AULD CORN BRIGADE

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Irish-Folk-Punk aus Thüringen?

Mittlerweile ist Irish-Folk-Punk auf der ganzen Welt zu Hause, wie auch das reisefreudige Volk der Iren an sich. Aber nicht Jux und Dollerei hat die Iren in die Welt getrieben, das hatte politische und ökologische Gründe, wie auch der letzte Guinness-Trinker inzwischen mitbekommen haben sollte. So fröhlich dieser Sound auch oft ist, so ernst ist so mancher Hintergrund auf beziehungsweise von der „grünen Insel“. Nico Graniewski-Legere, Sänger und Gitarrist von AULD CORN BRIGADE, hat einiges zu dem Thema zu sagen.

Nico, ihr spielt Irish Folk in punkiger Form, und auch sonst seht und führt ihr die Band in sehr „irischer Tradition“. Nun ist aber das beschauliche Thüringer Nordhausen weit weg von Irland mit einer ganz anderen Lebensweise, Konflikten und geschichtlichen Hintergründen. Wie kam es, dass ihr euch dazu entschlossen habt, diesen Sound zu spielen und dabei sehr dicht am Ursprung zu bleiben?

Dass wir uns für die irische Musik entschieden haben, hat irgendwie etwas mit Kneipen und Trinken zu tun. Als ich anfing, Gitarre zu spielen, habe ich mich oft mit unserem damaligen Gitarristen Stefan in die Kneipe gesetzt und dort verschiedenste Sachen gespielt. Das waren meist Folk-Songs aus Amerika zum Beispiel von Woody Guthrie oder Pete Seeger oder Country-Songs von Johnny Cash und Hank Williams, aber natürlich auch irische Traditionals, die ich auch zu Hause viel höre. Oder Punkrock-Sachen von SOCIAL DISTORTION, eben Songs, die man leicht auf der Westerngitarre spielen konnte und die auch inhaltlich nicht ganz hohl waren. Als das Ganze konkreter werden sollte, wollten wir uns für eine Richtung entscheiden und für mich war das dann ganz klar Irish Folk. Das Ganze sollte dann etwas punkiger werden, aber die Grundaussage nicht verlieren. Das Repertoire an irischen Traditionals ist einfach unerschöpflich. Wir fragten meine Frau Nicole, die die irischen Folklore-Songs eh schon kannte, ob sie singen möchte, und Uwe, Piercer bei uns im Tattoo-Shop, ob er trommeln will. Beide sagten zu und so war die Band im Grunde komplett. Um dem Ganzen noch eine irische Note zu geben, machten wir einen Aushang in unserem Probehaus, dass wir ein wenig ausgefallenere Instrumente suchen, wie Akkordeon, Bagpipes, Flöte, Fiddle und so weiter. So gesellten sich noch Henry am Bass und Jimmi am Akkordeon zu uns. Das war 2006, und nach mehreren Besetzungswechseln und Problemchen, die uns sehr viel Zeit, Mühe und Nerven gekostet haben, sind wir nun seit 2009 in der jetzigen, sehr guten und familiären Besetzung aktiv, mit Uwe an den Trommeln, Nicole, die singt, und mir, Gesang und Gitarre, als Grundbesetzung sowie Marlen, Geige, Marko, Gitarren und Banjo, und Klaus am Bass. Und ich hoffe, so bleibt’s.

Und wie kam es zu deiner Leidenschaft für Irland?

Meine Liebe zu Irland war spätestens da, als ich das erste Mal die Insel betrat. Ein Gefühl wie „endlich zuhause“. Unglaublich. Entwickelt hat sich das aber viel früher. Zur irischen Musik kam ich über den Punkrock und die POGUES. Danach hörte ich vermehrt traditionelle irische Musik und kam erst relativ spät, so um die Jahrtausendwende, zu Bands wie DROPKICK MURPHYS. Folk bedeutet Geschichten zu erzählen. Manchmal witzig, manchmal ernst, manchmal banal, aber oft kritisch. Meine Familie und die Band habe ich mit der Liebe zu Irland jedenfalls schon angesteckt, ansonsten würde das Ganze auch nicht funktionieren.

Das Klischee des trinkenden, irischen Raufboldes hängt in den Köpfen der Menschen und gerade der Konflikt Irland/England und die IRA sind da die einzigen Dinge, die hängenbleiben. Ihr singt unter anderem auch irische Kampflieder mit starkem Working-Class-Hintergrund und die auch pro-IRA sind, wenn ich das richtig verstanden habe. Bist du da nur „geschichtlich“ interessiert oder hast du Kontakte zu Iren, also Infos aus erster Hand?

Das Klischee des trinkenden, irischen Raufbolds sollte auch in den Köpfen hängen, denn das sind sie ja auch, haha. Die Clans haben sich untereinander stets bekämpft und nicht umsonst stehen in Irland eher martialische Sportarten wie Gaelic Football oder Rugby im Vordergrund. Das politische Ding versuche ich mal so zu erklären: Wenn jemand zu dir ins Haus kommt und dir sagt, er wohne jetzt hier, und dass du mit deiner Familie aber in den Keller ziehen kannst, dann wird dir das wahrscheinlich nicht gefallen und du versuchst, dich zu wehren. Da dieser Jemand aber viel größer und stärker ist als du, ziehst du natürlich den Kürzeren. Aber du versuchst es immer und immer wieder. Die Zeit vergeht und du versuchst immer wieder, in dein Haus und in deine Wohnung zu kommen und den anderen wieder rauszuschmeißen. Und manchmal hast du ein wenig Erfolg, aber meist erlebst du Rückschläge, denn der Jemand ist stärker. Die Generationen gehen dahin, deine Nachfahren richten sich im Keller ein, was sollen sie auch machen. Ab und zu probiert mal einer eine kleinere oder größere Revolte, aber man findet sich halt mit dem schönen, kalten, feuchten Keller ab. Was ich meine, ist, die Zeit vergeht und es wächst viel Gras über Dinge, jedoch wird, jedenfalls aus meiner Sicht, dadurch Unrecht nicht zu Recht. Und die Iren wurden von verschiedensten Völkern und zuletzt von den Engländern am meisten unterdrückt. Wenn man sich das weltgeschichtlich anschaut, haben die Engländer das überall so gemacht, ob in Indien, Afrika oder sonst wo. Und sie wurden überall wieder rausgeschmissen. Irland hat wahrscheinlich das Pech, das es zu nah an England dran ist. Das Nationalbewusstsein in Irland basiert so also auf einem revolutionären Befreiungsgedanken, auf Unabhängigkeitsbestrebung, auf dem Stolz auf das bisher Geschaffene. Der Terrorismus in Irland ist natürlich auch eine Frage der Sichtweise. Die Anführer des Osteraufstands 1916 wurden fast alle hingerichtet, trotzdem resultierte daraus letztendlich die Gründung des irischen Freistaates 1922. Und diese Armee des Unabhängigkeitskampfes war keine andere als die Vorläufer der heutigen IRA. Das ist Nationalismus, der sich von Nationalismus unterscheidet, der aus Unterdrückung und Eroberung herrührt. Außerdem hat der irische Nationalismus nichts mit Rechts zu tun, wie bei uns hier, sondern ist links geprägt. Meine Einstellung zu der ganzen Thematik basiert auf meiner Gesamteinstellung zu solchen Dingen. Das Ganze gefestigt und verfeinert haben dann verschiedene Bekannte und Freunde, die ich im Laufe der Zeit kennen gelernt habe, sei es hier oder in der Republik Irland oder Belfast.

Man kann das aber auch anders sehen: Die IRA, das sind heute – wie die radikalen pro-britischen Protestanten – durchgeknallte religiöse Fanatiker, losgelassene irre Killer, die sich mit Drogenhandel finanzieren und keineswegs tolle Freiheitskämpfer. Da kann man durchaus eine gewisse Naivität unterstellen, wenn deren Glorifizierung weiterhin betrieben wird, oder wie seht ihr das?

Das Problem ist leider viel zu komplex, um es kurz auf den Punkt zu bringen, aber deine Frage spiegelt genau das wider, was die meisten hier in Deutschland durch den Einfluss der westlichen Medien von der IRA denken. Ich bekomme beim Umgang mit der Bevölkerung in Irland und Nordirland jedoch einen anderen Eindruck. Die IRA selbst ist ja schon durch etliche Spaltungen sehr komplex. Wenn wir von der IRA sprechen, reden wir von der so genannten Provisional Irish Republican Army. Diese führte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den bewaffneten Kampf gegen die britischen Besatzer. Das war zu der Zeit ein Guerillakrieg. „Losgelassene irre Killer“ würde ich sie in dem Fall nicht nennen, genauso wenig wie ich Ernesto Guevara als solchen bezeichnen würde. Wenn in Medien nur die Anschläge und nicht ihr Hintergrund, ihre Entstehung oder Erklärungen dazu erwähnt werden, kann das sehr einseitig verstanden werden – was aber, früher nicht anders als heutzutage, auch beabsichtigt ist. Dass Unschuldige verletzt oder getötet werden, ist sicherlich in niemandes Interesse und wahrscheinlich von den wenigsten gewollt. So etwas kann man natürlich nicht unterstützen oder gutheißen. Über die Art und Weise, wie die IRA gehandelt hat, lässt sich sicherlich streiten und diskutieren, was wir bei uns in der Band immer wieder tun. Da hat jeder seine Meinung. Wie gesagt, es ist eben sehr komplex. Weiterhin hat der Nordirland-Konflikt sehr wenig mit Religion zu tun. Zwar sind auf der pro-irischen Seite hauptsächlich Katholiken und auf der pro-britischen meist Protestanten, und der Konflikt hat sicher auch mal als solcher begonnen, jedoch hat er heute rein gar nichts mehr mit Religion zu tun. Es geht um den Kampf gegen die Repressalien der Briten gegen die Iren – im 17. Jahrhundert ging es noch gegen die „Papisten“ –, es geht um die Besetzung der nordirischen Region durch die Briten, es geht um einen jahrhundertealten Kampf gegen Unterdrückung. Einer der Ersten, die für ein vereinigtes Irland unter den Iren, ganz gleich welcher Konfession, und gegen die Unterdrückung kämpften, war Theobald Wolfe Tone, übrigens ein Protestant. Das Bild der IRA hat sich in den letzten Jahren sicherlich auch gewandelt, was aber eben mit ihren Splittergruppen zusammenhängt. Es gab die Official IRA, die Provos, die INLA, später die Real IRA und die Continuity IRA. Also mindestens fünf Organisationen, die von uns alle in einen Topf geworfen werden. Also, was wissen wir? Wer handelt mit Drogen? Wer bekämpft Drogenhandel und bestraft Drogendealer per Knieschuss? Wer ist Freiheitskämpfer, wer nicht? Wer handelt im Interesse der Iren, wer nicht? Die Lieder, die wir spielen, und die pro-irisch sind, behandeln in ihrem Inhalt den Freiheitsgedanken. Und wenn wir von Irland singen, dann eben nicht nur von Friede und Freude, denn davon hat Irland wahrhaftig oft wenig erlebt. Wir singen eben auch vom Krieg und stellen, schon durch die Auswahl der Lieder, klar, auf welcher Seite wir stehen. Genauso, wie wir uns im amerikanischen Bürgerkrieg gegen Sklaverei positionieren würden und im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco. Der bewaffnete Kampf ist aber vorbei. Wir unterstützen das Karfreitagsabkommen von 1998, welches den Schlusspunkt des bewaffneten Kampfes darstellt. Wir singen irische Geschichten aus der und über die irische Geschichte. Dazu gehört für mich nun mal auch der Bürgerkrieg und dessen Entstehung, genau wie die Hungersnot, die Landschaft und die Kneipen.

Nordhausen scheint ja ein guter Ort für Bands zu sein. Der Einfluss der Hardcore-Szene ist offenbar sehr groß, in den Neunzigern waren es BEATDOWN beziehungsweise UNWRITTEN LAW mit Sänger Rene, der auch bei Slams Tattoo arbeitet, dann die Straight-Edge-Vegan-Warriors MAROON und jetzt die AULD CORN BRIGADE. Wie groß ist die Szene bei euch? Dient der Tattoo-Shop als Dreh- und Angelpunkt für die Punkrock- beziehungsweise Hardcore-Szene?

Wir kommen alle ausnahmslos aus der Musikszene von Nordhausen und Leipzig. Wir haben früher als Kids alle schon in Bands gespielt, oder unser Leben war ganz auf Musik ausgerichtet. So haben wir uns kennen und verstehen gelernt. Wie schon gesagt, sind alle in der Band langjährige Freunde. Das Tattoo-Studio ist vielleicht nicht der Dreh- und Angelpunkt, aber es kommen natürlich viele Musiker zu uns und lassen sich tätowieren oder piercen. Der eigentliche zentrale Punkt der Musikszene in Nordhausen ist das Rockhaus. Das ist ein Probehaus, in dem zur Zeit circa 25 Bands der verschiedensten Musikrichtungen proben. Die Musikszene ist deshalb so groß und vielseitig, weil es eben so einen Ort hier gibt, wo sich alle musikalisch auslassen können.

Eure erste Platte, „A Fighter’s Lullabies“, erschien auf dem Berliner Label Bad Dog Records. Wie kam das zustande, wie ist das Feedback?

David von Bad Dog Records kenne ich schon viele Jahre. Wir wollten eine Platte machen und suchten ein Label, also habe ich David unsere vorherigen Aufnahmen vorgespielt und er sagte Ja. Ich denke mal, weil er es nicht ganz schlecht fand. Das Label ist für uns natürlich äußerst wichtig und hilfreich, da wir die ganze Sache ja nicht allein hätten machen können. Jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Wir haben dadurch ganz andere Möglichkeiten, Leute zu erreichen. Ich denke, die Scheibe verkauft sich ganz gut bis jetzt und die Kritiken sind auch meist positiv, aber bei Folk und Punk scheiden sich eben oft die Geister. Wir machen eben Irish-Folk-Punkrock und zwar genau so, wie die Worte es sagen und wofür sie stehen. Und ich kann irische Folklore nicht neu erfinden, aber wir können sie ein wenig aufpeppen und für andere Leute zugänglich machen, denn die irische Geschichte hat sehr viel zu erzählen.