Sonntagabend, 22 Uhr. Es ist Sommer, die Straßen von Graz sind entsprechend gut bevölkert, die Party läuft. Doch sechs Gestalten dieser Szene passen nicht so recht ins Bild. Mehr oder weniger muskulös trägt der eine einen Stahlhelm, ein anderer einen Hut, alle Uniformen am Körper und Tarnschminke im Gesicht. Sie sind hier, um ihre Rückkehr in die alte Heimat Österreich zu zelebrieren, um auf den Spuren ihres Action Heroes Arnold Schwarzenegger zu wandeln. Sie, das ist die Metal-affine Punkrock-Band ARNOCORPS aus San Frantastic (sic!), East Bay, California.
Das heutige Ziel dieser Band, deren Songs sämtlich von Schwarzenegger-Filmen inspiriert sind, ist ein Radiostudio im Zentrum von Graz, in dem Romeo Ried, Booking-Agent des JKZ Explosiv, und ich wie jede Woche unseren Blödsinn labern und unsere Punkrock-Songs spielen. Als die Band den Raum betritt, hat dies ein Ende, denn ARNOCORPS haben eine Mission, die Mission, ihre Message unters Volk zu bringen. Und das tun sie auch, lautstark und überpräsent. Geschminkte Männer, die auf Namen wie Baron von Trotz, Karl Dichtschnur, Erich Nagelbett, Inzo der Barrakuda oder Vielmehr Klampfe hören.
Ihr Anführer und Bandbegründer Holzfeuer ergreift sofort das Wort. „Wir sind ARNOCORPS aus San Frantastic, California, und wir freuen uns, nach 15 Jahren Abwesenheit endlich wieder zurück in unserer Heimat, der Stätte unserer Wurzeln, Österreich zu sein.“ Denn ja, sie alle sind, so sagt es zumindest der Mythos, gebürtige Österreicher. „Bis auf Barrakuda, der ist in Kalifornien geboren.“ Sie kämen von den höchsten Gipfeln des Landes, wo ein Dialekt gesprochen würde, den hier im Tal niemand verstünde, deshalb müssten sie Englisch sprechen, zudem hätten sie nach all den Jahren in den USA die deutsche Sprache verlernt.
So leidenschaftlich und sympathisch Holzfeuer hier auch erzählt, befeuert von zahlreichen „Fantastic!“-, „Unbelievable!“-, „Ballsy!“- oder auch „Exactly!“-Ausrufen seiner Mitstreiter, ob das denn alles so stimme, möchte ich trotzdem wissen. „Weißt du“, sagt Holzfeuer, „es gibt die Wahrheit und es gibt Fakten. Fakten sind langweilig, ARNOCORPS hingegen verkörpern die Wahrheit, eine mystische, metaphorische Wahrheit.“
Und diese Wahrheit wissen sie zu bekräftigen, so geben fast alle ARNOCORPS-Mitglieder auf ihren Facebook-Profilen als Herkunft „Tirol“ an, Holzfeuer geht sogar so weit, als Geburtsort „Kals-am-Großglockner, Tirol, Austria“ anzuführen. Auf die Frage, was ihn beim Schlagzeug spielen inspiriere, antwortet Drummer Baron von Trotz: „Die hohen Berggipfel meiner Heimat.“
Tatsächlich ist der Großglockner mit 3.798 Höhenmetern der höchste Berg Österreichs, der sich über die drei Bundesländer Tirol, Kärnten und Salzburg erstreckt. Dass es auch eine Zigarrenmarke gibt, die so heißt, freut die leidenschaftlichen Stogies-Zigarren-Raucher ARNOCORPS sehr. Diese Leidenschaft teilen sie einmal mehr mit Arnold Schwarzenegger.
Dessen Geburtsort ist im Übrigen weitaus weniger alpin als die Gegenden, von denen ARNOCORPS so schwärmen. Zwar ist das vier Kilometer westlich von Graz liegende Thal eingebettet in idyllische Hügellandschaften, hohe, verschneite Berggipfel wird man in der beschaulichen 2.000-Einwohner-Gemeinde aber nicht finden. Mit der katholischen Pfarrkirche, für deren Innengestaltung sich der renommierte Künstler Ernst Fuchs verantwortlich zeigt, gibt es eine richtige Sehenswürdigkeit, ansonsten zeichnet Thal noch das beliebte Naherholungsgebiet Thalersee aus, die hiesige Burgruine, Schloss Oberthal, sowie ein Golfplatz. Ganz vorne steht in dieser Liste allerdings das Geburtshaus von Arnold Schwarzenegger.
Im 1806 errichteten ehemalige Forsthaus der Grafen Herberstein befand sich einst die Dienstwohnung des Gendarmen Gustav Schwarzenegger, in der dessen Sohn Arnold von seiner Geburt 1947 bis zu seiner Auswanderung in die USA 1966 Kindheit und Jugend verbrachte. Schwarzenegger selbst hegte lange den Wunsch, das Haus der Familie Anderwald, die es seit Jahrzehnten besitzt und bewohnt – worauf deren Sohn David, ein ehemaliger Schulkollege von mir, unfassbar stolz ist –, abzukaufen. Die Summe, die Heinz Anderwald, der sich lange dagegen sträubte, schließlich verlangte, bezeichnete Schwarzenegger als „unrealistisch“.
Schließlich erwirbt im Jahr 2009 eine Immobiliengruppe das Haus und Schwarzeneggers Jugendfreund und ehemaliger Bürgermeister von Thal, Peter Urdl, errichtet nun endlich sein Museum. Schwarzenegger selbst kommt zur Eröffnung, und auch ARNOCORPS lassen es sich Jahre später nicht nehmen, vor Ort das Motorrad des Terminators zu besteigen oder Conans Schwert zu schwingen. Ob sie auch den Panzer aus Schwarzeneggers realer Militärzeit fahren dürfen, ist mir nicht bekannt. Schon aber umkreisen sie den See und bewundern, wie von mir empfohlen, das dort ausgestellte Boot, in dem Arnold Schwarzenegger vor mehr als dreißig Jahren um die Hand der Journalistin und Kennedy-Nichte Maria Shriver anhielt. Die Geburt der vier ehelichen Kinder, die Scheidung 2011 und der mittlerweile 18-jährige uneheliche Sohn mit der Haushälterin liegen zu diesem Zeitpunkt noch in weiter Ferne.
Worin aber liegt nun die Faszination Schwarzeneggers? „In der Kraft“, erklärt Holzfeuer. „Aber es geht hier nicht nur um Bizeps und Trizeps, das kann man trainieren, es geht um diese innere, persönliche Kraft, die wir alle in uns haben. Arnold Schwarzenegger zeigt auf, jeder von uns kann ein Action Hero sein. Und genau das ist unsere Message.“
Als die Frage aufkommt, wie ihnen der neue „Terminator“-Streifen gefällt und wie sich der beinahe siebzigjährige Schwarzenegger in dieser Rolle schlägt, meint Holzfeuer lapidar: „Seit er Gouverneur war, ist er ein besserer Schauspieler.“ Dass dieses Kapitel von Arnold Schwarzeneggers Lebenslauf nicht ganz nach ihrem Geschmack ist, lässt die Band nur kurz durchblicken – „Wir haben uns gesagt, hey, treten wir gegen ihn an, wir sind sechs, er ist alleine“ –, schwenkt dann aber zurück auf das Wesentliche, Schwarzeneggers Filmrollen. „Filme wie ‚Predator‘, ‚Running Man‘, ‚Commando‘, ‚Total Recall‘, das sind explosive Storys voller heroischer Archetypen und Heldengeschichten“.
Ja, und sie alle sind Actionfilme, aber was ist mit den Komödien? Schließlich zeigt sich Arnold Schwarzenegger doch immer wieder auch gerne von dieser anderen, der humorigen Seite, zuletzt beispielsweise grandios selbstironisch als Polizist im Serienfinale von „Two And A Half Man“.
Dazu Holzfeuer: „Seit unserer ersten Show 2000 in Berkeley, Kalifornien kommen Leute zu uns und sagen: Hey, ihr habt Songs wie „Terminator“, „Predator“, was ist mit „Kindergarden Cop“, „Junior“, „Twins“? Und ich antworte dann: „Hey, don’t bullshit me, hier geht’s um Action-Adventure-Storys, nicht um Kindergeschichten. Aber ich verrate dir jetzt etwas: Wir machen demnächst auf Jello Biafras Label Alternative Tentacles eine neue EP, die ,Unbelievable-EP‘, und da werden tatsächlich ,Junior‘ und ,Twins‘ drauf sein. Und ja, die wahre Geschichte des Kindergarden-Cops haben wir bereits auf der ,Ballsy-EP‘ erzählt, der Song heißt ,You lack discipline‘.“
Die Art und Weise, wie ARNOCORPS Schwarzeneggers Filme in ihren Songs aufarbeiten, schildert Holzfeuer am Beispiel des 1990 erschienenen High-Budget-Science-Fiction-Films „Total Recall“, Arnold Schwarzeneggers imaginierter Marsreise. „Im Refrain singen wir: ‚Get your ass, get your ass to Mars.‘ Welche Farbe hat der Mars? Rot, genau. Und Blut? Auch rot. Stell dir vor, du machst so richtig hartes Squat-Training, da rinnt dir dann das Blut aus dem Arsch. In dem Song geht es also nicht um einen Typen, der auf den Mars fliegt, sondern um einen Typen, der beim Squat-Training stirbt. Das ist die Metapher, wir arbeiten in all unseren Songs mit solchen Metaphern.“ Dass Squats Kniebeugen sind, muss ich erst googlen, denn ich entspreche wohl nicht so ganz dem Bild, das ARNOCORPS von Österreichern haben: „Rauchen nicht alle Österreicher Zigarren, trainieren ihre Muskeln und fliegen in Hubschraubern herum?“
Der leidenschaftliche Fußballer Schwarzenegger begann im Alter von 15 Jahren mit Muskeltraining. Bald schon packt ihn die Leidenschaft, er beginnt, an Wettkämpfen teilzunehmen, bis hin zu den Olympischen Spielen. Insgesamt sieben Olympiatitel kann er verzeichnen, fünfmal wird er Mr. Universum, das erste Mal mit gerade einmal 19 Jahren. Sein Sport bringt ihm dann auch ein erstes Fernsehengagement ein, er spielt in einer Episode von „Die Straßen von San Francisco“ einen Bodybuilder mit Minderwertigkeitskomplex. Dass die erste Filmrolle 1969 ausgerechnet Herkules ist, ist bezeichnend.
Das Fitnessstudio, in dem Arnolds Karriere beginnt, befindet sich im größten Grazer Fußballstadion, dem Liebenauer Stadion. 1997 wird es in Arnold-Schwarzenegger-Stadion umbenannt. Während seiner Amtszeit als Gouverneur von Kalifornien (2003-2011) jedoch lehnte Schwarzenegger im Januar sowie im Dezember 2005 Gnadengesuche von zum Tode Verurteilten ab, was ihm in Österreich große Kritik einbrachte. Es stand zur Diskussion, den 1999 verliehenen Ehrenring der Stadt Graz zurückzuverlangen, auch wollte man das Stadion umbenennen. Schwarzenegger kam dem zuvor und schickte postalisch den Ring zurück, zudem verbot er 2006 der Stadt, seinen Namen zu verwenden. Indem per Gesetz beschlossen wurde, dass Gebäude in Graz fortan nicht mehr die Namen lebender Personen tragen dürfen, zog die Stadt sich zumindest in diesem Fall elegant aus der Affäre. Das Stadion heißt heute UPC-Arena, gesponsort von einem Telekabelanbieter. Dazu ARNOCORPS: „Wir reißen die Tafel runter und hängen eine neue auf: ,ARNOCORPS-Stadion‘!“
Als Schwarzenegger bereits ein Jahr später seinen sechzigsten Geburtstag trotz allem auch in der alten Heimat begehen möchte, ist alles vergessen und Schwarzenegger beliebt und gefeiert wie zuvor. Auch wenn man ihm einen gewissen Freak-Faktor nicht absprechen kann, was zum Teil wohl auch an seiner eigenwilligen Sprache liegt, ist die Bedeutung, die er in Graz, in der Steiermark, hat, nicht abzustreiten. Gerne wird er erwähnt und zitiert, die Volksmusikgruppe STOAKOGLER beispielsweise widmet ihm den Song „Steirerman san very good“, die Namensgebung des um die Jahrtausendwende gegründeten Punk-Hardcore-Kollektivs Conan City, dem Bands wie RED LIGHTS FLASH oder ANTIMANIAX und Ox-Schreiber wie ich angehörten, geschah auch nicht unter rein ironischen Gesichtspunkten, auch hier spielte wohl zumindest ein bisschen Heldenverehrung mit.
Für ARNOCORPS spielt Schwarzenegger natürlich eine große Rolle, haben doch all ihre Songs mit seinen Filmen zu tun. Dennoch haben sie sich ihre ganz eigene Welt erschaffen, mit ihren Namen, ihren Outfits, nicht zuletzt ihrer eigenen Sprache. Wie eingangs erwähnt ist alles „ballsy“ (was soviel heißt wie „Eier haben“), „fantastic“ oder „unbelievable“, ihre Fans sind „goddamn heroes and sheroes“, sie kommen aus „San Frantastic“ und nicht aus „San Francisco“ und jedes dritte Wort in einem Gespräch mit ihnen lautet „exactly“. Warum, das erzählen mir am Tag nach unserem Radiointerview vor und nach ihrer Show im Explosiv unabhängig voneinander Holzfeuer, Karl Dichtschnur, einer der beiden Bassisten, und Merchandiser Der Flair. Es geht hierbei um die DVD-Ausgabe von „Conan der Barbar“, auf welcher man sich den Film mit Audiokommentar anhören kann – Schwarzenegger sagt nach jedem dritten Wort: „Exactly“. Nachzuhören im Song „Exactly“, erschienen auf der „Fantastic-EP“. Denn ja, da war doch noch was, die Musik, schließlich sind ARNOCORPS eine Band und haben mit Jello Biafra, der ihr ursprünglich 2005 erschienenes erstes Album „The Greatest Band Of All Time“ 2014 auf Alternative Tentacles wiederveröffentlichte, einen prominenten Supporter. „Biafra ist Fan. Immer wenn wir in Kalifornien auftreten, spielen wir ‚California über alles‘ an, und gerade wenn wir wieder aufhören wollen, kommt Jello zu uns rauf und singt mit.“
ARNOCORPS-Shows sind ohnehin Mitmach-Shows, da werden Zuschauer auf die Bühne geholt, um Liegestütze zu machen, Bodybuild-Contests werden ausgetragen, ständig geht das Mikro durch die Reihen und lädt zum Mitsingen ein. Die Power, die ARNOCORPS an Schwarzeneggers Filmen lieben, bringen sie selbst in ihre Gigs ein. Und die Crew steht ihnen in nichts nach. Ob Merchandiser, Busfahrer oder Fotograf, alle singen, alle tanzen, alle sind Teil der Show. Und jeder kann dabei sein. Der aus Belfast stammende Der Flair beispielsweise ging nach einer Show in seiner Heimatstadt einfach zur Band und sagte: „Hey, eines Tages werde ich euer Roadie, euer Merchandiser sein.“ Und nun steht er da in seiner Uniform, mit seinem Namensschild, mit seiner Schminke im Gesicht. „Ja“, sagt Holzfeuer, „ARNOCORPS sind nicht nur die Band, nein, ARNOCORPS, das sind wir alle, unsere Crew, unsere Fans, alle, die sich dazugehörig fühlen“. Schwarzenegger auch? Na, geht einfach zur nächsten Show oder auf Facebook und fragt die Jungs selbst. Exactly.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #122 Oktober/November 2015 und H.C. Roth
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