro-Kopf-Verschuldung gänzlich in den Schlaf lulle, sei mir zum Thema Erdkunde noch folgende bahnbrechende Feststellung erlaubt: In Texas gibt es keine Winter!!!
Nachdem ich meine Basics über Texas losgeworden bin, will ich mich im folgenden auf Austin beschränken. Austin ist für meinereiner Welt-Musik- und -Kneipenhauptstadt!!! Wenn euch immer noch schnauzbärtige Düsseldorfer Altbierärsche erzählen, sie hätten die "längste Theke der Welt", dann tretet sie bitte recht freundlich in den selbigen!!! Dieses Ammenmärchen von der längsten Theke scheint sich so in den Köpfen festgebrannt zu haben wie die Behauptung Elvis lebt oder Arnold Schwarzenegger ist Deutscher. Ich aber sage euch: the king is dead, Arnie ist Österreicher und die Düsseldorfer Altstadt gehört nach Disneyland!!!
Bevor ich mich endgültig in Haßtiraden gegen diese Rheinprovinz verliere (,tschuligung Mutter, auch wenn du dort wohnst wird diese Stadt dadurch nicht sympathischer...), back to Austin. Austins legendäre Musikmeile ist die 6th Street, und hier findet man unzählige Clubs, Kneipen, Bars und Restaurants aller Kategorien und Preisklassen. Alle musikalischen Stilrichtungen sind hier präsent: vom Ritz Lounge, wo man sich mit Scotch & Cigars cool gibt und dazu Pianomusic hört, bis zum herrlich abgefuckten Black Cat Lounge, in dem fast jeden Abend 100% live wie Sau gerockt wird.
Allerdings ist die 6th Street längst noch nicht alles, was Austin an "Nightlife Locations" zu bieten hat; hier liegt jedoch unbestritten das Epizentrum der nächtlichen Musik- und Kneipenkultur. Den gemeinen Ox-Leser wird es dagegen eher zur "Red River" ziehen. An dieser Straße im Osten von downtown Austin findet man überwiegend Punk-Clubs. Meine persönlichen Favorites sind dort das Emo's und die Blue Flame Bar. Das Emo's besteht aus Kneipe, Biergarten und Konzerthalle, zu etwa drei gleichgroßen Teilen. Hier spielen vorwiegend lokale und nationale Größen aus der Punk- und HC-Ecke und das für schlappe 2-3 Dollar!!!
Das Publikum rekrutiert sich überwiegend aus Studis der örtlichen Uni und sieht auch entsprechend brav aus. Gerade bei einigen weib-lichen Wesen hatte ich rein äußerlich den Eindruck, die Damen hät-ten sich verlaufen und wollten in ihrem kleinen Schwarzen und Kelly-Bag ins Theater. Beim Act mußte ich mich allerdings eines Besseren belehren lassen, wurde doch trotz der Kostümierung fleißig gerockt und mitgegrölt. Ein wenig origineller sieht es dagegen in der Blue Flame Bar aus. Der kleine Laden hat ein maximales Fas-sungsvermögen von 70-80 Leutchen, die bunt aus Punks, Straight-Edgern, durchgeknallten Japanern mit Handycams, Mitvierzigern, die nochmal die Sau rauslassen wollen und weiß der Henker was für Leuten zusammengewürfelt sind. Trotz der vielen Bands, die hier allnächtlich spielen, gibt es in dem Laden nichts, was einer Bühne ähnelt, es sei denn man bezeichnet eine Fünffach-Steckdose als selbige. Gespielt wird dort, wo Platz ist, wobei der limitierende Faktor die Länge des Gitarrenkabels ist. Ein idealer Ort, um Leute kennenzulernen - sofern man die Zeichen- und Gebärdensprache beherrscht, denn der Geräuschpegel in dem Laden läßt jedes Gespräch im Ansatz scheitern.
Besonders erwähnt sei noch das Liberty Lunch, das etwas abseits vom eigentlichen Geschehen in der 2nd Street liegt. Der Laden ist nicht ganz so populär wie das Emo's und wird eher von der lokalen Szene heimgesucht, hat aber dafür eine eben so lange Austiner Tra-dition. Auch Aufbau und Größe der Läden sind identisch. Wer Emo's mag, wird Liberty Lunch lieben!
Einen umfassenden Überblick über die Club-Listings gibt das "XLent" in der Donnerstagsausgabe der Lokalzeitung "Austin American-Statesman". Darüberhinaus wird man vom XLent ebenso zu Eats, Arts und Cinema unterrichtet. Wer keine Lust hat sich direkt die ganze Tageszeitung zu kaufen, geht am besten in einen Plattenladen, hier liegen das XLent und weitere Veranstaltungsblätter kostenlos aus.
Die Zeit bis zum Abend vergeht am schnellsten in der Guadalupe Street. Hier findet man 1000 Bücher-, Platten-, Schnick-Schnack- und Freßläden. Die Guadalupe verläuft parallel zum Unigelände. Von daher ist hier immer studentisches Treiben angesagt und die Preise sind entsprechend moderat. Immer lohnenswert ist dort ein Besuch bei "33 Degrees" und "Sound Exchange". "33°" ist der ungewöhnlichste und spaßigste Plattenladen in Austin. Hier hat man sich auf Sachen spezialisiert, die sonst nirgends zu finden sind. Egal ob man nach Vinyl-Scheiben unbekannter Jazz-Musiker, nach längst vergessenen Punkbands auf 7" oder nach holländischen Psychedelic Groups auf CD sucht, hier ist man gut beraten und wird fast immer fündig. Best finds: Poison 13 "Love Me"-7" (Sub Pop-Pressung, $4); Can "Ege Bamyasi" (Vinyl, $22); Galaxy 500 "Today" (remastered CD, $17).
"Sound Exchange" ist nicht ganz so auf "hard to find" spezialisiert. Hier ist die gesamte Palette von Punk über really Punk bis Mainstream-Pop erhältlich. Jazz-Liebhaber haben hier eine beachtliche Vinyl-Auswahl im hinteren Teil des Ladens. Außerdem gibt es hier eine Riesenauswahl an Postern, T-Shirts, Caps und dergleichen. Best finds: Handsignierte GG Allin 7" ($40); Butthole Surfers/Bad Livers "New Year's Eve at the Vatican"-Poster von Frank Kozik ($150).
Abschließend noch ein paar Worte zur Nahrungsaufnahme. Vegetarier sind selbst in Texas nicht hoffnungslos verloren. Neben den ganzen Fleischfresserläden, die sich auf BarBQs und Steaks spezialisiert haben, gibt es auch zahlreiche Tex-Mex-Restaurants, die das Vegetarierherz höher schlagen lassen. Tex-Mex steht - wer hätte es gedacht - für texanisch-mexikanische Küche. Hier findet man folglich Tortillas, Nachos, Gemüse-Enchilladas und zahlreiche Bohnengerichte. Die meisten Speisen sind hot hot hot und lassen die Bierbestellungen im 5-Minuten-Takt erfolgen. Wie ich schmerzhaft feststellen mußte ist Bierbestellen die eine, der Schädel am nächsten Morgen eine andere Sache... Nur vereinzelt findet der pilsverwöhnte Deutsche Warsteiner oder Beck's auf der Getränkekarte, so daß man die Qual der Wahl hat zwischen den amerikanischen Bieren. Hier empfiehlt es sich, nicht zu knauserig sein. Der ein oder andere am Bier gesparte Dollar kann einem ganz schön den nächsten Tag ver-saun. Also Hände weg vom billigen Pabst- oder Lonestar-Bier. Lieber ein paar Cent drauflegen und Miller's, Budweiser oder Shiner Bock bestellen. Letzteres erinnert auf Grund seiner Färbung eher an Altbier und ist herber als Miller's oder Bud. Außerdem soll es angeblich nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut sein. Na, wenn das nicht schon Grund genug ist?!
Also dann Prost! Ich habe fertich!
Kay
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #32 III 1998 und