ANTIEVERYTHING

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Underground-Lifestyle-Produkt

Im Herbst 1999 als respektloses Sprachrohr rotznäsiger Hardcore-Punks aus der Taufe gehoben, versteht sich das AntiEverything-Fanzine heute als Frontblatt der neonihilistischen Bewegung. Das Heft wartet mit einem extrem guten Layout auf und unterscheidet sich inhaltlich deutlich von den meisten Zines; anstatt Musik-/Szenerecycling zu betreiben, entstehen qualitativ hochwertige Beiträge „abseitigen“ Themen, wobei die Trennlinie zwischen Fakt und Fiktion gern verwischt wird. Das aktuelle Heft #77 erschien im November 2007. Kurz vor der Fertigstellung beantwortete mir der Literatur-Patchworker Krzysztof Wrath ein paar Fragen.

Das AntiEverything ist derzeit eines der interessantesten deutschen Zines, weil es extrem gut gemacht, unterhaltsam und herausfordernd ist. Wie würdest du dein Zine selbst beschreiben?

Vielen Dank für das Lob erstmal. Ich schenke mir derweil mal ein Gläschen Wein ein, wenn es dir nichts ausmacht. Ganz guter Rotwein, nebenbei bemerkt, von 2005, trocken, italienisch, aus dem Supermarkt. Wo waren wir? Ach ja, das AntiEverything. Es wird gemeinhin als das beste deutschsprachige Fanzine bezeichnet, dem kann ich in aller Bescheidenheit zustimmen, muss aber anmerken, dass AntiEverything darüber hinaus eine Lebenseinstellung ist, ein Ideal, eine fluffig-belebende Weltanschauung. Obwohl ein Großteil des Inhalts und das Layout von mir stammen, ist es aber nicht allein mein Werk.

Du sagst, AntiEverything ist eine Lebenseinstellung. Wie sieht die aus?

Beflügelt vom Geiste des Neonihilismus, erteilt das AntiEverything der gesamten westlichen Gesellschaft, die als „verfickte Realität“ zusammengefasst wird, eine radikale Absage. Als Neonihilisten suchen wir die unmittelbare Konfrontation mit dem Establishment im Sinne einer antagonistischen Kultur, die sich offen gegen den Mainstream stellt, anstatt sich als Subkultur unterzuordnen und ins Ghetto verbannen zu lassen. Frei von Regeln und Vorschriften arbeiten wir nach unseren eigenen Ansichten, Ideen und Zielen, ohne dabei innere Widersprüche zu scheuen. Zusammen mit anderen Gruppen versuchen wir, diese Ziele zu erreichen, damit sich die Zukunft endlich wieder hell gestaltet, auch für jeden Lumpenproletarier.

Warum hast du das Wort beziehungsweise Heft als Ausdrucksform gewählt?

Meine Aufgabe sehe ich eher als die eines Propagandaoffiziers, denn als die eines Fanzineschreibers. Mit anderen neonihilistischen Schundautoren verbindet mich das Ziel, den Kampfwillen des Gegners durch moralische Agitation zu schwächen und die Frontsoldaten der verfickten Realität zur Aufgabe zu bewegen. Obwohl sich ein AntiEverything leicht wegliest, ist es doch nicht nur dazu da, um versiffte WG-Klos zu schmücken. Es ist eine Waffe im Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind.

AntiEverything ist mehr als nur ein Zine; du betreibst auch eine aufwändige Website, einen Blog sowie den Webshop NihilistJustice, in dem man T-Shirts, Aufnäher und andere Merchandise-Artikel kaufen kann. Das sieht alles sehr nach Konzept, gar nach einem Gesamtkunstwerk aus. Allerdings machst du so auch die Rebellion quasi zur Marke und folgst damit den Regeln der Marktwirtschaft. Ist das dann noch Revolte?

Der Devotionalienhandel stellt den politischen Kampf der neonihilistischen Bewegung auf ein solides ökonomisches Fundament. NihilistJustice ist nicht auf persönlichen Profit, Raffgier und Reichtum ausgerichtet, sondern eine Waffe im Kampf gegen das System der Schweine.

In vielen Beiträgen deines Heftes verschmelzen die fiktionalen und realen Ebenen; Berichte über reales enthalten fiktive Momente und die fiktionalen Texte sind nah genug an der Realität, um sich als Leser direkt in ihnen wieder finden zu können. Dieses Prinzip findet auch auf deiner Website und deinem Blog Anwendung. Mensch kann sich nie sicher sein, in welcher "Wirklichkeit" er sich gerade befindet. Das macht das Ganze auch so interessant. Was steckt hinter diesem Erzählprinzip?

Dieses etwas entrückte Element erklärt sich nur aus dem wahren Leben des Künstlers selbst. Jeden Abend nach der Arbeit komme ich nach Hause in ein kleines, dreckiges und hässlich eingerichtetes Wohnklo unter dem Dachboden eines verkommenen Abbruchhauses in Berlin-Kreuzberg und immer komme ich alleine. Ich arbeite tagsüber als Pizzafahrer und nachts als Kellner in einem noblen Restaurant in Mitte, nahe der Friedrichstraße. Sie zahlen mir eigentlich so gut wie nichts dafür. Tagtäglich sehe ich dort die reichen Wichser, sehe ihre schönen Frauen und wie sie von Macht und Geld angezogen werden. Mit Abscheu beobachte ich sie, wenn sie „Intellektuellen-Striptease“ betreiben. Ich sehe diese Menschen und weiß, dass mein Leben für immer aus Hass und Abscheu bestehen wird, ich nie etwas anderes sein werde als die Antithese, der Stachel in ihrem Fleisch. Zu dunkel liegen die Schatten der Vergangenheit auf meiner Seele. So dunkel, dass jeder es sehen kann. Die Vergangenheit, vor der ich fliehe, frisst mich auf, langsam und genüsslich nimmt sie mich Stück für Stück auseinander. Deshalb flüchte ich mich in eine schräge Traumwelt, an der ich euch alle teilhaben lasse.

Du betreibst des Weiteren einen Anti-AntiEverything-Blog, in dem eine fiktive Opposition gegen AE aufbegehrt. Auch in deinen Texten wird Existentes oft bewusst ironisch überzeichnet. Was intendierst du mit dieser überspitzten Inszenierung? Eine groteske Parodie auf die Mainstream-Medienlandschaft?

In den meisten Fällen sind diese Texte einfach mit „Copy & Paste“ eingefügt und dann durch das Austauschen einzelner Wörter und Ausdrücke auf den eigenen Kontext übertragen worden, angereichert durch kleinere Übertreibungen und gern auch mal durchmischt mit anderem, oft sogar widersprüchlichem Material. So entstand zum Beispiel die Antwort auf die vorherige Frage, die ursprünglich der Anfang einer schmierig-schlüpfrigen Erotikkurzgeschichte von irgendeinem Möchtegernautor aus dem Netz war. Damit beabsichtige ich, den größtmöglichen Sensationseffekt mit geringstem Aufwand zu erreichen. Wozu soll ich das Rad neu erfinden, wenn ich geklaute Autos verkaufen kann?

Optisch und inhaltlich wird AntiEverything sehr von Gewalt dominiert. Warum?

Weil sich das gut verkauft. Es gibt aber auch viel Sex zwischendurch.

Medienmüll, Verweise, Gewalt und Sex. Ist deine Publikation verspottender Gegenentwurf oder Teil der Wiederverwertungsmaschinerie Popkultur?

Sowohl als auch. Das ist wie in der Naturwissenschaft: die Neonihilisten sind als freie Radikale zwar innerhalb des Systems aktiv, aus dem sie entstanden sind, fügen ihm aber gerade dadurch empfindlichen Schaden zu. Sie versetzen das biologische Gewebe in oxidativen Stress und können es zerstören, indem sie als Initiator eine Kettenreaktion auslösen.

Wie bringst du dein Heft unter die Leute?

Es kann zum einen über den Webshop nihilistjustice.de bezogen werden oder bei einigen ausgesuchten Mailordern und Plattenläden. Der größte Teil wird allerdings von frei und führerlos operierenden Zellen und Einzelpersonen im ganzen Bundesgebiet vertrieben, die in einem losen Netzwerk organisiert sind.