Die Rostocker Band ist zurück mit ihrem mittlerweile dritten Album „S.A.D.“, auf dem es nicht nur traurig, sondern auch energiegeladen zugeht. Im Interview erklärt Sänger Jay, was hinter dem Titel steckt und wie es um die Bedeutung von Alben steht.
Euer neues Album heißt „S.A.D.“ und das ist wohl doppeldeutig zu verstehen. Im Titeltrack steht es ja dann für „shiver and divide“, man könnte es aber natürlich auch einfach als „sad“ interpretieren.
Sehr guter Blick, Isa. Wer unsere Songs kennt, wird von Ambiguitäten, Ironie und doppelten Böden allerdings wenig überrascht sein. Selten sind Texte nur, was ein oberflächliches Lesen glauben macht. Noch seltener bleiben Wörter während Schreibphasen an ihrer Stelle. Ich probiere und tausche radikal aus, zerlege und füge neu zusammen, bis sich die Dinge langsam richtig anfühlen – also die Bilder präzise, Reime originär, Hooks tatsächlich catchy sind. „Shiver and divide“ fühlte sich nach dem Schreiben sofort wie mehr als nur ein Songtitel an.
Mit zehn Songs und einer Laufzeit von knapp 33 Minuten ist euer neues Album ein recht kurzes Album. Wie kommt’s?
Das musste ich jetzt erst mal nachgucken.Das interessierte uns tatsächlich bei der Arbeit überhaupt nicht. Wir haben 13 Ideen ausproduziert, von denen wir zehn als so zusammengehörig empfunden haben, dass sie ein Album bilden. Wichtig war uns hierfür vor allem die Balance und so war zum Beispiel schnell klar, dass wir eine gerade Anzahl an Songs auf die Platte bringen, um die Dualität des Titels so auch auf das Vinyl zu übertragen. Das Album sollte sich ausgewogen und dynamisch klar anfühlen, damit es über die Langstrecke funktioniert. Wir hoffen, dass alle, die abseits von In-Ears und Streams die Platte noch liebevoll zu Hause auflegen, das auch so empfinden und genießen.
Könnte man vielleicht sogar sagen, dass die Kürze des Albums unserer heutigen Zeit geschuldet ist? In der Folge von TikTok und dem Drang nach immer mehr Releases vor allem als Single-Versionen geht das klassische Album ein wenig verloren.
Die Gesamtspiellänge der Platte hat damit, wie gesagt, für mich gar nichts zu tun. Den Druck, den das Digitale auf Musik ausübt, spüren Künstler:innen und Bands am ehesten bei der Arbeit an einzelnen Songs. Hier wird heute geschaut, dass ein Track schnell zündet, ein Beat dich nicht mehr loslässt. Für das Arrangieren eines Stücks sehe ich daher klare Parallelen, auch in unserem Songwriting. Ob du aber ein Album machst oder wie viele Songs dann darauf zu finden sind, hängt für mich nicht damit zusammen. Erinnerst du dich noch an die von HAVE HEART angekündigte Doppel-LP mit 42 Songs? War natürlich ein Hoax, aber das könntest du heute immer noch so promoten. Die jeweils 21 Songs sind dann aber mit Sicherheit TikTok-kompatibel. Wir zumindest glauben an das Album als Kunstform und erzählen es, bis jetzt, wahnsinnig gern.
Musikalisch hört man, dass ihr euch im Metalcore wohl fühlt. Euer Album ist recht Metalcore-lastig, was viel Spaß macht. Ihr sagt selbst, dass Bands wie BRING ME THE HORIZON oder TWENTY ONE PILOTS euch inspiriert haben. Inwieweit sind diese Bands für euch von Bedeutung? Und wie schafft ihr es, dennoch euren ganz eigenen Sound auf dem Album rüberzubringen?
Die beiden angesprochenen Bands sind künstlerisch einfach wahnsinnig spannend. BMTH verschmelzen immer mehr mit einem Videospiel und übertragen viele Motive mittlerweile auch auf ihre Live-Show. Mich wirft das manchmal regelrecht zurück in Nächte, in denen ich als Vierzehnjähriger so lange „Resident Evil“ gezockt hab, bis ich vor Schiss Nesselfieber bekommen und meine Mama geweckt habe. Crazy. Und auch Tyler Joseph ist einfach ein unglaublich vielseitiger und talentierter Musiker, dem ich wahnsinnig gern folge. Mit unserem Sound hat das Ganze aber gar nicht so viel zu tun. Es sind ihre Herangehensweise an Musik und die Verspieltheit der beiden Projekte, die ich liebe. Womit wir allerdings bei unseren Songs am Ende spielen und wie das klingt, entscheiden wir und niemand sonst.
Es gibt auch langsamere Nummern auf dem Album, „The wheel“ zum Beispiel. Hat der Song eine besondere Bedeutung?
In „The wheel“ offenbare ich viel über mich selbst. Er gibt dir einen sehr intimen Einblick in mein Selbstverständnis als Künstler. Ich habe meine Kreativität lange auf ganz verschiedene Art und Weise ausgedrückt, vom Zeichnen, Schreiben über das Theaterspielen und Inszenieren bis zur Musik. Mittlerweile spüre ich aber sehr stark, dass es die Musik ist, die ich zum Leben brauche und die mich treibt. Auf vieles andere verzichte ich heute. Aber Musik ist das, was ich liebe und ohne das ich nicht leben will. Das so für mich entschieden zu haben, fühlte sich sofort gut an. Es offen zu kommunizieren, macht einen aber auch auf eine Art verwundbar, die ich vorher nicht kannte. Es schürt Erwartungen bei Menschen, auch solchen, die dir sehr nah sind. Es hat echte Auswirkungen, sich einer Sache so zu verschreiben.
Was sind allgemein die Themen, die euch auf dem Album besonders beschäftigt haben?
Neben sehr privaten Themen, die überaus neu für unsere Musik sind, in denen es um persönliche Ängste, Traumata und Geschichten geht, findet das Album seinen Ausgangspunkt, wie für uns typisch, in der Beobachtung von gesellschaftlichen Entwicklungen. Übergeordnetes Thema diesmal: Dinge, die zerbrechen (können). Der Titeltrack fokussiert das mediale Überreagieren als Mechanismus eines gewinnbringenden Kalküls, der Zerbrechen immer in Kauf nimmt. „Siamese“ beschäftigt sich mit der seit der Pandemie kaum mehr Herr zu werdenden Problematik ständig hoher und steigender Zahlen häuslicher Gewalt, die unweigerlich Menschen bricht. „Immaterial boy“ nimmt ironisch unser aller Konsumfetischismus in den Blick, mit dem es Zeit wäre zu brechen. Wird aber wohl nicht passieren. Keine leichte Kost, I know. Eher Anlass, „sad“ zu sein, aber eben auch – kurz durchatmen bitte – nicht das Ende der Welt. Sprache bleibt die Waffe. Liebe die Antwort.
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