ANDRE LIEGL/VISION OF RUST

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Mit Rücksicht auf Verluste

Mehr denn je ist ein Album heute ein Gesamtkunstwerk, welches von einem kunstvollen Booklet begleitet wird und mit einem treffenden Cover abgerundet ist. Durch diese Tatsache entstand eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Musikern und Künstlern. Maler und Grafik-Designer wie Derek Hess, Scot Sinclair und Limbert Fabian bekamen so beinahe Kultcharakter.
In hiesigen Breitengraden hat sich der ehemalige ACHEBORN-Bassist André Liegl aus Darmstadt durch zahlreiche professionelle und eigenwillige Designs für etliche Bands etablieren können.

Seit wann betätigst du dich gestalterisch und wie hat alles begonnen?


„Früher wollte ich immer Comiczeichner werden. Ich habe schon relativ jung viel gezeichnet, und ich erinnere mich da an ein ganz frühes Erlebnis, als mein Bruder mir riet, die Nasen der Figuren doch auf eine bestimmte Art und Weise zu malen, und zwar so, wie die berühmten Dödel auf Schulklowänden gemalt sind. Ich dachte mir nichts dabei, nahm den Tipp dankbar an und schon bald waren meine Zimmertapeten mit lebensgroßen Figuren mit Pimmelnasen bemalt. Meine Eltern haben sich sehr gefreut! Die ersten Cover habe ich 1996 gemacht. Das waren die ersten Singles von UPSET und ACHEBORN. Damals habe ich meinen ersten Computer bekommen, wahrscheinlich verhältnismäßig spät, vorher waren die ganzen Computergeschichten unbekanntes Terrain für mich. Ich habe mir dann die ersten Schritte am Computer durch viel Rumprobieren selbst angeeignet und später dann im Studium das ganze Drumherum gelernt. Danach kam eins zum anderen, Anfragen von Bands und Labels, die Sachen von mir gesehen hatten und so weiter. Das Comiczeichnen ist dann etwas untergegangen und heute liegt es leider völlig brach. Wahrscheinlich kann man doch nicht auf allen Hochzeiten tanzen und so habe ich mich dann für den Computer und den Fotoapparat entschieden.“

Wer hat dich denn zu diesem Job inspiriert?

„Ich glaube, da gibt es vieles, und manchmal ist es auch nur ein Blick aus dem Fenster oder ein Lied, das ich höre, ein Film, den ich sehe, eine Szene auf der Straße. Wenn man sich viel umschaut, entdeckt man vieles, was man in der einen oder anderen Weise umsetzen kann. Überhaupt ist meiner Meinung nach Kreativität nichts anderes, als Dinge um sich herum aufzunehmen und in etwas neues zu transformieren. Also vielleicht nicht immer ein direkter Akt des Erfindens, viel mehr des Umformens. Aber um einmal einen Namen zu nennen, muss ich wahrscheinlich schon auf Dave McKean zu sprechen kommen, einen Künstler aus England, der eigentlich von den Comics kommt und dann angefangen hat, mit dem Computer rumzuspielen und sehr viele großartige, wegweisende Dinge gemacht hat. Wenn man seine Sachen kennt, dann sieht man ganz schnell, wie viele Leute er inspiriert hat. Mein Comic-Händler nennt ihn immer den Meister, und da hat er wohl irgendwie Recht.“

Du konntest dir inzwischen einen Namen erarbeiten. Für wen hast du schon Cover gestaltet?

„Also ein Paar der bekannteren Bands waren LOXIRAN, NARSAAK, ACHEBORN, DEAD BEAT, ENGRAVE, MAN VS HUMANITY, BURY ME STANDING, THE.COALFIELD, CABLE CAR THEORY, UNIVERSAL, SCRAPY, FEAR IS THE PATH TO THE DARKSIDE, AMBROSE, SUICIDE NATION, BLINDSPOT A.D., LÀ PAR FORCE, THE PYRO TALE, TAGTRAUM, A THIN RED LINE, THE CRIMSON DEVINE und andere.“

Von wem kommt das Konzept? Sagen die Bands dir, was sie wollen, oder versuchst du deine eigenen Ideen umzusetzen?

„Glücklicherweise ist es in der letzten Zeit eher so, dass mir Bands oder Labels sagen, ‚Mach mal‘, und mir da relativ freie Hand lassen. Dennoch ist es natürlich wichtig, sich auf die Band, die Musik und deren Ideen, die dahinter stehen, einzulassen. Bei mir funktioniert das meistens so, dass ich mir die Lieder der Band anhöre, im optimalen Fall hat man die Leute auch schon mal gesehen und kann sich ein Bild machen. Was dann passiert, ist bei mir recht intuitiv: Ich achte darauf, welche Bilder in meinem Kopf zur Musik entstehen. Musik und Grafik sind da ja zwei artverwandte Dinge, bei beiden geht es meist um eine abstrakte Idee oder ein Gefühl, die dann in die richtige, musikalische oder grafische, Form gegossen werden. Die Kunst dabei ist dann wohl, wenn sich die Bilder, die in meinem Kopf entstehen, mit denen, die die Musiker in sich hatten, als sie die Musik geschrieben haben, decken. Für mich ist es interessanter, mit den Sachen, die ich mache, Gefühle und Stimmungen zu erwecken, als klare Aussagen abzubilden. Da kommt dann allerdings noch der dritte Part dazu, der es auch noch mal schwierig machen kann, das sind diejenigen, die die Designs dann anschauen und womöglich noch mal völlig andere Assoziationen haben.“

Früher warst du bei ACHEBORN. Wie sieht es momentan aus, machst du noch Musik?

„Ja, ACHEBORN ging ja eine ganze Weile, wir waren sechs Jahre zusammen. Die erste
Zeit danach ohne Musik war ganz schön scheiße. Du stehst bei Konzerten im Publikum und denkst dir: ‚Ich will auch!‘, du hörst die Platten an und willst selbst wieder Musik machen. Eine Band ist ja schon wie eine Beziehung, das würden wohl viele Musiker unterschreiben, und wenn die Band dann weg ist, dann fehlt etwas, da kann man schon ein bisschen trauern. Glücklicherweise kam dann relativ bald etwas neues, die Band heißt THE DATA BREAK und steht jetzt in den Startlöchern. Wir wollen 2005 eine Platte machen und touren und mal sehen, was dabei heraus kommt.“

Kann denn deine Arbeit als Grafikdesigner all deine Kosten decken oder hast du einen Nebenjob?

„Mit der Arbeit als Grafikdesigner geht das im Grunde schon, nur mit den Plattencover und Musik-verwandten Dingen ginge das allerdings kaum. Gerade in einer Underground-Szene ist das schwer. Die Bands und Labels haben meistens kein Geld, um die Arbeit voll zu bezahlen, ich arbeite da eher auf Kompromiss-Basis, mache das aber gerne, weil es eben das ist, was ich am meisten will und was mir am meisten Spaß macht. Trotzdem wäre es schön, wenn diese Arbeit mich mal alleine finanzieren würde. Ansonsten arbeite ich eben als freier Grafiker für verschiedene Agenturen und für eine große Kinokette. Davor war ich ein Jahr lang komplett selbständig, habe aber gemerkt, dass ich dabei noch weniger Zeit hatte, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die mir wichtig sind. Man macht sich da leicht was vor und denkt, das ist das tollste, jetzt selbstständig zu sein, dann muss man aber plötzlich noch mehr von dem Mist machen, der einen dann halt ernährt. Zu Zeiten des Studiums wollte ich eigentlich nie irgendwas machen, mit dem ich mich nicht hundertprozentig identifizieren kann. Im ‚richtigen Leben‘ hat sich dann gezeigt, dass es doch notwendig war, Dinge zu tun, die nicht so prickelnd sind, weil ich eben Geld verdienen musste. So gibt es immer wieder Phasen, in denen der Traum, ausschließlich Plattencover zu machen, mal wieder etwas in den Hintergrund tritt, weil einfach anderes gemacht werden muss, und dann gibt es auch wieder Zeiten, in denen ich mich mehr dem widmen kann, die Sache mit den Plattencovern voranzubringen. Vielleicht ist es inkonsequent und feige, sich nicht ohne Rücksicht auf Verluste reinzustürzen, vielleicht ist es aber auch kein ganz so schlechter Weg, mich Stück für Stück dahin zu arbeiten, wo ich hin will.“

Gibt es auch Labels, die dich für all ihre Releases wollen?

„Momentan mache ich relativ viel für Dancing In The Dark aus Regensburg, ansonsten wechselt das immer. Da meldet sich mal jemand ewig nicht und plötzlich hat er dann wieder ein Cover, das ich machen soll. Dann hat jemand, für den man mal was gemacht hat, plötzlich eine neue Band und es kommt wieder was. Irgendwie passiert immer was und es geht immer weiter.“

Hast du eine Firmenphilosophie oder bist du flexibel was die Designs und deren Message betrifft?

„Im Grunde bin ich da sehr offen, es gäbe natürlich einige politische Aussagen, die ich nicht umsetzen würde, aber um so etwas wurde ich noch nie gebeten. Wie gesagt, bei aller Selbstverwirklichung darf man nicht so narzisstisch sein, zu denken, dass das, was man macht, der Weisheit letzter Schluss sei. Und schließlich ist es die Band, die einen um das Cover bittet und da sollte man eben Rücksicht nehmen auf die Leute und das, was sie mit der Musik ausdrücken wollen. Das Tolle ist aber, dass es so viele Interpretationsmöglichkeiten und Möglichkeiten gibt, bestimmte Gefühle darzustellen. Diese Ambivalenz haben Musik und Grafik eben inne, und das macht auch beides zu so interessanten Bereichen.“

Denkst du, das Design einer Platte ist in den letzten Jahren verstärkt wichtig geworden?

„Also wenn ich mir am Beispiel der Hardcore-Szene anschaue, was da so in den letzten zehn Jahren passiert ist, dann hat sich das von der Cut-and-Paste-, Flyer- und Totenschädel-Ästhetik hin zu einer Kunstform bewegt, die sehr frei und wegweisend ist, genau so, wie sich die Musik auch sehr viel weiter aufgefächert hat. Wenn man bedenkt, was sich heute so alles im Kontext Hardcore bewegt, dann ist das schon eine ganz schöne Bandbreite, und auch gar nicht mehr so genau abgrenzbar. Das gibt dann auch der Gestaltung viel mehr Spielraum, weil einfach stilistisch mehr akzeptiert wird und möglich ist. Ansonsten denke ich, der Stellenwert eines Plattencovers spielt gerade dann noch einmal eine verstärkte Rolle, wenn Musik sich ohne weiteres als mp3 aus dem Netz saugen lässt. Musik nur als Bits und Bytes, ohne Gesicht und ein Drumherum zum ansehen und anfassen, ist eben immer ein Stück mehr Wegwerfkultur, als eine Platte, die man physisch im Schrank stehen hat, auflegt und betrachten kann. Da Musik und Visuelles schon immer sehr stark zusammen gehört haben und sich begünstigen, wird das hoffentlich auch noch ein Weilchen so bleiben.“

Rätst du Bands auch mal von etwas ab, weil du selbst schlechte Erfahrungen mit ähnlichen Designs gemacht hast?

„Bei manchen Sachen versuche ich dann schon zu sagen: ‚So können wir das nicht machen.’ Eine beratende Funktion sollte der Grafiker ja schon haben, wenn jemand dann aber partout auf etwas beharrt, wird es natürlich schwierig. Meistens findet sich dann aber schon ein Mittelweg. Kürzlich habe ich auch einmal was komplett absagen müssen, weil mir gar nichts dazu eingefallen ist. Das war so eine Funk-Metal-Crossover-Kapelle, mit deren Songs ich nichts anfangen konnte. Denen hätte ich am liebsten von ihrer Musik abgeraten. Aber im Ernst, dass die Musik mich berührt ist eben eine ganz wichtige Voraussetzung, damit bei mir etwas im Kopf entsteht, denn sonst kann das eine ziemliche Quälerei werden.“