Die Schweden fallen seit jeher mit einem breit aufgesetzten, unterhaltsamen und poppig zugespitzten Modern Metal auf. Das neue Album von AMARANTHE ist etwas straffer und härter adressiert, doch am Hymnenwert und Ohrwurmfaktor der zwölf Tracks ändert das nichts.
Das ist mehr oder weniger genau das, was wir vor Jahren, als wir an den ersten Songs für AMARANTHE arbeiteten, erreichen wollten“, erwidert Olof Mörck (auch DRAGONLAND und ex-NIGHTRAGE), auf den aufgeschlossenen und zugänglichen Ansatz der Gruppe angesprochen. „Viele Bands starten, weil die Mitglieder eine gemeinsame Lieblingsband haben, die sie dann nachahmen. Doch wir wollten etwas Neues und Frisches auf die Beine stellen. Seither ist es unser Anspruch, uns mit jedem Album ein Stück weit zu erneuern. Dabei folgen wir natürlich einem Kernsound, den wir ebenfalls erhalten wollen.“ Der Bandgründer und Komponist erinnert sich an das Herantasten an den heutigen Trademarksound: „Anfangs stand für uns im Fokus, in der überfüllten Metal-Szene unseren eigenen Weg zu finden und für jeden Einfluss und Stil offen zu bleiben. Kreativität, Leidenschaft und Enthusiasmus haben wir in den Vordergrund gestellt und unser Bestes versucht, unsere Musik nicht zu überdenken. Sie sollte so frei wie möglich sein. Von diesen Zielen haben wir uns bis heute nicht entfernt. Natürlich haben wir das Glück, dass auch andere Menschen unsere einzigartige Mischung von Stilen ansprechend finden und zu schätzen wissen.“ Der Gitarrist und Keyboarder trägt daran entscheidenden Anteil: „Unsere Sängerin Elize und ich haben die Musik für alle Alben gemeinsam komponiert“, so Olof. „Dabei haben wir immer sehr viele Ideen ausprobiert. Anfangs versuchten wir es absichtlich nie, die Lieder in eine bestimmte Richtung zu zwingen, sondern probierten unsere Ideen aus und schauten, in welche allgemeine Richtung die Dinge sich entwickeln. ‚Manifest‘ wollten wir dieses Mal aber schon bewusst härter anlegen und absichtlich ein ‚Metal-Album‘ machen. Wir haben alle traditionellen AMARANTHE-Aspekte beibehalten, jedoch einen Sound erschaffen, der grooviger und organischer ausfällt, weil er sich für uns zu diesem Zeitpunkt richtig anfühlt. Im Herzen sind wir nun einmal eine Metalband. Es war uns wichtig, das mit diesem Album noch deutlicher zu unterstreichen.“
Dass sich die Wahrnehmung von Veröffentlichungen unterscheidet, liegt für den Schweden aber auch in der Natur der Sache: „Jedes Genre und jeder ‚neue‘ Stil ist immer eine Weiterentwicklung bereits existierender“, zeigt sich der Musiker überzeugt. „Im Nachhinein dauert es allenfalls etwas, bis man merkt, dass eine Entwicklung stattgefunden hat. Aus musiktheoretischer Sicht ist der 300 Jahre alte Kanon von Johann Pachelbel in seiner Harmonik mit der modernen Musik mehr oder weniger identisch. Wenn man es genau betrachtet, betreffen die meisten Veränderungen in der modernen Musik eher den Klang und die Produktion sowie die Kombinationen verschiedener Genres. Hört man sich Metal-Alben aus dem Jahr 2005 an, klingen sie doch anders als die aktuellen, weil damals andere Sub-Genres und Stile dominiert haben. In unseren Liedern versuchen wir ständig, die Messlatte für das, was im Metal möglich ist, höher zu legen, und freuen uns, einen kleinen Teil zu seiner Weiterentwicklung beizutragen.“ Als Beleg hebt der Komponist einige Stücke von „Manifest“ hervor: „Ein Song wie ‚Scream my name‘ kombiniert EDM-Keyboards mit aggressiv gesungenen Pop-Gesangslinien und sehr schweren, rhythmischen Gitarren. Wenn man so etwas mit Worten beschreibt, würden die Leute es sich wohl nicht vorstellen können und mich vielleicht für verrückt halten. Doch diese Verbindung funktioniert bei uns perfekt. Natürlich haben wir auch wieder versucht, einige neue Elemente mit aufzunehmen, wie beispielsweise klassisch klingende Kirchenorgeln bei ‚Archangel‘ oder massiv heruntergestimmte Djent-Riffs bei ‚Boom!‘. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man sich nicht zu bequem einrichtet oder sich selbst im Wege steht.“ Auf diese Art und Weise halten AMARANTHE die Dinge für sich und ihr Publikum spannend: „Hörer sollten von uns immer das Unerwartete erwarten“, bekräftigt Olof. „Bewahrt euch einen freien Geist und seid bereit, euch unterhalten zu lassen! Während wir unserer Musik relevante, nachdenkliche und manchmal sogar herausfordernde Texte an die Seite stellen, ist es uns auch wichtig, dass die Musik Spaß verbreitet. Wir verstehen unser Handwerk ein bisschen wie das eines Vergnügungspark-Betreibers. ‚Manifest‘ ist mit zwölf ganz unterschiedlichen ‚Fahrgeschäften‘ ausgestattet. Sie alle sind aufregend und halten jeweils eine unterschiedliche Atmosphäre und Geschwindigkeit bereit.“
Um das zu erreichen, nehmen sich die Metaller individuell bewusst zurück: „Das Songwriting ist anders als das für andere Gruppen“, stellt der Schwede klar. „Meine Gitarrensoli tendieren zum Beispiel dazu, kürzer auszufallen und sind nicht in allen Liedern zu finden. Natürlich wäre es mir ein Leichtes, jedes Lied mit langen Gitarrensoli zu füllen. Im Kontext von AMARANTHE versuche ich aber tatsächlich, dem zu folgen, was das Lied selbst diktiert, um seinen Fluss nicht zu stören. Unser Schlagzeuger Morten (Morten Løwe Sørensen, auch MERCENARY, KOLDBORN und THE CLEANSING) hält sich die meiste Zeit über ebenfalls zurück, anstatt sprichwörtlich draufzuhauen – aus demselben Grund. Ich glaube nicht, dass es für einen Musiker schwierig oder gar schlecht ist, weniger zu spielen. Denn so kann er seinen Groove und seine Seele entdecken, anstatt nur seine exzellente Technik zu zeigen. Von Tag eins an wollten wir energiegeladene und erhebende Musik spielen. Bei dieser Band ging es nie um Subtilität oder eine depressive Atmosphäre. Es gab und gibt bereits tausend Metalbands, die das tun, und einige von ihnen wirklich gut, weshalb wir mit AMARANTHE eine Pause vom tristen Alltag oder eine Befreiung von emotionaler Bedrängnis erreichen möchten Es sollte aber nicht bei einer Glasur mit Zuckerguss bleiben. Auch die Schwere unserer Songs hilft uns dabei, Kraft und Emotionen zu vermitteln. Der Metal ist von Natur aus hochgradig emotional und passt deshalb perfekt als Gefäß, um unsere musikalischen Ideen zu transportieren.“
© by Fuze - Ausgabe #84 Oktober/November 2020 und Arne Kupetz
© by Fuze - Ausgabe #84 Oktober/November 2020 und Arne Kupetz