Seit fast vierzig Jahren ist die Truppe aus Ipswich bereits am Start, machte zuletzt jedoch eher durch vermehrte Touraktivität als durch bahnbrechende Alben von sich reden. Das letzte Album „All The Young Droogs“ von 2012 klingt eher nach Altherren-Rock als spritzigem Pop-Punk. Geprobt wird schon lange nicht mehr, neue Songs entstehen meist spontan im Studio. Es ist schon etwas länger her, dass die ADICTS durch Majorlabel-Streitigkeiten, Tour-Exzesse und einen umstrittenen Auftritt in der Kinderfernsehshow „Cheggers Plays Pop“ für Aufmerksamkeit sorgten. Beim Fährmannsfest in Hannover kam ich mit den USA-Auswanderern Pete und Monkey sowie Schlagzeuger Kid Dee ins Gespräch.
Wie kommt es, dass ihr heutzutage öfter auf Tour seid als früher?
Pete: Sind wir das? Wir sind eben gerne auf Tour. Es hat aber auch mit meinen zahlreichen Operationen in den letzten Jahren zu tun; ich war sehr oft krank und wir mussten einige Pausen einlegen. In Hinblick auf Deutschland haben wir mal eine Zeit komplett ausgesetzt, sind aber nun verstärkt wieder am Start. Wir lieben es bei euch!
Dieses Jahr solltet ihr Headliner bei einem Open Air Festival in Chile sein, aber die DEAD KENNEDYS spielten schließlich als Letzte, weil sie so spät auftauchten. Was steckte dahinter?
Monkey: Ganz einfach: Sie versuchten, ihre Gage neu zu verhandeln, und weigerten sich, früher zu spielen. Während wir dann auf der Bühne waren, wurden sie sich mit dem Veranstalter endlich einig. Aber sie kamen beim Publikum nicht sehr gut an. Es entstand eine längere Pause, da sie erst nicht auftreten wollten. Damit hätten sie beinahe einen handfesten Aufstand im Publikum ausgelöst. Leute fingen an, Flaschen auf die Bühne zu werfen. Wir saßen dahinter im Zelt und hörten es nur scheppern. Eine Flasche traf sogar Petes Gitarrenbox und blieb dort stecken.
Pete: Sah irgendwie cool aus, schade, dass ich davon kein Foto gemacht habe. Die Flasche steckte tief im linken oberen Lautsprecher fest. War mir wurscht, es sind ja noch drei andere Lautsprecher in der Box. Am Ende erweiterten wir unser Set ein wenig und beruhigten damit die Gemüter. 15.000 Leute auf einer Pferderennbahn, das hätte auch voll danebengehen können! Als wir fertig waren, rechnete keiner mehr damit, dass die DEAD KENNEDYS noch auftreten würden. Nach dem Gig habe ich denen im Backstage-Zelt noch meine Meinung gesagt. Nämlich dass sie für mich verdammte Wichser sind.
Monkey: Südamerika-Touren sind immer verrückt, das Publikum ist sehr leidenschaftlich. Es herrscht viel Armut; die Leute wollen einfach rausgehen und loslassen können von ihren Alltagssorgen. Wir haben tolle Gigs unter anderem in Kolumbien und Venezuela gespielt.
Euer Auftritt in Chile fand ja kurze Zeit nach dem DOOM-Gig statt, bei dem einige Menschen beim Gedrängel am Eingang zu Tode kamen.
Monkey: Ja, der Konzertort lag in der Nähe unseres Hotels, und wir haben vor Ort noch unser Beileid schriftlich auf einem Schild bekunden können. Es war nicht klar, ob unser Gig überhaupt stattfinden darf; zuerst hatten die Behörden das Konzert untersagt.
Pete: Am Tag der Show musste der Veranstalter eine Hypothek auf sein Haus aufnehmen und sein Auto verkaufen. Das war wohl auch der Grund für die Auseinandersetzung zum Thema Finanzen mit den DEAD KENNEDYS.
Euer letztes Album „All The Young Droogs“ ist sehr rockig ausgefallen. War das Absicht?
Pete: Nein, der Produzent ist dafür verantwortlich. Ein Song hört sich an, als würde er von EUROPE stammen, den kann ich mir einfach nicht anhören. Das Demo von dem Song hört sich dagegen fantastisch an. Wir kamen direkt nach einer vierwöchigen Tour ins Studio und waren alle komplett ausgelaugt. Keiner wollte Verantwortung für den Sound übernehmen, also haben wir es komplett dem Produzenten überlassen, den die Plattenfirma angeheuert hatte. Dadurch ist die Lebendigkeit der Aufnahme komplett verloren gegangen. Wir werden „All The Young Droogs“ auf jeden Fall demnächst remixen lassen. Diesen Oktober nehmen wir ein neues Album auf, diesmal jedoch in einem anderen Studio. Außerdem erscheint ein Album namens „Made In The USA“. Dort finden sich Remixe unserer besten Songs, die wir in den USA aufgenommen haben.
Kid: Unser letztes Album werden wir „The Last Testimony“ nennen. Das wird dann wahrscheinlich zu einer Zeit sein, wenn sämtliche Demos von uns bereits veröffentlicht worden sind.
... und euer Label? Für „All The Young Droogs“ wart ihr bei DC-Jam Records unter Vertrag.
Pete: Ja, das war auch ein Fehler. Die Labels tischen dir eine große Geschichte auf, wie sie dich reich machen etc. Was folgt, ist dann eine meist schlechte Promotion und weitere leere Versprechungen. Manchmal funktioniert es trotzdem, meist aber nicht. Aber von nun an wird alles anders. Das neue Album wird man direkt von uns kaufen können; wir werden kein Label mehr benötigen, lediglich einen Großvertrieb, und den wird Sony übernehmen.
„Songs Of Praise“ hattet ihr ja 2008 neu eingespielt. Seid ihr mit dem Original ebenfalls unzufrieden gewesen?
Pete: Natürlich! Wie kann man mit einer Aufnahme zufrieden sein, die man innerhalb von gerade mal 24 Stunden fertiggestellt hat. Alles wurde in großer Eile eingespielt, und wir waren zudem noch betrunken. Songs wie „Hurt“ klingen als Neuaufnahmen jetzt viel besser.
Monkey: Ich mag das erste Album so, wie es ist. Es ist nichts verkehrt daran.
Pete: Für die damalige Zeit gesehen war es gut so, wie es ist.
Diesen Sommer wart ihr auf Spanien- und Portugal-Tour mit THE EXPLOITED.
Pete: Das war verdammt großartig. Wir haben beim Münzwurf immer gewonnen und mussten nicht als Letzte spielen.
Monkey: In Barcelona war ich bei „Sex and violence“ mit auf der Bühne, mit einem roten Iro auf dem Kopf. Wattie wußte davon nichts. Es war unsere letzte gemeinsame Show dort.
Und eure Shows in Russland?
Kid: In Moskau war uns erst etwas mulmig zumute. Gerade wegen unseres „Clockwork Orange“-Images. Beim ersten Song „Joker in the pack“ kollabierte bereits die Absperrung und wir mussten kurzzeitig unterbrechen. Ansonsten war es toll dort. Keine lautstarken rechten Spinner im Publikum.
Pete: In Russland ist es ja illegal, schwul zu sein. Wir waren gegen Mitternacht auf dem Roten Platz; es war menschenleer, bis auf die übliche Soldatenwache. Wir betranken uns, und ich lief zu einem Wächter an Lenins Grab rüber, schaute ihm in die Augen und sagte: „Hier liegt also John begraben. Ich dachte, den hätten sie in New York beerdigt ...“ Dann küssten wir uns gegenseitig, um verhaftet zu werden, aber es hat nicht geklappt. Am Ende des Abends habe ich 15 Mal gekotzt.
Wie war es in Israel?
Pete: Wir erhielten vorab Morddrohungen, haben uns aber nicht einschüchtern lassen. Im Publikum gab es offensichtlich mehrere völlig verschiedene Fraktionen und die Stimmung war anfangs sehr angespannt. Doch nachdem wir einige Songs gespielt hatten, waren die Rivalitäten vergessen.
Was motiviert euch, nach so vielen Jahren noch mit der Band weiterzumachen?
Pete: Die Gesichter im Publikum. Wir machen Leute sehr glücklich und setzen ein Zeichen gegen die momentan verstärkt vorherrschende Negativität. Und wir meinen es so, wie wir es sagen.
Wen hat es als Ersten von euch in die Staaten verschlagen?
Pete: Mich. Ich habe eine Amerikanerin geheiratet und dann Monkey erzählt, dass man dort fantastisch leben kann. Monkey hat dann ebenfalls jemanden von drüben geheiratet. Wenn man aus einer Sozialsiedlung in Ipswich oder Sunderland nach Kalifornien kommt, möchte man dort garantiert bleiben. Man bezahlt weniger Steuern und kann sich halbnackte blonde Frauen mit unechten Brüsten am Strand anschauen. Ich liebe so was!
Heutzutage geht es bei Konzerten hierzulande und in England meist sehr friedlich zu, das war in den frühen Achtzigern ja komplett anders.
Pete: Mir ist aufgefallen, dass die Gewalt in letzter Zeit wieder zugenommen hat.
Kid: Die früheren Gigs waren sehr gewalttätig: Im Skunx in London gab es regelmäßig Ärger mit rechten Skins, so dass wir für einige Zeit ein Skinhead-Verbot auf unseren Konzerten durchsetzen mussten. Ich weiß noch, dass es in Freiburg eine Tränengasattacke durch ein Fenster im Club gab. Beim Klub Foot-Gig Mitte der Achtziger mit 999 und THE PHARAOHS gab es ebenfalls heftige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen rivalisierenden Gruppierungen. Bei einem anderen Gig rückte die National Front an und versuchte, uns zu attackieren. Aber wir sind sofort von der Bühne und haben uns mit denen geprügelt, damit haben die wohl nicht gerechnet. Das Ende vom Lied: Wir wurden aus dem Laden hinausbefördert, und die konnten dableiben ...
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