AND SO I WATCH YOU FROM AFAR

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Momentous, murderous, tumultuous

Wenn man sich mit instrumentalem Rock beschäftigt, stolpert man dabei unweigerlich über diese junge Band aus Belfast. Seit ihrem selbstbetitelten Debütalbum 2009, auf dem sie bereits durch ausgefeilte, abwechslungsreiche Songs zu begeistern wussten, haben ASIWYFA ihre preisgekrönte „The Letters“-EP und ihr zweites Album „Gangs“ veröffentlicht. Für ihre energiegeladenen, mitreißenden Konzerte wurden sie bei den Northern Ireland Music Awards als „Best Live Act“ ausgezeichnet. Bevor ich mich in der Wiener Arena davon überzeugen konnte, dass ihnen diese Ehre absolut berechtigt zuteil wurde, habe ich mich mit der Band unterhalten und Rory (Gitarre), Johnny (Bass) und Chris (Schlagzeug) beweisen lassen, dass auch Instrumentalbands trotz Mangel an Texten so einiges zu verlautbaren haben.

Das meiner Meinung nach positivste und lebensbejahendste Lied eures neuen Albums heißt „7 billion people all alive at once“. Laut der UN sind seit Montag, dem 31.10.2011 tatsächlich sieben Milliarden Menschen auf dieser Erde zur selben Zeit am Leben. Was habt ihr euch dabei gedacht, als ihr das Lied geschrieben habt?

Rory: Der Inspiration für den Songtitel kommt ursprünglich von einem ziemlich bekannten Joe-Strummer-Zitat. Es ist das berühmte Ende von „The Future is Unwritten“, einer Dokumentation über Joe Strummers Leben. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was er sagt, aber sinngemäß meinte er: Es kommt nicht wirklich auf die kleinen Probleme an, die du hast. Manchmal musst du einfach um dich blicken und sehen, dass alle hier sind und wir alle zur selben Zeit am Leben sind. Also probiere es einfach und tu etwas Unglaubliches. Ich kann mich erinnern, dass es etwas war, das in unseren Köpfen hängen geblieben ist. Wir wollten einen Titel schreiben, der einfach alle Menschen dieser Welt einschließt. Also haben wir uns gefragt: Wie viele Menschen haben wir hier auf der Welt? Also kamen wir auf „7 billion people all alive at once“. Und auf einmal haben alle geglaubt, wir wären so was wie Propheten, weil wir wussten, dieses Jahr würde es passieren! Aber eigentlich lagen wir einfach nur daneben, der Titel hätte zu der Zeit eigentlich „6.9 billion people all alive at once“ lauten sollen. Aber ich glaube, die Botschaft, die wir transportieren wollen, kommt trotzdem rüber. Besonders mit dem Gesang ... Es ist das einzige Stück des Albums mit Gesang. Und dafür haben wir den Gesang vieler Leute viele Male aufgenommen. Ich glaube, es ist sogar mein Lieblingsstück auf dem Album.

Wenn ihr in den letzten zwei Jahren nicht gerade im Studio gewesen seid, habt ihr die halbe Welt mit mehrwöchigen, fast pausenlosen Touren beglückt. Ihr habt in den USA, Großbritannien, 17 europäischen Länder und Russland gespielt – ich kann mir vorstellen, dass Einblick in diese verschiedenen Kulturen einiges an Erfahrung mit sich bringt.

Chris: Die Russlandtour im Januar war wirklich großartig und hat uns definitiv geprägt. Wir hatten im Vorfeld ziemlich viele Vorurteile, wir dachten, es würde wirklich gruselig und gefährlich werden. Und dann sind wir dorthin gekommen und wurden von den nettesten und gastfreundlichsten Menschen empfangen, die wir je auf einer Tour getroffen haben. Das hat wirklich unsere Sichtweise verändert. Jeder war überrascht und hat es wirklich geliebt, dort unterwegs zu sein.

Rory: Als Band aus Europa, den USA, Irland oder Großbritannien sieht man es mittlerweile als selbstverständlich an, einfach in eine wildfremde Stadt zu kommen und dort eine Show zu spielen, mit allem was dazugehört – professionelle Locations, PA-Systeme, Mischpulte, Lichttechnik, ein Netzwerk mit Menschen, die das alles organisieren ... Sobald wir außerhalb von Moskau oder St. Petersburg waren, nach Osten gefahren sind, hat es diese grundlegenden Dinge einfach nicht mehr gegeben. Alles, was es dort gab, war ein unglaublich leidenschaftliches, komplett ursprüngliches Netzwerk aus Jugendlichen, das uns total an unsere eigene Jugend erinnert hat. Das waren einfach Kids, die genau das getan haben, was sie instinktiv tun wollten. Sie haben zwar nicht im Geringsten die Möglichkeiten, die sich uns in Europa und den USA bieten, aber das hält sie nicht davon ab, trotzdem das zu tun, was sie am liebsten tun, und ihre Shows zu organisieren. In Russland zu spielen hat sich so angefühlt, wie ich glaube, dass es in den Siebzigern in den USA gewesen sein muss. In der Ära, über die wir so viel hören und die wir alle so in Ehren halten. Von all diesen Veranstaltungen im Osten Russlands wusste wahrscheinlich niemand, der nicht Teil dieser komplett selbst organisierten Szene war. Es ist wie ein Filtersystem, weil die Typen, die auf den Shows sind, diejenigen sind, denen es wert ist, aktiv danach zu suchen. Das war einfach inspirierend für uns.

Auf der gesamten Welt finden zurzeit Massenproteste, Generalstreiks und Platzbesetzungen statt. Den Song „These riots are just the beginning“ habt ihr zwar schon vor über drei Jahren geschrieben, trotzdem ist der Titel aktueller denn je. Glaubt ihr, dass diese Proteste erst den Anfang einer viel größeren Bewegung darstellen?

Rory: Das ist für uns schwer zu sagen. Man kann auf alle Fälle überall auf der Welt eine gewisse Frustration spüren. Und es ist etwas komisch für uns, weil wir durch das konstante Touren überall immer nur Schnipsel der jeweiligen Situation aufnehmen können. Es fragen uns immer wieder Leute, ob wir uns an den Besetzungen und Protesten beteiligen. Die Wahrheit ist, dass wir uns einfach in diesem sehr intensiven Lebensrhythmus befinden, der daraus besteht, im Bus zu sitzen und zu touren. Die Proteste sind zwar etwas, das wir aus ganzem Herzen unterstützen, aber es ist sehr schwer für uns, einen Eindruck davon zu bekommen, wie die Lage in den einzelnen Städten aussieht – sogar in Belfast –, weil wir nie lange genug irgendwo sind. Aber man kann definitiv überall ein starkes Gefühl des Unmutes spüren. Die Leute sind wütend, und das ist etwas Gutes, es ist großartig! Wir sind in den Neunzigern aufgewachsen, was an sich die gute Zeit war. Wir hatten Glück, glaube ich.

Johnny: Na ja, du bist in den Neunzigern aufgewachsen. Ich war ein Kind der Achtziger. Ich bin in der Thatcher-Ära groß geworden, und Dinge wie die Poll Tax Riots sind mir im Gedächtnis haften geblieben. Jeder war wütend damals. Es wurde ein großer Teil der Industrie und der Kohlebergwerke still gelegt, es ist ein Ding nach dem anderen passiert in England, das waren immer die Hauptneuigkeiten. Und die regionalen Nachrichten für uns in Irland lauteten dann: „14 Menschen bei einer Bombenexplosion getötet“. Aber ich glaube trotzdem, dass wir vergleichsweise glücklich waren, weil wir doch nicht direkt davon betroffen waren. Wir lebten in gewisser Weise sehr behütet, denke ich.

Rory: Aber gerade in Zeiten wie den Achtzigern, in denen einfach alles den Bach runtergeht, gibt es einen verdammt bemerkenswerten Output an unglaublicher Musik, Literatur und Kunst. Die Menschen sind vereint in diesem kollektiven Unmut, sind aufgebracht, sind wütend. In solchen Zeiten brauchen Leute einfach Musik, in der diese starken Emotionen aufgefangen werden. Andererseits ist es natürlich auch schwierig, weil niemand das Geld hat, um Platten oder CDs zu kaufen. Aber trotzdem kommen die Leute zu den Konzerten, und das ist etwas Unglaubliches. Unser Alltag dreht sich ausschließlich darum, jeden Abend Musik zu machen. Und in dieser einen Stunde entsteht ein unbeschreibliches Gefühl von Einigkeit zwischen den Leuten. Alle geben sich gemeinsam der Musik hin, scheißegal, was in ihrem Privatleben gerade los ist. Und ich glaube, das ist der Antrieb, der uns immer weitermachen lässt: dass die Leute immer noch diesen Ausgang brauchen, den wir ihnen bieten.

Habt ihr trotzdem nie den Wunsch verspürt, diese Gedanken in Songtexte zu packen und all den Menschen überall auf der Welt auf euren Shows mitzugeben?

Johnny: Wir treffen immer wieder verschiedenste Menschen auf unseren Shows, die sich mit uns über Lieder wie „7 billion people all alive at once“ oder „The voiceless“ unterhalten. Und gerade weil wir ihnen nicht mehr als den Songtitel geben, hat jeder Einzelne eine andere Geschichte, die er mit diesen Stücken verbindet. Ich glaube, wenn wir Texte hätten, wäre das bloß die Meinung einer einzelnen Person zu irgendeinem Thema, und die Leute würden das eben „cool“ finden, ohne selbst viel darüber nachzudenken. Auf diesem Weg hingegen bekommen wir die ganz persönlichen und unverfälschten Ansichten der Leute zu hören. Und ab und zu findet man sich dann in einem Gespräch wieder und jemand meint: Dieser Titel bedeutet definitiv das und das! Und man selbst ist komplett verblüfft. Ich finde, das ist etwas Wunderschönes.

Ihr habt eben erzählt, dass Joe Strummer einen eurer Songtitel inspiriert hat. In einem anderen Interview habt ihr gesagt, ihr werdet lieber mit THE CLASH verglichen als mit MOGWAI, auch wenn die eine der bedeutendsten Instrumental-Bands derzeit sind.

Johnny: Das hat weniger mit einem musikalischen Genre zu tun, sondern damit, wie wir über gewisse Dinge denken. Seit es die Band gibt, war unsere Musik immer rein instrumental, also haben uns die Leute einfach so eingeordnet. Es liegt in der Natur des Menschen, dass immer alles in irgendeine Kategorie passen muss. Dabei hatten wir nie die Absicht, wie irgendeine dieser anderen Bands zu klingen. Manchmal kommen Leute zu uns, die sagen, wir klängen wie diese oder jene Gruppe, von der wir noch nie gehört haben. Wie Rory vorhin gesagt hat, hatten wir selbst diese Punkrock-Attitüde, als wir aufgewachsen sind. Wir waren zu jung, um in bestimmte Konzerte reinzukommen, deswegen haben wir einfach unsere eigenen organisiert. Und das ist dem verdammt ähnlich, was die Typen damals in den Siebzigern und Achtzigern gemacht haben. Und ich glaube, dass es für viele Menschen leichter ist, gewisse musikalische Geschmäcker mit diesen Punkrock-Haltung zu verbinden als mit instrumentalen Post-Rock, oder wie auch immer du es nennen willst. Ich betrachte Punk auch weniger als musikalisches Genre, sondern als eine Lebenseinstellung. Heutzutage ist es um einiges mehr Punkrock, komplexe und virtuose Musik zu schreiben und etwas komplett Neues zu kreieren, als in einer Drei-Akkorde-Band Lieder über Bier zu singen.

Rory: Ganz genau! Als wir aufgewachsen sind, haben wir uns nie Gedanken über „Punkrock“ oder all dieses Zeug gemacht. Erst in den letzten zehn Jahren haben wir wirklich gesehen, was damals auf der ganzen Welt passiert ist. All das, was im Namen der Punk-Bewegung in New York passiert ist, war in einem kleineren Maßstab genau dasselbe, wie es sich für uns angefühlt hat, als wir aufgewachsen sind. Und wir konnten und können uns immer noch mit diesen Leuten identifizieren, mit dem, was sie gesagt haben, und mit ihrem Kampf dafür, etwas komplett anderes zu machen. Es kümmert uns relativ wenig, wenn Leute uns vergleichen oder kategorisieren, denn Johnny hat Recht, das ist die Natur des Menschen. Aber sobald du dich selbst definierst, sobald du sagst: das ist es, was wir sind, schiebst du deiner eigenen Weiterentwicklung einen Riegel vor. Ein guter Freund von uns, Vinny von ADEBISI SHANK, hat das mal schön auf den Punkt gebracht: „Es gibt nur zwei Arten von Musik: gute Musik und schlechte Musik.“ Das ist also etwas total Subjektives, das ist eine Entscheidung, die du komplett alleine treffen musst. Und wir wissen, dass wir niemals für alle Leute gute Musik machen werden. Als einer Gruppe zugehörig fühlen wir uns nur bei Leuten, die unsere Gedanken teilen. Es gibt Bands, die wir treffen, und nach ein paar Sätzen wissen wir: das sind unsere Leute. Sie mögen vielleicht in einer Blues-Band spielen oder in einer komplett verrückten World-Music-Kapelle – vielleicht machen sie Deathcore oder was auch immer. Aber sie können trotzdem Teil dieser weltweiten Gemeinschaft sein, von Menschen, die einfach das Beste geben, um Dinge voranzutreiben, und die einfach aus ihrem Herz heraus Musik schreiben. Und das ist es, was wir als Punkrock verstehen, denn genau das ist es, worüber wir in unserer Jugend gestolpert sind und worin wir glücklicherweise hängengeblieben sind. Und ja, Leute werden immer probieren, die Dinge zu kategorisieren, aber uns geht es einfach nur darum, gute und ehrliche Musik zu machen.