ARTERIALS sind eine neue Band aus Hamburg, mit „Constructive Summer“ erschien gerade das erste Album auf Gunner Records. Mit „Ex-Musiker von NO WEATHER TALKS, TACKLEBERRY und JUST WENT BLACK“ fachte Gunner-Boss Gunnar die Neugier an, und Band und Platte halten dann auch das Versprechen, das so ein Namedropping ist. Ich bat um Beantwortung der drängendsten Fragen.
Zunächst bitte die romantische Kennenlerngeschichte: Wer, wie, wann, wo, warum?
Flo: Ehrlich gesagt war es nur eine Frage der Zeit, bis es passiert. Denn irgendwie überschneiden sich unsere Bekannt- und Freundschaften in der – im weitesten Sinne – europäischen „Punk“-Szene doch ziemlich deutlich. Köln, Regensburg, Wiener Neustadt, Südengland, da kommt schon was zusammen. Und natürlich wäre es auch geil gewesen, wenn man sich einfach bei einer Show getroffen und beschlossen hätte, ein neues Ding zu starten. In der Realität war es aber so, dass unser Schlagzeuger Peder und ich große Basketballfans sind und ich, als ich Anfang 2017 nach Hamburg gezogen bin, relativ schnell eine neue Hobbygruppe gesucht habe. Peder hat mir seine eigene empfohlen, nachdem wir vorher ein paar Mal im Internet geschnackt haben, und wir kamen dann beim Training ins Gespräch, auch über Musik. Peder, Jens und Max wollten nach dem Ende ihrer alten Band NO WEATHER TALKS unbedingt weitermachen, aber bei den Sängern, mit denen sie geprobt hatten, hatte es bis dato nicht so wirklich geklickt. Nach anfänglicher Skepsis war eigentlich schon bei der zweiten Probe klar, dass das ganz geil werden könnte. Und hier sind wir nun.
Ihr seid, schreibt euer Label Gunner, aktuelle oder frühere Mitglieder von NO WEATHER TALKS, TACKLEBERRY, JUST WENT BLACK und ROWAN OAK. Wer ist/war wo und würdet ihr sagen, dass der Sound jener Bands etwas mit dem von ARTERIALS zu tun hat?
Flo: Ich bin der Einzige, der bei ROWAN OAK war und ist. Musikalisch ist das jetzt nicht all zu weit entfernt, aber doch deutlicher am Neunziger-Midwest-Emo orientiert und komplett ohne Shouts. Alles ein bisschen ruhiger eben.
Jens: Peder, Schlagzeug, Mäxchen, Bass, und ich, Gitarre, haben bis Frühjahr 2017 gemeinsam in der Band NO WEATHER TALKS gespielt, die bereits eine ähnliche musikalische Richtung angepeilt hat wie jetzt ARTERIALS: amerikanisch inspirierter, melodischer Punkrock. Diese Band existierte für etwa fünf Jahre und ist damals entstanden, als sich abzeichnete, dass unsere alten Hardcore-Bands TACKLEBERRY, Peder und Mäxchen, und JUST WENT BLACK, ich, am Ende ihrer Wege angekommen waren. Damals war es das Ziel, etwas anderes als „nur Hardcore“ zu spielen, und so fand sich nach einigem personellen Drunter und Drüber diese geradezu poppige, Neunziger-Emo-lastige Kapelle zusammen. Im Laufe der fünf gemeinsamen Jahre mit NWT fiel uns aber irgendwann auf, dass der eine oder andere fixere Kracher im Hardcore-Style uns auch recht gut reinging. So hätten NO WEATHER TALKS wahrscheinlich auch eine Wendung zu ein paar mehr nach vorne gehenden Songs gemacht, wenn wir noch eine weitere Platte geschafft hätten. Auf unserer LP „Undoing Defeat“ zeichnete sich diese Entwicklung bereits ab. ARTERIALS schlossen dann nach dem Ende von NWT da fast nahtlos an. Wir haben aber bewusst das Tempo etwas nach oben geschraubt und uns einem Sound zugewandt, der mich zumindest teilweise schon an das erinnert, was etwa TACKLEBERRY früher gemacht haben. Trotzdem ist neben dem Hardcore-Einfluss immer noch vor allem der melodische Punk der Neunziger drin, und ich meine jetzt damit nicht den gerade wieder sehr angesagten Fat Wreck-Sound, sondern ich möchte darin eher Sachen hören, die damals auf Labels wie Doghouse, No Idea oder Jade Tree erschienen sind, oder, wenn wir das Fass mit den Achtzigern noch aufmachen, auf SST oder Dischord. Und natürlich BAD RELIGION.
Ich bin ja Fan von euch. Von was seid ihr Fan, sprich: mit welcher Intention habt ihr euch zusammengetan? Ihr macht ja nicht Crust und auch nicht modernen Plastik-Pop-Punk.
Flo: Witzigerweise hat die eine Band, auf die wir uns alle uneingeschränkt einigen können, THE HOLD STEADY, relativ wenige Spuren in unserem Sound hinterlassen. Dafür haben wir aber unseren Albumtitel „Constructive Summer“ von einem ihrer Songs geklaut. Uns ist aber allen wichtig, unsere Musik nicht zu verkomplizieren, und dass die Gesangsharmonien, die Gitarrenmelodien und die Schlagzeug-Rhythmik gut ineinandergreifen. Aus einem Guss, kompakt und direkt sollte es sein. Und sicher, manche Namen, die uns als Einflüsse entgegengeworfen werden, bleiben schon ganz gut kleben. So was wie RISE AGAINST, HOT WATER MUSIC oder SHOOK ONES.
Hamburg ist für viele Bands ja so ein einender Faktor. Spielt die geografische Herkunft eine Rolle?
Jens: Ich denke, das spielt für uns keine Rolle. Hamburg ist derzeit der Lebensmittelpunkt von allen vier Bandmitgliedern, aber da unsere Einflüsse größtenteils ganz woanders liegen – nämlich auf der westlichen Seite des Nordatlantiks – spielt der Faktor „Heimatstadt Hamburg“ für uns musikalisch überhaupt keine Rolle. Tatsächlich ist es auch so, dass es in Hamburg nur einen sehr überschaubaren Personenkreis gibt, der bereit ist, die von uns fabrizierte Art von Punkrock auch dann gut zu finden, wenn die Band auf der Bühne nicht aus Boston oder San Francisco, sondern aus Stuttgart oder Buxtehude kommt. Will heißen, in Hamburg interessiert sich tendenziell fast niemand für eine Band wie uns. Aber das ist okay, denn wir interessieren uns auch nicht für den tausendsten Aufguss der Hamburger Schule oder die millionste Rachut-Kopie.
Gefühlt ist Deutsch die Punk-Sprache der Stunde. Warum singt ihr auf Englisch?
Flo: Ohne den Kollegen an den Karren fahren zu wollen, aber deutsche Texte klingen sehr schnell sehr pathetisch, Land der Dichter und Denker und so. Englisch ist für mich einfach die verspieltere Sprache, und da ich gerne mit Metaphern um mich werfe, fällt es mir leichter, meine Gedanken so zu Papier zu bringen. Und außerdem: Wie sollen wir als deutschsprachige Band, die nicht RAMMSTEIN heißt, sonst die Legitimation für die Tour durch alle Bundesstaaten der USA bekommen, die wir für nächstes Jahr planen?
Jens: Haha, auf den Urlaubsschein für die Tour bin ich gespannt! Wie ich bereits andeutete, sind wir irgendwie alle eher amerikanisch oder maximal britisch sozialisiert, das ist ein gemeinsamer Nenner. Niemand in der Band hat einen „Deutschpunk“ Background oder Ähnliches und wir hören auch fast nur englischsprachige Musik. Ich finde EA80 super, aber sonstige deutschsprachige Platten müsste ich in meinem Schrank wirklich suchen.
„I can’t relate to praising fiction over facts“, singt ihr in „Blood or water“. Welchen Hintergrund hat diese Zeile, dieser Text?
Flo: Der Text entspringt diesem bekannten Satz, dass Blut dicker als Wasser sei. Eine schöne Idee, die in der Praxis aber oft nicht funktioniert. Denn da gibt es eben den rassistischen Onkel oder die Oma, die PEGIDA und AfD „gar nicht so schlimm“ findet, eben alle Leute, mit denen man eigentlich eine „Blutsverbindung“ hat, die aber eben nicht über allem stehen darf. Die Fiktion ist in dem von dir zitierten Satz dann eben irgendein populistischer Dreck von wegen Überfremdung, Islamophobie und Co. Wer dann aus einer derartigen Motivation beispielsweise die AfD wählt und die Augen selbst nach konstruktiver Diskussion vor belegbaren Fakten verschließt und nur noch Hetze verbreitet, mit dem will ich nichts zu tun haben.
Wie habt ihr Studiomeister Roland von der Tonmeisterei vermittelt, wie euer Album klingen soll?
Jens: Peder, Mäxchen und ich haben alle schon öfter mit Roland Wiegner in der Tonmeisterei in Oldenburg aufgenommen. Ich muss mal eben überlegen ... Ich habe in vielleicht 15 Jahren mit fünf Bands insgesamt um die zehn Aufnahmesessions dort gemacht. Von daher mussten wir da eigentlich nichts groß erklären. Dadurch, dass wir schon so oft zusammengearbeitet haben, war gleich klar, wie wir an die Sache herangehen, und es musste nicht lange diskutiert oder vorbereitet werden. Roland ist, sobald wir im Studio losbasteln, wie ein zusätzliches Bandmitglied. Froh bin ich sehr darüber, dass die ARTERIALS-LP aber doch wieder ein wenig „anders“ klingt als unser bisheriges Schaffen. Die Summe aller Teile klingt am Ende doch wie eine neue Band – zumindest für meine Ohren. Wer weiß, vielleicht bin ich aber auch schon ein bisschen betriebsblind.
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