Sie waren in den Achtzigern in der Bravo und wurden in der Szene wegen ihres Fun-Punk belächelt. Sie lösten sich auf. Mit Konrad Kittner starb 2006 die Hälfte der Band. Und doch sind ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN wieder da. Gründungsmitglied Micro hat in Schlagzeuger Olli einen neuen Mitstreiter gefunden. Und jetzt gibt es sogar ein neues Album. Gründe genug also, um Fragen zu stellen. Und zwar nicht nur witzige.
Micro, „Doofgesagte leben länger“ ist das erste Tauben-Album seit „Wer hat an der Uhr gedreht ...?“ von 1994. Wie war das, nach so langer Zeit wieder als Band im Studio zu stehen?
Anders. Die Bedingungen haben sich komplett verändert. Früher brauchtest du einen ganzen Fuhrpark an Verstärkern und musstest die durch die Gegend fahren zum Studio, wo man sich dann zwei Wochen eingeschlossen hat. Heutzutage ist das Studio gleichzeitig unser Proberaum, entsprechend mit allem technischen Gerät ausgerüstet – und liegt nahe bei meiner Wohnung. Das heißt: Wir brauchen uns nicht mehr einzuigeln. Es ist entspannter. Ich kann aufnehmen, zwischendurch schnell einkaufen gehen – und dann wieder weitermachen. Das ist schon eine ganz andere Atmosphäre.
Damals waren die Tauben unzertrennlich. Sie waren Konrad mit den roten Haaren und du mit den blauen Haaren. Konrad ist tot. Wie oft denkst du noch an ihn, wenn du mit der Band unterwegs bist?
Darauf möchte ich eigentlich gar nicht so sehr eingehen. Nur so viel: Konrad ist immer dabei. Aber ich spiele heute eben mit Olli. Er und ich sind jetzt ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN. Man könnte auch sagen: Ich habe meine Band wieder – und Konrad kann ihr leider nicht mehr helfen. Er wäre allerdings stolz auf uns. Da bin ich mir sicher.
Das könnte er auch. Denn immerhin habt ihr ein Ding gestartet, das belächelt wurde und doch überdauert hat. Auf Konzerten werdet ihr nach wie vor gefeiert.
Da hast du recht. Und das überrascht mich immer noch. Das konnte man damals nicht ahnen. Und das konnte ich auch nicht ahnen, als ich wieder mit den Tauben angefangen habe. Oder als ich dazu überredet wurde, wieder mit ihnen anzufangen. Ich habe nach unserer Auflösung 1997 die Entwicklung in der Szene über Jahre schließlich gar nicht mitbekommen. Ich war völlig raus.
Wer war denn derjenige, der dich überredet hat?
Olli. Er hat mich tatsächlich überredet, da ich anfangs wirklich nur auf Sicherheit gehen wollte und ihm gesagt habe: „Ich brauche die Arbeit. Wenn überhaupt, dann kann ich das nur als Hobby machen.“ Aber mittlerweile läuft es so gut: Das Weser Label ist dabei. Die neue Platte. Die Tour ... Na ja, es wird sich zeigen.
Es scheint jedenfalls so, als dass der einst so belächelte Fun-Punk, für den ihr steht, noch eine Berechtigung hat.
So ist es. Irgendjemand sagte kürzlich angesichts unserer neuen Platte den Spruch: „Fun-Punk sagt, wo Schluss mit lustig ist.“ Das fasst es hervorragend zusammen. Das zeigt, um was es geht. Das zeigt, dass Fun-Punk nichts mit Blödsinn zu tun hat.
Wie man auch an einem neuen Song wie „Nie wieder PEGIDA“ sieht.
Eben. Und ich denke, so was haben Konrad und ich damals auch schon gemacht. Das wurde nur nie anerkannt. Stattdessen haben die Leute gemeckert, dass wir in der Bravo waren. Dabei haben wir die damals nur als Medium für uns genutzt. Heutzutage kommen jedenfalls Leute auf mich zu, die eine Lederkutte anhaben und einen Iro auf dem Kopf tragen, und die sagen: „Micro, ich sehe so aus, weil ihr dagewesen seid.“ Das ist ein tolles Gefühl.
Neulich las ich einen Artikel auf der Homepage von Deutschlandradio Kultur, in dem anhand der Person des englischen Autors Tony Parsons, der in den Siebzigern Punk war und nun öffentlich für den Brexit sprach, gezeigt werden sollte: Punk ist tot!
Und genau deswegen ist Punk noch gar nicht tot! Denn Punk ist nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Punk hat die Gesellschaft so weit verändert, dass er heutzutage in gewissem Maße anerkannt ist. Und das alles ist geschehen ohne Gewalt, dafür aber mit Idealismus und Überzeugung. Weil eben irgendwann jemand anfing, Fanzines zusammenzuschnippeln oder eine Band zu gründen. Das Ox ist doch das beste Beispiel: Es ist als Magazin etabliert. Das ist doch toll!
Was können alte Punks von jungen Punks lernen?
Dass man nicht so spießig sein sollte, wie es viele Alt-Punks sind. Die sagen immer: „Bäh, du Kleener, du weißt ja gar nicht, wie das damals war. Du kannst ja gar nicht mitreden.“ Ja, natürlich können die das nicht. Weil sie nur das Heute kennen. Diese Jungs muss man mitnehmen und ernst nehmen!
Auf jeden Fall scheint Punk heutzutage wichtiger denn je zu sein. Erneut Stichwort: PEGIDA-Song.
Ja. Du glaubst gar nicht, was für eine tiefe Angst ich vor diesen Rechtsradikalen habe. Beziehungsweise vor diesem Prozess. Denn dieses rechte Denken geht ja immer weiter in die Bevölkerung hinein und beschränkt sich nicht mehr nur auf die typischen Rechtsradikalen. Das trifft plötzlich auch eigentlich gemäßigte Menschen. Wenn ich Schilder lese wie „Wir sind keine Nazis, wir sind betroffene Nachbarn“, dann wird mir schlecht. Solche Meinungen haben bei uns – aller Demokratie zum Trotz! – keine Berechtigung!
Ich hatte neulich eine ziemlich spannende Diskussion zum Thema und frage dich mal: Bist du dafür, Gewalt gegen Rechte anzuwenden – oder bist du dafür, den Versuch zu unternehmen, diese Leute wieder auf die menschliche Seite zu ziehen?
Ein schwieriges Thema ... Ich sage es mal so: Mein Nachname ist Bogumil. Und das bedeutet „Der Gottliebende“. Die Bogumilen sind Teil der christlichen Geschichte und haben immer gesagt: „Liebe das Böse gut“. Nun bin ich zwar absolut kein Christ. Aber: Sie haben recht. Denn Gewalt, das wissen wir, erzeugt bekanntlich immer Gegengewalt.
Hast du Lieblingssongs auf eurem neuen Album?
Eigentlich picke ich da nur ungern einzelne Stücke raus. Aber dieses wunderbare Cover aus den Siebziger Jahren, „Die Blumen sind für Sie, Herr Polizist“, ist wundervoll. Wundervoll ironisch. Da frage ich mich: Warum hat das noch niemand vor uns neu aufgelegt? Und dann finde ich neben „Nie wieder PEGIDA“ auch den Song „Freiheit stirbt“ sehr, sehr wichtig.
In dem es unter anderem um die Themen Überwachungsstaat und Waffen“ geht ...
Ja. Seit dem Silvester-Vorfall von Köln versuchen ja alle, sich einen Waffenschein zu besorgen – was Blödsinn ist, denn diese Menschen müssten mit diesen Waffen ja auch umgehen können. Können sie aber nicht. Und immer aufrüsten – das bringt doch nichts. Das bringt genauso wenig wie immer mehr Kameras aufzustellen. Damit beseitigst du nicht das Problem. Mit ihnen zerstörst du die Freiheit! Und irgendwann sind wir dann tatsächlich bei SLIME und „Alle gegen Alle“ ... Natürlich bin auch ich als jugendlicher Punk aus Angst vor den Fascho-Skinheads schwerbewaffnet durch die Stadt gelaufen. Ich hatte eine Gaspistole, einen Polizeistock, eine Gasdose. Völlig bescheuert.
Hast du die Sachen wirklich gebraucht?
Ja, aber spätestens als erwachsener Mensch – und genau die fordern ja das Recht auf Bewaffnung – brauche ich so was doch nicht mehr! Heute gehe ich auf die andere Straßenseite, wenn mir jemand entgegenkommt, der mir nicht passt.
Abschließend möchte ich noch auf die Sache mit dem Ehrlich & Laut Festival zu sprechen kommen. Da solltet ihr neben Bands wie etwa KRAWALLBRÜDER auftreten ... Wie konnte gerade euch dieser Fauxpas unterlaufen?
Es gab eine Anfrage des Veranstalters an unseren Booker. Ich hatte, ganz ehrlich, überhaupt keine Ahnung, was das für ein Festival ist. Und es sollte, ebenso ganz ehrlich, ja auch Geld dafür geben. Als dann plötzlich erste Kritik aufkam, habe ich gesagt: „Lass uns doch bitte erst einmal schauen, wer da so alles auftritt. Aufgeben muss man das ja nicht sofort.“ Denn es kann ja auch sein, dass sich Veranstalter ändern und das Line-up wechselt ... Zudem klangen die ersten Bands auf der Liste, von denen wir hörten, ganz okay. Aber als dann nichts geändert wurde und plötzlich noch weitere solcher Bands wie etwa KÄRBHOLZ im Programm auftauchten, war uns klar, dass wir da sofort absagen müssen. Fabsi hat uns auch sofort angerufen und gesagt: „Leute, macht das bloß nicht!“ Da habe ich richtig Schimpfe von ihm gekriegt, haha. Zudem erzählten uns DRITTE WAHL, dass sie dort mal gespielt hätten – und warnten uns allein schon vor dem Publikum vor Ort.
Das war aber durchaus ein wenig naiv von euch ...
Na, man kann sich bei Festivals ja generell informieren so viel man will – man braucht letztendlich doch auch seine Auftritte. Genau deshalb dachte ich zuerst ja eben auch: Warte mal ab. Dann gehst du eben mal in die Höhle des Löwen. Aber dann habe ich doch recht schnell erkannt: Nee, das ist nicht die Höhle des Löwen. Das ist einfach nur scheiße.
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