ALKALINE TRIO

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Crimson love

Mit „Crimson“ legten ALKALINE TRIO im Mai ihr fünftes, erneut hervorragendes Album vor. Das Trio geht auf „Crimson“ einen Schritt weiter als auf dem Vorgänger „Good Mourning“ und vereint den für die Band typischen melancholisch-düsteren Punkrock mit Elementen, die man von der Band nicht unbedingt erwartet hätte. So hört man viele Streicher- und Piano-Einsätze, einige technische Spielereien und bei „Burn“, einem der besten Songs des Albums, sogar einen Industrial-Einfluss. Dieser musikalischen Entwicklung steht aber nicht im Weg, dass „Crimson“ unmissverständlich die Handschrift der Herren Matt Skiba (Gitarre, Gesang), Dan Andriano (Bass, Gesang) und Derek Grant (Drums) trägt. Denn ihre Melancholie, ihren Tiefgang und ihren Sinn für tolle Ohrwürmer haben sie beibehalten, alles um eine große Schar Songideen erweitert, so dass „Crimson“ schon jetzt eines meiner Lieblingsalben 2005 ist. Selbstverständlich war daher, dass die Band an ihrem Hamburger Promotag zum Interview aufgesucht wurde.

Jungs, ihr seht etwas müde aus – wie haben eure letzten Tage ausgesehen?

Dan:
„Wir haben haufenweise Interviews gegeben, vor vier Tagen kamen wir in London an, gaben fortan Interviews und haben Fotoshootings gemacht. Bevor wir gestern nach Paris flogen, spielten wir noch eine Akustikshow in einer Londoner Bar. Nachdem wir schließlich die Promo in Paris erledigt hatten, flogen wir zurück nach London, von wo aus wir heute Morgen nach Hamburg flogen.“

Eine Akustikshow?

Dan: „Ja, sie lief ziemlich gut und hat uns eine Menge Spaß gemacht. Was eine solche Show für mich besonders macht ist, dass sie ganz anders ist als eine reguläre ALKALINE TRIO-Show, für uns wie für das Publikum. Für uns stellt eine Akustikshow eine Art Experiment dar, bei dem wir ausloten, wie gut wir unsere Songs in eine ruhige, intime Atmosphäre übertragen können. Dabei steht der Kontakt, den wir mit dem Publikum haben, im Vordergrund, so dass auch die Fans etwas Besonderes erleben. Ob wir die Songs dabei perfekt spielen oder nicht, spielt eine untergeordnete Rolle.“
Derek: „Was, redest du von mir?!“
Dan: „Ganz Recht! Von dir rede ich, Derek ‚fucks up the songs a lot‘ Grant. Wir machen nur Spaß, keine Angst.“

Dan, du hast eine Splitsingle mit Mike Felumnee gemacht, auf der nur akustische Songs sind, und Matt hat auch einige akustische Songs auf Singles veröffentlicht und Akustik-Soloshows gespielt. Welchen Stellenwert haben diese Projekte für euch?

Matt:
„Akustische Songs heraus zu bringen, entstand dadurch, dass Freunde von mir Hilfe brauchten, und so habe ich hier und da immer mal wieder ein Benefiz-Release gemacht. Es ist auch nicht so, dass ich meine akustischen Releases wie etwa die Splitsingle, die ich mit Kevin Seconds gemacht habe oder meine Akustik-Soloshows als ernsthaftes Nebenprojekt betrachte. Mein Hauptaugenmerk liegt auf ALKALINE TRIO.“
Dan: „Dass wir mit akustischen Elementen experimentieren und hin und wieder etwas veröffentlichen, rührt daher, dass wir viele Songs für ALKALINE TRIO auf einer akustischen Gitarre schreiben. Wenn wir also eine ALKALINE TRIO Akustik-Show spielen, geben wir viele unserer Songs in ihrer grundlegenden Struktur wieder, präsentieren sie also so, wie sie waren, bevor wir im Zuge des Songentstehungsprozesses elektronische Instrumente und technische Spielereien hinzugefügt haben. Und um von der Band weg zu kommen, manche Songs, die man schreibt, enden nicht als ALKALINE TRIO-Stücke, sondern wir behalten sie für uns. Aus solchen Songs entstehen dann mitunter die Soloveröffentlichungen. Sie sind also nichts, was man als ernsthafte Projekte bezeichnet.“

Kürzlich hörte ich auch von G.O.D., einem neuem Projekt von dir, Matt.

Matt:
„Ja, Joe von F MINUS und ich sind G.O.D., wenn du so willst. Das Ganze entstand im Studio aus einer Spielerei. Wir haben keinen Live-Drummer, sondern benutzen einen Drumcomputer, bauen Beats, Loops etc. ein. G.O.D. ist aber keinesfalls ein Technoprojekt, es geht mehr in die Richtung von DEPECHE MODE und JOY DIVISION. Sobald ALKALINE TRIO einen Moment Pause machen, kümmere ich mich um G.O.D.. Mittlerweile haben wir neun Songs geschrieben, die im Moment gemixt und gemastert werden. Wann und wo sie erscheinen steht aber in den Sternen. G.O.D. werden auch ein paar wenige Shows spielen, etwas Weitergehendes kann daraus aber nicht werden.“

Lasst uns über „Crimson“ sprechen. Was ich an dem Album toll finde ist, dass ihr in meinen Augen euren typischen Sound bewahrt habt und dennoch eine Menge experimentiert habt. Was hat sich in euren Augen in den Zeit zwischen „Good Mourning“ und „Crimson“ geändert?

Derek:
„Auch wenn es sehr abgedroschen klingt, so denke ich doch, dass wir uns durch viele Touren weiter entwickelt haben und sich vor allem Matts und Dans songwriterisches Können gesteigert hat. Von daher würde ich nicht unbedingt von einer Veränderung zwischen den Platten, sondern eher von einer Entwicklung der Band sprechen, in die viel Erfahrung und viel Willen zur Arbeit an uns selber eingeflossen ist.“

Einer der Songs, der mich sehr überraschte, ist „Burn“. Ich habe nicht
damit gerechnet, dass ihr den Schritt machen würdet und Industrial-Parts in euren Sound einbringt.

Derek:
„Es ist lustig, dass du ‚Burn‘ ansprichst. Denn eigentlich sollte der Song ein typischer ALKALINE TRIO-Song werden. Matt hatte die Gitarrenlinie geschrieben und wir arbeiteten dran, daraus einen Uptempo-Punkrock-Song zu machen. Während der Arbeiten habe ich mir immer wieder diese mechanisch klingenden Industrialbeats angehört, bis mir die Idee kam, Matt und Dan den Beat für ‚Burn‘ vorzuschlagen. Davor scheute ich aber zunächst zurück, weil ich mir selber sagte, dass wir das nicht machen können, weil es sich zu weit von unserem Sound entfernt. Dann haben wir uns aber darauf geeinigt den Beat zu nehmen und darüber hinaus beschlossen, dass wir uns bei der Arbeit an allen Songs keine Grenzen setzen und allen Einflüssen und Ideen freien Lauf lassen. Was hieß, dass jeder auch die Songs, die andere Bandmitglieder schrieben, kritisieren würde. Und da wir dadurch sehr ehrlich zueinander waren, denke ich, dass wir die Songs unter dem Strich gemeinsam verbessert haben. So dass man die typischen ALKALINE TRIO Elemente erkennt, neue Ideen aber nicht übersieht. Und diese Eigenschaft der Songs lässt sich an ‚Burn‘ gut erklären, deswegen fand ich es lustig, dass du gerade deine Aussage auf den Song bezogen hast. Aber wir haben von vielen Leuten gehört, dass der Song von NINE INCH NAILS beeinflusst sei. Was ich nachvollziehen kann, denn der Drumbeat ist sehr industrial-geprägt und auch die Loops rechtfertigen den Vergleich.“

Für mein Gefühl sind viele Texte auf „Crimson“ metaphorischer als Texte auf euren vorangegangenen Alben, wie seht ihr das?

Matt:
„Das war eine meiner Intentionen, als ich die Songs schrieb. Ich möchte jetzt niemandem dadurch wehtun, dass ich die Bedeutung, die jemand aus einem unserer alten Songs für sich interpretierte, klein rede. Aber viele meiner älteren Texte jagen mir heute einen Schauer über den Rücken, wenn ich sie lese. Das ist komisch, denn Dans alte Songs finde ich klasse, aber bei vielen von meinen graust es mir. Ich würde sie niemals zurück nehmen, aber als ich an meinen Texten für ‚Crimson‘ schrieb, wollte ich Texte verfassen, die anders als auf den älteren Alben sind. Den leicht dunklen, melancholischen Stil wollte ich dabei wahren, es aber schaffen, den Hörer stärker einzubinden, durch Texte, deren Bedeutung einem nicht sofort ins Auge springt, einen Interpretationsfreiraum beim Hörer zu lassen. Ich habe versucht, etwas poetischer und kunstvoller mit der Sprache umzugehen, denn ich finde, dass dies unsere Texte interessanter macht.“

Inwieweit fließt in den Texten auf „Crimson“ Ironie ein? Ich denke an die Zeile „We played our records backwards too many times“ aus „I fall victim“.

Matt:
„Das ist definitiv eine Metapher. Als ich jung war, brachte sich ein Freund von mir um, der sehr viel Heavy Metal hörte. Sein Schicksal steht teilweise im Mittelpunkt des Songs. Daneben geht es in ‚I fall victim‘ auch um eine Sache, die ich gerade erst erlebt habe. Als Jeremy, mein Jugendfreund, sich umbrachte, war das zu der Zeit, als JUDAS PRIEST vor Gericht standen, weil es darum ging, dass auf ihren Platten Botschaften, die Menschen zum Selbstmord motivierten, zu hören seien und sich infolgedessen zwei Jugendliche umgebracht hätten. Ich benutze die Erinnerung daran, um auf das, was ich gerade erlebt hatte, hin zu deuten. Deswegen würde ich bei der Zeile und auch bei den anderen Texten sagen, dass Ironie kaum eine Rolle spielt.“

„Smoke“, der letzte Song auf „Crimson“, ist eine Ballade, eure erste.

Dan:
„Ja, du hast Recht, ‚Smoke‘ ist eine Ballade. Wir wollten eigentlich gar keine Ballade schreiben. Als wir an dem Stück arbeiteten, haben wir, glaube ich, dreimal das Tempo verändert und allerlei anderes, ehe wir uns darauf einigen konnten, wie er letzten Endes klingen sollte. Da der Song ziemlich langsam ist, klingt er balladesk, auch die Atmosphäre des Songs ist der einer Ballade sehr ähnlich, denke ich. In dem Song geht es darum, dass ich in einer ungewissen Situation bin und nicht weiß, ob ich mit einem Freund in Zukunft die Zeit verbringen kann, die ich gerne mit ihm verbringen würde, weil ALKALINE TRIO sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Gleichzeitig weiß ich aber, dass das, was wir als Band machen richtig ist. Diese Ungewissheit kommt in ‚Smoke‘ zum Ausdruck.“

„Good Mourning“ hatte in den USA großen kommerziellen Erfolg. Überraschte dich der hohe Chartseinstieg von „Good Mourning“?

Matt:
„Hmmh, ich würde sagen ja. Wir waren alle angenehm überrascht. Jerry Finn, der Produzent von ‚Good Mourning‘ und ‚Crimson‘, ist jemand, der bekannt dafür ist, dass er sehr erfolgreiche Platten produziert. Deswegen haben wir ihn jedenfalls nicht für die Produktion gewählt, sondern, weil er in der Tat gute Platten produziert und ein toller Mensch ist. Dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Chancen auf einen Chartseinstieg recht gut sind, wenn du mit jemandem arbeitest, der GREEN DAY und BLINK 182 produziert hat. Wenn du so willst, haben wir also mit einem Chartseinstieg gerechnet. Dass ‚Good Mourning‘ aber auf Platz 20 gehen würde, hielten wir für ausgeschlossen. Als ein Freund uns anrief und uns sagte, dass die Platte auf Platz 20 sein, waren wir fast ein wenig geschockt.“

Lastete deswegen ein Druck auf euch, während ihr an „Crimson“ gearbeitet habt?

Matt:
„Nein, wenn überhaupt, dann lastete Druck, den wir uns selber machten, auf uns. Denn wir wollten ein besseres Album als ‚Good Mourning‘ machen. Versteh mich nicht falsch, wir alle mögen die Songs auf ‚Good Mourning‘, aber es sollte weiter gehen. Aber wenn ich darüber nachdenke, dann würde ich nicht sagen, dass wir uns selber unter Druck gesetzt haben. Denn Druck ist etwas negatives, das eine Band dazu bringen kann, dass gar nichts mehr funktioniert. Ein solches Gefühl hatte ich aber während der Arbeit an ‚Crimson‘ nicht. Und ebenso wenig hatte ich nach dem erfolgreichen Chartseinstieg von ‚Good Mourning‘ das Gefühl, dass wir es irgendwem recht machen müssten. Denn wenn du dich davon beeinflussen lässt, dass du es der Masse recht machen musst, dann verbiegst du dich. Und das werden wir nicht tun. Natürlich haben wir aber die Fans im Kopf, während wir an einem Album arbeiten. Dennoch musst du diese Gedanken an verschiedenen Stellen ausblenden und dich darauf konzentrieren, was du als Band willst und für deine Musik als Bestes erachtest. Mit ‚Crimson‘ entstand so ein Album, das weiter reicht als die bisherigen ALKALINE TRIO-Alben und das macht mich sehr stolz.“