ADICTS

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So sei es

Mit „Viva la revolution“ hatten THE ADICTS streng genommen nur einen amtlichen Hit in ihrer Karriere. Und doch gehören sie zu den Dauerbrennern der Szene, haben nun im 42. Jahr ihrer Existenz mit „And It Was So!“ ihr zehntes Album veröffentlicht. Und vielleicht liegt es am Mummenschanz, den sie ganz im Stile der „Clockwork Orange“-Ästhetik pflegen, vielleicht liegt es daran, dass sie nach Aussage ihres Gitarristen Pete Dee Davison kaum proben und auf Spontanität beim Aufnehmen der Songs setzen. Alles möglich. Fest steht auf jeden Fall: Auch 2017 haben THE ADICTS noch etwas zu sagen und begeistern nach dezenten Ausflügen in den Rock jetzt wieder mit schönem melodischen Punkrock, der hier und da die Lage der Welt aufs Korn nimmt.

Pete, du lebst seit geraumer Zeit in Kalifornien. Was treibt einen Engländer dorthin?

Ich weiß es manchmal selbst nicht, haha. Das Wetter hier ist mitunter zu gut. Es ist zu heiß. Ich bin das als Engländer nach wir vor nicht gewohnt. Aber wir sind ja generell eine Band, deren Mitglieder wild über die Erde verteilt leben: USA, Berlin, England.

Das klingt nach schwierigen Bandproben ...

So ist es. Wir proben entsprechend auch so gut wie gar nicht. Wir kommen alle paar Monate in Berlin zusammen. Das ist so eine Zentrale für uns. Dann stellen wir uns da in den Proberaum, spielen für drei Stunden – und das war es dann. Das reicht uns.

Wenn euch das langt, seid ihr womöglich die perfekten Musiker.

Haha, eher nicht. Es geht in diesen Treffen einfach nur darum, ein paar kleinere Dinge zu klären. Wir mögen Proben nicht so richtig. Aber wir wissen schon, was wir zu tun haben. Wenn wir nicht zusammensitzen, dann üben wir einzeln, jeder für sich. Und wenn wir dann zum Konzert zusammenkommen, rocken wir einfach. Das ist das Wichtigste.

Dennoch sei die Frage gestattet: Wie kann unter diesen Voraussetzungen ein komplettes Album wie nun „And It Was So!“ entstehen?

Unser Schlagzeuger Michael und ich schreiben fast alle Songs, sprechen viel miteinander und treffen uns ab und an im Studio, um dort ein bisschen an den Stücken zu arbeiten. Wir leben beide in Kalifornien, daher geht das.

Und wie läuft das dann dort ab, wie entsteht so ein THE ADICTS-Song?

Wir jammen. Wir haben keinen genauen Plan. Wir legen los, drücken den Aufnahmeknopf und halten den Moment fest. Alles läuft spontan und improvisiert. Zumindest ist es bei „And It Was So!“ so abgelaufen.

Hört sich nach dem oft beschworenen Live-Charakter an, auf den zahlreiche Bands abzielen im Studio.

Genau so ist es auch. Wir benutzen beispielsweise keine Click-Tracks für das Schlagzeug. Die sind einfach scheiße. Und die brauchen wir auch nicht, weil unser Drummer ohnehin nie im Takt und Rhythmus ist, haha. Aber ernsthaft: Es muss so funktionieren. Und das tut es. Das macht unsere Musik erst authentisch und echt. Erinnerst du dich vielleicht an unsere Platte „Smart Alex“ von 1985?

Was ist damit?

Bevor wir diese Platte aufnahmen, standen wir zehn Tage am Stück acht Stunden pro Tag zusammen im Proberaum und spielten uns den Hintern ab. Es sollte perfekt werden. Aber als wir dann ins Studio gingen, da klang alles einfach nur noch steril und klinisch. Kurzum: Es war nichts. Gar nichts. Wir hatten die Songs ganz einfach zu Tode geprobt. Und das hat uns geprägt. Spätestens diese Erfahrung hat uns die Augen geöffnet, worauf es im Studio ankommt, nämlich aufs Gefühl. Alles muss so klingen, wie es im Moment eingespielt wurde.

Immerhin: Es hat wohl dazu geführt, dass „And It Was So!“ als erstes Album nach vielen Jahren wieder sehr back to the roots klingt. Weniger Rock, mehr Punk.

Schön, dass du das sagst. Und ich gebe dir recht, genau das wollten wir erreichen. Die Platte sollte nach THE ADICTS klingen. Es ist streng genommen überhaupt das erste echte Album dieser Band, das wirklich nach uns klingt.

Wie bitte? Du willst mir erzählen, dass ihr 42 Jahre gebraucht habt, um euer erstes, echtes Album aufzunehmen?

Haha, ja. So kann man es ausdrücken. Wir haben lange gebraucht. Es ist so: Wir haben damals unser erstes Album eingespielt, „Songs Of Praise“ – und haben es nie so wirklich gemocht. Wir nahmen „Sound Of Music“ auf – und waren niemals richtig zufrieden damit. Damals waren wir einfach noch zu grün hinter den Ohren. Und später meinten wir, alles unbedingt total perfekt machen zu müssen. Und das zog sich irgendwie durch unsere Diskografie durch. Erst jetzt sind wir, zum ersten Mal, wirklich alle rundum zufrieden. So zufrieden, dass wir echte Probleme hatten zu entscheiden, welchen Song wir als Single auskoppeln sollten. Die Songs sind alle so gut. Und das konnten wir irgendwie noch nie von einer unserer Platten behaupten. Ich sage noch mal: Man darf nicht zu viel Zeit mit Proben und der Suche nach Perfektion im Studio verbringen. Das ermüdet.

Du lebst ja in Kalifornien, da gibt es wohl genug Gründe, um sich nicht zu lange in geschlossenen Räumen aufzuhalten.

Ganz genau. Aber es ist ja auch so, dass wir alle noch ein Leben neben der Band haben. Wir haben alle Familie. Außerdem gehen wir gerne auf Tour. Also nach draußen. Unter die Leute.

Wie habt ihr es 42 Jahre lang miteinander ausgehalten?

Das hat mehrere Gründe. Erstens: Die vier Gründungsmitglieder – Keith „Monkey“ Warren, Mel Ellis, Michael und ich – sind immer zusammengeblieben. Wir sind miteinander aufgewachsen. Wir haben alles, was man als Band erleben und durchmachen kann, gemeinsam durchgemacht. Gute Zeiten. Miese Zeiten. Drogen. Alkohol. Frauengeschichten. Wir hatten keine Kohle und haben gespart oder geklaut, haha. Eine echte Working-Class-Biografie. Das schweißt zusammen. Zweitens haben wir eine goldene Regel: Lass dein Ego draußen vor der Tür! Es geht nur mit Respekt und in der Gemeinschaft. Das ist, denke ich, das, was den meisten Bands zu schaffen macht: Egomanie. Herrschsucht. Und drittens: Wir machen seit jeher das, was wir wollen und was uns Spaß macht. Wir machen unsere Musik, nach unseren Vorstellungen. Jedes Mal, wenn ein Label versuchte dazwischenzufunken, hätte uns das fast gekillt. Hätten wir das, hätten wir uns alles, was uns ausmacht, nehmen lassen.

Der Titel des neuen Albums, „And It Was So!“, hat demnach also etwas Biografisches, nach dem Motto: Genau so war es! Wir sind THE ADICTS und haben es genauso gemacht und sind genau deshalb immer noch hier!

Richtig. Es ist ein Statement: Es ist so. Wir sind, wie wir sind. Und das war’s. Es ist eine sehr komplexe Platte. Denn sie dreht sich um das, was in dieser Welt passiert. In einer völlig aus den Fugen geratenen, beschissenen Welt.

Sind THE ADICTS eine politische Band?

Wir sind keine explizit politische Band. Aber wenn wir etwas zu sagen haben, dann tun wir das auch. Das war schon ganz am Anfang so – sonst wäre ein Song wie „Viva la revolution“ ja nie entstanden. Es ist doch so: Wir leben in einer Gesellschaft, die aussieht wie die im Roman „1984“. Wir sind völlig manipuliert. Einer ständigen Gehirnwäsche unterzogen – durch die Medien, durch korrupte Politiker, durch skrupellose Geschäftemacher. Und es fällt kleinem auf. Und darauf muss man immer wieder hinweisen. Zum Beispiel durch unseren neuen Song „Fucked up world“.

Hört sich irgendwie hoffnungslos an.

Nein. Man darf nicht den Fehler machen und Kritik und Unzufriedenheit mit Hoffnungslosigkeit verwechseln. Wir schreiben ja auch Songs über ganz banale Dinge. Über Liebe und Miteinander. Und ich kann dich beruhigen: Es leben mehr gute Menschen auf dieser Welt als schlechte.

Bist du sicher?

Absolut! Schau dich um: Wie viele schlechte Menschen kennst du? Und wie viele gute Menschen kennst du im Gegenzug? Ich wette: Es sind mehr. Wesentlich mehr. Wir als Band glauben an Frieden, an Verständnis und an Respekt. Es ist kein Platz in dieser Welt für Hass. Wäre es toll, wenn wir einen Song aufnehmen und ihn „I hate everybody“ nennen würden? Nein! So habe ich vielleicht als Kind gedacht. Als ich keine Erfahrung hatte und dachte, ich müsste aller Welt irgendeinen Mist beweisen. Und wir hatten sicherlich – nicht zuletzt bei Konzerten – Momente der Brutalität und Gewalt. Aber heute weiß ich: Kritik ist gut. Totale Verweigerung und Hass sind es nicht.