ALLT

Foto© by Marvin Ruppert

Progressive Dystopie

Kriege, Atomwaffen, Klimakrise, Pandemien ... Ist eine technisch hochentwickelte Zivilisation dazu verdammt, sich selbst zu zerstören? Und wie sähe eine Welt nach der Apokalypse aus? Dieser Frage widmen sich die Schweden ALLT auf ihrem Debütalbum „From The New World“. Mit Olle Nordström (gt) sprechen wir über das dystopische Konzept, außerirdisches Leben und den progressiven Sound seiner Band.

Eure Platte befasst sich mit der Welt nach einem nuklearen Desaster. Dahinter steckt eine Theorie aus dem Fermi-Paradoxon: Intelligente Lebensformen löschen sich unweigerlich selbst aus, was ein Grund dafür sein könnte, dass man bis heute nicht auf außerirdisches Leben gestoßen ist. Woher stammt das Interesse an diesem Thema?

Ich interessiere mich sehr für postapokalyptische Literatur. Mit Blick auf die Lage unserer Welt hielten wir es für passend, das Thema für ein Konzeptalbum zu nutzen und dieses fiktive Szenario auszugestalten. Besonders wichtig ist uns aber, dass der Sound einwandfrei zu den Inhalten passt. Als wir mit sehr dynamischem Sound-Designs experimentiert haben, fügte sich plötzlich alles zusammen. Zum Intro „A flash of light“ etwa haben mich Berichte von Atomveteranen inspiriert, wie es ihr Leben beeinflusst hat, dass sie Mitte des 20. Jahrhunderts Atomwaffentests ausgesetzt waren.

Und welches Buch kannst du empfehlen?
„The Three Body Problem“ von Liu Cixin. Es handelt vom Fermi-Paradoxon und von Physikern, die nach außerirdischem Leben suchen. Dazu senden sie Nachrichten ins All – ohne zu wissen, auf was oder wen sie treffen könnten. Ich wollte Aspekte davon unbedingt in Musik übersetzen, beispielsweise die Radiowellen, mit denen Nachrichten übermittelt werden.

Glaubst du an außerirdisches Leben?
Ich fände sehr merkwürdig, wenn wir bei der unbegreiflichen Anzahl von Sternen und Planeten die Einzigen wären. Vielleicht sind wir die Ersten oder auf einer anderen Wellenlänge, aber ich möchte glauben, dass wir nicht allein sind.

Und wie blickst du aktuell auf unsere Welt?
Vielleicht eine unpopuläre Meinung, aber ich glaube fest daran, dass unsere Welt ein wunderschöner Ort ist und die meisten Menschen im Herzen gut sind. Wenn man all das Unheil sieht, tappt man schnell in die Falle zu glauben, dass alles zugrunde geht. Ich erwische mich auch manchmal dabei. Dieses Mindset und die Emotionen überführe ich dann in Musik – und finde große Erleichterung darin. Durch diese intensive, abstrakte Auseinandersetzung damit gewinne ich etwas Abstand.

Sollte es zu einem Kollaps kommen, was würde die Menschheit daraus lernen?
Ich hoffe, wir würden lernen, wie wichtig echte menschliche Verbindungen sind. Heute verliert man so leicht den richtigen Kontakt zueinander und vergisst, wie wichtig Vertrauen, Freundschaft und gegenseitige Unterstützung sind. In einem postapokalyptischen Szenario, möglicherweise einem nuklearen Winter, wenn es keine Nahrung gibt, wäre das aber überlebensnotwendig. Ich hoffe, wir würden uns in so einer Situation allen Unterschieden zum Trotz umeinander kümmern.

Mit eurem Band-Account bei Instagram folgt ihr der NASA ...
Ja! Als Kind wollte ich Astronaut werden, wie so viele. Bis heute fasziniert mich alles, was mit dem Universum und der Unendlichkeit zu tun hat. Vor allem das James-Webb-Teleskop. Dass man so tief ins Weltall schauen kann ... Eine riesige Inspirationsquelle!

Euer Sound ist komplex, viel Layering, starke Kontraste. Wie geht ihr ans Songwriting heran und welche Rolle spielt Sound-Design?
Oft beginnt es mit einem Riff, aber manchmal eben auch mit Sound-Design. Wenn wir beispielsweise darüber nachdenken, wie Radioaktivität klingen könnte. Es gibt stets eine Sound-Idee bevor die Inhalte entstehen. Wir können ganz schön chaotisch sein, versuchen deshalb regelmäßig herauszuzoomen und zu schauen, ob wir Dinge, die wir schon mal verwendet haben, neu auflegen und abwandeln können. Wir lieben es, nicht nur textlich, sondern auch musikalisches Storytelling zu betreiben.

Ihr nutzt auch mehr Pitch-Shifting und -Automation.
Stimmt, das eröffnet ganz neue Welten. Aber wir versuchen, es nicht zu übertreiben. Man wird leicht dazu verleitet. Ich will es nicht Schummeln nennen, aber wenn du dir jeden Ton zurechtlegen kannst, wird die Gitarre zu einem ganz anderen Instrument. Uns ist die Balance wichtig. Aber wir sind definitiv im „Whammy“-Mindset angekommen und nutzen jetzt auch live Pitch-Automation.

Einfluss darauf hatte vermutlich euer Produzent Buster Odeholm, der auch ins Songwriting involviert ist. Wie läuft die Zusammenarbeit? Er kann sehr direktes Feedback geben.
Ja. Wir arbeiten sehr produktiv zusammen, schon ein gemeinsames Wochenende führt zu reichlich Ideen für Sounds und Arrangements. Und ja, er ist sehr geradeheraus. Das schätze ich zwar, aber es ist brutal, wenn wir ein, zwei Jahre an einem Song gearbeitet haben und er sagt: „Die Hälfte ist Mist, verwerft das.“ Wir haben in der Band auch selbst eine sehr konstruktive Feedbackkultur, jeder muss seine Meinung sagen dürfen. Wir legen unsere Egos beiseite und bei Differenzen entscheiden wir demokratisch. Darauf bin ich stolz. Richtig herausfordernd war beispielsweise das Vocal-Arrangement für „Aquila“, da gab es fünf oder sechs Versionen. Wir überdenken viel und das kann uns ins Straucheln bringen. Wir sind unsere größten Kritiker. Aber wenn wir alles mehrfach durchdacht haben, können wir uns des Ergebnisses sicher sein. Das ist positiv.

Ihr achtet auch sehr aufs Visuelle. Ist euch lieber, man schaut einen neuen Song mit Musikvideo an, statt ihn sich lediglich anzuhören?
Oh ja! Unsere Visuals spiegeln immer den Sound und die Message wider. Wir arbeiten eng mit der Filmproduktion Riivata zusammen. Sie verstehen selbst unsere verrücktesten Ideen und setzten sie großartig um. Manchmal sprechen wir mit ihnen schon, bevor ein Song final ist, um schlussendlich ein stimmiges Gesamtpaket zu erzeugen.