Die aktuellen Geschehnisse in Amerika hätten ein Grund sein können, warum sich Wesley Eisold mit AMERICAN NIGHTMARE nach mehr als 14 Jahren ausgerechnet mit einem selbstbetitelten Album zurückmelden würde. Die Namensstreitigkeiten, die zur zeitweisen Umbenennung in GIVE UP THE GHOST geführt hatten, sind beendet und das Publikum dürstet nach neuen Hardcore-Songs, wie sie auch zwischen 1998 und 2004 so gut funktioniert haben. Der wahre Anlass für eine neue Platte der Bostoner ist jedoch derselbe und sehr traurige wie immer: Eisold verarbeitet in den neun Songs seine starken Depressionen und Ängste. Dass ihm das jedoch überhaupt nicht hilft, erklärt er im Interview.
Lass uns mit einem Zitat von dir beginnen, das aus einem Ox-Interview im Jahr 2001 stammt: „AMERICAN NIGHTMARE [wird es in zehn Jahren] auf jeden Fall nicht mehr [geben]. Ich möchte das hier solange tun, wie es geht, aber ich möchte nicht in einer ausgelutschten und lustlosen Band spielen. Wenn die Band nicht mehr das tut, was sie tun sollte, ist für mich Schluss.“ Nun sprechen wir mehr als 15 Jahre später wieder über AMERICAN NIGHTMARE.
So gesehen sind die zehn Jahre, von denen ich damals gesprochen habe, ja noch nicht vorbei. Wir haben uns 2004 aufgelöst, was dazu führte, dass ich fast zehn Jahre andere Musik machen konnte. Der Grund damals war, dass ich erschöpft war. Von der Band, vom Leben. Ich hielt es damals für nötig, da ich in dem aktuellen Zustand nicht weitermachen konnte. Sobald dieses Gefühl wieder hochkommen sollte, werde ich denselben Schritt noch mal tun.
Ist es Zufall, dass euer selbstbetiteltes Album zwanzig Jahre nach der AMERICAN NIGHTMARE-Bandgründung veröffentlicht wird?
Sicher ist auf jeden Fall, dass alles so nicht geplant war. Es gab definitiv keinen Masterplan oder ähnliches – im Gegenteil. Um ehrlich zu sein, fühlt es sich auch nicht richtig wie ein Erfolg an. Zumindest klopfen wir uns nicht gegenseitig auf die Schulter oder beglückwünschen uns. Wir mussten einfach neue Songs schreiben. Es war wichtig für uns – vor allem für mich. Mit AMERICAN NIGHTMARE und den anderen Bands, in denen ich mitmachte, hatte ich eine Art Vehikel, um mich mit mir selbst zu beschäftigen und meine Gefühle auszudrücken. Dabei bin ich vor allem denen sehr dankbar, die meine Musik über all die Jahre mitverfolgt haben. Diese Leute haben einen sehr persönlichen Einblick in mein Gefühlsleben bekommen, was dazu führt, dass zwischen uns eine sehr enge Verbindung besteht. „American Nightmare“ ist ein Zeichen meiner Anerkennung diesen Leuten gegenüber und beweist, dass die Dinge, die wir angesprochen haben, noch immer von Bedeutung sind; egal was in deinem Leben und um dich herum passiert.
Was meinst du damit genau?
Egal welche Veränderung deiner Lebensumstände eingetreten ist, ob du dich vielleicht verliebt hast, einen neuen tollen Job hast, ob du arbeitslos bist oder ob es deiner Familie gut geht, unsere Songs bieten eine Art Existenzhilfe für die Menschen, die sich unvollständig, missverstanden oder depressiv fühlen. Dieser Zustand ändert sich nicht einfach so, nur weil sich Dinge in deinem Leben ändern. Ich glaube, dass viele Leute, die meine Musik verfolgen, dies auch mit mir gemein haben. Viele Menschen, die ich über all die Jahre kennen lernen durfte, sind an den Depressionen zugrunde gegangen, haben sie nicht überlebt. „American Nightmare“ ist für die Leute, die diese Gefühle durchleben und in die Richtung tendieren. Wir hätten die Songs schon vor Jahren schreiben können. Es fühlte sich aber richtig an, sich erst jetzt mit ihnen auseinanderzusetzen.
Der Song „Dream“ besteht im Grunde nur aus der Zeile „All my life I’ve dreamed about death“. Auch die Texte der anderen acht Songs des Albums klingen besorgniserregend depressiv. Wie reagieren die anderen Mitglieder von AMERICAN NIGHTMARE darauf, wenn du ihnen solche Texte oder Textpassagen vorstellst? Bieten sie dir irgendwelche Hilfe an?
Nein, aber so war es bei uns schon immer. Niemand aus der Band hat mit mir je über meine Lyrics gesprochen. Ich gehe einfach davon aus, dass sie sich irgendwie damit identifizieren können. Man muss dabei bedenken, dass ich diese Jungs schon eine Ewigkeit kenne und dass es eine Art freundschaftliche Verbindung zwischen uns gibt, in der nicht immer alles aus- oder angesprochen werden muss. Sie gehen davon aus, dass ich mit den Dingen klarkomme, die mich beschäftigen. Ihre Unterstützung ist eher physischer Art: Sie sind einfach da. Sie helfen mir dabei, die Songs zu performen und so zumindest kurz eine Art Katharsis oder Exorzismus zu erreichen – wann immer wir auf einer Bühne stehen, dort zusammenspielen und schwitzen. Wahrscheinlich ist das auch ihre Art, mir zu zeigen, dass sie mich unterstützen, und dass sie für mich da sind.
Ist es wirklich eine Katharsis für dich, wenn du AMERICAN NIGHTMARE-Songs live spielst? Schließlich musst du dich so auch regelmäßig mit deinen Depressionen auseinandersetzen.
Ja und nein! Es ist nicht so, dass ich mir nach einer Show denke, dass ich meine Gefühle überwunden habe, oder dass ich meine Dämonen besiegt habe. Andererseits fühlt es sich schon wie eine körperliche Erleichterung an, wenn ich mich während unserer Konzerte mit meinen Ängsten auseinandersetzen musste. Es ist nie entweder nur schwarz oder nur weiß, wenn du verstehst, was ich meine. Die wichtigste Erfahrung, die ich von unseren Konzerten mitnehme, ist, das Gefühl zu haben, dass ich nicht allein bin mit dem, was ich empfinde. Und wenn es nur für ein paar Minuten ist. Wenn ich es erst mal geschafft habe, meine Gedanken zu artikulieren, bedeutet es mir sehr viel, sie mit anderen zu teilen, denen es vielleicht ähnlich geht. Das führt zwar nicht dazu, dass ich mich grundsätzlich besser fühle. Für ein paar Momente geht es mir dann jedoch gut.
Wie ist es grundsätzlich für dich, wenn du Interviews geben musst, in denen du jedes Mal konkret nach deinen Depressionen gefragt wirst?
Das ist tatsächlich nicht so einfach für mich. Ich gebe aber eigentlich auch gar nicht so viele Interviews. Vor allem habe ich in den letzten Jahren kaum Interviews bezüglich AMERICAN NIGHTMARE gegeben. Wahrscheinlich werde ich mich erst mal darauf einlassen und dann schauen, wie es sich nach dem zigsten Interview anfühlt, über meine Lyrics zu sprechen und jemandem meine Gefühle zu beschreiben. Auf jeden Fall ist es wie ein Ausnüchterungsprozess nach langer Sucht, über die Band und die neuen Aufnahmen zu sprechen.
Nach dem ganzen Hickhack um euren Bandnamen und der Umbenennung in GIVE UP THE GHOST veröffentlicht ihr jetzt endlich wieder ein Album unter eurem eigentlichen Bandnamen. Welche Bedeutung hat die Bezeichnung AMERICAN NIGHTMARE für dich?
Für mich war es eine sehr seltsame Situation, als wir unseren Namen ändern mussten, da er für mich immer mehr war als nur ein paar aneinandergereihte Silben. AMERICAN NIGHTMARE war immer etwas Bedeutsames und Kraftvolles für mich. Nach den ganzen juristischen Schritten und dem ganzen Hin und Her war es uns wichtig, die neuen Songs nicht unter dem Namen GIVE UP THE GHOST, sondern unter unserem richtigen Namen zu veröffentlichen. Vor allem, weil ich persönlich mit dem Namen GIVE UP THE GHOST so etwas wie das Ende der Band verbinde. Als wir mit AMERICAN NIGHTMARE starteten, war da eine unbekümmerte Aggressivität, eine Wut, die sich aber über die Jahre in Routine umwandelte. Das war sehr schade, da der Name für mich so etwas wie eine eigene Identität darstellte. Dabei ging es nie darum, mit AMERICAN NIGHTMARE einen politischen Standpunkt zu vertreten. Im Gegenteil, es ging immer um etwas Autobiografisches, um etwas, das ich durchlebt habe und immer noch durchlebe.
Welchen Einfluss hatte der sich tatsächlich abspielende amerikanische Alptraum in Form des politischen Rechtsrucks und der Präsidentschaft eines Psychopathen wie Trump auf dich als Person und als Sprachrohr einer Hardcore-Band?
Es ist unmöglich, die Veränderung in unserer Gesellschaft zu ignorieren und von der momentanen Entwicklung unbeeindruckt zu sein. Für mich wiederholt sich auch ein wenig das, was ich schon während der Amtszeit von George Bush durchlebt habe. Damals war ich gerade 21 Jahre alt und habe grundsätzlich erst mal einen Scheiß auf alles gegeben. Die Einschnitte in den Alltag sind jedoch so gravierend, dass man das Ganze gar nicht mehr ignorieren kann, ob man es will oder nicht. Jetzt ist sogar ein neues Level an Absurditäten erreicht, das wieder Anlass gibt, die Stimme zu erheben und gegen den Hass und die Ignoranz zu rebellieren, die sich breitzumachen droht. Aber, um das noch mal festzuhalten: AMERICAN NIGHTMARE waren immer eine Band, der es darum ging, das eigene Innere und Gefühle zu beschreiben. Wir haben uns in unserer Musik weniger damit beschäftigt, was gesellschaftlich passiert. Doch wenn so etwas wie eine weltweite Panik vorherrscht, betrifft das auch mich persönlich. Alles hängt miteinander zusammen. Das hat natürlich auch Einfluss auf mich und damit auch auf unsere Songs.
Dann lass uns doch direkt über die neuen Songs auf „American Nightmare“ sprechen. Gibt es eine Verbindung zwischen „Lower than life“ und „Colder than death“, von der man wissen muss?
Ja, die gibt es definitiv. Sie sind nicht zufällig so auf dem Album platziert, dass sie aufeinanderfolgen. Ich würde es aber lieber den Hörern überlassen, sich ihre eigenen Gedanken zu den Songs zu machen.
Der Song „Dream“ wirkt für mich als Außenstehenden sehr beängstigend. Auch musikalisch hebt er sich von den anderen ab. Kannst du dein Gefühl während der Aufnahmen beschreiben?
„Dream“ war der letzte Song, den wir für diese Platte aufgenommen haben. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas fehlen würde, dass nach dem ganzen Auf und Ab in der Beschreibung meiner Depressionen, die Sache einmal metaphorisch ehrlich und direkt zusammenfasst. Es beschreibt für mich den Zustand und die Gedanken, die damit einhergehen, wenn man mit Depressionen leben muss. Es ist so was wie ein Fazit, das ich über all die Jahre in der Band noch nie artikuliert habe.
Hatte es irgendeinen reinigenden Effekt auf dich, diese Worte aufzuschreiben und dann schlussendlich auch aufzunehmen?
Ich denke schon, ja. Vor allem, weil ich die ganze Zeit während der Aufnahmen das Gefühl hatte, dass noch etwas fehlen würde. Ich dachte, dass noch etwas passieren muss, und dass es vor allem jetzt, in diesem Moment stattfinden muss. Wir befanden uns am Ende der Aufnahmesession für „Dream“ und ich weiß noch, dass ich danach gar keine Stimme mehr hatte. Irgendwie hatte das eine beruhigende und befriedigende Wirkung auf mich, zumindest für den Moment.
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