ANSTALT

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Der Name ist Programm

2009 landete der aus Schweden stammende Dan Wall dauerhaft in der österreichischen Hauptstadt Wien. Wenig später begann er mit dem Quartett ANSTALT deren eklatante Unterversorgung in Sachen derbstem, hochenergetischem Hard-Punk’n’Roll-Core nachdrücklich in die Gitarrenhände und Stimmbänder zu nehmen. Jüngst veröffentlichte die Band die EP „Knives“, mit dem so scharfen wie programmatischen Song „1-2-3-4-Fuck“ und drei weiteren heftigen Entladungen.

Nicht nur die Mainstream-Medien im Land mit dem A zelebrieren den Popstar-Totenkult um Falco in Wort und Bild. In einem Kellerproberaum in der Erdberger Arena passieren währenddessen ganz andere, ungleich lebensbejahendere und kulturell sicher bedeutendere Dinge. ANSTALT-Mainman/Sänger/Gitarrist Dan Wall aka D. Staubsauger, 1975 im schwedischen Örebro geboren, einer Stadt, die in Punkrock-Kreisen wegen Burning Heart Records weithin ein Begriff ist, und Rhythmusgitarrist Jozy „Tropiconco“ Nine nehmen den Ox-Schreiber spontan in einen Instant-Chor auf, der wenig später Backing Vocals zu ihrer Version des essentiellen COSMIC PSYCHOS-Stücks „Nice day to go to the pub“ in ein Mikrofon brüllen wird. Die wirklich wichtigen Themen dieser Welt in einem Song: Bier, Pubs, Schnitzel, Saucen. Mit dabei beim beseelten Brüllen Bassist Ernestollah, themengerecht leicht gezeichnet vom Vortag. Einzig Schlagzeuger Thoms’n’Roll ist abwesend, er reist sonst zu Bandaktivitäten aus dem etwas von Wien entfernt gelegenen oberösterreichischen Steyr an, wo er im Röda, einer der – ähnlich der Arena – viel zu wenigen selbstbestimmten österreichischen (Sub-)Kulturinstitutionen, arbeitet.

„Wir sind eine sehr internationale Band“, sagt Dan, der um 1988 begonnen hat, in Bands zu spielen, „to get away from school“, und der früher mit schwedischen Bands wie ACCIDENTS, GENOCIDE SS oder VOICE OF A GENERATION europaweit unterwegs war. Etwa zwei Jahre konnte er tatsächlich von der Musik leben, die längste absolvierte Tournee zählte 57 Tage am Stück. Er macht sich in einem so charmanten wie dynamischen Mix aus Englisch und Wiener Deutsch verständlich. Seine ehemaligen Bandkollegen hätten heute „Houses, Barbecues, two Kids und ihre erste Divorce hinter sich. Sweden, one of the top richest countries in the world started to change in the Nineties, here in Austria it’s so safe, you see old couples walking in the middle of the night.“ Aber ohne Musik geht’s einfach nicht. „Ich bin dann nicht zufrieden mit mir selbst.“

Nach einer Episode in Berlin blieb er schließlich im vom Touren vertrauten Wien. Es folgte ein nicht lange währender Ausflug in die unternehmerische Selbstständigkeit: Alter Schwede Bühnenbau. Heute ist er wie seine ANSTALT-Genossen in unterschiedlicher Intensität ideell und erwerbstechnisch mit der Arena verbandelt und in deren musikaffinem Soziotop verwurzelt. Als Stagehand mit entsprechender Statur schleppt er seinen Beitrag zum Gelingen diverser Konzerte auf die Bühnen der unterschiedlichen Spielstätten in Erdberg. Die eigenen Verstärker dreht er nicht nur für ANSTALT auf, sondern ebenso als Bassist bei SCHIRENC PLAYS PUNGENT STENCH und seit kurzem mit BOOGIE HAMMER. Dabei gibt er mitunter auf einer Bühne durchaus überzeugend und im Ansatz bedrohlich den „wild boy“, und frönt beizeiten – im Proberaum kreisen die Schnapsflaschen schon am frühen Nachmittag, sowieso, um die Singstimmen zu ölen – „privat“ gewiss dem guten alten Rock’n’Roll-Exzess. Was aber seiner Grundfreundlichkeit nie Abbruch tut. „I’m not an aggro Typ. When I have money I have high living costs.“

Der Spruch von der „internationalen Band“ bezieht sich nicht ausschließlich auf die Bandzusammensetzung. Er spielt auf die eigentlich gute Vernetzung von ANSTALT an, deren diverse EPs wie „Altamont Raceway“, „Excalibur“, „Ashes To Ashes“ oder die exquisite EP-Sammlung „Outpunking The Punks“, die 21 wunderbare Fetzer enthaltende ANSTALT-Albumkomplettlösung, meist als Zusammenarbeit diverser über den ganzen Globus verteilter Labels erscheinen. Was Konzerte und Tourneen außerhalb des dritten Wiener Gemeindebezirks durchaus ermöglichen und unterstützen würde, es muss ja nicht gleich Japan sein. Ganze komplett durchstrukturierte musikalische Über- und Außerlandfahrten hatte der launige Vierer schon auf dem Plan, um dann doch noch im letzten Moment zu scheitern. „Alles war sehr gut organisiert, aber dann ... Es passierte oft a bisschen viel Blödsinn. Der Bandname ist schon Programm ...“

Was natürlich eine absolute Schande ist. Denn wenn es ANSTALT auf eine Bühne schaffen, oder wenn sie ebenerdig, in Augenhöhe mit dem Publikum zur musikalischen Tat schreiten, dann geht in der Regel die sprichwörtliche und auf den Punk(t) gespielte Post ab. Ihre meist kurzen, oft trefflich betitelten Songs wie „Postwar deathcamp blues“, „Vodka civil war“, „Austrian wino“ oder „Honolulucaust“ verfehlen dabei selten ihre Wirkung. Sie vermögen sogar (risikofreudigen) GrünwählerInnen eine Ahnung von der befreienden, entgrenzten und entgrenzenden Kraft des ungenierten Rock’n’Roll zu vermitteln. Selbst schüchterne und intellektuell reflektierte Mitmenschen wurden bei ANSTALT-Konzerten schon dabei beobachtet, wie sie die zarten Händchen zu Fäusten ballen – natürlich als Zeichen eines emanzipatorischen und kollektiven Aufbegehrens aller Unterprivilegierten weltweit! Oder voller Überzeugung und bis zur Heiserkeit Texte mitbrüllen, die eigentlich kaum zu verstehen und die nicht zuletzt von todernstem Punkhumor geprägt sind, daher schon einmal mit der einen oder anderen ambivalenten Menschenverachtung kokettieren. Es scheint kaum zu hoch gegriffen, wenn als Referenzen für ANSTALT nur die allerbesten Bandnamen wie ANTISEEN, NEGATIVE APPROACH oder die mit zahllosen Verdiensten von uns gegangenen POISON IDEA und MOTÖRHEAD fallen. Als Sänger und Songwriter hat Dan eine sehr genaue Vision davon, wie ANSTALT zu sein haben: „Now it is a total dictatorship, I know exactly how it should sound.“

Allerdings wirken Ernestollah, Jozy und Thoms’n bestimmt nicht wie die geknechteten Erfüllungsgehilfen einer monomanischen Vision, die nicht den Mund aufkriegen, wenn sich der ANSTALTsleiter einmal vertut. Die Band beweist auch ein sicheres Händchen für Coverversionen, so wurde etwa „Return of the rat“ von den WIPERS dem Repertoire wirklich gekonnt einverleibt. Auf „Knives“, dem jüngsten Vinylstreich, besticht neben „1-2-3-4-Fuck“ („Do you like the way I touch your sister / I fuck, I fuck the smashing system!“), „Inget djävla glin“, das Cover einer eher wenig bekannten schwedischen Band namens ARABENS ANUS. Gitarrist Jozy schwärmt von deren Teenpunk-Lyrics und unterstellt ungleich bekannteren Punkprotagonisten von Weltruf eine nähere Wahrnehmung der Anfang der Achtziger in Göteburg zu verortenden Obskuranten. „BAD RELIGION haben die sicher gekannt, es klingt, als hätten sie alles von denen gefladert.“ (fladern – österr. für stehlen, Anm.)

Doch damit der Erwachsenenbildung nicht genug – als zweiten Bonus-Song für die neue Vinylversion ihrer EP „Excalibur“ haben ANSTALT neben dem COSMIC PSYCHOS-Cover den Song „Suya giden alli gelin“ eingespielt, im Original von der türkischen (!) Sixties-Band CEM KARACA & APASLAR. Das Intro des Stücks ist ganz eindeutig und ohne jeglichen Zweifel die musikalische „Inspirationsquelle“ von „Holidays in Cambodia“ der DEAD KENNEDYS. Womöglich errötet ja Jello Biafra (oder doch East Bay Ray?) in aller Noblesse, wenn er das jemals lesen sollte. Wieder eine Subkulturikone unerschrocken entlarvt by ANSTALT. Anyway, Dan scheucht den Chor aus dem zum Studio umfunktionierten Proberaum, Türkisch singt sich’s wahrscheinlich doch besser alleine. Für die interessierte (Punk-)Welt außerhalb Erdbergs und Wiens bleibt zu hoffen, dass ANSTALT ihren Shit weiterhin so together behalten, wie es derzeit den Anschein hat und es ihre wirklich superben Platten wie „Knives“ vermuten lassen. Denn so ein heftiger Hausbesuch der ANSTALT (mit Instrumenten!) sorgt garantiert für erhöhte Zufriedenheit!