ALKALINE TRIO

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Gutes Klagen

Ihr kennt das: es gibt Bands, die mag man, und es gibt Bands, da ist man vorbehaltloser Fan. Schon immer gewesen, seit man die Band das erste Mal gehört hat. ALKALINE TRIO sind so ein Fall, seit ich vor fünf Jahren das erste Album in die Finger bekam. Damals waren sie eine kleine Band aus Chicago auf dem Winz-Label Asian Man, heute verkaufen sie in den USA via Vagrant richtig ordentlich Platten, stiegen mit dem neuen Album „Good Mourning“ nach 40.000 (!!!) in einer Woche verkauften Platten im Juni auf Platz 20 der Billboard-Charts ein – nicht schlecht für eine Band, die sich erfreulicherweise über die Jahre nicht wirklich verändert hat. Ich traf den Dreier während einer Interviewtour im Biergarten ihres Kölner Hotels. A3, das sind Matt Skiba (Gesang & Gitarre), Dan Andriano (Bass) und Derek Grant (Drums).

Es ist zwar schon etwas her, aber im Frühjahr 2002 habt ihr das erste Mal überhaupt in Deutschland gespielt, und bei eurem Konzert in Köln gingen die Leute unglaublich ab. Ist das immer so bei euch?


Matt: Das hat mich auch erstaunt! Wir hatten keine Ahnung, was uns erwartet, dann kommen wir dort an, die Leute kennen unsere Namen und singen vom ersten Lied an mit – und als ich sie danach darauf ansprach, schienen sie kein Wort Englisch zu verstehen. Unglaublich!

Wahrscheinlich waren sie nur zu schüchtern, den Mund aufzumachen ...

Matt:
Auch möglich. Andererseits haben sie mich umarmt. Na ja, ich hatte einfach den Eindruck, die sprechen kein Wort Englisch. Das war echt schockierend, diese begeisterte Begrüßung.
Derek: Muss man in Deutschland in der Schule Englisch lernen? Ja?! Ach so, für uns ist das immer schwer zu verstehen, in den USA kann man die Schule beenden, ohne eine Fremdsprache gelernt zu haben.
Matt: Oder wie in meinem Fall, ohne irgendwas gelernt zu haben, haha.

Außer Gitarre spielen.

Matt:
Auch das habe ich bis heute nicht richtig gelernt. Wenn du im US-Schulsystem was lernen willst, musst du dich richtig ranhalten. Ich bin da einfach dran vorbei geglitten und sollte jetzt, da ich wirklich lernen will, eigentlich noch mal zur Schule gehen. Aber dafür habe ich keine Zeit, also sind wir viel unterwegs und lernen dadurch ‘ne Menge.

Habt ihr nach der Schule irgendwas anderes gemacht, als in Bands zu spielen?

Matt: Nein, eigentlich nicht. Wir alle haben schon während der Schulzeit in Bands gespielt, haben immer davon geträumt, so richtig Musik zu machen, auf Tour zu gehen, was von der Welt zu sehen. Ich wusste von Anfang an, was ich wollte, und habe das dann auch nach der Schule versucht zu schaffen.
Derek: Dan und ich kennen uns auch schon seit der Highschool.

Was hat sich denn verändert, seit ihr mit dem letzten Album von Asian Man zu Vagrant gewechselt seid?

Matt:
Es gab eigentlich keinen plötzlichen Wechsel, die Sache ist einfach beständig gewachsen und hat mittlerweile einen Punkt überschritten, denn ich mir früher nie hätte träumen lassen. Es war schon ein großer Unterschied von Asian Man zu Vagrant zu wechseln, und seitdem sind wir weiter gewachsen, und mit uns ist auch Vagrant als Label gewachsen. Die letzten Jahre waren turbulent, crazy, aber es ist gut so. Und es ist immer spannend zu sehen, was als nächstes passiert.

Mit Asian Man seid ihr aber immer noch befreundet, oder? Dort ist ja zuletzt die Matt Skiba/Kevin Seconds-Split-CD erschienen.

Matt:
Mike Park von Asian Man ist mein bester Freund, der gehört zur Familie, er ist mein Bruder. In den USA wollen die für den Fall eines Flugzeugabsturzes immer eine Telefonnummer von einem Angehörigen, und da gebe ich immer Mikes Nummer an, haha.

Und wie kam die Split-Platte zu Stande?

Matt:
Mike Park hat das eingefädelt. Ich war vorher ja nur ein kindischer 7 SECONDS-Fan, war ganz aufgeregt, als ich Kevin mal nach einem Konzert angesprochen habe. Er war vorher schon ein Held für mich, und als ich ihn dann getroffen hatte, stellte er sich als super nett heraus. Jahre später war ich dann mit Mike in Sacramento, wo Kevin einen Coffee Shop betreibt, in dem auch Konzerte stattfinden. Und da stand dann Kevin mit seiner Frau Alison mit Schürze hinter der Theke, wir kamen ins Gespräch, unterhielten uns über seine Akustik-Solo-Aufnahmen, er hatte von meinen Solo-Sachen gehört und mochte auch ALKALINE TRIO, und so kam die Idee auf, diese Split-Platte zu machen.

In Europa sind die beiden Alben auf Asian Man jetzt via Kung Fu Europe veröffentlicht worden.

Matt:
Ja, aber in den USA sind sie immer noch auf Asian Man. Und deren Logo ist auch auf der Neuauflage. Asian Man verkaufen unsere Platten auch noch richtig gut, das hilft denen und mir natürlich auch.

Weißt du, wie viele ihr davon verkauft habt?

Matt:
Ich glaube jeweils rund 30.000. Vom ersten Album auf Vagrant haben wir weltweit rund 150.000 verkauft, 100.000 davon in den USA.

Es verblüfft mich immer wieder, dass dann nicht auch die alten Platten so gut laufen. Wenn mich eine Band interessiert, kaufe ich mir immer auch die alten Platten.

Matt:
Das geht mir genauso, aber das ist halt so. Aber man merkt schon, dass der Verkauf der Vorgängerplatten anzieht, wenn wir ein neues Album rausbringen.

Als Band ist bzw. war Chicago eure Heimat, und ich finde, man tut euch nicht Unrecht, wenn man euch in der Tradition von NAKED RAYGUN und PEGBOY sieht.

Matt:
Interessant, dass du das erwähnst: In dem Interview, das wir eben gegeben haben, fragte mich die junge Dame, ob es denn so was wie einen Chicago-Sound gebe. Ich antwortete, wenn es den gibt, dann wurde er von NAKED RAYGUN und PEGBOY geprägt. Das sind die Bands, mit denen ich aufgewachsen bin, ich habe NAKED RAYGUN oft live gesehen, und wenn man uns in diese Tradition stellt, fasse ich das als großes Kompliment auf.

Derzeit ist Thick Records sicher das interessanteste Label aus Chicago, und mit den ARRIVALS haben sie eine unglaublich gute Band am Start.

Matt:
Ha, witzig, dass du die erwähnst: Wir haben uns da letztens noch drüber unterhalten, dass wir die mit auf Tour nehmen sollten. Dan hat die neulich noch gesehen und war auch völlig begeistert.
Dan: Ich kenne die schon eine Weile, aber ihr neues Album ‚Exsenator Orange‘ hat mich weggeblasen, genau wie ihr Konzert neulich im Fireside in Chicago.

Kommen wir auf euer neues Album zu sprechen. Das gefällt mir mal wieder ausgesprochen gut, und einmal mehr fällt mir auf, dass ihr eine Band seid, die man beinahe vom ersten Takt eines Liedes an erkennt. Wie macht ihr das?

Matt:
Hm, keine Ahnung. Ich habe aber schon gehört, dass Leute sagten, alle unsere Lieder würden irgendwie gleich klingen. Ich denke, die meinen, dass unsere Band so einen eigenen Sound hat. Ich kann das aber ehrlich gesagt nicht heraushören. Aber ich denke, es ist eigentlich ein Kompliment.
Derek: Dan und Matt teilen sich das Songwriting, und ich finde, sie sind beide sowohl exzellente Musiker, wie auch Songwriter. Wenn die mit einem neuen Song zur Probe kommen, ist der praktisch fertig, und wir feilen den dann nur noch mal gemeinsam aus.

Welche Elemente sind es, die einen ALKALINE TRIO-Song ausmachen?

Matt:
Keine Ahnung, das kommt alles ganz natürlich. Das Einzige, worüber wir uns Gedanken machen, ist ob wir selbst Spaß dran hätten, diesen Song von einer anderen Band auf Platte zu hören. Ist er zu lang, ist er zu kurz, ist dieser Part stimmig oder nicht? Es ist ein ganz natürlicher Prozess.
Derek: Manche Songs des Albums klangen ursprünglich ganz anders, wie etwas, was wir nie zuvor gemacht hatten, doch nachdem wir sie dann eingespielt hatten, klangen sie doch wieder wie ein typischer ALKALINE TRIO-Song – ganz seltsam.

Ich denke, Matts Stimme ist sehr prägnant, und mir fällt als vergleichbare Band nur SAMIAM ein.

Matt:
Ja, okay, ich weiß, was du meinst. Der Gesang ist einfach etwas ziemlich markantes, individuelles, während Gitarren, Verstärker und so weiter recht austauschbar sind. Die Stimme von Jason von SAMIAM hört man ja wirklich überall heraus.

Oder die der Herren von HOT WATER MUSIC, mit denen ihr ja schon mal eine Split-Platte zusammen gemacht habt. Stehen da weitere Split-Releases an?

Matt:
Im Falle von HOT WATER MUSIC war das eine einmalige Sache, aber wir gehen in den USA mit ONE MAN ARMY auf Tour, und die sind auf BYO, und BYO macht ja diese Split-Serie, und mal schauen, es könnte sein, da wird was draus.

Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, ein eigenes Label zu gründen?

Matt:
Ja, aber nachdem wir dann eine Weile darüber diskutiert hatten, habe ich das ganz schnell wieder verworfen, ich kenne mich, das wäre nicht gut gegangen. Aber Derek hatte mal ein eigenes Label.
Derek: Seit ich zwölf war, bis ungefähr achtzehn, hatte ich ein Label namens Old School Records – und ich habe damit eine Menge Geld verloren, aber auch viel gelernt, viele nette Leute kennen gelernt und schöne Platten rausgebracht. Nichts, was man wirklich kennt, eben ein paar Bands aus meiner Gegend, aus Michigan, die sich bald wieder aufgelöst haben und die heute keiner mehr kennt. Das Schöne war, dass ich durch das Label die Möglichkeit hatte, irgendwie Teil der Band zu sein, auch wenn ich nicht direkt mitspielen konnte.

Wie habt ihr das neue Album aufgenommen? Hattet ihr mehr Geld und mehr Zeit als zuvor oder war alles wie gehabt?

Matt:
Diesmal haben wir jeden Penny, den wir bekamen, im Studio ausgegeben, während wir davor einen fixen Betrag hatten und immer noch was übrig blieb, um irgendwelchen Quatsch zu kaufen. Diesmal waren wir auch so lange wie möglich im Studio.
Dan: Wir haben auch diesmal wieder mit Jerry Finn zusammen aufgenommen, sowie mit Joe McGrath. Jerry hat ja auch schon mit Leuten wie RANCID und BLINK 182 gearbeitet und hat GREEN DAY gemischt, und Jim hat da teilweise auch schon mit ihm zusammengearbeitet. Wir waren ein richtig gutes Team, und ich finde, sie sind mit die Besten in ihrem Bereich.

Ich muss auch sagen, dass ich nach dem Hören des neuen Albums sehr froh darüber war, dass ihr euch nicht wirklich verändert habt, also in der Hinsicht, dass irgendwie jemand deutlich Einfluss auf eure Musik genommen hätte. Man kann sich da ja nicht immer so sicher sein, wenn eine Band Erfolg hat ...

Matt:
Ich weiß, was du meinst, also wenn Bands ihren Sound ändern, um irgendwie mehr Leuten zu gefallen und so. Nein, wir versuchen so was zu verhindern. Klar, es gibt gewisse Erwartungen an uns, manche Leute versuchen uns unter Druck zu setzen, aber das hat bisher bei uns noch nie funktioniert, wir machen sowieso, was wir wollen. Und wir wissen, dass wir eine Menge Leute gegen uns aufbringen würden, wenn wir solchem Druck nachgäben. Und so ignorieren wir alle Versuche dieser Art und machen einfach, was wir wollen.

Was bitteschön ist „Good Mourning“, „Gutes Klagen“?

Matt:
Wir hatten ein paar Albumtitel zur Auswahl, aber der gefiel uns am besten. Die Idee kam uns, als wir zusammen beim Frühstück saßen und jemand ‚Good Morning‘ sagte. Wir lieben solche kleinen Wortspiele, wie man ja auch an unseren bisherigen Albumtiteln sehen kann, etwa ‚From Here To Infirmary‘. Ich mochte schon immer die NOFX-Albumtitel, die ja auch nach diesem Prinzip funktionieren, ‚Punk in Drublic‘ und so weiter. Es passte einfach, und da wir Punksongs mit düsteren Texten spielen, passte ‚Good Mourning‘ auch irgendwie.