AL BURIAN

Foto

Brotloser Spaßkünstler

Manche Menschen sind echte Arbeitstiere. Al Burian zum Beispiel bringt regelmäßig das Burn Collector-Zine heraus, zeichnet Comics, spielt in verschiedenen Bands (MILEMARKER, CHALLENGER, AUXES, BIG EATER), schreibt für diverse Zeitschriften (Vice, Heartattack, Punk Planet) und veröffentlicht ab und an auch mal ein ganzes Buch. Trotzdem kann er sich mit alledem finanziell kaum über Wasser halten. Also musste Stütze oder ein zusätzlicher Job her. Von seinem alltäglichen Frust als Mittzwanziger im Jahre 1996 erzählt Burians jüngstes Buch „Sämtliche Niederlagen“. Und Burian hangelt sich in diesem Interview von Ausschnitt zu Ausschnitt. Auf Deutsch versteht sich, denn das spricht Al als Halbdeutscher und Wahlberliner fließend.

Du bist ja schon seit Jahren auf vielen Ebenen aktiv, schreibst, zeichnest, machst Musik. Wie hat das alles angefangen?


Ich war einfach schon immer sehr kreativ. Mit der Musik habe ich aber erst später angefangen, obwohl oder gerade weil meine Mutter Musikerin war. Ich habe erst ein Instrument gesucht, das keinen Bezug zu meinen Eltern hatte und mit 15 habe ich dann angefangen, Gitarre zu spielen. Mit 16 hatte ich mit meiner Band SCABIES mein erstes Live-Konzert. An das eigentliche Konzert kann ich mich zwar nicht mehr erinnern, es war aber auf jeden Fall sehr aufregend und spannend. Vor vielen Leuten zu stehen und etwas bieten zu müssen, ist schon etwas anderes, als mit jemandem Face-to-Face zu interagieren. Irgendwie gefällt mir das schon. Manche Leute können das nicht gut, aber mir macht es wirklich Spaß. Ich will etwas rüberbringen, für das es sich lohnt, auf eines meiner Konzerte zu gehen. Das klappt allerdings auch nicht immer, haha ...

„Arbeit war ja schon immer der dialektische Gegner von Spaß.“

Vielleicht wolltest du das ja vorhin erfahren, wann ich mich dazu entschlossen habe, nur noch Spaß zu haben. Seit wann ich das in Vollzeit mache. Dazu muss man Arbeit verstehen als gegen Bezahlung für jemand anderen arbeiten. Es macht für mich einen großen Unterschied, ob man seinem eigenen Konzept folgt oder jemand anderem bei seinem Konzept hilft. Wenn man Spaß hat an etwas, schießt man auch viel Energie rein. Deshalb habe ich schon immer viel Musik gemacht. Es macht mir einfach Spaß. Nicht weil meine Karriereaussichten da besonders toll waren. Sobald aber etwas Arbeit wird, macht es auch keinen Spaß mehr. Ich versuche, tagtäglich so viel Spaß wie möglich zu haben.

„Ich habe mich nie wie ein Versager gefühlt, weil ich kein Haus habe, kein Auto, kein Geld. Das war für mich immer ein anderes Universum.“

Die ursprüngliche Fassung dieses Textes habe ich, glaube ich, mit 27 über meine Erfahrungen als Zwanzigjähriger geschrieben. Damals war das wirklich das erste Mal, dass ich dieses seltsame Gefühl hatte. Aber seitdem habe ich das schon 100- bis 2.000-mal gehabt. Der Großteil von „Sämtliche Niederlagen“ ist ja schon mal irgendwann im Burn Collector erschienen. Eine Zeit lang habe ich einfach sehr viel Prosa geschrieben und gedruckt. Ich habe auch längere Sachen veröffentlichen können, weil ich zu der Zeit in einem Copyshop gearbeitet habe und das dann natürlich einfach und kostengünstig reproduzieren konnte. Ein bisschen habe ich aber auch nachträglich noch ergänzt. Die alten Sachen noch mal zu lesen, war ganz schön schlimm. Diese Geschichten sind ja jetzt teilweise mehrfach gedruckt worden, ein paar Mal auf Englisch und jetzt auf Deutsch, und mit jeder Veröffentlichung wird es für mich unangenehmer, sie zu lesen. Jetzt werden sich wahrscheinlich einige Leute fragen, warum ich das dann mache. Tja, ich weiß es nicht ganz genau. Vielleicht weil ich einen gewissen Bezug zum Objekt habe. Ich könnte ja auch 500 Seiten im Internet veröffentlichen, finde es aber einfach schön, wenn etwas auch in physischer Form als Buch oder Zine präsent ist. Ein Buch ist doch immer beeindruckender als ein ausgedruckter Text aus dem Netz. Eine Kiste voll Sachen zu haben, die alle gleich sind, das finde ich schön.

„Manchmal hilft es, eine Art Uniform zu tragen – man kommt sich dann wie eine Comicfigur vor, weniger verwundbar und weniger menschlich.“

Ja, Schuhe zum Beispiel. Man guckt jemanden an und das ist so die Basis. Wenn Leute deine Schuhe angucken, wissen sie, wer du wirklich bist, egal, welche Mütze oder welche Jacke du anhast. Ich habe in Chicago mal einen Typen kennen gelernt, der nie Schuhe tragen wollte. Er wollte immer seine nackten Füße gegen die Welt richten. Er hat sich sogar im Winter Sohlen ausgeschnitten und ist dann so einkaufen gegangen. An diesem Beispiel kann man die Zwänge der Kleidungsordnung ganz gut sehen. Jede Form der Kleidung ist ja eine Art Uniform, weil man grundsätzlich etwas damit aussagt. Ich habe immer versucht, mich möglichst unspezifisch anzuziehen, um keine Botschaft über meine Kleidung zu transportieren, aber das gelingt einfach nicht. Im Nachhinein merkte ich auch, wie naiv das war. Alles sagt irgendwas über dich aus.

„... ein Vorgriff auf das Ende der Zivilisation, Rost und Schutt als Symbol für diesen bösartigen Tumor, der die industrielle Gesellschaft befallen hat.“

Wegen solcher Aussagen werden sich Leute beklagen, dass dieses Buch nicht lustig ist. Das war in Portland Mitte der Neunziger, die Zeit des Umschwungs von der Industriestadt zum Dienstleistungszentrum. Ich finde diese Phase sehr romantisch. Inzwischen hat diese ganze virtuelle Sparte im Pacific West einen Riesenprofit abgeworfen. Und genau diese postindustrielle Gesellschaft kündigt das tatsächliche Ende der Gesellschaft meiner Meinung nach schon an. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, soll jeder für sich entscheiden.

„Schlechtes Leben bedeutet gute Kunst.“

Auch eine fragwürdige Philosophie. Na ja, das wäre ja dann etwas sehr Berechenbares. Und nein, schlechtes Leben bedeutet nicht unbedingt gute Kunst. Aber oft hängt das schon zusammen. Eine schlechte Erfahrung ist oft eine gute Story, das kennt ja jeder. Für andere ist es sehr unterhaltsam, sich solche Geschichten anzuhören. Vielleicht ist Kunst ja auch der Versuch, etwas Schlechtes in etwas Gutes zu verwandeln.

„Ich bin nicht der beste Ansprechpartner in Sachen Moral.“

Das ist ein Stück weit schon Fiktion, auf Moral kannst du da wirklich nicht viel geben. Im echten Leben bin ich womöglich ein guter Ansprechpartner, aber sicherlich kein gutes Vorbild. Wenn man sich aber andere Lebensweisen anschaut, beispielsweise vegane, straight edge oder auch christliche, die rigorose moralische Strukturen haben, dann finde ich mich da nicht wieder. Ich bin eher ein Stück weit Hedonist, immer offen für Neues. In Sachen bewusstseinserweiternde Substanzen bin ich allerdings inzwischen nicht mehr so experimentierfreudig, dafür bin ich schon zu alt, haha. Als ich jung war, habe ich einfach alles ausprobiert. Das ist für mich aber keine moralische Sache. Unter Moral verstehe ich, wie man andere Leute behandelt. Wie man in Situationen reagiert, ob man da eher im Sinne der Allgemeinheit oder nur für sich selbst handelt. Vielleicht kann man das auch unter altruistisch verbuchen. Die Menschheit insgesamt ist ja als Tierart eigentlich von Grund auf sozial ausgerichtet, man muss schließlich irgendwie mit anderen Leuten zurechtkommen. Deshalb will ich auch, dass die industrielle Gesellschaft weitergeht, weil sie es erleichtert, mit anderen Menschen auszukommen.

„Der Übergang vom kindlichen Bewusstsein darüber, wer man ist, hin zu einem erwachseneren Selbstverständnis, das sich darüber definiert, was man tut, birgt jede Menge Enttäuschungen.“

Das ist die andere Seite der Frage, wann man aufhören muss, Spaß zu haben, und anfangen muss zu arbeiten. Dazu muss man gegen die Dialektik von Arbeit und Spaß ankämpfen. Man definiert sich ja als Erwachsener auch darüber, wie man Geld verdient. Das ist überall so. Und meistens ziemlich enttäuschend, glaube ich. Jeder will ja mit irgendjemandem tauschen, weil dieses Leben in der Fantasie angenehmer ist. Ich glaube nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen finanziellem Zustand und Zufriedenheit gibt. Man muss einfach etwas finden, zu dem man passt, dann fühlt man sich wohl. Aber viele Leute machen entweder das eine oder das andere. Aus Pflichtbewusstsein oder weil ihnen nichts anderes einfällt. Man findet ja auch zahlreiche Beispiele von Künstlern, die Selbstmord begangen haben, bei denen man selbst dachte, ja, mit dem würde ich gerne tauschen, der hat doch ein tolles Leben. Anscheinend hatte er das nicht. Meine Strategie war immer, das zu machen, was mir gefällt. Ob das praktikabel und sinnvoll ist oder zu einem Erwachsenen passt, war mir immer reichlich egal. Irgendwie habe ich es bis hierhin geschafft, haha, und fühle mich noch immer so, als würde ich ganz am Anfang stehen.

„Um zu sterben braucht es nur einen kurzen Moment, aber als Trottel gilt man ein Leben lang.“

Das ist doch eine gute Inschrift für einen Grabstein. Das Buch wurde zwar geschrieben, als das Internet noch nicht allgegenwärtig war, aber wenn man das mal auf heute überträgt, bekommt es noch eine ganz andere Bedeutung. Heutzutage ist es so leicht, ein Leben lang der Trottel zu sein. Damals musste man ja schon in einem kleinen Bezirk leben, um ein Leben lang als Trottel zu gelten. Das konnte mir nicht passieren. Ich habe immer den Drang gehabt, neue Orte zu sehen. Deswegen bin ich auch immer so viel unterwegs gewesen. Die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, ist schön und ich habe viele Freunde da und fühle mich dort in einem gewissen Sinne auch zu Hause. Aber ich hatte nie die Absicht, länger dort zu wohnen, weil die Zahl der Möglichkeiten doch sehr begrenzt ist. Man kann da eine Familie gründen und es gemütlich haben, aber das habe ich nicht gemacht, ich bin weitergezogen. Nach Deutschland zu ziehen war auch ein bisschen logisch für mich, weil ich die deutsche Staatsangehörigkeit habe. Wirklich geplant war das aber nicht, eigentlich war ein Missgeschick der Auslöser. Ich bin zu lange an einem Ort hängengeblieben und war irgendwann pleite ... Da dachte ich mir, zurück nach Chicago zu kommen und einen Job und eine Wohnung zu finden,wird verdammt schwer. Es schien mir einfach leichter, direkt in Berlin zu bleiben. Ich vermisse viele Leute in den USA, aber ich vermisse das tägliche Leben dort nicht. In Chicago zu wohnen war schon eine harte Schule. Ich bin in Durham, North Carolina aufgewachsen, dann nach Portland, Oregon gezogen, dann nach Providence, Rhode Island. Das sind Städte, die alle nicht vergleichbar mit Chicago sind. Dort ist es richtig verrückt und gefährlich. Man ist wirklich oft in Lebensgefahr. Als ich nach Berlin gezogen bin und dort nachts mit dem Fahrrad unterwegs war, hatte ich ständig Panikattacken, wenn ich einen Stadtteil nicht einschätzen konnte. Dann habe ich irgendwann festgestellt, dass es diese gefährlichen Stadtteile, wie ich sie aus Chicago kannte, so in Berlin gar nicht gibt. Und Chicago ist noch längst nicht die schlimmste Stadt in den USA, da gibt es zumindest noch ein paar „normale“ Stadtteile. In Detroit ist es zum Beispiel überall schlimm. Die Leute unterhalten sich dort auch anders, es ist alles irgendwie immer im Panikmodus. In Deutschland gibt es zwar angeblich eine Finanzkrise und alles versinkt im Chaos, aber eigentlich ist alles sehr ruhig. Der Lebensstandard hier ist vergleichsweise gut. Chicago hatte für uns als Band damals den entscheidenden Vorteil, dass es in der Mitte der USA liegt. Das war ideal für uns, weil wir viel touren wollten. Und aus Chicago wolltest du eigentlich immer möglichst schnell wieder weg, haha.

„Ich könnte sterben und mein Leben wäre, immerhin, eine abgeschlossene Erzählung.“

Das ist auch in Internetzeiten enorm wichtig. Manchmal hat man einfach diese Momente, in denen alles funktioniert und klappt, und dann denkt man, ah, jetzt kann ich ruhig vor das nächste Auto laufen. Das wäre doch ein ganz gutes Ende. Eigentlich habe ich jetzt gerade dieses Gefühl, muss ich zugeben. Nicht erst heute seit fünf Uhr oder so, sondern allgemein. Es läuft gerade einfach alles ziemlich gut. Ich habe keinen Plan und keine Strategie, es läuft einfach so. Was wird jetzt wohl die Katastrophe sein, die alles zerstört? Ich freue mich auf jeden Fall darauf, jetzt auf Lesereise zu gehen, aber ich habe auch ein bisschen Angst, in der Öffentlichkeit Deutsch sprechen zu müssen. Das ist eine echte Herausforderung für mich. Mal sehen, wie es läuft ... Manchmal steckt man viel Energie in etwas herein und nichts passiert. Fehler machen darf man natürlich immer, aber man sollte sie nicht zu oft wiederholen. Gebe ich einfach mal als Ratschlag, auch, wenn ich da nicht unbedingt aus eigener Erfahrung sprechen kann. Na ja, vielleicht mache ich noch immer zu viel Musik. Eigentlich hatte ich aus meinem erwachsenen Selbstverständnis beschlossen, keine Musik mehr zu machen, weil das einfach Zeit- oder eher Geldverschwendung ist. Ein Instrument, ein Proberaum, das kostet ja alles viel Zeit und Geld. Und was hat man davon? Musik. Und Spaß. Und das ist genau das Problem. Eigentlich wollte ich mich doch auf die Arbeit stürzen und mich ernsteren Sachen zuwenden. Schreiben zum Beispiel. Aber dann haben mich ein paar Leute gefragt, ob ich mitspiele, und es hat doch wieder richtig viel Spaß gemacht. Ein Team zu haben und an etwas herumzuschreiben, das ist geradezu kathartisch. Bis jetzt ist das aber eher ein Gelegenheitsprojekt, ab und zu spielen wir mal live. Nichts Festes.