Aus dem Schrank geholt

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IG Dreck auf Papier (Hg.) - KEINE ZUKUNFT WAR GESTERN - Punk in Deutschland

(Archiv der Jugendkulturen, 2008, 365 S., 28 Euro)
Vor über zehn Jahren fanden sich mehrere Fanzinemacher zusammen, um ihre Geschichte des Punk in Deutschland aufzuschreiben. Während es soziologische Untersuchungen – häufig auch von Punks – zu diesem Thema seit den späten Siebziger Jahren gibt, hatten die Zeithistoriker Punk bis dahin als nicht untersuchungswürdig befunden. Das Ziel des Autorenkollektivs war es, ein authentisches Gesamtbild von mehr als dreißig Jahren Punk in der Bundesrepublik in all seiner Vielfalt zu zeichnen. Dafür wurden viele Fragebögen verschickt, Interviews geführt und die Ergebnisse ausgewertet. Das Buch selbst besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil gibt es den Versuch einer chronologischen Nachzeichnung der Entwicklung von 1976 bis 2008 sowie reichlich illustrierendes Foto-, Interview-, Flyer- und Fanzine-Material. Dabei hat man sich am Buch „Punk“ von Steven Colegrave und Chris Sullivan orientiert. Der zweite Teil besteht aus Essays zu verschiedenen ausgesuchten Themen wie Punk in der BRD und der DDR, Hardcore in der BRD, Frauen im Punk, die Auseinandersetzungen mit Naziskins und Rechten oder zu Punk in den Neunzigern. Im letzten Teil gibt es sechs Interviews mit Punks beziehungsweise Ex-Punks zu der Frage, wie „Punk“ ihr Leben geprägt hat. Abgerundet wird das Buch mit einem Anhang, in dem die laut Umfragen wichtigsten deutschen und internationalen Punk-Alben ausführlich vorgestellt werden, und einem Punk-Kalendarium. Das Ergebnis ist ein wirklich lesenswertes Buch, das gerade im ersten Teil oft eher an ein Punkrock-Fanzine erinnert. Doch gerade der zweite Teil hat einen besonderen Charme durch die persönliche Sichtweise der Autoren. Die einzigen Kritikpunkte sind die doch etwas zu punkrockige Ausrichtung, die sich durch das ganze Buch zieht, und das komplette Fehlen der Hardcore-Punk-Bewegung im zweiten Teil der Neunziger Jahre. Vielleicht findet sich das Autorenkollektiv noch einmal für eine Neuauflage zusammen, die dann aber die Jahre bis 2018 mit abdecken sollte. Es würde sich lohnen.