ALARMSTUFE GERD

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Ja, sie können!

Wird Terror jetzt in Gerdstufen gemessen? Zwischen Rhein und Ruhr bisweilen schon, denn hier stehen ALARMSTUFE GERD für schnelle, ultrakurze Songs, Texte und Ansagen ohne ein Wort zu viel, alles auf den Punkt. 2008 ist bei Spastic Fantastic ihre Split-7“ mit THE OMNIPRESENT DISEASE erschienen. Ein Debüt, von dem Timbob Kegler damals in seinem Renfield-Fanzine behauptete: „Diese Platte hat mein Leben verändert!“ Im Folgenden gab er gewissen Bands die Empfehlung, mal den „Alarmstufe-Gerd-Songwriter-Workshop“ zu besuchen. Bis dahin allerdings gehen so wunderbare Songtitel wie „Jesus Freaks und diese Black Metal Satan Futzis sind hundert pro Geschwister“ noch allein auf das Konto von Sänger und „Band-Gerd“ Rapha. ALARMSTUFE GERD, go!

Hallo Gerd, mein Vater hieß auch Gerd.

Super Name. Der Vater von unserem Schlagzeuger Schulz auch. Witzigerweise wurden wir auf Flyern manchmal mit Punkten zwischen dem Buchstaben geschrieben, also G.E.R.D., als ob das eine Abkürzung wäre. Irgendwann haben wir uns dann selbst Bedeutungen dafür ausgedacht. Zum Beispiel weil unser Gitarrist Peter Russe ist, kamen wir auf so Sachen wie „Germanische Eingliederung Russland Deutscher“. Äh, Vorsicht: Ironie.

Fangen wir gleich mal mit deinen hochgelobten Texten an. Wie kommt man bloß auf „Weightwatchers are watching you“?

Die Weightwatchers hatten ihre Gruppentreffen im gleichen Haus wie wir unseren Proberaum, und die kamen immer runter und fragten, ob wir bald fertig sind oder leiser machen können. Und wir haben gesagt: Weder noch, schließlich haben wir für den Scheiß bezahlt. Aber wir schreiben ein Lied für euch als Entschädigung – nur ich weiß nicht, ob die das je gehört haben.

Bei dir wirkt sogar ein Slogan wie „Yes we can“ überzeugend ...

Als ich den Song geschrieben habe, hatte ich noch eine volle Stelle in einer Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung. Das war, als Obama gerade Präsident geworden ist, und ich war tierisch angepisst von dem Job, also habe ich seinen Slogan geklaut und zu meinem gemacht. Mit dem Lied will ich sagen, dass man sich nichts aufzwingen lassen soll und jeder im Prinzip machen kann, was sie oder er will. Der Song half mir dann auch, schnell wieder zu kündigen. „Wir können machen, was wir wollen, niemand sagt uns, was wir sollen! Yes we can“ – vielleicht habe ich den Beruf verfehlt und ich hätte besser Politiker werden sollen.

Du hast ja gar keinen Beruf.

Du ja auch auch nicht.

Stimmt. Aber du hast den passenden Song dazu: „Loser youth“. Wer ist gemeint, du und ich?

Ganz genau, du und ich, und jede und jeder, die keinen Bock haben, dass alles nach Plan läuft, und die auch ohne die neue Frühjahrskollektion zurechtkommen.

Aussehen wie Punks tut ihr auf den ersten Blick jetzt auch nicht. Musik und Attitüde jedoch sind definitiv Punkrock – würdest du dich als Punk bezeichnen?

Ich kaufe mir nur in den seltensten Fällen neue Klamotten, was zur Folge hat, dass ich meistens alte Sachen von meinem Vater auftrage oder Second-Hand-Läden ausnehme, die billigen der Diakonie, oder Sachen finde. Die sind dann meistens nicht so Punk, aber im besten Fall warm. Außerdem finde ich es langweilig, wenn alle gleich aussehen. Mir schwebt gerade dieses Klischee vom Crust-Konzert vor Augen, alle in schwarzen Klamotten mit Patches, eine Mütze auf’m Kopf, wo zwei bis drei Dreadlocks rausschauen. Da hätte ich auch gleich zur Marine gehen können. Von daher: Klamotten sind völlig überbewertet. Und Punk: ja!

Was macht Punk für dich aus?

Wenn du auch mal so ausflippen kannst, dass du für alle der Wichser bist. Wenn du darauf scheißt, was die Leute von dir halten. Wenn du in Momenten, wenn keiner damit rechnet, das machst, womit keiner rechnet.

Punk hat auch immer mit Ausgrenzung zu tun.

Witzig, dass du das sagst. Da hatte ich mich nämlich letztens noch mit einem Kumpel drüber unterhalten und dabei ist uns auch aufgefallen, dass wir uns unter all diesen Außenseitern manchmal vorkommen wie die Außenseiter der Außenseiter. Wenn wir vielleicht doof angeschaut werden von Punks, weil ich meinetwegen einfach die olle Jacke von meinem Vater auftrage.

Der coole Look war’s also nicht, aber was hat Punk für dich attraktiv gemacht? Ich tippe auf eine typische Deutschpunk-Sozialisation: DIE TOTEN HOSEN, TOXOPLASMA, CHAOS Z ...

Ja, fast genau die Reihenfolge. Vor allem auch MOLOTOW SODA, ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN und so was. Allerdings habe ich auch pervers früh beim Spielen in meinem Kinderzimmer neben „Alf“-Kassetten schon Tapes von den Hosen, METALLICA oder SLAYER gehört. Die ganzen US-Bands kamen bei mir so richtig dann erst mit 16 oder so. Und zwar ganz klassisch, Skateboard in die Hand, drauf gejumpt, Walkman an, auf dem NOFX oder PENNYWISE liefen, und ab zur Berufsschule geheizt.

Skatepunk habe ich auch immer gerne gehört, komischerweise kommen mir die Bands heute irgendwie viel langsamer vor, gerade verglichen mit euch – oder auch NIHIL BAXTER, mit denen ihr euch aktuell eure zweite Split-7“ teilt. Eine Single mit insgesamt 19 Songs, teilweise unter einer Minute.

Mehr können wir auch nicht. Kurz, schnell, nicht zu viel, nicht zu wenig. Kein Schnickschnack, keine Gimmicks.

Bei UNDRESSED ARMY, deiner früheren Band, war das noch anders, da gehörte sogar ein Spiderman zum Line-up.

Haha, als wir anfingen, haben wir so eine Art NYHC-Verschnitt gespielt. Aber nachdem wir irgendwie immer nur mit obercoolen Macker-Hardcore-Bands zusammen gebucht wurden, sind wir nach einer Weile nur noch in Verkleidung aufgetreten, weil wir ein Kontrastprogramm dazu auf die Beine stellen wollten. Dann kam auch The Godfather of Luftgitarre dazu, unser Spiderman Rxxx, großes Entertainment. Schließlich spielten wir nicht mehr mit den obercoolen Macker-Bands, was abzusehen war, und für mich mit ein Grund, die Sache zu beenden.

In Düsseldorf sind Rxxx und ich jetzt in in derselben Konzertgruppe aktiv, der Erwin Youth, übrigens genau wie euer neuer Bassist.

Simon, unser alter Basser, geht ja leider in die USA und spielt da ’ne Runde Nanny. Zur Zeit muss also der Neue die Songs lernen, der heißt Emma und ist ansonsten bei der obergenialen Deutschpunk-Band AUWEIA!.

Bei deren Logo gilt ja der alte Spontispruch: „Wer A sagt, muss auch einen Kreis drum machen“ – was glaubst du, ist Anarchie machbar?

Klar. Mit anderen Rahmenbedingungen, anderen Leuten ... Vielleicht müssten alle Anarchisten Kohle zusammenwerfen für einen neuen Planeten, weit weg von der Scheißerde, dann könnte die Sache super laufen ...

Du Loser. Zugegeben, Anarchie macht viel Arbeit, aber es geht, ich kann’s ja auch. Du bewegst dich doch selbst oft in Zusammenhängen, die anarchistisch organisiert sind, oder?

Puh, das ist schwer zu sagen, da ich ungern pauschalisiere, aber ich glaube, selbst in vielen solcher Gruppen gibt es noch Hierarchien oder Einzelpersonen, die sich wichtig tun.

Hältst du Anarchie wenigstens für wünschenswert?

Durchaus! Anarchie wäre unbedingt wünschenswert, sie wäre der einzige Weg zu Freiheit und Gerechtigkeit. Aber weil es leider unter den Menschen so viele Kack-Leute gibt, ist das illusionär. Fuck people!

Wollen die Kack-Leute nicht auch frei sein?

Ja, nee, die wollen sogar, wenn sie mehr Freiheiten genießen, nur noch mehr kacke sein.

Die folgenden Stichwörter habe ich mir mal vom Fuze Magazine ausgeliehen, da heißt die Rubrik „Pants down“. Jeweils mit der Bitte um einen kurzen Kommentar, zuerst: Do It Yourself Attitude.

Angenommen – aber das würde nie passieren – ein dickes Majorlabel hält uns einen Vertrag hin und wir unterschreiben den – das würde noch viel weniger passieren –, dann wäre ich deren Affe, hätte tausend Auflagen, was ich sagen darf und was nicht, welchen Fummel ich bei welchem Gig anziehen muss, und so weiter. Das wäre das genaue Gegenteil von dem, was Punk für mich bedeutet.

Straight Edge Lifestyle.

Ja, in dem Film habe ich auch mitgespielt, aber der war irgendwann auch wieder vorbei. Zuerst wollte ich mich nur nicht mehr so nennen, weil ich keinen Bock mehr auf diesen Stempel hatte, der einen in die dazugehörige Schublade verbannt. Was aber nicht heißt, dass ich dann direkt wieder anfing zu saufen und zu rauchen. Das kam witzigerweise ein knappes Jahr später, blöd eigentlich, mit 24 noch mal mit dem Rauchen anzufangen. Allerdings hatte mich das über die Jahre immer verfolgt, in Form von Träumen, dass ich irgendwo herumsaß und mir eine angesteckt habe. Whatever. An sich ist das Thema Straight Edge völlig überbewertet.

Vegan Diet.

Wichtige Geschichte. Ist ganz einfach ein kleiner Planet mit zu vielen Menschen, alle haben Kohldampf – was jetzt? Veganismus, yeah, mehr Essen für alle, mehr Platz, mehr Wasser, mehr Ressourcen. Macht euch schlau, ich habe keine Lust, hier lange Predigten zu halten.

Christian Hardcore.

Zum lachen, sehr amüsant. Ähnlich wie dieses Buch, das ich ausschnittweise mal gelesen habe ...

... die Bibel?

Jo! Witzig sind die Seiten, wo die Gebote verlesen werden, die kennen ja einige Leute. Aber ein paar Seiten weiter gibt’s noch viel mehr Gesetze, die auch sehr komisch sind und vor allem sehr menschlich, so nach dem Motto: Hat der Nachbar mir morgens die Zeitung gezockt, darf ich ihm vors Schienbein treten. Heißer Scheiß!

Eure allerneueste Veröffentlichung ist eine handbemalte Kassette mit einem Konzertmitschnitt sowie den Single-Tracks. Erschienen ist sie bei Knochentapes – einem von bestimmt drei oder vier neugegründeten Tapelabels. Ist das jetzt nicht schon wieder übertrieben retro?

Für mich sind Tapes immer up to date. Ich habe diesbezüglich aber auch einen Schaden. Verlasse ich das Haus gegen nachmittag und weiß, dass ich abends spät wiederkomme, nehme ich zwischen fünf und neun Tapes mit für unterwegs. Ich bin auch schon mal zwei Wochen in den Urlaub gefahren und hatte ungelogen 52 Kassetten dabei. Dafür nehme ich dann kaum noch was anderes mit, ist ja kein Platz in der Tasche.

Abschließend, was meinst du, wird Gerd mir in 15 Jahren auch „irgendwie viel langsamer“ vorkommen?

Langsamer, vielleicht. Aber abgesehen davon wird in 15 Jahren sowieso jeder nur noch im Internet leben und tablettenabhängig sein, das ist ja heute schon bei vielen so und die Tendenz ist steigend.

Ach, Rapha, alles, was du sagst, das glaub’ ich nicht ...