ANJA HUWE

Foto© by Katja Ruge

Von XMAL DEUTSCHLAND in die Gegenwart

Hamburg 1980. Anja Huwe (voc), Manuela Rickers (gt), Fiona Sangster (key), Rita Simonsen (bs) und Caro May (dr) gründen XMAL DEUTSCHLAND. 1981 erscheint ihre erste Single „Schwarze Welt“ auf Alfred Hilsbergs ZickZack-Label, mit „Großstadtindianer“ auf der B-Seite. 1982 kommt ebenfalls auf ZickZack die 12“ „Incubus Succubus“, der Titelsong ist bis heute ein unsterblicher Klassiker des Gothic-Genres, das damals aber noch nicht so hieß.

Nach einer UK-Tour mit den COCTEAU TWINS wird die Band von 4AD Records unter Vertrag genommen, veröffentlicht dort die beiden Alben „Fetisch“ (1983) und „Tocsin“ (1984), die sie weltweit bekannt machen. Mit „Viva“ (1987) und „Devils“ (1989) erscheinen in veränderter Besetzung zwei weitere Alben, bevor die Band sich 1990 auflöst. Sängerin Anja Huwe widmet sich der darstellenden Kunst, wird Anfang der 1990er Redakteurin beim Musiksender Viva und zieht sich aus dem Musikmachen mit Band raus. Fast forward um dreißig Jahre: Mit der Berliner Musiklegende und Produzentin Mona Mur beginnt Anja Huwe, die nach Stationen in New York und London wieder in Hamburg lebt, die Arbeit an ihrem Soloalbum „Codes“, das im März 2024 auf dem New Yorker Label Label Sacred Bones erscheint, genau wie die XMAL DEUTSCHLAND-Zusammenstellung „Early Singles (1981-82)“. Ebenfalls in Arbeit ist eine Album-Box auf 4AD. Ein Comeback also? Nur teilweise, wie Anja Huwe verrät ...

Auf dem alten Foto hier hast du eine damals szenetypische Frisur. Ich hatte Mitte der Achtziger auch so ein „Vogelnest“ auf dem Kopf. Meine Mutter hat sich immer gewundert, warum ihr Haarspray ständig leer war. Wie hat man es damals als Mensch mit gar nicht so viel Geld es geschafft, die Haare so hinzukommen, was wurde verwendet?
Mit Drei-Wetter-Taft! Drei-Wetter-Taft war günstig. Ich weiß gar nicht, ob es das heute noch gibt.

Es wird sicher Leute geben, die auch in den letzten Jahren verfolgt haben, was du so machst. Aber mit dem neuen Album unter deinem eigenen Namen bist du nun für viele Leute wieder präsent, die bei der Erwähnung von XMAL DEUTSCHLAND aufhorchen. Wie kam es dazu?
Das war ein ganz natürlicher Prozess, wie immer in meinem Leben. Ich war immer kreativ, schon seit meiner Jugend. Ich arbeite konstant an Dingen und Projekten, und wenn du dich jetzt auf das „Codes“-Album beziehst, dann war es so, dass ich 2022 eine Anfrage bekam. Ich meine, es gab viele Anfragen über die Jahre, meine Antwort war immer: Nee, mache ich nicht, will ich nicht, Musik ist für mich Vergangenheit Und das, obwohl Musik immer Teil meines Lebens gewesen ist. Aber aktiv Musik zu machen, das war vorbei. Ja, und dann erhielt ich also diese Anfrage, ob ich Teil eines Projekts sein möchte, also singen. Meine Antwort war: Nö, eigentlich nicht. Und dann habe ich mir aber doch angehört, was die sich vorstellten, und die meinten, du kannst auch damit machen, was du willst. Das war eine Doom-Metal-Band, die mich gefragt hat, die sitzt in Tel Aviv und heißt TOMORROW’S RAIN. Das hatte mich zuerst gar nicht so interessiert. Aber irgendwie hat mich dieser Track so gekickt, also „Skuggornas“, das ist der erste Song des Albums. Und dann habe ich beschlossen, zu meiner alten Freundin Mona Mur zu fahren, die ein Studio hat, und die mich immer wieder gefragt hatte: Kannst du nicht ...? Willst du nicht ...? Und ich immer: Nein, will ich nicht. Und dann sagte ich, lass uns das mal ausprobieren, und es funktionierte. Es war ein schönes Arbeiten mit ihr, sehr harmonisch und sehr angenehm. Dann hat es sich so ergeben, dass wir mit Yishai Sweartz, von dem dieser Track kam, mal gesprochen haben: Woher kommst du, wo ist deine Familie her? Und Stück für Stück entwickelten sich Gespräche und ganz interessante neue Aspekte. Zum Beispiel war eine Inspiration die Geschichte seines Großvaters, der als Partisan endete und der seine ganze Geschichte irgendwann mal aufgeschrieben hat, wie er in die belarussischen Wälder gegangen ist. Das hat mich unglaublich fasziniert. Da ging so ein Zeitfenster auf, und wir wissen ja, was da heute alles passiert. Und so habe ich angefangen, mich mit diesem Thema zu beschäftigen: Dass du einfach verschwindest, und wie du da überlebst, was passiert da mit dir? So habe ich angefangen, meine eigenen Sachen zu schreiben, und dann versucht, das mit Mona umzusetzen in Sounds, um eine Atmosphäre zu kreieren. Das hat so unglaubliche Ausmaße angenommen, dass ich gesagt habe: Wenn wir das weitermachen wollen, müssen wir Manuela mit reinbringen, denn die ist meine andere Seite.

Du sprichst von Manuela Rickers, der Gitarristin von XMAL DEUTSCHLAND.
Ja. Ich liebe die Art, wie sie spielt.-Und so haben wir sie dazugeholt, und das brachte das ganze Ding in Bewegung. Es war toll, die Erfahrung zu machen, dass mir das Musikmachen irgendwie ja doch Spaß macht.

Hattest du also einen Teil deines Lebens, die Musik, die früher mal sehr wichtig war, über viele Jahre abgekapselt?
Ich hatte ja schon gleich nach der Schule mit Kunst angefangen. Ich hab mich dann aber für die Musik entschieden, weil das viel lustiger war. Ich wollte da ja nicht nur rumsitzen und pinseln, sondern wollte mir die Haare färben und unterwegs sein. Ich bin nach der Musik einfach wieder zur Kunst zurückgegangen. Ich habe sehr viele Sachen zwischendurch gemacht. Die Brücke von der Musik zur Kunst, die gab es immer. Aber mich explizit wieder ganz intensiv mit Musik zu beschäftigen, das hatte ich ausgeblendet, weil ich mir sagte, ich habe ja alles erreicht, was ich erreichen wollte. Wir haben tolle Sachen gemacht, wir haben viel gespielt, wir hatten eine unheimlich große Fangemeinde. Aber ich musste irgendwann den Cut machen, das ging nicht mehr. Wir waren mit der Band sieben Jahre zusammen, jeden Tag, und was meinst du, was es da für Probleme gibt? Das weiß ja jede Band. Wir hatten kein Management, uns hat keiner mal gesagt hat, dass das auch ein Job ist und nicht nur Fun. Das war so eine Attitüde, die viele Leute hatten in den Achtzigern: Das ist mir alles scheißegal, ich muss nicht studieren, ich kann auch Taxi fahren. Das mit der Musik hat man aus Bock gemacht, aber letztlich nicht kapiert, dass da ganz viel dranhängt und dass es auch ein Job ist. Jochen Hülder, der verstorbene Manager von DIE TOTEN HOSEN, hat mal zu mir gesagt: „Ihr wart so kurz vor dem Durchbruch und ihr Idioten löst euch auf!“ So war es halt. Aber wer weiß, wo es geendet hätte ...

Im totalen Burnout?
Der Druck gerade von großen Plattenfirmen auf die Bands ist hammerhart. Letztlich war es dann so, dass die Plattenfirma und der Musikverlag zu mir gesagt haben, ich solle eine Solokarriere machen. „Wir haben Björk groß gemacht, wir machen dich auch groß.“ Aber ich wusste, was das bedeuten kann. Da ist es dann vorbei mit Spaß, das wird dann richtig Hardcore, und da wusste ich, dass ich den Preis dafür bezahlen muss. Das konnte und wollte ich nicht.

Und was war dein Plan B nach der Musik, wenn all das wegfällt, was bislang wichtig war? 1990 lösten sich XMAL DEUTSCHLAND auf.
Ja, Anfangs war das ein bisschen schwierig. Aber zur gleichen Zeit glitschte ich so rein in die Acid-House-Szene, so was wie Heaven und The Haçienda in England, das fand ich sehr faszinierend. Da entstand ein neuer Kult. Freunde von mir schrieben zu der Zeit ein Konzept für Viva ...

... der deutsche Musiksender und Gegenentwurf zu MTV, der 1993 auf Sendung ging ...
Ja, das war ja ganz neu. Ich kannte viele Leute, die da gearbeitet haben, und dann haben wir angefangen, dieses Konzept für die Techno-Sendung „HouseFrau“ zu entwickeln. Ich mochte die Musik, ich fand die Art und Weise, mit Bildern und Musik zu arbeiten, ganz toll, und dann habe ich das lange Zeit gemacht.

Du hast als Redaktionsleitung gearbeitet?
Ja, das war eine ganz interessante Erfahrung, das war kreatives Arbeiten. Keiner da wusste, dass ich aus der Musik kam, und ich konnte gut mit den Leuten, weil ich wusste, wie das so ist. Ich war Producerin und Redakteurin, aber ich habe mich dann in Köln gelangweilt, und da habe ich mir gesagt, Raves gibt es weltweit, und dann bin ich da eben hin. Ich war überall, in Australien und in der Wüste von Nevada, in den Clubs in Detroit und Chicago, das war super. Das war bisweilen richtig Hardcore, da musste ich morgens um zwei drehen, also habe ich irgendwann gedacht, okay, ich muss irgendwas verändern. Damals hat es sich ergeben, dass ich eine Greencard für die USA bekommen habe, und so kam es zu einem weiteren Bruch. Ich musste zurück zu meiner Kunst. Ich hatte eine Weile mein Domizil in New York, und dann kam der 11. September 2001 ... Ich habe viele verschiedene Jobs gemacht, war mal in so einem Art-Team, war da für Brand & Color Development zuständig, gemeinsam mit Dave Vanian von THE DAMNED, was sehr lustig war. Ich bin in der Zeit immer gependelt zwischen New York, London und Hamburg. Das war dann auch ein bisschen viel irgendwann. Das waren immer irgendwelche Projekte, bei denen ich mitgemacht habe. Ich habe immer auf dieser Ebene gearbeitet, hatte auch mit Leuten zu tun, die Musik machen.

Und dir hat in all diesen Jahren das klassische Musizieren, Singen in einem Bandkontext nie gefehlt?
Nee, eine Band hat mir nie gefehlt, das muss ich ehrlich sagen. Das hat sich schon sehr ausgereizt mit XMAL DEUTSCHLAND. Ich meine, wir waren als Band ja auch sehr gute Freunde und können jetzt wieder miteinander. Das war schon ganz schön heftig, was aus uns geworden war ... Aus diesem freundschaftlichen Musikmachen nach der Schule, gemeinsam in den Übungsraum gehen, alle unsere Freunde sind Musiker ... Das hast du ja oft, diese Aussagen von Bands: Wir sind alle so gute Freunde. Ja, wartet mal ab! Das ist schon eine andere Nummer, wenn sich das so entwickelt wie bei uns damals. Wenn man jetzt wieder was machen würde als XMAL DEUTSCHLAND, rein theoretisch ... Also mit der Band von damals ginge es nicht, weil es die nicht mehr gibt. Das müsste ein anderes Gefüge haben, und ich kann noch gar nicht abschätzen, ob das überhaupt eine gute Idee wäre. Für mich war jetzt erst mal das Ziel, dieses Album zu machen, und das hat lange gedauert, weil ich ja nicht in Berlin lebe. Ich bin in Hamburg, Mona ist in Berlin. Und wir hatten natürlich die ganze Lockdown-Geschichte. Aber wir konnten völlig frei arbeiten in dieser Zeit, es gab keinen Stress, es war ja nichts zu tun. Und Mona und ich arbeiten immer noch an neuer Musik, machen Remixe und so. Es ist eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit.

XMAL DEUTSCHLAND waren eine der wenigen deutschen Bands aus dieser Szene, die diese internationale Connection hinbekommen haben. Ihr wart sogar beim legendären britischen 4AD-Label unter Vertrag. Und spricht man heute noch jemand aus den USA auf deutsche Goth/Wave-Bands an, werden auf jeden Fall XMAL DEUTSCHLAND genannt. Wie viel davon ist seinerzeit einfach „passiert“, wie viel aktive Arbeit steckte dahinter, gab es einen Plan?
Das ist eine interessante Frage. Ich glaube, das sind alles Dinge, die sind passiert. Die Art und Weise, wie wir als Band funktionierten, war schon eher ungewöhnlich. Ich habe damals ja nie mit den Leuten kommuniziert. Wir sind da aufgetaucht, dann waren wir da, und irgendwann waren wir wieder weg. Ich glaube nicht, dass wir so besonders waren. Uns hat aber eines Tages diese Gothic-Szene für sich entdeckt. Wir haben das gehasst.

Was hast du nicht gemocht an dieser Connection?
Das hast du ja bei vielen Bands, also wenn es heißt: Ihr seid Vorreiter der Gothic-Szene! Wir haben uns ja nie so gesehen. Die haben uns dazu gemacht! Vielleicht sahen wir so aus, aber wir haben uns nie so empfunden. Ich will das auch gar nicht schmälern, aber ich glaube, diese wahnsinnige Zeitspanne zwischen damals, als wir uns aufgelöst haben, und jetzt ... Also was ich gerade erlebe, das ist schon gigantisch!

Du meinst die mediale Aufmerksamkeit für dein Album und deine Person?
Damit hat keiner gerechnet. Okay, Mona und andere Leute um mich herum haben gesagt, das würde passieren. Aber ich habe damit nicht gerechnet. Ich sehe das immer nur als mein kreatives Ding. Ich mache das ja nicht, weil ich meine, ich muss jetzt hier eine riesige Nummer sein oder so. Das ist nicht der Fall. Ich mache das wirklich, weil das von Herzen kommt. Ich bin das. Und das ist gerade total verrückt. Und ein Grund ist, dass keiner wusste, was wir machen und wo wir sind. Ab und zu haben mich mal Leute gefunden, weil ich eben Kunst mache. Aber jetzt kam alles irgendwie zusammen.

Es ist vielleicht auch ein Glücksfall, dass du wirtschaftlich anderweitig versorgt warst und nicht darauf angewiesen, auf deiner Vergangenheit mit XMAL DEUTSCHLAND rumzureiten. Die Welt ist voll von Bands, die sich mit ihrem Legendenstatus von vor vierzig Jahren von Festival zu Festival retten. Es gruselt einen da bisweilen, wenn man sieht, wie Leute, die das Pech hatten, nie Distanz zu ihrer Musik zu gewinnen, nun gezwungen sind, bis in alle Ewigkeit mit den alten Hits zu touren, damit die Miete noch irgendwie bezahlt ist.
Da hast du recht, das ist für mich auch gruselig. Ich glaube, ich gehöre zu den wenigen Leuten, die überhaupt nicht zurückschauen – und meine Ex-Band auch. Ich entwickle mich die ganze Zeit weiter, ich schaue immer nur nach vorne, denn es kommen neue Dinge auf mich zu. Ich lebe nicht aus und in dieser Vergangenheit. Dass es jetzt diese ganzen Rereleases gibt ... okay. Das war wahnsinnig viel Arbeit, das war der Hammer, das habe ich auch alles nebenbei gemacht. Das waren alles analoge Aufnahmen, das musste jetzt digitalisiert werden. Wo sind die Fotos, wo ist das ganze Artwork? Ich musste da erst wieder einsteigen. Ich hatte zum Glück mein ganzes Fotomaterial aufgehoben, ich habe immer alles in Kisten geschmissen, und zack, ab damit in den Keller. Andere Leute haben es weggeworfen. Ich habe aber immer irgendwie gedacht, eines Tages könnte ich das mal gebrauchen. Ich weiß nicht warum. Ich habe da Material, das glaubst du nicht. Aber ich habe nie rückwärts gedacht, also in der Art: Hätte ich doch mal bloß ... Das mit der Band ist Teil meiner Geschichte. Darauf kann ich aufbauen, aber mich reizt das nicht, wenn ich diese alten Säcke sehe, die es noch mal wissen wollen und wo du dann denkst: Wenn du das mal durchhältst ... Ja, das ist gemein, das zu sagen, denn die haben ja nichts anderes. Die haben nur die Musik, die Leben von ihrer Legende, und das war’s. Schau dir diese alten englischen Bands an, das ist schon krass.

Trotzdem komme auch ich noch mal auf die Vergangenheit zu sprechen. Eine Band wie XMAL DEUTSCHLAND wird den Menschen, die sie geschaffen haben, irgendwann aus der Hand genommen und wird „larger than life“. Du wirst kein DJ-Set und keine Playlist finden weltweit in Sachen Goth/Wave, in der sich nicht „Incubus Succubus“ findet. Das muss man erst mal schaffen, also ein Werk, das auch nach so vielen Jahren noch so intensiv rezipiert wird. Das ist bedeutsam, und wenn man sich das vergegenwärtigt, ist man doch stolz, oder?
Ja, aber wir nehmen das gar nicht so wahr. Das ist eher überraschend. Ich nehme es eher wahr als die anderen, weil ich mehr mit Leuten zu tun haben, die mir sagen „Hast du das schon gesehen“ oder „Schau dir das mal an.“ Aber ja, was du da sagst, das höre ich immer wieder. Es ist einfach Glück, dass das so kam.

Ein bisschen Glück empfindet man doch sicher auch bei der GEMA-Abrechnung, oder ...?
Nee, also das kannst du vergessen, da kommt nicht viel. Wobei das Zeug bis jetzt auch lange nicht mehr erhältlich gewesen ist. Von der GEMA kommt also mal ein bisschen was, aber so üppig sieht das nicht aus.

Es gab damals ja dieses in den USA gerne goutierte Image der blonden deutschen Frau. Du hattest freilich keinen so starken Akzent wie Nico, die mit VELVET UNDERGROUND berühmt wurde. Oder Christiane F., die in den USA auf Posh Boy eine Platte machte. Hat das damals also wirklich eine Rolle gespielt?
Ich glaube nicht. Das haben wir nicht so wahrgenommen. Wir waren so sehr in unserer eigenen Welt, und ich war verhaftet in dieser Band. Ich habe das also gar nicht so mitbekommen. Ich fand das eher störend, wenn Leute gesagt haben, so, jetzt machst du mal deine eigene Karriere, du musst jetzt mal einen anderen Weg gehen und so. Ich habe mich ja auch gar nicht als Sängerin dieser Band gesehen. Ich war Teil dieser Gruppe, ohne die Band hätte ich das alles gar nicht hingekriegt. Heute ist das anders, da bin ich frei, da weiß ich, wie es funktioniert. Das wusste ich damals nicht. Und ich glaube, man nimmt vieles gar nicht wahr, wenn man in so einer Bubble ist. Und mit Christiane habe ich in Hamburg in einer großen WG eine ganze Weile zusammengewohnt, unter anderem lebte da auch Frank Ziegert ...

... von ABWÄRTS, der leider Anfang 2024 gestorben ist und mit dir zum Schluss hin XMAL DEUTSCHLAND machte.
Ja, und auch FM Einheit und Klaus Maeck. Mitten auf St. Pauli, in den ehemaligen Redaktionsräumen der St. Pauli-Nachrichten. Ich habe bei Christiane miterlebt, wie das für sie war, auf einmal so mitten im Fokus zu stehen.

Sie war 1978 durch das Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ berühmt geworden und dann 1981 wieder, als der Film in die Kinos kam. Ihr damaliger Lebensgefährte war Alexander Hacke.
Damals standen die Journalisten bei uns in der WG Schlange. Wenn sie dann mal um sechs aufstand und Bock hatte. Wenn du in so einer Situation bist, glaube ich, nimmst du das alles nicht wirklich wahr. Erst rückwirkend kann man erkennen, dass das schon irgendwie „speziell“ war.

Woher kam bei dir der Selbsterhaltungstrieb, also dass du nicht wie viele andere aus jener Generation zum Opfer von „Live fast, die young“ geworden bist?
Weil ich auf mich achte. Ich habe auch echt harte Sachen gehabt. Ich war mal sehr krank, aber ich habe einen sehr starken Willen und sehr viel Energie. Ich mache sehr viel Sport und ich bin sehr fokussiert, wenn ich ein Ziel habe. Ich habe nie Drogen genommen. Ich habe es zwar auch mal krachen lassen, aber immer auf einer anderen Ebene. Ich musste mich immer eher runterfahren, weil ich so viel Energie habe. Und das ist auch sehr gefährlich. Ich habe ja gesehen, was mit den Leuten passiert, und jetzt sterben die um mich herum alle weg. Unser Drummer ja auch vor ein paar Jahren.

Peter Bellendir, er starb 2013.
Ja. Ich habe einen starken Selbsterhaltungstrieb. Ich will es noch mal wissen, ich höre nicht auf!

Wie machistisch, wie emanzipiert, wie feministisch hast du die Musikszene damals empfunden, wie sehr hast du dich behaupten müssen, wie war der Umgang untereinander?
Dazu erzähle ich was zu meiner Familie. Mein Vater hat Frauenzeitschriften rausgebracht, meine Großmutter hat geschrieben und gesungen. Ich bin so aufgewachsen, dass es keinen Unterschied macht, ob du männlich oder weiblich bist, wir machen einfach unser Ding. Aber es gab natürlich gewisse Ressentiments, doch in unserer Band und wie wir damit umgegangen sind, da war immer alles klar. Da habe ich zu Manuela gesagt, gib mal Gas, dann wissen die Bescheid, und so haben wir es gemacht. Wir sagten, wir zeigen euch Jungs jetzt mal, wie das wirklich geht, und dann haben die immer die Fresse gehalten. Mit anderen Frauen, mit so Frauenbands, hatten wir kaum was zu tun. Wir hatten immer eher mit Jungs zu tun, mit diesen ganzen englischen Bands, mit denen wir abhingen. Das waren unsere Kumpels, und wir waren das für die auch. Da gab es keine Unterschiede. Aber ich glaube, rückwirkend kann diese Band und diese Kombination von so vielen Frauen durchaus sehr wichtig sein für viele junge Frauen heute, weil die sehen, dass es so eben auch geht. Man kann das machen ohne dieses Rumgejammer, ohne dieses Prätentiöse.

Was meinst du mit Rumgejammer?
Da wird ja oft so lamentiert, von wegen: Als Frau ist es ja so schwer und man muss ja ... Das sehe ich nicht so. Das ist für mich eine Frage, wie man als Frau rüberkommt, wie man mit Leuten kommuniziert. Wenn man sich selber zu etwas macht, dann ist es halt auch so, das erfahre ich oft. Oder dieses „Wir Frauen müssen zusammenhalten ...“ Da sage ich: Wieso wir Frauen? Wir Künstler müssen zusammenhalten!

Künstler oder Künstler:innen?
Künstler:innen, genau. Das ist ja schon wieder der nächste Schritt. Das können sie gerne machen. Weißt du, wir sind doch eine Community, wir wollen doch kommunizieren und miteinander gute Sachen machen. Wir wollen uns doch nicht aufhalten an gewissen Dingen wie „Ich als Frau ...“ und so. Vielleicht ist es eine Frage der Persönlichkeit, aber ich habe das nie so so wahrgenommen.

Manche Frauen Anfang/Mitte zwanzig, gerade auch aus der Punk-Szene, sind da vehement anderer Meinung.
Können sie ja sein. Ich glaube, die ganze Gesellschaft hat sich verändert, also diese Befindlichkeiten. Ich akzeptiere das, aber ich habe damit nichts zu tun. Ich komme aus einer anderen Generation, die wirklich tough sein musste, um überhaupt zu „überleben“ in so einer Gesellschaft. Ein Beispiel: Als ich das erste Mal nach England kam und mit dieser Musikszene dort zu tun hatte, traf ich auf diese ganzen Cockneys, die du nicht verstehst, einfach sprachlich, und ich habe irgendwann begriffen: Wenn ich deren Humor verstehe, dann kapiere ich, wo es langgeht. Und das war dann wirklich der Fall, irgendwann hast du halt deren Schnack drauf und dann merken sie: Oh, mit der nicht ... Das ist eine Frage der Haltung oder so, ich weiß es nicht. Aber ich will das nicht runtermachen, was diese jungen Frauen machen. Aber es ist eben genau das, was ich schon erlebt habe, dieses „Da musst du aber ...“ und „Wir Frauen ...“ Nee, was soll ich denn da? Wenn ich dir jetzt erkläre, wie das läuft, dann sagst du: „Wie kann man denn nur so tough sein?“ Ich bin aber nicht tough, ich habe nur verstanden, wie es geht – nur für mich!

Wo kam das her, was ihr damals mit XMAL DEUTSCHLAND an Musik gemacht habt?
Keine Ahnung. Wir haben da reingepackt, was wir konnten, und wir konnten eigentlich nicht so viel anfangs. Wir waren da unbeleckt, wir hatten nur Freunde, die in Bands spielten, wie CORONERS oder FRONT. Das war unser Umfeld, wir haben deren Instrumente benutzt und einfach angefangen. Ich war ja Bassistin, war anfangs gar nicht die Sängerin, sondern nur teilweise, dann stieg die Sängerin aber aus und damit war ich gezwungen zu singen. Wir hatten gar nicht so viele Songs, ich wusste nicht, wie Verse-Bridge-Chorus geht und habe einfach nur reingehauen. Das entwickelte sich, bei „Incubus Succubus“ ging es schon besser, da war aber auch Frank Z. mit im Studio – der wusste, wie es geht, und hat einen auch mal eingezählt. Und so ging es dann immer besser. Das ist eben die Entwicklung, die man durchmacht.

Du erwähntest eingangs bereits die Kollaborationspartner des neuen Albums. War es von Anfang an gesetzt, dass diese Platte so erfreulich handgemacht klingt? Vieles an Musik aus der späteren und heutigen – sorry für die erneute Schubladisierung – Goth-Szene ist ja sehr elektronisch. Das Album hat schon von der Grafik her so einen gewissen 4AD-Touch und wirkt eher „klassisch“.
Wie meinst du das?

Ich freue mich, dass das Album für meinen Geschmack relativ traditionell ist. Ich finde deine musikalische Vergangenheit dort wieder, aber gleichzeitig ist es in der Gegenwart.
Ja, so empfinde ich das auch, das trifft genau den Punkt. Ohne Manuela hätte ich das Album nicht gemacht, denn Manuela ist für mich ein Teil meines musikalischen Lebens. Also habe ich gesagt, ich muss sie dabei haben. Erst mal gab es aber keinen Drummer und es war viel einfacher und auch ganz interessant, hier mit Elektronik zu arbeiten. Später kam auch noch Jon Caffery ins Spiel, der es gemixt hat. Der weiß, wo wir herkommen, das hat schon einen großen Einfluss auf so eine Produktion. Es war also Absicht, diesen Weg zu gehen, also diesen „analogen“ Sound zu haben, aber auch diesen elektronischen Aspekt einzubringen. Ich mag Elektronik, wenn sie sich auf einem gewissen Level bewegt. Es gab schon von verschiedenen Leuten das Feedback, das Album sei die logische Konsequenz. Es ist heutig, aber es hat eben auch noch dieses „Alte“, ist „edgy“. Das sind ja keine Liebeslieder, das ist tough, und das bin ich auch. Ich habe Mails bekommen von Leuten, von denen ich ewig nicht gehört habe. „Das ist unglaublich!“, hieß es da. Die finden die Energie der neuen Sachen so gut, weil die Leute ja eher weicher und verweichlichter werden und Popmusik machen. Das würde ich nie tun, lieber volle Lotte! Das ist also alles genau mein Ding, das repräsentiert mich. Das Lied „Rabenschwarz“ hat so eine Kraft! Diese Kraft habe ich für mich selbst wieder entdeckt. Als ich das anbrachte, schaute mich Mona nur an und meinte: „Wo holste das denn her?!“ Das war immer da drin.

Wie kamst du denn mit deinem neuen Label Sacred Bones zusammen?
Ich habe Caleb irgendwann in New York kennen gelernt. Das ist ein sehr interessanter Typ, und er fand mich und meine Kunst auch interessant. Ich sagte, ich mache da gerade so ein Projekt, er fragte, ob er es mal hören kann, und dann haben wir uns ausgetauscht, so hat sich das entwickelt. Wir haben uns dann entschieden, ihm auch diese Compilation mit den frühen Singles von XMAL DEUTSCHLAND zu geben. Wir wollten die eigentlich auch 4AD geben, die bringen ja noch eine Box raus dieses Jahr mit allen alten Sachen, aber die wollten mein neues Projekt nicht, das haben die überhaupt nicht verstanden. Also habe ich gesagt „Gut, auf Wiedersehen“ und habe es Sacred Bones überlassen. Das ist eine tolle Company, sehr nette Leute.

Über Pfingsten gibt es wieder das Wave Gotik Treffen in Leipzig. Wird es da einen Auftritt von dir geben?
Ich glaube nicht, dass du mich da siehst. [Lacht]

Und wie ist es generell mit Konzerten?
Das kann ich dir noch nicht sagen, aber wir haben Anfragen aus der ganzen Welt.

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Diskografie
„Schwarze Welt“ (7“, ZickZack, 1981) • „Incubus Succubus“ (12“, ZickZack, 1982) • „Incubus Succubus II“ (7“/12“, 4AD, 1983) • „Qual“ (12“, 4AD, 1983) • „Fetisch“ (LP/CD, 4AD, 1983) • „Reigen/Eiland“ (7“, DRO, 1984) • „Tocsin“ (LP/CD, 4AD, 1984) • „Sequenz“ (7“/12“, Red Rhino, 1985) • „The Peel Sessions“ (12“/CD, Strange Fruit, 1986) • „Matador“ (7“/12“, Xile, 1986) • „Sickle Moon“ (7“/12“, Xile, 1987) • „Viva“ (LP/CD, Xile, 1987) • „I’ll Be Near You“ (7“/12“/CD, Metronome, 1989) • „Dreamhouse“ (7“/12“/CD, Metronome, 1989) • „Devils“ (LP/CD, Metronome, 1989) • „Early Singles (1981-82)“ (12“, Sacred Bones, 2024) • „Codes“ (Anja Huwe; LP/CD, Sacred Bones, 2024)